Förderliche Leistungsbewertung als Herausforderung der Inklusion

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Transcript Förderliche Leistungsbewertung als Herausforderung der Inklusion

Förderliche Leistungsbewertung
Individuelle Lernfortschrittdiagnosen
unter Berücksichtigung besonderer
Bedürfnisse, Interessen und Begabungen
Thomas Stern, IUS-IFF Wien, IMST
Marie Marcks
Überblick
Einige Forschungsergebnisse
… über Rückwirkungen des Prüfens auf das Lernen
Dilemma der Leistungsbewertung
… zwischen Lernförderung und „Aussieben“ …
Förderliche Prüfungskultur
… zur Unterstützung des Lernens
Qualitätskriterien
… für eine faire Leistungsbewertung
A. Einige Forschungsergebnisse
Wie wirken sich Prüfungen auf die
Leistungsbereitschaft aus?
Wie wirken sich Prüfungen auf die
Leistungsbereitschaft aus?
(Broadfoot 1998, Harlan/Deakin Crick 2002 …)
Forschungen zeigen: Leistungsbewertung kann
kontraproduktiv sein und das Lernen behindern.
ENDPRÜFUNGEN (SUMMATIVE BEWERTUNGEN) haben
schwer wiegende Rückwirkungen auf das Lernen, u.a.
- „learning and teaching to the test“,
- geringere intrinsische Motivation,
- minimalistische Lernstrategien (inkl. Bluffen & Mogeln),
- Prüfungsangst und kleineres Selbstwertgefühl,
v.a. bei lernschwachen S/S
Wie wirken sich Prüfungen auf die
Leistungsbereitschaft aus?
(Black/Wiliam 1998: Metastudie “Inside the Black Box“)
Forschungen zeigen aber auch: Leistungsbewertung
kann das Lernen wirkungsvoll unterstützen!
LERNDIAGNOSE (FORMATIVE BEWERTUNG) und
kontinuierliches Feedback führen zu höherer Motivation, mehr
Freude und besseren Erfolgen beim Lernen
- auch bei lernschwachen S/S,
- insbesondere wenn auch Partner- und Selbsteinschätzung
einbezogen wird
"Assessment for learning" (www.assessment-reform-group.org)
Zwei Arten von Prüfungen
Zwei Funktionen von Leistungsbewertung
Kontrollieren, ob bestimmte
- Leistungsniveaus erreicht
- und Normen erfüllt sind
Sondieren nach
- Begabungen
- und Lernpotenzialen
…. um einzustufen
oder auszusondern
…. um das individuelle
Lernen zu verbessern
…. und um den Unterricht
darauf abzustimmen
Formative und summative Bewertungen
Lern- und Leistungsdiagnosen
„Was ist beim Prüfling
hängen geblieben?“
SUMMATIVE BEWERTUNG
LEISTUNGSDIAGNOSE
Am Ende der Lernphase
Ergebnisorientiert
Endgültig
Neutral
Fehler unerwünscht
Z.B. verbunden mit Berechtigung
Fehldiagnose: Negative
Beurteilung trotz guter Kenntnisse:
Lebenschancen werden verbaut.
„Was hat der Prüfling schon gelernt,
wo hat er noch Schwierigkeiten?“
FORMATIVE BEWERTUNG
LERNDIAGNOSE
Während der Lernphase
Prozessorientiert
Möglichkeiten zum Nachbessern
Anerkennend, anspornend
Fehler ok
Z.B. verbunden mit Förderangebot
Fehldiagnose: Leistungsschwäche bleibt unerkannt:
Lernförderung unterbleibt.
(© Saul Steinberg)
B. Dilemma der Leistungsbewertung
… zwischen Lernförderung und „Aussieben“ …
 Funktionen der Leistungsbewertung
 Dilemma  Spannungsfelder
Wofür Prüfungen?
Prüfungen/Tests = Grundlage für Leistungsbewertungen
Leistungsbewertung kann mehrere Funktionen haben (Kleber 1992)
• Rückmeldungen für Schüler/innen
Lernziele erreicht?
• Rückmeldungen für die Lehrperson
Unterrichtsqualität? Förderungsbedarf?
• Lernsituation / Sozialisation
Lernen aus Fehlern? Gelegenheit zur Bewährung?
• Selektion
Berechtigungen, Chancen für Karriere und sozialen Aufstieg
• Disziplinierung
„Leistungsdruck“
• Rechenschaftslegung / Accountability
Evaluation von Schulen (z.B. USA: NCLB)
Dilemma der Leistungsbewertung
(Ingenkamp 1997)
Zwei konträre Aufgaben: Erteilung von Qualifikationen
und/oder Verbesserung des Lernens.
„ ... verhängnisvoll ... , dass die Erteilung von Qualifikationen und
Berechtigungen überwiegend der Schule übertragen wurde und dort
alle anderen diagnostischen Aufgaben überlagert hat.“
Assessment Standards NCTM 1995:
„Leistungsbewertung sollte das Lernen unterstützen und
Lehrer/innen wie Schüler/innen brauchbare Informationen liefern“
Ausweg aus dem Dilemma?
Schülerleistungen können verglichen werden
• mit der Gruppendurchschnittsleistung (Sozialnorm)
• mit den Lernzielerwartungen (Kriterialnorm)
• oder mit dem eigenen früheren Leistungsstand (Individualnorm)
Individuelle Lernfortschrittsdiagnose
+
+
+
+
-
ist ermutigend auf allen Leistungsniveaus
anerkennt besondere Begabungen
berücksichtigt unterschiedliche Lernvoraussetzungen
drückt positive Leistungserwartungen aus
verzichtet auf Vergleiche mit Leistungen anderer
Förderliche Leistungsbewertung unterstützt
autonomes/selbstreguliertes Lernen
Erkennen von
Stärken & Lernpotenzialen
Individuelles
Feedback &
Lernanregungen,
Förderangebote
Unterstützung
Selbst- und
Partnereinschätzung
Formen des Umgangs mit Heterogenität
(Wikipaedia: „Inklusion“)
Visionen und ihre Realisierung
„Inklusion impliziert die aktive Bekämpfung von Exklusion.
Inklusion ist ein unaufhörliche Prozess.“ (Ainscow 2006)
„Was für S/S mit sonderpädagogischem Förderbedarf hilfreich ist,
kommt allen S/S zugute.“ (Meijer 2003)
Besondere Umsetzungsprobleme in D & Ö (Werning 2008):
- Keine Gesamtschule
(Fiktion der homogenen Lerngruppe)
- Strukturelle Selektivität des Schulsystems
(Sitzenbleiben, Umstufung, Versetzung)
- Diskussion um Outcome-Steuerung und Standards
(Tests nach normativen Vorgaben  Leistungsdruck)
Diskussion (zu zweit oder zu dritt)
 Welche Chancen sehe ich in der Schulpraxis
für förderliche (formative, individualisierte,
inklusive) Leistungsbewertung?
 Welche Probleme sind damit verbunden?
C. Förderliche Prüfungskultur
Wie kann Leistungsbewertung
das Lernen unterstützen?
 Suche nach Stärken/Talenten
 Verwendung vielfältiger Methoden
 Ermutigendes Feedback
 Selbst- und Partnereinschätzung
Varianten bei den „klassischen“
Instrumenten der Leistungsfeststellung
SCHULARBEITEN UND TESTS (<50%), MÜNDLICHE PRÜFUNG (keine
„Entscheidungsprüfung“!), MÜNDLICHE / PRAKTISCHE ÜBUNGEN
- Vielfältige Aufgabenformate (Fehlersuche, „umgekehrte Fragen“, ... )
- Wahlmöglichkeiten zwischen Themen / Fragestellungen
- Eigenständige Leistungsnachweise (z.B. selbst gewählte Prüfungsaufgaben; Portfolio mit individuellen Interessensschwerpunkten)
- Eigene Meinungen formulieren und begründen
- Chancen zum Nachbessern („2-Phasen-Arbeit“, Fehleranalyse)
„MITARBEIT“ (> 30% der Gesamtbewertung; aktive Unterrichtsbeiträge!)
- Stundenwiederholung, -vorbereitung, -mitgestaltung
- Interaktive Lernarrangements: „Gruppenpuzzle“, „Chef für 1 Aufgabe“
Nachbearbeitung von Klassenarbeiten:
„Fehleranalyse“
Aus deinen Fehlern kannst du lernen!
1. Welchen Fehler hast du in deiner schriftlichen Arbeit gemacht?
2. Wie ist es zu diesem Fehler gekommen?
Was steckt dahinter? Missverständnis? Wissenslücke?
3. Welche Antwort/Lösung/Formulierung wäre besser gewesen?
Erkläre warum!
4. Zeige an einem ähnlichen Beispiel, dass du‘s jetzt kannst!

Mit einer sorgfältigen Fehleranalyse kannst du
dein Ergebnis nachträglich um eine Stufe verbessern.
Ampel-Feedback
Die Schüler/innen signalisieren mit den Ampelfarben
grün – gelb – rot, ob sie alles / teilweise / nichts
verstanden haben.
Wochenrückblick
(www.qis.at)
Diese Woche hatte ich mir
vorgenommen, zu lernen ...
Ich habe gelernt ...
Am meisten hat mir gefallen ...
Ich hätte gerne ...
Als nächstes werde ich ...
Ähnlich (inhaltlich identisch) Schratz/Iby/Radnitzky 2000: 134
Ich brauche jetzt ...
Partnerbewertung (≠ gegenseitiges Benoten!)
„Zwei Sterne und ein Wunsch“
Was war an der Arbeit deines Partners / deiner Partnerin besonders gelungen?
Achtung
Was könnte er / sie beim nächsten Mal besser machen?
Was ist dir noch aufgefallen?
Was könntest du empfehlen?
D. Qualitätskriterien für die
Leistungsbewertung
Was kennzeichnet eine gute
Leistungsbewertung?
 3 „klassische“ Gütekriterien
 NCTM-Standards
Folgenreiche Fehldiagnosen
• PISA-2000-Deutschland: Anteil der 15-Jährigen mit
schwachen oder sehr schwachen Lesefähigkeiten
23% (!!) (Finnland: 7%)
Zusatzstudie MPI-Berlin (Baumert 2001): Befragung
der Lehrer/innen dieser Schüler/innen: 90% der
Leseschwächen blieben unerkannt
• KESS4-Studie Hamburg (Bos & Pietsch 2004):
Untersuchung an Grundschulen der „Kompetenzen
und Einstellungen von Schüler/innen –
Jahrgangsstufe 4“ mit Leistungstests und
Kontextfragebögen und Vergleich mit Lehrerurteilen.
Ergebnis: Schullaufbahnempfehlung Gymnasium für
ein Kind aus oberen Schichten 3-mal so groß wie für
ein Kind aus einer Arbeiterfamilie bei gleichen
kognitiven Grundfähigkeiten.
Drei „klassische“ Gütekriterien
für die Leistungsbewertung
• Objektivität
Unabhängigkeit von der bewertenden Person
• Verlässlichkeit
Präzision, Trennschärfe, minimaler Messfehler
• Validität
Gemessen wird das, was gemessen werden soll
Was ist eine „faire Leistungsbewertung“?
(NCTM 1995, NSES 1996)
Faire Leistungsbewertung
• macht deutlich, was
wichtig ist
„Measure what you value
rather than value what
you can easily measure“
• fördert das Lernen
• trägt zur Chancengerechtigkeit bei
• ist schlüssig
„Leistungsbewertung sollte das
Lernen unterstützen und
Lehrer/innen wie Schüler/innen
brauchbare Informationen liefern“
• ist ein offener Prozess
• ist kohärent (auf langfristige Bildungsziele
abgestimmt)
Einschätzung von Leistungen
immer unter Berücksichtigung
der Lernvoraussetzungen!
"Haben Sie auch mal daran gedacht, dass dieses Zeugnis
ein denkbar schlechtes Licht auf Ihre pädagogische
Qualifikation wirft?"
(Uli Stein, 1999)
http://www.qca.org.uk/afl
5 „Schlüsselstrategien“ …
Klarstellen, verstehen und vereinbaren von Lernzielen
- Curriculumphilosophie; Notentransparenz; individuelle Vorsätze
Aus Diskussionen, Aufgaben und Lernaktivitäten vielfältige
Daten über den Lernerfolg gewinnen
- Interaktiver Klassenunterricht; mehrere Diagnosemethoden
Feedback geben, das den/die Lernende/n weiterbringt
- Individuelle Rückmeldungen mit Förderangeboten
Aktivieren der Schüler/innen als Unterstützung für einander
- Gruppenarbeit, Partnerbewertung
Stärkung der Eigenverantwortung für den Lernerfolg
- Selbstreflexion, Eigenmotivation, individuelle Interessen,
selbstgesteuertes Lernen, Selbsteinschätzung
… und eine große Idee
(Wiliam & Thompson 2007)
Ergebnisse der
Leistungsbewertungen
dazu benützen, den
Unterricht auf die
Bedürfnisse der
Schüler/innen
abzustimmen.
Herausgegeben von:
ÖZEPS (Österreichisches
Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen)
BMUKK (Bundesministerium für
Unterricht, Kultur und Kunst)
Autor: Thomas Stern, IMST/IUS/
IFF/Universität Klagenfurt,
http://ius.uni-klu.ac.at/thomasstern
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