Die Politische Ökonomie der Staatsschuldenkrise Roland Vaubel

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Transcript Die Politische Ökonomie der Staatsschuldenkrise Roland Vaubel

Die Politische Ökonomie
der Staatsschuldenkrise
Roland Vaubel
1
•
Die Politische Ökonomie versucht, die
Wirtschaftspolitik mit den Interessen der politischen
Akteure zu erklären.
•
Sie geht nicht davon aus, dass die Politiker
(notwendigerweise) das Allgemeininteresse verfolgen.
•
Sie ist daher dann besonders relevant, wenn es darum
geht, eine ökonomisch verfehlte Politik zu erklären.
•
Deshalb vorweg eine kurze Begründung, weshalb ich –
und eine ganz überwiegende Mehrheit der Nicht-BankÖkonomen – die wirtschaftspolitischen Reaktionen auf
die Staatsschuldenkrise für falsch halten.
2
„Greece sparked the eurozone crisis but was not
its cause. The cause lies in the fact that the
eurozone is a fully fledged monetary union but an
incomplete economic and fiscal union of member
states with different structures“
(Costas Simitis und Yannis Stournaras, The
Guardian, London, 26.04.12)
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Tabelle 1
BR Deutschland Frankreich Griechenland
Haushaltsdefizita/ BIP
(Durchschnitt 20022010)
Irland
Italien
Portugal
Spanien
2,5
4,1
8,0
5,3
3,5
5,1
2,3
5
6
9
3
6
8
3
50,1
56,6
114,2
59,1
99,1
68,8
40,2
Lohnerhöhung pro
Beschäftigten,
2002-10 pro Jahr
1,0
2,8
4,9
3,3
1,9
3,4
3,1
Zunahme der
Arbeitsproduktivität
2002-10 pro Jahr
0,4
0,9
1,2
1,5
-0,5
0,9
0,7
0,6
1,9
3,7
1,8
2,4
2,5
2,4
Anzahl der Jahre,
in denen die Defizitquote 3 % überstieg
(2002-10)
Staatsschuldb/ BIP
Ende 2010
Lohnerhöhungen
minus Produktivitätsfortschritt, 2002-10
pro Jahr
Quelle: OECD Economic Outlook, May 2011
a – General Government Financial Balance
b – General Government Net Financial Liabilities
4
Die Staatsschuldenkrise wäre trotz Finanzmarktkrise
vermeidbar gewesen.
•
Die Club-Med-Länder haben sie selbst verschuldet.
•
Das Fehlverhalten setzte schon lange vor der
Finanzmarktkrise ein.
•
Die griechischen Banken waren von der Finanzmarktkrise so wenig betroffen, dass sie nicht vom
griechischen Staat gestützt werden mussten.
•
Es ist verkehrt, Fehlverhalten zu belohnen.
•
Damit werden falsche Anreize gesetzt (Moral Hazard).
5
Fehlanreize:
1. Die Bürgschaften und Kredite schaffen einen Anreiz, auch in
der Zukunft zu hohe Haushaltsdefizite zuzulassen und zu hohe
Lohnsteigerungen zu vereinbaren.
Die wirtschaftspolitischen Auflagen ändern nichts daran,
dass die Kredite subventioniert sind. Denn die Ankündigung
und Verabschiedung der auferlegten Maßnahmen hätte die
Problemstaaten nicht in die Lage versetzt, sich auch am Markt
zu so günstigen Bedingungen – weniger als vier Prozent! – zu
verschulden, wie sie es bei dem Bailout-Fonds können. Sonst
hätten sich die Hilfskredite ja erübrigt.
Die subventionierten Kredite des Bailout-Fonds sind nicht
mit den anderen EU-Transfers zu vergleichen. Auslöser für
Bailout-Kredite ist ja nicht – wie im Fall der Strukturfonds –
die Armut der Empfängerländer, sondern die Tatsache, dass
ihre Politiker zu viele Schulden gemacht haben.
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Der Fehlanreiz wäre geringer, wenn die Empfängerländer die
Kredite zu einem Strafzins erhalten hätten – zumindest zu
dem Zins, den sie zuletzt am Markt hatten zahlen müssen.
2. Die Bürgschaften und Kredite sind eine Belohnung für die
Gläubiger der Problemländer, die zum Teil wissentlich hohe
Risiken eingegangen sind und dafür in der Vergangenheit
hohe Zinsen kassiert haben. Die Bailout-Politik verleitet die
Anleger daher dazu, in Zukunft noch höhere, exzessive
Risiken einzugehen. Für die Konsequenzen einer
Umschuldung sollten so weit wie möglich die Gläubiger –
auch die Banken – aufkommen.
3. Soweit stattdessen die Steuerzahler belastet werden, müssen
die Steuern erhöht werden oder an sich mögliche
Steuersenkungen unterbleiben. Die Auswirkungen auf die
Leistungsanreize sind negativ.
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Einwände:
1. „Bei den Rettungsbeschlüssen für einige EuroLänder geht es nicht darum, ob die Griechen, Iren
oder Portugiesen früher richtig oder falsch
gehandelt haben. Tatsache ist, dass der Euro
bedroht war und Deutschland im wohlverstandenen Eigeninteresse handelt, wenn es sich an der
Hilfe beteiligt“
(Dominique Strauss-Kahn, Interview mit der
Financial Times Deutschland, 11.04.11, zu
diesem Zeitpunkt Geschäftsführender Direktor
des Internationalen Währungsfonds).
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2. EZB-Präsident Trichet hat im Mai 2010 davor gewarnt, dass
ohne Hilfskredite eine Panik wie nach dem Konkurs von
Lehman Brothers im September 2008 ausbrechen würde. Diese
Warnung war unglaubwürdig, denn im September 2008 war ganz
unklar gewesen, ob noch weitere Großbanken in den Konkurs
entlassen werden würden und ob – wie in der
Weltwirtschaftskrise – die Geldmenge zurückgehen würde.
Diese Befürchtung konnte im Mai 2010 und danach nicht mehr
bestehen, da alle Industrieländer eine Institutsgarantie für ihre
system-relevanten Banken abgegeben hatten und die zur
Erfüllung dieser Garantie notwendigen Institutionen und
Finanzmittel bereit standen.
3. Minister Schäuble hat erklärt, es gehe um die Stabilität des Euro.
Unter Ökonomen besteht Einigkeit, dass nicht die Zahlungsfähigkeit Griechenlands, sondern die Geldpolitik der EZB über
die Stabilität unserer Währung entscheidet.
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Die Bailout-Politik der Euro-Gruppe ist ein krasser Vertragsbruch:
• Artikel 125 AEUV: „Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten …
eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein“.
(Die damaligen französischen Minister Lagarde, Lellouche und Wauquiez und
der belgische EU-Kommissar Karel Gucht haben den Vertragsbruch öffentlich
zugegeben.)
• Der von Kommission und Rat als Ermächtigungsgrundlage genannte Artikel
122 AEUV scheidet aus, weil sich die Defizitpolitik der Problemstaaten nicht
ihrer Kontrolle entzog (wie das Beispiel der anderen Länder zeigt) und weil sich
Artikel 122 weder auf die Euro-Staaten noch auf die Währungspolitik bezieht.
• Artikel 123 AEUV: „Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank…
für… Zentralregierungen… der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der
unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische
Zentralbank“. Damit ist klar, dass es keine monetäre Finanzierung von
Haushaltsdefiziten geben darf und dass der mittelbare Erwerb von Anleihen im
Sekundärmarkt, der erlaubt ist, nur für geldpolitische Zwecke („quantitative
easing“) in Frage kommt. Die EZB kauft die Anleihen jedoch zum Zweck der
Haushaltsfinanzierung. Sie unterläuft damit den Sinn des Artikels 123.
10
•
•
Der Euro-Rat hätte nicht im Mai 2010 an die EZB herantreten dürfen
mit dem Wunsch, Anleihen der Problemländer zu kaufen. Dies
verbietet Art. 130 AEUV: „Die Regierungen der Mitgliedstaaten
verpflichten sich… nicht zu versuchen, die Mitglieder der
Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen
Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen“.
Auch der IWF darf seine Kredite nicht zum Zweck der Haushaltsfinanzierung vergeben. Nach Art. V Abs. 3.b.ii seiner „Articles of
Agreement“ darf der IWF nur Kredite vergeben „on the condition
[that the member state] has a need to make the purchase because of its
balance of payments or its reserve position or development of its
reserves“.
Wie die Deutsche Bundesbank in ihrem Monatsbericht vom März
2010 zutreffend schrieb, „ist ein finanzieller Beitrag des IWF bei der
Lösung von strukturellen Problemen, die keinen Fremdwährungsbedarf implizieren – etwa der direkten Finanzierung von Budgetdefiziten oder der Finanzierung einer Bankenkapitalisierung – mit
seinem monetären Mandat nicht zu vereinbaren“ (S. 63).
Fazit: Die Beteiligung des IWF an den Bailout-Krediten ist mit
seinem Auftrag nicht zu vereinbaren.
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Wie eine ökonomisch vernünftige und rechtlich akzeptable Lösung
ausgesehen hätte:
• Die Problemländer hätten ihren Schuldendienst 2010 eingestellt und
mit ihren Gläubigern über eine Umschuldung verhandelt (so wie
Griechenland schließlich im März 2012). Der Konkurs wäre nicht
verschleppt worden.
• Alle EU-Staaten hätten ihre Garantie bekräftigt, dass der Zahlungsverkehr und die Geldmenge aufrecht erhalten werden.
• Die Schuldnerstaaten hätten ihre Haushalte ohne Bailout-Kredite und
ohne Bevormundung durch ausländische Kontrolleure in eigener Regie
saniert.
• Die EU oder die Eurogruppe hätten sich an der Garantie von Einlagen
zahlungsunfähiger Banken in den Problemländern von Anfang an
beteiligen können, denn das ist rechtlich zulässig.
• Da nur ein Bruchteil der notleidenden Staatsanleihen von Banken
gehalten wurde und wird und da fast alle Banken die notwendigen
Abschreibungen verkraften können und hätten verkraften können, hätte
dies die Steuerzahler unvergleichlich viel weniger belastet als der
Bailout der Schuldnerstaaten.
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Politisch-ökonomische Erklärung:
Welche Akteure waren und sind an der Bail-out-Politik vor allem
interessiert?
• Treibende Kraft: Präsident Sarkozy
• Finanzminister Schäuble
• die Europäische Kommission
• der Internationale Währungsfonds
Regierungspolitiker
Bürokraten
• die Banken
Interessengruppe
• SPD und Grüne
Oppositionspolitiker
Die Wähler? Emnid-Umfrage vom Februar 2012:
62 Prozent sind gegen die Bailout-Politik.
13
1.
Präsident Sarkozy
•
Wie Peter Ludlow in seiner minutiösen Darstellung berichtet, trifft
Sarkozy am 7. Mai 2010 schon vormittags in Brüssel ein und führt
u.a. Gespräche mit Barroso, Juncker, Papandreou und Trichet.
•
Das Arbeitsessen des Euro-Rats am Abend wird von Juncker geleitet.
•
Zuerst spricht Papandreou, dann hält Trichet einen vorbereiteten
Vortrag mit Charts usw. und warnt vor einer Lehman-artigen Panik.
•
Angela Merkel erklärt die Bailout-Politik zur „Ultima Ratio“.
•
Am folgenden Samstag lassen die im Euro-Rat versammelten Staatsund Regierungschefs Trichet gegenüber durchblicken, dass sie es
begrüßen würden, wenn die EZB griechische Staatsanleihen kaufen
würde.
•
Am darauf folgenden Sonntag organisiert Trichet eine Telefonkonferenz des EZB-Rats und setzt durch, dass die EZB ab Montag
griechische Staatsanleihen aufkauft. Dagegen stimmen die deutschen
Mitglieder Axel Weber und Jürgen Stark sowie der griechische
Zentralbank-Gouverneur Provopoulos (noch von der konservativen
Vorgänger-Regierung ernannt).
14
Weshalb betreibt Sarkozy den Bailout?
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Sarkozy erklärt auf der Pressekonferenz, er habe „den Euro gerettet“: Keine
Austritte aus der Währungsunion! Wenn Griechenland austritt, könnte
irgendwann auch Deutschland austreten wollen.
Errichtung eines Europäischen Währungsfonds (wie schon in den siebziger
Jahren von Raymond Barre und Giscard d’Estaing gefordert): „Sarkozy sagte
nach dem Treffen, dies sei der Beginn eines Europäischen Währungsfonds:
‘Von den Beschlüssen vom Mai 2010 zu den heutigen Beschlüssen führt ein
gerader Weg’“ (faz.online 22.7.11).
IFOP (Januar 2011): 61 Prozent der Franzosen, aber nur 34 Prozent der
Deutschen glauben, einmal in die gleiche Lage wie die Griechen kommen zu
können.
Französische Banken halten prozentual und absolut die größten Bestände an
griechischen Staatsanleihen.
Sarkozy ist Gründer und Präsident der „Europäischen Mittelmeer-Union“.
Auch in den Verhandlungen über den Maastricht-Vertrag hat Paris
(Finanzminister Bérégévoy) gegen eine unabhängige EZB gekämpft.
Sarkozy will sich vor der Präsidentschaftswahl als führender europäischer
Krisenmanager profilieren.
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Weshalb spielte Trichet mit?
• Trichet hatte bis zum Mai auch in Deutschland eine gute
Reputation.
• Er war in seinen Entscheidungen unabhängig, aber er wusste,
dass seine Amtszeit im Oktober 2011 enden würde und dass er
dann nach Frankreich zurückkehren würde.
• Zu diesem Zeitpunkt würde Sarkozy noch Präsident sein,
dieser könnte ihm daher zu attraktiven Altersbeschäftigungen
verhelfen.
• Sarkozy hat Wort gehalten:
1. Trichet wird Vorsitzender der Group of Twenty.
2. Trichet wird neues Mitglied im Verwaltungsrat des
Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS (Airbus).
3. Trichet wird Vorsitzender des Brüsseler Think Tank’s
Brueghel, der von dem Franzosen Pisani-Ferry gegründet
worden ist.
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Weshalb ist Schäuble für die Bailout-Politik?
• ‚„We can only achieve a political union if we have a crisis‘, Mr.
Schäuble said“ (New York Times, 18.11.11).
• Schäuble war schon vor der Wiedervereinigung einer der
Hauptverfechter der Europäischen Währungsunion. Als
Gegenleistung für die Preisgabe der D-Mark forderte er eine
gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik einschließlich einer
„nuklearen Komponente“.
• Er ist an der deutsch-französischen Grenze aufgewachsen.
• Er ist kein Ökonom, sondern Jurist
• Er will nicht nur Krisenmanagement (EFSF), sondern eine neue,
auf Dauer angelegte zusätzliche europäische Institution (ESM).
• Er will sich damit zum Schluss seiner politischen Karriere ein
bleibendes Denkmal setzen.
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• Schäuble versucht, den Eindruck zu erwecken, dass die fatalen
Anreizwirkungen des ESM durch seinen „Fiskalpakt“ beseitigt würden.
Dem ist nicht so.
1. Wie die Erfahrungen mit Art. 115 GG zeigen, sind Gerichte nicht
geeignet, gegen übermäßige Haushaltsdefizite vorzugehen. Richter
(Juristen) – selbst wenn sie gar nicht von den Regierungsparteien
ernannt worden sind – tun sich schwer, sind vielleicht auch
überfordert, wenn es um die Beurteilung volkswirtschaftlicher
Zusammenhänge geht, zumal wenn die Kriterien so schwammig sind.
2. Der Fiskalpakt ist kein EU-Recht, sondern ein einfacher
völkerrechtlicher Vertrag. Der Gerichtshof wird nur im Rahmen eines
Schiedsverfahrens nach Art. 273 AEUV tätig. Sein Schiedsspruch ist
kein verbindliches EU-Recht.
3. Der „Fiskalpakt“ widerspricht sogar dem EU-Recht. Denn während
der „Fiskalpakt“ ein Defizit zwischen 0,5 und 3 Prozent des BIP
verbietet, ist es nach Art. 125 AEUV erlaubt. Der Gerichtshof könnte
den Fiskalpakt daher für unvereinbar mit den europäischen Verträgen
erklären.
18
4.
Es ist unwahrscheinlich, dass der Fiskalpakt zu Klagen führen wird.
a) Die Kommission soll Überschreitungen der Defizitgrenze von 0,5
Prozent des BIP „unter Berücksichtigung der länderspezifischen
Risiken“ und „auf der Grundlage einer Gesamtbewertung“ beurteilen
und „eine rasche Annäherung“ akzeptieren.
b) Ein negatives Votum der Kommission führt zwar im ersten Schritt zu
einer automatischen Klage des Dreiervorsitzes beim Gerichtshof.
Dieser darf jedoch im ersten Schritt keine Sanktionen verhängen,
sondern nur Korrekturmaßnahmen verlangen.
c) Für den Fall, dass die geforderten Korrekturmaßnahmen nicht
ergriffen werden, sind weder eine automatische Klage noch
automatische Sanktionen vorgesehen.
Automatische oder (quasi-)automatische Sanktionen gegen Defizitsünder gibt
es weder im Fiskalpakt noch im reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt,
und Wolfgang Schäuble weiß das. Er war schon immer ein Meister der
politischen Irreführung.
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Weshalb will die Europäische Kommission die BailoutPolitik?
• Die Europäische Kommission erhält zusätzliche
Kompetenzen.
• Kommissionspräsident Barroso ist Portugiese.
• Die Kommission dringt darauf, dass zumindest der
Fiskalpakt nach fünf Jahren in EU-Recht überführt wird.
• Auch die Kommission will das vorübergehende Problem
der Staatsschuldenkrise zum Anlass nehmen, auf Dauer
eine neue Institution – den ESM – zu gründen.
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Weshalb unterstützt der IWF die Bailout-Politik?
• Dass der IWF Kredite zur Haushaltsfinanzierung vergibt, ist nicht
nur rechtswidrig, sondern auch neu – eine Idee von Dominique
Strauss-Kahn und Chefökonom Olivier Blanchard.
• Da sich der IWF über die Zinsmarge finanziert, die er bei der
Kreditvergabe einstreicht, hat er ein starkes Interesse daran,
Kredite zu vergeben (auch wenn die Empfänger die Kredite
vielleicht nicht verdienen und die wirtschaftspolitischen Auflagen
des IWF nicht einhalten). Wenn der IWF eine Kreditvereinbarung
wegen Nichterfüllung der Auflagen kündigt, so schließt er doch
meist im Folgejahr eine neue Kreditvereinbarung ab. Die
Präferenzen der IWF-Beamten sind in Richtung Kreditvergabe
verzerrt.
• Die beiden Geschäftsführenden Direktoren (Dominique StraussKahn und Christine Lagarde) kommen aus Frankreich und
unterstützen die französische Politik. Lagarde war sogar
Finanzministerin von Sarkozy.
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Weshalb fordern die Banken (Bank-Ökonomen) die Bailout-Politik?
• Wenn die zahlungsunfähigen Schuldnerstaaten hochsubventionierte Kredite
von den anderen Euro-Staaten erhalten und ihre maroden Anleihen von den
anderen Euro-Staaten garantiert werden, können die Banken ihre
Abschreibungen verringern. Dabei kommen die Steuerzahler für die Fehler
der Banken auf, obwohl die allermeisten Banken die Verluste verkraften
könnten.
• Dies gilt nicht nur für die Banken in der Eurozone, sondern auch z.B. für
die City of London und die Wall Street. Deshalb ermuntern Premierminister
Cameron, Präsident Obama und die OECD die Regierungen der EuroGruppe, das Volumen der Bailout-Fonds immer weiter zu erhöhen und zu
hebeln. Ihre Forderungen richten sich vor allem an die deutsche Adresse,
denn sie wissen, dass Schäuble sie unterstützt und Merkel nachgeben wird.
• Das Interesse der amerikanischen Banken erklärt auch, weshalb die USA
den IWF-Krediten an die Problemländer der Eurozone zustimmen. (Die
amerikanischen Großbanken setzten schon 1982 durch, dass der IWF
riesige Kredite an die lateinamerikanischen Schuldnerstaaten vergab.)
• Banken-Volkswirte, die sich auch nur ansatzweise eine eigene Meinung
leisten, werden – wie Thomas Mayer von der Deutschen Bank – kurzerhand
entlassen.
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Weshalb unterstützen die Oppositionsparteien SPD und Grüne die
Bail-out-Politik der Bundesregierung?
• Internationale Solidarität?
• Die Zentralisierung der Wirtschaftspolitik stärkt die Macht des
Staates über Märkte und Bürger, weil die Wirtschaftssubjekte
den staatlichen Regulierungen und Abgaben nicht mehr so
leicht ausweichen können.
• Gabriel und Trittin wissen, dass Schäuble die Bailout-Politik
bejaht und die meisten FDP-Wähler sie ablehnen. Indem SPD
und Grüne den Schäuble-Kurs unterstützen, hoffen sie, die
FDP zu vernichten. Sie bieten sie sich der Union als alternative
Koalitionspartner an und nehmen der FDP den Mut, die
Koalitionsfrage zu stellen.
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• Ich glaube jedoch nicht, dass eine Mehrheit der Unionsabgeordneten im
Bundestag für eine große Koalition stimmen würde, solange die Union
auch mit einem kleineren, bürgerlichen Koalitionspartner regieren kann.
Schon allein der Verlust an Minister- und Staatssekretärposten würde in
der Fraktion Widerstand auslösen. Außerdem hätte die SPD ohne die
FDP keine Scheu mehr, wenn nötig, mit der „Linken“ zu koalieren,
denn ohne die FDP hätte die Union keine Alternativen mehr. Sie wäre
wehrlos.
• Gabriel und Trittin sehen eine Chance, die FDP ein für alle Mal zu
erledigen. Zu dieser Regie passt, dass die SPD in Nordrhein-Westfalen
und im Saarland die Chance zu Neuwahlen entschlossen genutzt hat.
• Trittin ist bereits dabei, die Beute zu verteilen, wenn er erklärt, die
liberalen Wähler seien bei den Grünen gut aufgehoben.
• Da der Fiskalpakt und angeblich auch der ESM einer verfassungsändernden Mehrheit bedürfen, wird die SPD ihre Zustimmung an kaum
erfüllbare Bedingungen – die Finanztransaktionssteuer – knüpfen und
die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, um der FDP ihre Wähler
möglichst bis zur Bundestagswahl abspenstig zu machen.
24
Schluss: Das Dilemma der FDP
•
•
•
•
•
Die FDP steht vor dem Dilemma, dass ihre bisherigen Wähler etwas Anderes wünschen
als ihre bisherigen Geldgeber – die Banken und die von diesen beeinflussten
Unternehmen.
Es nützt der FDP nichts, dass eine knappe Mehrheit ihrer Mitglieder und eine deutliche
Mehrheit der Parteitagsdelegierten für den Bailout-Kurs stimmt. Um zu überleben,
braucht sie Wähler.
Schäuble schafft, was seinem Landsmann und Parteigenossen Kurt-Georg Kiesinger
1967 nicht gelang: die FDP zu zerstören. (1967 sollte die FDP durch Einführung des
Mehrheitswahlrechts ausgeschaltet werden – Herbert Wehner zog aber später sein
Angebot zurück, als die FDP 1968 auf Linkskurs ging und ihm für 1969 die Koalition
versprach.)
Wie schon Bismarck mit seiner Schutzzollpolitik (1879) spaltet Schäuble die deutschen
Liberalen auch programmatisch an ihrer schwächsten Stelle: bei ihrem unreflektierten
Verhältnis zur politischen Einigung, d.h., Zentralisierung. Die Nationalliberalen hielten
dem Kanzler der Einheit die Treue und stimmten für die zusätzlichen Einnahmen, die
dem Reich mehr Einnahmen und Macht verschaffen sollten. Der Wirtschaftsflügel um
Eugen Richter dagegen gründete die liberale Fortschrittspartei und blieb seinem
Bekenntnis zur Marktwirtschaft treu.
Auch heute sind es vor allem die Nicht-Ökonomen (Juristen) wie Westerwelle, Genscher,
Leuthäuser-Schnarrenberger, Niebel und Wissing, die die politische Zentralisierung
betreiben, obwohl doch jede Zentralisierung dem Staat mehr Macht über die Bürger
verleiht und die Freiheit des Einzelnen untergräbt. Die Gegner des ESM sind dagegen
25
zumeist Ökonomen.