Antisemitische Einstellungen und Verhaltensweisen bei

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Transcript Antisemitische Einstellungen und Verhaltensweisen bei

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Institut für interdisziplinäre
Konflikt- und Gewaltforschung
„Soziale Beziehungen und
Konfliktpotentiale im Kontext von
Erfahrungen verweigerter Teilhabe
und Anerkennung bei Jugendlichen
mit und ohne Migrationshintergrund“
Jürgen Mansel & Viktoria Spaiser
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Konflikt- und Gewaltforschung
Gliederung
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Forschungsfragen
Ausgangslage: Daten etc.
Deskriptive Ergebnisse
- Diskriminierung
- Desintegration
Abwertende Vorurteile: Deskriptive & Multivariate
Ergebnisse
- Rassismus
- Islamophobie
- Antisemitismus
Was tun? Einige Ideen
Kommentar & Diskussion
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Konflikt- und Gewaltforschung
Forschungsfragen
• F 1: In welchen Formen und Ausmaßen zeigen sich die
Abwertungen von bestimmten Gruppen (z.B. Rassismus,
Islamophobie, Antisemitismus Fokus) – GMF
(Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) – durch
Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund?
• F 2: Was sind die Hintergründe für abwertende Vorurteile
bei Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund?
Welche Rolle spielen dabei Erfahrungen von verweigerter
Teilhabe und Anerkennung einerseits und externe
Einflüsse aus dem Umfeld (Medien und
Sozialisationskontexte) anderseits?
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Ausgangslage: Daten etc.
• Qualitative Phase: 42 Einzelinterviews und 20
Gruppendiskussionen mit deutsch-türkischen und deutscharabischen Jugendlichen (männlich & weiblich)
• Quantitative Phase: Pretest in Gütersloh, Hauptbefragung
in Bielefeld, Frankfurt a. M., Köln und Berlin in 10. & 11.
Klassen aller Schultypen (inkl. Berufsschulen, exkl.
Förderschulen). Insgesamt: 117 Klassen, 61 Schulen,
N=2404, darunter 809 Muslime; Klumpenstichprobe daher
nicht repräsentativ!
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Ausgangslage: Daten etc.
Anzahl und Prozentanteil der befragten Jugendlichen in den vier
Untersuchungsregionen nach ethnischer Zugehörigkeit
Bielefeld
Köln
Berlin
Frankfurt/Main
Gesamt
Relative
Zeilenhäufigkeit
Deu
Rus
Pol
Tür
Ara
Kur
SEU MuM
265
29.8
230
25.7
236
26.4
163
18.2
894
37.2
79
56.0
35
24.8
8
5.7
19
13.5
141
5.9
31
34.4
29
32.2
19
21.1
11
12.2
90
3.7
111
22.5
177
35.9
116
23.5
89
18.1
493
20.5
13
10.6
20
16.3
54
43.9
36
29.3
123
5.1
12
36.4
10
30.3
5
15.2
6
18.2
33
1.4
25
17.5
28
33.6
16
11.2
54
37.8
143
5.9
31
19.4
49
30.9
30
18.8
50
31.3
160
6.7
SoM Ges
amt
79
646
24.2 26.9
87
685
26.6 28.5
67
551
20.5 22.9
94
522
28.7 21.7
327 2404
13.6 100
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Ausgangslage: Daten etc.
Deu
Rus Pol Tür Ara Kur SEU MuM SoMi Ges
Sekundarstufe I
Hauptschule
13.4
29.9
28.3 37.0 37.3 30.8 30.1
34.1
26.2
26.3
Realschule
31.7
55.2
45.7 34.7 18.7 53.8 39.7
32.9
33.3
34.5
Gesamtschule
23.5
6.0
15.2 16.8 36.0 15.4 19.2
17.6
17.9
19.9
Gymnasium
31.4
9.0
10.9 11.5 8.0
15.3
22.6
19.4
0.0
11.0
Sekundarstufe II
Berufschule
38.9
56.2
34.1 61.9 62.5 70.0 68.6
60.0 46.5
49.5
Gymnasiale
Oberstufe
61.1
43.8
65.9 38.1 37.5 30.0 31.4
40.0 53.5
50.5
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Verteilung auf Schultyp nach
Ethnie
100%
Gesamtschule
Hauptschule
Realschule
Gymnasium
80%
60%
40%
20%
aus ehem.
Sowjetunion
arabischstämmig
türkischstämmig
Deutsche
0%
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Deskriptive Ergebnisse Diskriminierung
• Diskriminierung in der Schule: Abraten vom Besuch
einer höheren Schule, Ignorieren von Aufzeigen im
Unterricht, schlechtere Benotung als verdient, …
Deutsche
4
3,5
3
2,5
2
1,5
1
0,5
0
Russlanddeutsche
Polen
Türken
Araber
Kurden
Südeuropäer
Sonst. Muslim. Migranten
Diskriminierung in Schule
Sonstige Migranten
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Deskriptive Ergebnisse Diskriminierung
• Diskriminierung in der Schule: Abraten vom Besuch einer höheren
Schule, Ignorieren von Aufzeigen im Unterricht, schlechtere Benotung
als verdient, …
De utsche
30
Russlandde utsche
25
Pole n
20
Türke n
15
Arabe r
10
Kurde n
5
Süde uropäe r
0
Sonst. Muslim. Migrante n
Diskriminierung in der Schule
Sonstige Migrante n
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Deskriptive Ergebnisse Diskriminierung
Beispiel Diskriminierung in der Schule:
Fatma: „Es war in der 10. Klasse in der Phase, als es um die
Abschlusszeugnisse ging. Dann war das so, dass wir zu einem Termin ein
Programm hatten, an dem alle Schüler teilnehmen konnten, die in die
Oberstufe gehen wollten. Es ging um den Q-Vermerk. Ich war auch dabei. Vom
ganzen Jahrgang waren wir insgesamt zwei Türken. Auf einmal wurde ich dann
unterbrochen. Dann hat der Lehrer mich und meine türkische Freundin hinaus
gebeten und hat gemeint „wollt Ihr nicht eine Ausbildung machen? Meint Ihr, Ihr
schafft das?“ und so. Ich stand erst einmal unter Schock. „Wie?“ – „Überlegen
Sie sich doch, vielleicht eine Ausbildung zu machen. Oberstufe ist ja vielleicht
nichts für Sie“, meinte er. „Nein, ich bin mir wohl bewusst, dass ich das
schaffen kann“. Das fand ich wirklich blöde, dass genau wir beide als
Ausländer aus der Klasse herausgeholt wurden und mit dem Vorurteil „Ihr
schafft das nicht!“ konfrontiert wurden.“
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Deskriptive Ergebnisse –
Diskriminierung
• Diskriminierung in der Öffentlichkeit: z.B. grundlose Kontrolle durch
Polizei, kein Zutritt zu Disco;
auch hier sind Jugendliche mit muslimische geprägten
Sozialisationskontext in stärkerem Maße betroffen
• Diskriminierung (z.B. Ausschluss aus Gleichaltrigengruppe) &
Beleidigung im privaten Alltag:
• Diskriminierung aufgrund religiöser Zugehörigkeit bei Muslimen
(z.B. Beschimpfung als Terrorist, keine Praktikums-/Arbeitsstelle wegen
Kopftuch): Unterschiede: deutsch-türkische Jugendliche machen solche
Erfahrungen seltener als andere mit muslimisch geprägten
Sozialisationskontext, insg. 2/3 der Jugendlichen mit muslimisch
geprägten Sozialisationskontext haben entsprechende Erfahrungen
schon gemacht
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Deskriptive Ergebnisse –
Diskriminierung
Beispiel Diskriminierung aufgrund religiöser Zugehörigkeit
(Islamophobie):
Hassan: „Das ist krass. Die haben auch zu mir gesagt, als der Anschlag war
vom 11. September, kamen die Lehrer zu mir und haben Fragen gestellt. Also
erstmal, als die ganze Klasse raus war, ja, Hassan, bleib mal bitte hier, wir
haben ein paar Fragen an dich. Ich so: Ja, was ist denn los? Die so: Ja, hast du
vielleicht Freunde die streng religiös sind? Oder hast du vielleicht Kontakte zu
Leuten, die streng religiös sind und so weiter. Oder bist du ein strenger
Moslem?(…)
Auch das mit dem Terrorismus, nach dem 11. September, da war das echt
schwierig, wirklich schwierig für uns (…). Weil, wenn man dann täglich
irgendwie darauf angesprochen wurde: Und, wie geht es deinem Onkel in
Afghanistan oder in Pakistan? Und: Schon im Terrorcamp gewesen? Und das
sind wirklich jetzt auch Sachen, die mich jetzt persönlich in den letzten sieben
Jahren verfolgt haben. Das ist kein, das ist echt hart. (…)“
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Deskriptive Ergebnisse –
Diskriminierung
• Wahrgenommene externe Abwertung der Eigengruppe: „In den
Medien werden Personen meiner Ethnie oder Religionsgemeinschaft
häufig mit negativen Eigenschaften belegt“ & „Viele Menschen haben
Vorurteile gegenüber Personen meiner Ethnie oder
Religionsgemeinschaft“
Deutsche
2,5
Russlanddeutsche
2
Polen
Türken
1,5
Araber
1
Kurden
0,5
0
Südeuropäer
externe Abwertung d. Eigengruppe
Sonst. Muslim. Migranten
Sonstige Migranten
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Deskriptive Ergebnisse - Desintegration
Individuell-funktionale
Systemintegration
Kommunikativ-interaktive
Sozialintegration
Kulturell-expressive
Sozialintegration
Zugänge und
Teilhabechancen
• Schulversagen
• Unzufriedenheit mit
Schulleistungen
• Desinteresse an
Unterrichtsinhalten
• Belastung durch schulische Anforderungen
• Zukunftsunsicherheit
• Zukunftsängste/sorgen
• relative Deprivation
• Machtlosigkeit bei
politischen Entsch.
• Deutschlandbild
• Kollektive politische
Selbstwirksamkeit.
• politisches Vertrauen
• Demokratieeinstellungen
• Wahrgenommene
soziale Spaltung
(Indikator für fehlende
Verteilungsgerechtigkeit)
• Akzeptanz in der
Familie
• Konfliktdichte in der
Interaktion mit Eltern
• Position im
Freundeskreis
• Mitschüler(innen) als
Freunde
• Akzeptanz durch
Lehrkräfte
• Wut auf Lehrkräfte
Anerkennungsformen
• individuelle positionale
Anerkennung
• (kollektive positionale
Anerkennung)
• moralische
Anerkennung als
politischer Akteur
• moralische
Anerkennung als
Adressat politischer
Entscheidungen
• emotionale
Anerkennung
Chancen personaler Entwicklung
Möglichkeiten der Individuation und der Selbstverwirklichung
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Abwertende Vorurteile: Rassismus –
deskriptives Ergebnis
• „Einige Völker sind von ihrer Natur her anderen überlegen“
• „Menschen aus unterschiedlichen Ländern sind von Natur aus
unterschiedlich intelligent“
Deutsche
2
Russlanddeutsche
Polen
1,5
Türken
1
Araber
Kurden
0,5
Südeuropäer
0
Sonst. Muslim. Migranten
Rassismus
Sonstige Migranten
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Konflikt- und Gewaltforschung
Abwertende Vorurteile: Rassismus Erklärungsmodell
Migrationshintergrund
0 = nein, 1= ja
.159
-.127
.169
R²=.152
Bildungsstatus
des Jugendlichen
R²=.191
-.225
-.253
Rassismus
-.103
.127
.338
Kulturelles Kapital
der Herkunftsfamilie
Erfahrene
Diskriminierung in der
Schule
R²=.071
Chi-Square=126.64 (14), CFI=.966, RMSEA=.058, SRMR=.031
-.140
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Abwertende Vorurteile: Islamophobie
– deskriptives Ergebnis
Ablehnung der Aussagen:
•„Die Menschen in Deutschland können auch viel vom Islam lernen“
•„Der Islam sollte gleichwertig neben christlichen Religionen im
Religionsunterricht behandelt werden.“
1,75
Deutsche
1,7
Russlanddeutsche
Polen
1,65
Südeuropäer
1,6
Sonstige Migranten
1,55
1,5
Islamophobie
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Abwertende Vorurteile: Islamophobie
– Erklärungsmodell
.123
Kollektive
Politische
Machtlosigkeit
R²=.015
.157
R²=.071
Islamophobie
Soziallage
.214
Diskriminierung in der
Schule
ModelFits: Chi² = 140.656 (df = 47), CFI = .929, RMSEA = .052,
SRMR = .042, R²=.071 für Islamophobie
Kein Effekt von Bildung
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Abwertende Vorurteile: Islamophobie
– Erklärungsmodell
Kein Verstärkungseffekt von externen Faktoren wie Medien,
Sozialumfeld usw. gefunden, möglicherweise da Islamophobie Teil des
„Mainstream-Kontextes“ ist, d.h. Muslime werden als Bedrohung
permanent und allgegenwärtig stilisiert? Daher keine separate Wirkung
externer Faktoren wie Medien isolierbar?
Auch kein Verstärkungseffekt durch den Anteil der Muslime in der
Schulklasse, d.h. der Kontakt zu Muslimen in der Schule wirkt weder
vorurteilsmindernd, noch verstärkt er die Vorurteile!
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Abwertende Vorurteile - Antisemitismus
• Ausgangspunkt:
5 Antisemitismusfacetten (klassisch, sekundär,
israelbezogen, NS-vergleichend, separatistisch) +
Israelkritik + (neu) religiös legitimierter Antisemitismus
• Ergebnisse der Faktoranalyse:
Die verschiedenen Antisemitismusfacetten lassen sich
nicht replizieren, am ehesten noch für Deutsche, wobei
klassischer und religiös legitimierter Antisemitismus
zusammenfallen, wie bei allen anderen Gruppen auch.
Eine ganz andere Struktur ergibt sich für Jugendliche mit
Migrationshintergrund
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Abwertende Vorurteile - Antisemitismus
• Antisemitismusfacetten:
→ Religiös legitimierter Antisemitismus
(Überschneidung mit klassischem Antisemitismus)
→ Israelbezogener Antisemitismus
→ NS-vergleichender Antisemitismus und Israelkritik
bilden jedoch einen Faktor bei Jugendlichen aus
muslimisch geprägten Sozialisationskontexten und
Aussiedlerjugendlichen
• In dem Kontext wurde zusätzlich die Sympathie für den
Widerstand der Palästinenser, sowie das Verständnis für
Israels Politik (im Sinne Recht auf Verteidigung) erhoben
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Abwertende Vorurteile - Antisemitismus
„Durch
die israelische Politik werden mir die Juden immer
unsympathischer.“ & „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut
verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“
Deutsche
2,5
Russlanddeutsche
2
Polen
Türken
1,5
Araber
1
Kurden
0,5
0
Südeuropäer
Sonst. Muslim. Migranten
Israelbezogener Antisemitismus
Sonstige Migranten
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Abwertende Vorurteile - Antisemitismus
• Fokus auf israelbezogenen Antisemitismus, da sich diese
Antisemitismusform bei allen untersuchten Gruppen zeigt,
dabei ist zu beachten dass einige Jugendliche nicht
ausreichend zwischen Israel und Juden differenzieren:
Kamil:
“Auf jeden Fall hasse ich nur Juden.“
Interviewer: : “Juden?“
Kamil:
“Ja, weil von Geburt an, haben wir gelernt, haben die
immer Mist gebaut mit uns, sage ich mal.“
Interviewer: “Was meinst du mit ›mit uns‹?“
Kamil:
“Die Araber, die muslimische Religion, dies und das.
Die haben immer Palästina ohne Grund angegriffen,
wirklich ohne Grund, die sagen immer ›HamasTerroristen‹ – wenn man seine Erde verteidigt, ist das
Töten oder Terrorismus oder was.“
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Abwertende Vorurteile - Antisemitismus
Doch zahlreiche Jugendliche wiederum legen Wert auf diese
Differenzierung:
Mohammed: “Das Problem ist, dass dadurch, dass Israel diese ganzen
Sachen gemacht, diesen Krieg, Unterdrückung, und diese ganzen
Sachen, hat auch Israel richtig Hass abbekommen. Das war auch
lange Zeit auf alle Juden, das muss man offen sagen so. Ich denke
aber, dass von der vernünftigen Seite, von der Gelehrtenseite, von
muslimischen Gelehrten hört man immer so, ›es ist nicht das
Judentum, wir müssen differenzieren‹. (…) Der Unterschied zwischen
Judentum und der zionistischen Idee beispielsweise ist ein
Riesenunterschied, da muss man unterscheiden. Und da müssen wir
auch, genau, da muss man auf jeden Fall unterscheiden, muss man
auch als Einzelperson unterscheiden, auf jeden Fall.“
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Abwertende Vorurteile - Antisemitismus
• Zwar Antisemitismus bei Jugendlichen aus muslimisch
geprägten Sozialisationskontexten stärker ausgeprägt,
doch zugleich lehnt die Hälfte der befragten
Jugendlichen aus muslimisch geprägten Sozialisationskontexten die Gewalt der Palästinenser im Konflikt ab
und ein Drittel der Jugendlichen aus muslimisch
geprägten Sozialisationskontexten erkennt Israels Recht
auf Selbstverteidigung im Konflikt mit den Palästinensern zumindest in der Tendenz an!
• Zu beachten ist, dass sich der Antisemitismus bei
Jugendlichen aus muslimisch geprägten
Sozialisationskontexten qualitativ vom Antisemitismus
bei deutschen Jugendlichen unterscheidet.
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Abwertende Vorurteile - Antisemitismus
• Bei deutschen Jugendlichen eher sekundärer /
geschichtsrelativierender Antisemitismus, bei Jugendlichen
aus muslimisch geprägten Sozialisationskontexten eher im
Kontext des Nahostkonflikts
• Mit 20.2 % (Muslime: 18.2 %) stimmt fast jeder fünfte
deutsche Jugendliche der Aussage „Ich bin es leid, immer
wieder von den Verbrechen an den Juden zu hören“ voll
zu, weitere 26.1 % der deutschen Jugendlichen stimmen
der Aussage eher zu und 32,7 % der deutschen
jugendlichen stimmen voll oder eher der Aussage zu: „Was
der Staat Israel mit den Palästinensers macht, ist im
Prinzip nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten
Reich mit den Juden gemacht haben“.
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Abwertende Vorurteile: Antisemitismus Erklärungsmodell
Model für muslimischen Jugendlichen
Religionsbezogene
Diskriminierung
.309
Externe
Abwertung der
Eigengruppe
R²=.030
.172
Häufigkeit
Transnationale
Mediennutzung
Häufigkeit politische
Gespräche in Moscheen
.195
R²=.128
.129
Israelbezogener
Antisemitismus
.269
.178
Diskriminierung
in Schule
R²=.104
.115
Aufwertung
Eigengruppe
.214
Model-Fit-Indices: Chi-Quadrat = 291.104 (df=133); CFI: 0.939; RMSEA: 0.040;
SRMR: 0.036; R² = 0.128 für israelbezogenen Antisemitismus
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Abwertende Vorurteile: Antisemitismus
- Erklärungsmodell
• Differenzierung wichtig, ein großer Teil von Moscheegemeinden lehnt
Antisemitismus strikt ab, aber es gibt wohl auch Moscheegemeinden, in
denen Jugendliche mit antisemitisch eingestellten Menschen in Kontakt
kommen.
• Beispiel politisches Gespräche mit Menschen aus der
Moscheegemeinde:
Ismail: „Wir waren beide bei einer Familie, die haben diesen
Haddsch gerufen, der hat erzählt, dass McDonalds
Juden gehört, wenn du Cola trinkst, allein wenn du Cola
trinkst…“
Arslan: „Die erzählen auch von Lidl, Lidl gehört Juden, geh
nicht zu Lidl.“
Ismail: „Er meinte zu mir, Du hilfst damit Juden Waffen für die
Menschen zu kaufen (…)“.
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Abwertende Vorurteile: Antisemitismus
- Erklärungsmodell
Warum Juden?
• Einige antisemitisch eingestellte Jugendliche aus muslimisch
geprägten Sozialisationskontexten verbinden (meist unbewusst) ihre
eigenen Erfahrungen von Diskriminierung und Abwertung mit dem Leid
von Muslimen weltweit (Sinnbild Palästinenser – Muslime als Opfer),
es entsteht ein Gefühl einer weltweit gedemütigten
Schicksalsgemeinschaft, wobei Juden (aber auch USA) die Rolle der
Hauptwidersacher der Muslime einnehmen. Über die Manipulation
westlicher Medien, glauben diese Jugendlichen, versuchen die
Widersacher die Muslime weltweit in Verruf zu bringen, um sich
Solidarität westlicher Länder u.a. im Nahostkonflikt zu sichern
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Abwertende Vorurteile: Antisemitismus
- Erklärungsmodell
Beispiel aus einer Gruppendiskussion:
Said: „Kann es sein, dass der Spiegel den Juden gehört?“
Kemal: „Stern und Dings auch nicht wahr? Bild?“
Said: „Genau die beiden.“
(Durcheinander)
Abdul: „Dieses Schlechtmachen. Gegenoffensive gegen Islam. Um
uns halt, damit man daraus unterschwellig dieses Vorgehen
rechtfertigen kann. (…)“
D.h. durch diese Manipulation der westl. Medien zu
Ungunsten der Muslime tragen Juden, so die Jugendlichen,
zur Diskriminierungen von Muslimen u.a. in Deutschland bei
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Abwertende Vorurteile: Antisemitismus
- Erklärungsmodell
Beispiel: Verknüpfung eigener Diskriminierungserfahrungen mit
dem Leid der Muslime weltweit, insb. Palästinenser:
Irfan: „Das auch die Israelis chemische Waffen einsetzen, was ja eigentlich von
der Amnesty International verboten ist. Aber da es ja Moslems sind, ist ja, ist ja
egal. (…) Aber da, die Deutschen ziehen ja immer liebend gern dann immer die
Religion ins Spiel. Wenn ein Christ, ein Nichtmoslem eine Tat begangen hat,
dann heißt es: Ja, der Alex W. hat das und das gemacht. Wenn aber ein
Moslem: Ja, der Moslemextremist Irhab B. hat was weiß ich, versucht,
irgendwas zu machen. (…) Das wollen die Leute, die Leute wollen, die wollen
eine Schlagzeile. Die wollen den Islam schlecht machen. Also, halt so
darstellen, wie er gerade nicht ist. Und das ist schade für uns. Weil wir haben
dann, dann, dann die Arschkarte. Das ist eine Hetze. Es ist also, das ist eine
offenbare Hetze. Islamophobie ist hier in Deutschland zwar, wird nicht
anerkannt. Aber es ist da. Und es ist eine Hetze. Ein eigener Staat versprochen.
Nur, wo? Ja, es sind Moslems es ist egal, das ist Dreck. Die, die halten wir mal
schön hin. (…). “
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Was tun? Einige Ideen
• Anerkennungssituation von Jugendlichen ändern, die benachteiligt ,
dies gilt insbesondere für Jugendliche aus muslimisch geprägten
Sozialisationskontexten, da am meisten benachteiligt. Jugendliche
müssen Raum haben sich einzubringen und was zu bewegen, sie
müssen teilnehmen können an politischen Debatten. z.B. wenn in
Deutschland über den Nahost-Konflikt diskutiert wird, müssen auch
Muslime zu Wort kommen, nicht nur bei Integrations-Themen
• Junge Muslime müssen die Möglichkeit haben die deutsche
Öffentlichkeit mit ihren Erfahrungen als Muslime in Deutschland zu
konfrontieren, ihre Abwertungserfahrungen müssen ernst genommen
werden!
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Was tun? Einige Ideen
„Einmal in der Grundschule, da hatten wir Sport. Das war am 11.
September. Es klingelte zu 12 Uhr. Meine Lehrerin meinte: »Seht alle
auf, wir werden jetzt eine Schweigeminute machen, für den 11.
September.« Ich habe das verweigert. Ich wollte nicht. Sie meinte:
»Steh auf!« Ich bin nicht aufgestanden, sondern habe ruhig
weitergesessen. Ich habe einfach in die Schweigeminute reingeredet.
Die Lehrerin hat mich dann rausgeschmissen, ich sollte draußen
warten. Danach bin ich wieder reingekommen. Sie fragte mich warum
ich nicht aufgestanden sei. Ich sagte ihr, dass jeden Tag Kinder in
arabischen Ländern getötet werden. Und woanders auch, aber da
wird keine Schweigeminute gemacht. Warum sollen wir jetzt für
Amerika eine Schweigeminute machen. Dann schrie sie sofort: »Geh
raus!« Ich fragte: »Haben Sie keine Antwort?« Da meinte sie einfach
»Raus!« und ich musste wieder rausgehen, weil sie keine Antwort
hatte.“
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Was tun? Einige Ideen
• Solange Jugendlichen aus muslimisch geprägten
Sozialisationskontexten mit ihren Sichtweisen kein Gehör finden,
haben sie keine andere Wahl als sich in die eigene Gemeinschaft
zurückzuziehen, dann aber kein gegenseitiges Hinterfragen, keine
gegenseitige Aufklärung
• Wenn Projekte gegen Antisemitismus usw. bei Jugendlichen aus
muslimisch geprägten Sozialisationskontexten, dann in
Zusammenarbeit mit Moscheegemeinden usw. Insbesondere
wichtig Informationsdefizit beseitigen
• Für deutsche Jugendliche: Projekte gegen Islamophobie, bisher als
Problem ignoriert, im Gegensatz zu Antisemitismus oder
Neonazismus
• Aufmerksamkeit auf russlanddeutsche Jugendliche, Rassismus z.B.
Link zum Forschungsbericht
• www.vielfalt-tutgut.de/content/e4558/e8263/index_ger.ht
ml