Identitäten und verkannte Potenziale

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Identitäten und verkannte Potenziale
„Wer bin ich und was kann ich?“
Identitäten und Kompetenzen junger Migranten
Vortrag in Hamburg, am 15-10-2013
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
•Wissenschaftlicher Leiter des
Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung
Professor für Moderne Türkeistudien an der
Universität Duisburg-Essen; Fakultät für Geisteswissenschaften
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Vortragsprogramm
1.
2.
3.
4.
Identität als Entwicklungsaufgabe
Spezifika von Jugendlichen mit MH
Akkulturationsorientierungen türkeistämmiger Jugendlicher
Verkannte
Potenziale
von
Jugendlichen
mit
Zuwanderungsgeschichte
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Identität:
Wer wir wirklich sind, wissen wir am Sterbebett beim letzten
Atemzug (G.W.F. Hegel)
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Identitäten und verkannte Potenziale
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Identität vs. Identitätsdiffusion
13. bis 18. Lebensjahr
Typische Herausforderungen und Krisen:
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•
Verwirrung wegen körperlicher Veränderungen
Gefühle zum anderen Geschlecht
Neue Erwartungshaltung (Schonraum des Kindes nicht mehr gegeben) Identitätskrise
Integration der individuellen Grundtriebe
Ablösung von Eltern und Einbindung in neue Peer-groups
Entwicklung eines sozialen und personalen Selbst
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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II. Spezifika von Jugendlichen mit MH
Sozialisationskontexte von Kindern mit Migrationshintergrund
Häufige entwicklungspsychologische Risiken in Migrantenfamilien aus der Sicht des
Kindes im jungen Alter:
•
mehr als drei Geschwister (dadurch zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung dem
einzelnen Kind gegenüber); bei mehr als drei Geschwistern auch ein deutlich
geringeres Netz an Peer-Kontakten.
•
zu geringer Altersabstand in der Geschwisterreihe (Gefahr der Übersozialisierung und
Vernachlässigung typisch kindlicher Bedürfnisse)
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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•24% der deutschen 8-9 jährigen Kinder Altersabstände unter zwei Jahren zu
einem benachbarten Geschwister;
•bei Migrantenkindern insgesamt etwa 80% (Marbach, 2006).
•Entwicklungspsychologische Studien zeigen: bei Altersabständen unter zwei
Jahren steigt das Risiko der geringeren Aufmerksamkeit in der Kindheit und
die Wahrscheinlichkeit für eine spannungsreichere Adoleszenz als bei
Geschwistern mit größerem Altersabstand.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Sozialisationskontexte von Kindern mit Migrationshintergrund
1. Elternschaft deutlich früher; frühe Mutterschaft erhöht Gewaltrisiko
2. Unterschiedliche Wertigkeit von Sohn vs. Tochter (VOC-Studien)
3. Höhere Kinderzahl; dadurch stärkere Überforderung der Mutter
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Bikulturelle Identität
•In mindestens zwei kulturellen Bezügen denken; sich geistig alternative
Handlungsoptionen vorstellen.
•In der Adoleszenz: neben allgemeinen Entwicklungsaufgaben auch mit der Frage
der Zugehörigkeit zu einer Minderheit auseinander zu setzen und eine "ethnische
Identität" auszubilden.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Bikulturelle Identität
Identitätsentwicklung: Dreifache Spannung
– Einzigartig zu sein und keinem anderen zu gleichen (personale Identität)
Selbst)
– Mit anderen gemeinsame Werte und Normen zu teilen (soziale Identität) Selbst)
– Anforderungen und Erwartungen des eigenkulturellen Kontextes entsprechen
(ethnische Identität).
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Bikulturelle Identität
•Rollendistanz
•Ambiguitätstoleranz wichtige Aspekte der Identitätsentwicklung
Migranten in einer doppelt reflexiven Position zu Normen:
kritische Distanz sowohl zu eigenkulturellen wie zugleich auch zu
mehrheitskulturellen Normen entwickeln.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Bikulturelle Identität
„Zwischen-Zwei-Stühlen-Stehen“: nicht immer eine Zerrissenheit, Belastung und
Überforderung
Nicht-Festlegung der Identität: angemessenere Antwort auf heutige Anforderungen.
Kulturell adaptive Form der Identitätsdiffusion in Zeiten rapiden ökonomischen und
sozialen Wandels (Marcia, 1989)
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Akkulturationsorientierungen türkeistämmiger Jugendlicher
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Interaktives Akkulturationsmodell (IAM)
Berry et.al (1987)
Aufnehmende
Gesellschaft
Akkulturationsorientierungen:
Einwanderer
Integration
Assimilation
Separation
Marginalisierung
Integration
Konsens
problematisch
Konflikt
problematisch
Assimilation
problematisch
Konsens
Konflikt
problematisch
Segregation
Konflikt
Konflikt
Konflikt
Konflikt
Marginalisierung
Konflikt
Konflikt
Konflikt
Konflikt
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Exemplarische Ergebnisse eigener Studien zu Akkulturationsorientierungen
Akkulturationsorientierungen:
Mittelwerte: Jugendliche und Eltern (M)
Jugendliche
4,6
3,83
4
Mütter
3,8
3,25
3,4
2,75
2,8
2,06
2,2
1,97
1,76
1,81
1,6
un
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M
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Akkulturationsorientierungen: Mittelwerte
Türkische Jugendl. und andere Jugendl. mit MH
4,6
4
Jugend T MH
3,83
3,86
3,25
3,4
Andere MH
3,27
2,8
2,13
2,06
2,2
1,76
1,86
1,6
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Keine signifikanten Unterschiede in der Akkulturationsorientierung
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Psychologische und soziale Determinanten des Bildungserfolges
•
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•
•
•
Einreisealter
Verweildauer in Deutschland
Rückkehrabsichten der Eltern
Verlauf des Migrationsprozesses,
Sicherheit des Aufenthaltsstatus
soziale Herkunft bzw. Sozialstatus im Aufnahmeland
Bildungsbiografie der Eltern
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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•
segregiertes vs. durchmischtes Wohnumfeld
•
Ethnische Konzentration in Schulen:
Migrantenanteil von 80% „Bremseffekte“.
•
bewusste oder unbewusste Diskriminierung oder institutionelle Diskriminierung:
bei gleichem sozioökonomischen Status und gleichen Leseleistungen erhalten
Einheimische 1.7 mal höhere Empfehlungen auf einen höherwertigen Schultyp
(Realschule oder Gymnasium) als Migranten.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
bei
Grundschulen
mit
hohem
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Neben den Kindern mit Zuwanderungsgeschichte.
Oft auch zu spät oder „unerkannte“ Gruppen
•
•
•
•
hochbegabte Mädchen,
hochbegabte Kinder mit körperlichen Behinderungen,
Underachiever,
Verhaltensauffällige, den Unterricht störende Kinder
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Problem der disparaten Verteilung bei Minoritäten in US-Forschung gut belegt:
In urbanen Regionen im Südwesten der USA:
Anteil von „minority students: 48%
Anteil an Programmen zur Förderung Begabter: 25% (Maker, 1996)
In anderen Studien: Anteil von „African American students“: 21 %
Anteil an Programmen zur Förderung Begabter: 12% (Ford, 1998)
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Problem der disparaten Verteilung bei Minoritäten in US-Forschung gut belegt:
Unterrepräsentiert: Hispanos, Afro-amerikaner, American Indian
Überrepräsentiert: Asiatische Schüler (v. a. Fernost: China, Japan, Korea) (Ford, 1998)
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Begabte Migranten: auch in Deutschland eine unerkannte Gruppe
Trotz eines recht strengen Kriteriums „Hochbegabung“ (2-3% der
Zielpopulation) müssten bei ca. 4.000.000 Schülern mit MH etwa 80.000120.000 Hochbegabte existieren.
Geringe öffentliche Sichtbarkeit dieser Gruppe
Kaum eine empirische Erhebung/Studie zu Hochbegabung bei Kindern mit MH
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Probleme der Diagnostik bei Migrantenkindern
Anteil von Schülern mit MH in Hochbegabtenförderprogrammen:
in angelsächsischen Ländern und auch in Deutschland zwischen 4 – 9 %;
gleichwohl Konsens: Hochbegabung kommt in allen Kulturen und Kontexten vor
(Vgl. Stamm, 2007).
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Diagnostische Mängel bei Schülern mit MH
•Sprachgebundene Wissenstest verzerren Ergebnisse bei geringeren
Deutschkenntnissen; v.a. wenn die Instruktion nicht ganz verstanden wird.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Diagnostische Mängel
•Wissensinhalte der IQ-Tests für Migranten nicht stets alltagsrelevant
bzw. kulturell angemessen; unterschiedliche Sozialisationserfahrungen:
Bsp.: Grimms Märchen bei türkischen Kindern weniger bekannt
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Diagnostische Mängel
Generell: gebräuchliche IQ-Testverfahren haben bei ihrer Konstruktion und
Eichung kaum kulturelle, ethnisch- sprachliche Pluralität berücksichtigt
bzw. in die Eichstichprobe aufgenommen (Barkan & Bernal, 1991)
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Soziale Verkennungsmechanismen
Übersehen vorhandener Begabungen, wenn keine kulturelle Wertschätzung:
•Formen der Musikalität und Körperbeherrschung:
Saz, Kolbasti-tanz
•Kognitive Leistungen:
enorme Gedächtnisleistungen islamisch-religiös sozialisierter Kinder:
Auswendiglernen langer Koran-passagen bzw. bei Hafiz: ganzer Koran
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Soziale Verkennungsmechanismen
Migranten selber glauben nicht an ihre Hochbegabungspotenziale;
Integrieren das gesellschaftliche Bild von Ihnen in ihr Selbstbild
Selbstgehemmtes Verhalten von Migrantenkindern bzw. ihren Eltern durch
eine „Kultur der Bescheidenheit“ (Tan, 2005)
Aber auch: Eltern mit Zuwanderungsgeschichte kaum angemessenes
Wissen über vorhandene Förderprogramme in Schulen etc.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Soziale Verkennungsmechanismen
Migrantenkinder bzw. -eltern selber verengen intellektuelle Potenziale auf
gesellschaftlich akzeptierte und unmittelbar konvertierbare Formen
symbolischen Kapitals (Arzt; Ingenieur, Unternehmer werden; nicht aber:
exzeptioneller Schriftsteller, Artist, Tänzer etc.)
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Verkennung durch Lehrkräfte
Deformierender und deformierter Blick der Lehrer– möglicher weise durch
existierende Rassismen- unterdrückt vorhandene Begabungen im
Schulkontext (Pygmalion-Effekt).
Höhere kulturelle Ähnlichkeiten sowie Ähnlichkeiten im Lebensstil,
Werthaltungen und Weltsichten der Lehrkräfte mit einheimischen
(Mittelschicht-)schülern: unterschiedliche Begabungsverständnisse
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Identitäten und verkannte Potenziale
Folgen der Verkennung von Begabungen
Individuelle Benachteiligung
Gesellschaftlich-ökonomische Benachteiligung
Bei Kindern mit MH: Auswirkungen auf Integrationsprozesse: Veränderungen
des Images von Zuwanderern
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Und nun Schluss, sonst...
Kontakt: [email protected]
[email protected]
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
www.uslucan.de
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