Religiöse Werterziehung in islamischen Familien

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Transcript Religiöse Werterziehung in islamischen Familien

Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien
Vortrag in Frankfurt
am 15.11.2012
Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
Wissenschaftlicher Leiter des
Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung
Professor für Moderne Türkeistudien an der
Universität Duisburg-Essen
Fakultät für Geisteswissenschaften
Kontakt: [email protected]
[email protected]
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
ww.uslucan.de
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
•
Gliederung des Vortrags
•
I. Elterliche Erziehung und ihre Folgen für die Entwicklung
•
II. Studie: Wertedivergenzen zwischen Deutschen, Türken und türkischen Migranten
•
III. Werte und Erziehungskonzeptionen in muslimischen Migrantenfamilien
•
IV. Förderung
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Elterliche Erziehung und kindliche Entwicklung
5
Kindliche
Bereitschaft sich
erziehen zu lassen
Elterliche
Erziehungsstile
1
Elterliche
Erziehungsziele
und -werte
4
6
2
Elterliches
Erziehungsverhalten
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
3
Kindliche
Entwicklungsmerkmal
e
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Veränderte Rahmenbedingungen familiärer Erziehung
• Struktureller Wandel
der Haushaltsformen
• Veränderte Wert- und
Erziehungsmuster
• Prekäre Bedingungen
der innerfamiliären Beziehungsgestaltung
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Erziehungsziele
in den 1950er bis 1970er
Jahren
• Gehorsam
• Ehrlichkeit
• Ordnung
• Hilfsbereitschaft
• Reinlichkeit
• Verträglichkeit
• gute Manieren
• Fehlen von Opposition
Ab den 1980er Jahren und
danach
• Selbständigkeit
• Selbstbewusstsein
• Selbstverantwortlichkeit
• Kritikfähigkeit
• Zuverlässigkeit
• Hilfsbereitschaft
Quelle: Sturzbecher, D. & Waltz, C. (1998). Erziehungsziele und Erwartungen in der Kinderbetreuung. In D. Sturzbecher (Hrsg.), Kinderbetreuung in
Deutschland
(S. 86-104). Freiburg i.Br.: Lambertus.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Elterliche Erziehungsmuster
Emotionale Unterstützung/Wärme
_
+
+
_
•
Autoritativer
Erziehungsstil
•
Nachgiebiger
Erziehungsstil „Laisserfaire
•
Autoritärer
Erziehungsstil
•
Ablehnendvernachlässigender
Erziehungsstil
(Typologie vom Maccoby & Martin, 1983; in Anlehnung an Baumrind, 1983)
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Entwicklungsfolgen für Kinder
Kinder ... zeigen
Kognitive
Kompetenz
Selbstwirk- Prosoziales Problemsamkeit
verhalten verhalten
vernachlässigender Eltern niedrigste
niedrigste
niedrigstes höchstes
nachgiebiger Eltern
mittlere
mittlere
mittleres
autoritärer Eltern
mittlere
mittlere
mittleres zweithöchste
autoritativer Eltern
höchste
höchste
höchstes
dritthöchste
niedrigstes
Quelle: Baumrind, D. (1989). Rearing competent children. In W. Damon (Ed.), Child development today and tommorrow (pp. 349-378). San Francisco: Jossey-Bass.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Erziehungsziele
Rangreihe der Erziehungsziele türkischer Eltern (Scherberger, 1999)
Rangplatz
Erziehungsziel
I
II
III
IV
V
Selbstständigkeit/Verantwortung
12
5
7
14
12
Lernen/Leistungsstreben
9
8
14
11
8
Gehorsam/Ordnung
8
11
17
3
11
Rücksichtnahme/Ehrfurcht
11
10
11
12
6
Religiöse Pflichterfüllung
10
16
1
10
13
Insgesamt (n = 50)
50
50
50
50
50
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Erziehungsziele
Rangreihe der Erziehungsziele deutscher Eltern (Scherberger, 1999)
Erziehungsziel
Rangplatz
I
II
III
IV
V
Selbstständigkeit/Verantwortung
25
14
4
6
1
Lernen/Leistungsstreben
16
21
8
3
2
Gehorsam/Ordnung
-
7
10
25
8
Rücksichtnahme/Ehrfurcht
9
8
21
7
5
Erziehung zum christlichen Glauben
-
-
7
9
34
50
50
50
50
50
Insgesamt (n = 50)
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Kinderwunsch in der Türkei ziemlich hoch: In den älteren Studien
(Kagitcibasi, 1982): 77% der Befragten, die sich ein Kind wünschen (und
zwar auch als explizite Altersvorsorge)
•Erwartungen gegenüber Söhnen deutlich höher als gegenüber Töchtern;
•auch Wunsch nach einem Sohn deutlich höher: 84 % Sohn; 16 % Tochter
als Kinderwunsch; deshalb auch ein stärkeres Kümmern um Söhne.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Sozialisationskontexte von Kindern mit Migrationshintergrund
Häufige entwicklungspsychologische Risiken in Migrantenfamilien aus der
Sicht des Kindes im jungen Alter:
•mehr als drei Geschwister (dadurch zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung
dem einzelnen Kind gegenüber); bei mehr als drei Geschwistern auch ein
deutlich geringeres Netz an Peer-Kontakten.
•zu geringer Altersabstand in der Geschwisterreihe (Gefahr der
Übersozialisierung und Vernachlässigung typisch kindlicher Bedürfnisse)
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Sozialisationskontexte von Kindern mit Migrationshintergrund
•24% der deutschen 8-9 jährigen Kinder Altersabstände unter zwei Jahren zu
einem benachbarten Geschwister;
•bei Migrantenkindern insgesamt etwa 80% (Marbach, 2006).
•Entwicklungspsychologische Studien zeigen: bei Altersabständen unter zwei
Jahren steigt das Risiko der geringeren Aufmerksamkeit in der Kindheit und
die Wahrscheinlichkeit für eine spannungsreichere Adoleszenz als bei
Geschwistern mit größerem Altersabstand.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Wert und Stellung von Kindern anhand der Namensgebungen:
Typologie:
•Religiöse Namen:
Ahmet, Mehmet, Mahmut, Nureddin, Seyfeddin, Osman, Ömer, Ali (männlich);
Ayse, Fatma, Hatice, Emine (weiblich)
•Namen als Familienprogramm und familiale Positionsanzeiger:
Murat, Ümit, Ilknur, Songül, Yeter
•Namen als Träger der Tradition: Namen der eigenen Eltern insbesondere bei
dem ersten Kind; Generationenkette nach dem A-B-A-B Modell.
•Modische Namen, internationale Namen, ereignisbezogene Namen: Deniz,
Yasmin, Cigdem, Baris, Devrim, Bülent, etc.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Versuch einer Kategorisierung der Kindheit im Islam:
Ende der Kindheit mit der sexuellen Reife; bis dahin aber folgende Phasen:
•I.
•II.
•III.
Säuglingsphase bis zur Stuhlkontrolle (0 bis 2 Jahre)
2- bis 7 Jahre
7-bis 15 Jahre (Strafe und Erziehbarkeit beginnt); darin noch mal
zwei Phasen: 7-10 und 10 bis 15 Jahre (erstaunliche Ähnlichkeit mit
Piagets Kategorien der intellektuellen Entwicklung)
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Migrantenfamilien
II. Kulturelle Werte
Was sind Werte?
1. Überzeugungen, die aber nicht als bloße Ideen mit
nur einem kognitiven Gehalt, sondern, wenn sie
aktiviert werden, emotional aufgeladen sind (Schwartz,
1999).
2. Werte verweisen auf wünschenswerte Ziele wie
z.B. Gleichheit, Gerechtigkeit etc.
3. Werte gehen über konkrete Situationen hinaus und
umfassen größere Handlungskontexte (bspw. soll man
nicht nur in der Schule oder auf der Arbeit gerecht sein,
sondern überall).
4. Werte dienen auch als ein Standard, wie die
Handlungen und Überzeugungen anderer zu bewerten
sind.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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II. Wertedivergenzen zwischen Deutschen und Türken
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Stichprobenkennzeichnung: Lebensort
Deutsche
232
Türkische Migranten in
Deutschland
337
Türken i.d. Türkei
210
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Migrantenfamilien
Tabelle : Stichprobenkennzeichnung (Angaben in Prozente)
Deutsche (n= 234) Türkischstämmige
Türken in der Türkei
Migranten in
(n= 327)
Deutschland (n = 205)
Geschlecht
Männlich
Weiblich
Bildungshintergrund
Grundschule
Mittlere Reife
(Mittelschule i. d.
Türkei)
Gymnasium
Universität
Anderer Abschluß
Schüler
20.5
79.5
50.7
49.3
59
41
1.3
21.4
16.1
23.9
14.1
30.0
65.8
1.3
6.4
2.6
31.7
14.1
2.9
8.3
18.3
8.0
3.4
20.8
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Migrantenfamilien
Religiösität
15,8
100%
8,4
80%
61
nichtreligiös
60%
91,6
84,2
40%
20%
religiös
39
i.d
.T
ür
ke
i
Tü
rk
en
D
BR
in
Tü
rk
en
eu
tsc
he
0%
D
Angaben in Prozent
Stichprobenkennzeichnung
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Migrantenfamilien
Tabelle : Religiosität der Befragten (Angaben in Prozente)
Bezeichnen Sie
sich als religiös?
Ja
Nein
Gehen Sie
Ja
regelmäßig in die
Nein
Moschee (Kirche)?
Deutsche Türkischstämmige Türken in der Türkei
Migranten in
Deutschland
38.9
83.4
91.1
60.7
16.1
8.0
5.1
33.7
34.6
80.3
60.5
59.6
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Migrantenfamilien
Werteausprägung
7,00
Deutsche
6,00
Türkische
Migranten
Türken
5,00
4,00
3,00
2,00
1,00
0,00
Höflichkeit
Achtung v.
Tradition
Nationale
Sicherheit
Autorität
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
Familiäre
Sicherheit
21
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Rangreihe der wichtigsten Werte
Deutsche
Türkische
Migranten
Türken
1.
Familiäre
Sicherheit
Familiäre
Sicherheit
Familiäre
Sicherheit
2.
Freundschaft
Freundschaft
Freiheit
3.
Freiheit
Freiheit
Freundschaft
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Werteauffassungen: Differenziert nach der selbstberichteten Religiosität (Mittelwerte):
Non-Relig: nicht religiös; Relig: religiös
Kulturelle
Zugehörigkeit
Stichprobengröße:
Deutsche
Türkische
Migranten
Türken
Non-Relig.
Relig.
Non-Relig.
Relig.
NonRelig.
Relig.
n= 141
n= 88
n= 33
n= 168
n= 26
N= 295
Mittelwerte
Werteauffassungen
Familiäre Sicherheit
6.25
6.42
5.88
6.49
4.77
6.39
Freundschaft
5.88
5.83
5.58
6.05
5.62
6.21
Freiheit
5.83
5.72
6.18
5.90
5.54
5.93
Anregendes Leben
5.36
5.14
3.82
3.34
4.50
4.15
Höflichkeit
4.83
4.74
4.94
5.55
4.23
5.28
Nationale Sicherheit
4.35
4.09
3.00
5.68
3.28
5.87
Reichtum
3.03
2.93
2.91
3.58
3.69
4.05
Achtung vor Tradition
2.56
3.11
3.24
5.74
1.73
4.76
Autorität
1.72
1.75
0.76
1.81
1.77
2.31
Spiritualität
0.93
2.00
1.88
4.65
1.04
4.79
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Migrantenfamilien
III. Werte und Erziehungskonzeptionen in muslimischen Migrantenfamilien
Intergenerationale Transmission von Werten:
•Komplette Transmission: kein Wandel
•Keine Transmission: kein koordiniertes Handeln zwischen den Generationen
•In Migrationskontexten häufig intensivere Transmission
•Zugleich: Fertigkeiten, die ein geordnetes Familienleben garantieren, müssen unter
Bedingungen erworben werden, unter denen eine bruchlose soziale Tradition nicht mehr
vorliegt
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Migrantenfamilien
Sackmann (2001): Türkische Muslime in Deutschland – Zur Bedeutung der Religion
1/3der befragten Muslime: Keine Religionsbindung; Religion
kein Integrationshindernis.
Für einen großen Teil: Religion selbstverständlicher Teil des
Lebens, ohne aber Hauptbezugspunkt des Lebens zu sein
Für etwa knapp 10%: Religion ein starkes Abgrenzungskriterium;
eher integrationshemmend
Integrationshemmend insbesondere dann, wenn Religiosität
eher traditionale (keine individualisierende) Züge trägt und
religiös orientierte Lebensführung zentral ist.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Migrantenfamilien
Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:
Familienpolitisch: muslimische und christliche (christdemokratische)
Positionen in ihrem Familienbild nicht weit voneinander entfernt:
Muslime unterstützen eine Politik, die die Stärkung eines (konservativen)
Familienbildes zum Ziel hat (Vgl. Rüschoff, 2002).
Wechselseitige Pflichten in der Familie:
Pflichten der Ehefrau: Schaffung eines harmonische Haushaltes,
Haushaltsführung, Früherziehung und Wohlbefinden der Kinder;
Pflicht des Mannes: Bestreiten des Lebensunterhaltes
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:
Gerade in der Diaspora:
Überhöhung des Islams bzw. der Religiosität angesichts migrationsbedingter
erlittener Kränkungen
stärker identitätsrelevant als in der Herkunftskultur;
Religiosität
wird
Ordnungsfunktion.
bewusster
erlebt;
Religion
hat
bedeutsame
Orientierung am Islam hilft mit Blick auf den Erziehungskontext, die in der
Moderne – auch für deutsche Eltern - immer schwerer gewordene Frage
nach angemessenen Erziehungsinhalten zu vermeiden bzw. zu umgehen
oder sie individuell beantworten zu müssen.
Klare Regeln und Orientierung: Reduktion von Komplexität
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:
Wirkung religiöser Sozialisation:
Angstbesetzte religiöse Sozialisation (Gott als strafende Instanz): bei
sensiblen Personen auch zu einem Bruch mit der Religion (Oser, Di
Loreto, & Reich, 1996), also keine Festigung der religiösen Identität,
sondern eher kontraproduktive Effekte
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
28
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:
Wirkung religiöser Sozialisation:
Dagegen: Vermittlung eines Gottesbildes, bei dem Gott als eine
schützende, bergende und bedingungslos liebende Macht
wahrgenommen wird, selbstwertstabilisierend für Kinder sein (Grom,
1982).
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
29
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:
Mensch eingefasst in eine umfassende Gehorsamsstruktur der Natur
gegenüber Gott; wie alle Geschöpfe hat er auch im islamischen
Selbstverständnis seinem Schöpfer dankbar und gehorsam zu sein.[1]
Gehorsam eine ethische Dimension, die vielen Kulturkreisen gemeinsam ist
und ein essenzielles Erziehungsziel darstellt (Vgl. Uslucan & Fuhrer, 2003).
Auch in der bayerischen Verfassung ist die „Ehrfurcht vor Gott“ als ein
oberstes Bildungsziel formuliert (Art. 131).
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:
Inhalte islamischer Erziehung unterliegen großen Schwankungen:
einfache Frömmigkeit:
Ziel: Nachkommen in die elementaren Inhalte islamischen Lebens
unterweisen (z.B. die fünf Säulen des Islam) und Rituale wie
Gebetsuren, Waschungen lehren,
aber auch die Unterscheidungen zwischen dem, was „rein“ und „unrein“
ist, zu kennen.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Seite 31
Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:
Inhalte islamischer Erziehung unterliegen großen Schwankungen:
Das andere Extrem:
fundamentalistische Positionen, die in den koranischen Inhalten
sämtliches Wissen vorgeformt und kryptisch vorformuliert betrachten
und sich ganz offen gegen eine (natur-)wissenschaftliche kognitive
Bildung stellen.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Seite 32
Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:
Orientierung ausschließlich an der koranischen Offenbarung:
in erster Linie an der Tradition fixiert; keine Anweisung für die Lösung
moderner Alltagsprobleme, überlässt den Einzelnen hilflos der Gegenwart,
die er dann nicht bewältigen kann.
rigide Fixierung auf klare erzieherische Leitsätze, die aus dem Koran
abgeleitet werden: Ausdruck massiver Verunsicherung muslimischer Eltern;
Ziel: Klarheit und Orientierung, jedoch vielfach nicht zeitgemäß
Orientierung an Gehorsam).
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
(bspw.
33
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Werte- und Erziehungsvorstellungen
muslimischer Migrantenfamilien
Exemplarische Ressourcen von Familien mit (muslimischer) Zuwanderungsgeschichte:
•
•
•
gesundheitsfördernde kulturelle Muster der Lebensführung wie bspw. ein günstigeres
Stillverhalten von Müttern;
niedrigerer Tabak- und Alkoholkonsum von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
(Robert-Koch-Institut 2008).
Muslimische Migrantenfamilien in ähnlichen widrigen Umständen wie Einheimische
(Armut, Arbeitslosigkeit, Deprivation etc.): durch eine stärkere Kohäsion ihrer
verwandtschaftlicher und familialer Netzwerke bessere Verarbeitung sozialer
Benachteiligungen als Einheimische (Thiessen 2007).
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
34
Seite 34
Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Folgende problematische Charakteristika (Auernheimer, 2006) :
•
Barsche Forderung nach Assimilation („Es ist durchaus notwendig, dass man diesen Eltern mal
ganz rabiat bewusst macht, rabiat in Anführungszeichen, was ich von ihnen erwarte, was sie
gefälligst zu tun haben und was ihre Pflicht ist“ (Marburger, 1997)
•
Aber auch: Folgenlose bzw. ausgrenzende „Toleranz“; Anerkennen, dass Migranteneltern andere
Erwartungen und Wünsche haben, aber keine Bereitschaft, in irgendeiner Weise diese Wünsche in
Erfüllung zu bringen.
•
Tendenz zu zivilisatorischer Mission
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
35
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Was motiviert Menschen?
•
Maslows Bedürfnispyramide: Ohne Befriedigung elementarer Bedürfnisse keine kulturellen
Bedürfnisse (Selbstverwirklichung) möglich
•
Bsp. Hausfrauenexperiment mit Fleischsorten
•
Migranten: „Was von den kulturellen Angeboten kann ich auch für mich nutzen?“
•
Wie viel von den präsentierten Kulturangeboten sprechen auch meine „Herkunftskultur“ an?
•
Sind Räume so gestaltet, dass dort Migranten sich wohlfühlen, das Eigene wieder erkennen?
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
36
36
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Stolpersteine und Ressourcen
•
Einerseits: Forderung nach Mitarbeitern mit gleichem ethnischem Hintergrund
•
Andererseits: Problem der sozialen Differenz innerhalb etwa der türkischen Community nicht zu übersehen:
•
Türkische Mittelschichtsangehörige, die auch in Deutschland Bildungsgewinner sind und heute viele
sozialpädagogische und psychologische Beratungsfunktionen inne haben, eine hohe Distanz gegenüber
Landsleuten aus ländlichen Regionen auf und sind eher kritisch gegenüber der traditionalistischmuslimischen Landsleuten
•
Deshalb: interkulturelle Öffnung des Personals kann manchmal auch ungeahnte neue Probleme bereiten.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Stolpersteine und Ressourcen
Für die interkulturelle Beratung: nicht nur methodisches Know-how, sondern auch:
•
•
Selbstreflexion,
Empathie und Ambiguitätstoleranz: Generelle soziale Kompetenzen, jenseits von Migration
und Integration.
•
Wie weit wird die ungleiche Machtverteilung thematisiert?
•
Wie weit wird die Machtposition der Mehrheit gegenüber Migranten reflektiert?
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
38
38
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Stolpersteine und Ressourcen
Als typische Stolpersteine, die auch in anderer Form der Sozialarbeit auftauchen:
•
direkt mit dem Problem zu beginnen bzw. konfrontativ zu arbeiten,
•
Schuldzuweisungen,
•
eine Verurteilung des Verhaltens des Kindes oder Vorurteile ins Spiel zu bringen.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Seite 39
Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
•Ressourcen und Fördermöglichkeiten
Niedrigschwellige Ansprache durch unbelastete Themen:
•Gesundheit
•Lernen: Welche Vorstellungen vom Lernen gibt es?
•Spiel als Lernen darstellen/erklären
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
•Ressourcen und Fördermöglichkeiten
Verbesserungen durch:
•Qualitativ bessere Bildung im vorschulischen Bereich
(Ganztagsbetreuung, bessere sprachliche Förderung etc.)
•Keine frühe Selektion
Seite
4141
• Ganztagsschulen: Hausaufgabenbetreuung soll nicht von den
Eltern
Seite
abhängig sein (auch andere „bildungsferne“ Schichten profitieren
davon).
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
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Seite 41
Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
In Schulkontexten:
1. Individuelle Bezugsnorm statt soziale Bezugsnorm zur Lernmotivation
einsetzen
2. Erfahrungen mit Tutorensystemen in der Lehr-Lern-Forschung einsetzen
3. stärker handlungsorientierte Formen des Unterrichts (nicht nur
Frontalunterricht) praktizieren, in denen Jugendliche partizipieren können;
Schule nicht nur als Ort des Versagens und Ohnmachtserfahrungen
4. Ethnische Diskriminierung als Thema stärker ins öffentliche Bewusstsein
bringen: Änderung des gesellschaftlichen Klimas, der medialen
Berichterstattung etc.
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
42
Seite 42
Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
•
Kompetenzen und Potenziale junger Migranten stärker entdecken,
herausstellen, wahrnehmen, fördern (keine Abwertung der
Muttersprache).
•
In
Schulkontexten
(Migranten-)Jugendliche noch
stärker
in
verantwortungsvolle Positionen – ungeachtet möglicherweise
geringerer sprachlicher Kompetenzen – einbinden
•
Keine scheinbar sozial/pädagogisch motivierten Überlegungen in der
Schule dulden („Für Migrantenkinder ohne elterliche
Unterstützungspotenziale reicht auch eine Hauptschule/Realschule“).
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
43
Seite 43
Erziehungsvorstellungen muslimischer
Migrantenfamilien
Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit !
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