Schule als Resonanzraum Hartmut Rosa FSU Jena

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Transcript Schule als Resonanzraum Hartmut Rosa FSU Jena

Schule als Resonanzraum
Bildung als Weltbeziehungsbildung
Hartmut Rosa
FSU Jena/MWK Erfurt
Orte und Horizonte –
Bildung braucht Gesellschaft,
Bregenz, 31.10.-02.11.2013
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
Prolog: Rockmusik als Seismograph
Der größte Hit von Alice Cooper?
School‘s out (for summer/ forever):
No more pencils, no more books, no more teachers‘ dirty looks
Der größte Hit von Gary Jules?
Mad world
Went to school and I was very nervous,
no one knew me, no one knew me.//
Helllo teacher tell me what‘s my lesson,
look right through me, look right through me…
And I find it kind of funny,
and I find it kind of sad,
The dreams in which I‘m dying are the best I ever had
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
Prolog: Rockmusik als Seismograph
Der größte Hit von Pink Floyd?
Another Brick in the Wall, Pt. 2:
We don‘t need no education, we don‘t need no thought control
No dark sarcasm in the classroom, teacher leave us kids alone
Der größte Hit von Supertramp?
The Logical Song
When I was young
It seemed that life was so wonderful
A miracle, oh it was beautiful, magical
And all the birds in the trees
Well they'd be singing so happily
Joyfully, playfully watching me
But then they send me away
To teach me how to be sensible
Logical, responsible, practical
And then they showed me a world
Where I could be so dependable
Clinical, intellectual, cynical
There are times when all the world's asleep
The questions run too deep for such a simple man
Won't you please, please tell me what we've
learned?
I know it sounds absurd but please tell me who I
am
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
Die Perspektive der Lehrer
7:10 Uhr: Frauke auf dem Weg zur Schule
Keine Lust auf Schule: Immer die gleichen
mürrischen Gesichter, die selben dummen
Sprüche
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
10:10 Uhr: Frauke im Klassenzimmer
Ein ständiger Kampf: gegen die Langeweile, die
Uhr, die Unruhestifter
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
18:00 Uhr: Frauke beim Lehrervolleyball
Ihr wird schon schlecht beim Geruch der Turnhalle
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
Geht’s auch anders?
7:10 Uhr: Heike auf dem Weg zur Schule
Die Sonne lacht, sie freut sich
auf die Arbeit und die Kollegen
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
10:10 Uhr: Heike im Klassenzimmer
Spaß am Unterricht, mit den Schülern,
an der Stoffvermittlung
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
18:00 Uhr: Heike beim Lehrervolleyball
Die Bewegung tut gut, das Miteinander ist cool!
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
Positive Schulerfahrungen in der Populärkultur?
In der Rockmusik: Fehlanzeige!!!
Aber: Im Film!!!! (und in der Literatur)
Das fliegende Klassenzimmer!
Mr. Holland‘s Opus
Club der Toten Dichter
Fack Ju Göthe
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
Was passiert da?!
-
Universelle Sehnsucht nach resonanter Bildungserfahrung:
-
Lehrerin und Schüler haben sich etwas zu sagen
-
Sie erreichen sich
-
Sie bringen den Stoff / einen Weltausschnitt zum sprechen/klingen
- Dies geht einher
a) mit intrinsischem Interesse (das geweckt werden kann)
b) Wechselseitige Wertschätzung und Vertrauen
c) Beidseitigen Selbstwirksamkeitserfahrungen: Sie erreichen einander
und etwas in der Welt
d) Sie verwandeln sich dabei beide: Lehrer und Schüler sind danach
nicht mehr dieselben: Weltanverwandlung
e) Dazu bedarf es eines ‚entgegenkommenden Resonanzraumes‘
Schule als Resonanzraum
Hartmut Rosa FSU Jena
II. Schule als Resonanzraum und Entfremdungszone
Entfremdung:

Eine spezifische Form der Weltbeziehung, in der Subjekt und Welt
einander indifferent oder feindlich (repulsiv), d.h. innerlich unverbunden
gegenüberzustehen scheinen. Beziehung der Beziehungslosigkeit (Rahel
Jaeggi).

Zustand, in dem die ‚Weltanverwandlung‘ misslingt, so dass die Welt stets
kalt, starr, abweisend und nicht-responsiv erscheint. Resonanz bildet
daher ‚das Andere‘ der Entfremdung, ihren Gegenbegriff.

Depression/Burnout heißt der Zustand, indem alle Resonanzachsen
‚stumm und taub‘ geworden sind: Man ‚hat‘ Familie, Arbeit, Verein,
Religion etc., aber sie ‚sagen‘ einem nichts: Es findet keine Berührung
mehr statt, das Subjekt wird nicht mehr ‚affiziert‘ und erfährt keine
Selbstwirksamkeit. Welt und Subjekt erscheinen deshalb gleichermaßen
als ‚bleich‘, tot, leer.
Schule als Resonanzraum
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II. Schule als Resonanzraum und Entfremdungszone
Resonanz:

Durch Affizierung und Emotion, Intrinsisches Interesse und
Selbstwirksamkeitserwartung gebildete Form der Weltbeziehung, in der
sich Subjekt und Welt gegenseitig zu ‚berühren‘ und dabei zu
transformieren scheinen.

Resonanz ist keine Echo-, sondern eine Antwortbeziehung, sie setzt
voraus, dass beide Seiten ‚mit eigener Stimme‘ sprechen – dies ist nur dort
möglich, wo ‚starke Wertungen‘ berührt werden.

Resonanzbeziehungen setzen voraus, dass Subjekt und Welt hinreichend
‚geschlossen‘ bzw. konsistent sind, um mit je ‚eigener Stimme‘ zu
sprechen, und offen genug, um sich affizieren/erreichen zu lassen.

Resonanz ist kein emotionaler Zustand, sondern ein Beziehungsmodus:
Er ist gegenüber dem emotionalen Inhalt neutral. Daher können wir
traurige Geschichten lieben.

Es gibt horizontale, diagonale und vertikale Resonanzachsen
 Berühren und berührt werden in einem entgegenkommenden Resonanzraum
Schule als Resonanzraum
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Die gelungene Stunde:
Das Resonanzdreieck
Lehrerin
Erreicht die Schüler,
vermittelt Begeisterung
Schule als
Resonanzraum
Schüler
Ist vom Thema gefesselt,
fühlt sich angenommen/
aufgehoben; ist offen
‚Stoff‘
Erscheint als Feld von
bedeutungsvollen
Möglichkeiten/Herausforderungen
Wenn es im Klassenzimmer knistert ----- Die Aufmerksam mühelos fokussiert i
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Die misslungene Stunde:
Das Entfremdungsdreieck
Lehrerin
Empfindet Schüler als
Bedrohung, erreicht sie
nicht, desinteressiert
Schule als
Entfremdungszone
Schüler
Ist vom Thema
gelangweilt/überfordert;
Antipathie/Missachtung
‚Stoff‘
Erscheint beiden Seiten
als Zumutung
(feindlich/indifferent)
Wenn nichts zurückkommt --- Alles zum Kampf wird --- Der Widerwille steigt
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II. Der Unterricht als Resonanzgeschehen
»Menschen sind wie Musikinstrumente; ihre Resonanz hängt davon ab, wer sie
berührt« (Constancio C. Vigil, Schriftsteller; 1876-1954)
»Beim Lehrer wird‘s ein muntrer Vortrag, eine Gegenwart seines Geistes
gleichsam in Mitte seiner Klasse auf alle und über all sein, die ihn hören; denn
Flamme steckt Flamme an, Gegenwart des Geistes erweckt Gegenwart des
Geistes« (Herder); - ‘Grazie’ im Unterricht
Wilhelm von Humboldt: Eine ›bildende‹ Weltbeziehung/Bildung sei eine »innige«
Verknüpfung zwischen Selbst und Welt, in der sich Selbst und Welt geistig wie
emotional gegenseitig berühren und ›durchdringen‹. Bildung finde nur dort
statt, wo die Menschen in ihrem »Inneren« von der Welt berührt werden:
„Was also der Mensch nothwendig braucht, ist […] ein Gegenstand, der die
Wechselwirkung seiner Empfänglichkeit mit seiner Selbstthätigkeit möglich
mache“
Gelingende Bildung
- ist nicht Ausbildung im Sinne von ‚Weltbildung‘ (Stoffaneignung)
- ist nicht Selbstbildung
- ist Weltbeziehungsbildung
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III. Bedingungsfaktoren
1) Wie bildet sich ein Resonanzdreieck?
 Wenn beide Seiten offen genug sind, um Resonanz zuzulassen, aber
autonom/geschlossen genug, ‚mit eigener Stimme zu sprechen‘
Achtung! Resonanz ist nicht Echo!
- Anverwandlung setzt einen eigenen Zugang voraus: Nicht Antworten ‚abfragen‘
- Auf die eigene Stimme des Schülers hören
- Kleine Resonanzzeichen sind von elementarer Bedeutung: Ein Lächeln, ein
Nicken, ein Sehen, ein Beim-Namen-Nennen; ein Darauf-Zurück-Kommen
- Gestalten Sie den (Zeit-) Raum: Anverwandlung (nicht: Verschönerung) des
Klassenzimmers durch Bilder; machen Sie es ‚sprechend‘!
- Führen Sie eine Klassen-/ Kurshymne ein und lassen sie diese Singen und
Tanzen! Resonanz ist eine leibliche Erfahrung!
- Berühren und Berührtwerden ist das Gegenteil professioneller, ausschließlich
auf Autonomie zielender Didaktik
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Leitthesen
1.) Unterricht gelingt, wenn die Resonanzverhältnisse intakt sind:
Wenn Schüler sich vom Stoff und vom Lehrer ‚angesprochen‘
fühlen (und vice versa):
2.) Resonanzerfahrungen gelingen nur auf der Basis intakter
‚Resonanzachsen‘
-
Selbstwirksamkeitserwartungen: Sich zutrauen, einander zu
erreichen – keine Angst davor haben, sich ergreifen zu lassen
-
Intrinsische Interessen: Interesse haben und Interesse wecken;
Begeisterungsfähigkeit (wechselseitig!)
-
Anerkennung: Wechselseitige Wertschätzung –
Missachtungserfahrungen sind Resonanzkiller Nr. 1
3.) Unterricht misslingt, wann und wo Schule für Lehrer und Schüler zu
einer kardinalen Entfremdungszone werden: Sie stehen sich und
dem ‚Stoff‘ dann abwehrend oder gleichgültig gegenüber
 Angst, Misstrauen, Desinteresse
Schule als Resonanzraum
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Leitthesen
4.) Wird die Schule zur Entfremdungszone
- ‚Schulversagen‘ und Scheiternskarriere der Schüler
- Burnout der Lehrenden: Burnout entsteht auf der Basis der
Erfahrung ‚ins Leere zu reden‘: „Es kommt nichts zurück“ – und aus
der Dauererfahrung, Resonanzbedürfnisse nicht erfüllen zu
können. Ihm voran geht in der Regel eine zynische Weltbeziehung!
5.) Ob es zur Etablierung von Resonanz- oder Entfremdungsdreiecken
kommt, hängt ganz wesentlich von Kontextfaktoren ab:
a) Wettbewerb (Angst) ist ein Entfremdungsmodus: Schule als
‚verdinglichte‘, konkurrenzförmig organisierte, stumme Stoffvermittlung
zur effizienten Aneignung…
b) Beschleunigungszwänge verhindern die Ausbildung von
Resonanzachsen
c) Raum und Leib sind von elementarer Bedeutung!
d) Stoff beherrschen ist eine Form der Entfremdung 
Schule als Resonanzraum
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Leitthesen
5.) Entfremdung ist elementar für Resonanz: Pubertät; Anverwandlung
neuer Themen/Erfahrungen/Kulturen: Gelingt auf der Basis eines
‚tiefenresonanten‘ Weltverhältnisses
6.) Begabung ist Resonanzfähigkeit (Kasimierz Dabrowski):
Begeisterungsfähigkeit; ‚sich entzünden lassen‘; kommunikative Kompetenz,
Sozialkompetenz, Selbstwirksamkeitserwartung (Musik…)
7.) Resonanzfähigkeit ist die Voraussetzung ebenso wie die Folge der
Anverwandlung von Weltausschnitten, die uns dann ‚etwas
angehen‘: Das ist etwas anderes als die Aneignung des Stoffes (die
den Lernenden ‚unberührt‘ lässt)
8.) Resonanz kann auf vierfache Weise misslingen:
(siehe Metronom; vgl. Riemann: Formen der Angst)
1.) Starres Selbst: Lässt keine Berührung/Beziehung zu
2.) Diffuses Selbst: Entwickelt keine eigene Stimme
3.) Starre Welt: Erstarrte, Nicht-responsive Verhältnisse
4.) Chaotische, unberechenbare Verhältnisse
Schule als Resonanzraum
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Leitthesen
9.) Reproduktion sozialer Ungleichheit:
Für bildungsbürgerliche Schichten (Mädchen) ist Schule häufig eine
Resonanzoase – einschließlich Chor und Orchester und Theater-AG
Für bildungsferne Schichten (Jungs) ist die Schule eine einzige
Entfremdungszone
10.) Das ist (auch) deshalb desaströs weil Schule der
Konstitutionsgrund für die erwachsene Weltbeziehungsform eines
Menschen ist: Dispositionale Resonanz / dispositionale Entfremdung
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Fragen zur Diskussion:
1) Wo herrschen an Ihrer Schule Resonanzräume – wo
Entfremdungszonen?
2) Wie schaffen wir es, den Unterricht von einem
‚Schauplatz der Entfremdung‘ in einen Resonanzort zu
transformieren?
3) Ist eine gute/erfolgreiche Schule eine ‚Resonanzoase‘?
4) Welches sind die zentralen Entfremdungsgeneratoren?
Lassen sie sich ‚stillstellen‘?
5) Was ‚berührt‘ unsere Schüler? Was berührt uns?
6) Ist das Resonanzkonzept unprofessionell – und
gefährlich?
Schule als Resonanzraum
Vielen Dank für die Resonanz!