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Bibel und Literatur
Gleichnisse
Vorlesung am 12. 1. 09
Vorschau
• 19. 1. Christuskonfigurationen.
– Andreas Gryphius: Carolus Stuardus.
– Gerhart Hauptmann: Der Narr in Christo Emanuel
Quint
• 26. 1. Apokalypse.
– Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Auf den
Einfall der Kirchen zu St. Elisabeth.
– Gerhart Hauptmann: Hanneles Himmelfahrt.
– Karl Henckell: Apokalypse.
– Georg Heym: Der Gott der Stadt
– Georg Heym: Der Krieg
• 2. 2. Überblick: Transformationsarten
Gliederung
1. Biblische Gleichnisse als Vertreter einer
Gattung
2. Was ist ein Gleichnis?
3. Jesu Gleichnisse und ihre Rezeption
4. Schillers Räuber als Adaptation der
Parabel vom Verlorenen Sohn (Lk 15)
Parallelen zu Jesu Gleichnissen*
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AT: Maschal. Meist kurzer Vergleich.
Ausgeführte Gleichnisse z.B. 2 Sam 12, 1-4;
Ez 17,3-10; Fabel: Ri 9,7-15
Griechisch-römischer Sprachraum: Äsops
Fabeln. Historische Exempla (Paradigmata).
Neuerfundene narrative Gleichnisse (selten).
(Rabbinische Gleichnisse)
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*Entgegen: Adolf Jülicher: Die Gleichnisreden Jesu. 2 Bde. Tübingen 1910
Kennzeichen des Gleichnisses
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Uneigentliche Rede
Zwei Schichten
Ungenauigkeit
Erklärungsbedürftigkeit
Rätselhaftigkeit
Appellstruktur
Friedrich Nietzsche, aus: Also sprach Zarathustra
Eines Tages war Zarathustra unter einem Feigenbaume eingeschlafen, da es heiß war,
und hatte seine Arme über das Gesicht gelegt. Da kam eine Natter und biß ihn in den
Hals, so daß Zarathustra vor Schmerz aufschrie. Als er den Arm vom Gesicht
genommen hatte, sah er die Schlange an: da erkannte sie die Augen Zarathustras,
wand sich ungeschickt und wollte davon. „Nicht doch, sprach Zarathustra; noch
nahmst du meinen Dank nicht an! Du wecktest mich zur Zeit, mein Weg ist noch
lang.'' „Dein Weg ist noch kurz, sagte die Natter traurig; mein Gift tödtet.'' Zarathustra
lächelte. „Wann starb wohl je ein Drache am Gift einer Schlange? - sagte er. Aber
nimm dein Gift zurück! Du bist nicht reich genug, es mir zu schenken.'' Da fiel ihm die
Natter von Neuem um den Hals und leckte ihm seine Wunde.
Als Zarathustra dies einmal seinen Jüngern erzählte, fragten sie: „Und was, oh
Zarathustra, ist die Moral deiner Geschichte?'' Zarathustra antwortete darauf also:
Den Vernichter der Moral heißen mich die Guten und Gerechten: meine Geschichte ist
unmoralisch. So ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Böses mit Gutem: denn das würde
beschämen. Sondern beweist, daß er euch etwas Gutes angethan hat.
Und lieber zürnt noch, als daß ihr beschämt! Und wenn euch geflucht wird, so gefällt es
mir nicht, daß ihr dann segnen wollt. Lieber ein Wenig mitfluchen!
Und geschah euch ein großes Unrecht, so thut mir geschwind fünf kleine dazu! Gräßlich
ist Der anzusehn, den allein das Unrecht drückt.
Wußtet ihr dies schon? Getheiltes Unrecht ist halbes Recht. Und Der soll das Unrecht auf
sich nehmen, der es tragen kann!
Vgl. Röm 12, 17; Mt 5, 38-44; 1Kor 6, 7; 1Petr 2, 19
Brecht, aus: Geschichten vom
Herrn Keuner
Herr K. sprach über die Unart, erlittenes Unrecht stillschweigend in sich
hineinzufressen, und erzählte folgende Geschichte: "Einen vor sich
hin weinenden Jungen fragte ein Vorübergehender nach dem Grund
seines Kummers. 'Ich hatte zwei Groschen für das Kino
beisammen', sagte der Knabe, 'da kam ein Junge und riß mir einen
aus der Hand', und er zeigte auf einen Jungen, der in einiger
Entfernung zu sehen war. 'Hast du denn nicht um Hilfe geschrien?'
fragte der Mann. 'Doch', sagte der Junge und schluchzte ein wenig
stärker. 'Hat dich niemand gehört?' fragte ihn der Mann weiter, ihn
liebevoll streichelnd. 'Nein', schluchzte der Junge: 'Kannst du denn
nicht lauter schreien?' fragte der Mann. 'Nein', sagte der Junge und
blickte ihn mit neuer Hoffnung an. Denn der Mann lächelte. 'Dann
gib auch den her', sagte er, nahm ihm den letzten Groschen aus der
Hand und ging unbekümmert weiter.„
Vgl. Mt 5,40; 1Kor 6,7; 1Petr 2,19
Vincent van Gogh: Der Barmherzige Samariter. Vgl. Lk 10, 30-35
Rembrandt: Die Heimkehr des Verlorenen Sohns
Räuber I,1:
„Gestern um Mitternacht hatte er
den großen Entschluß, nach
vierzigtausend Dukaten
Schulden“ - ein hübsches
Taschengeld, Vater! „nachdem er zuvor die Tochter
eines reichen Bankiers allhier
entjungfert und ihren Galan,
einen braven Jungen von
Stand, im Duell auf den Tod
verwundet, mit sieben andern,
die er mit in sein Luderleben
gezogen, dem Arm der Justiz
zu entlaufen“.
Lk 15,13
und daselbst brachte er sein Gut
um mit Prassen.
Räuber I,1
Er ist Euer Augapfel gewesen
bisher, nun aber, ärgert dich
dein Auge, sagt die Schrift, so
reiß es aus. Es ist besser,
einäugig gen Himmel, als mit
zwei Augen in die Hölle. Es ist
besser, kinderlos gen Himmel,
als wenn beide, Vater und
Sohn, in die Hölle fahren. So
spricht die Gottheit!
Mt 5, 28f.
Ich aber sage euch: Wer ein Weib
ansieht, ihrer zu begehren, der
hat schon mit ihr die Ehe
gebrochen in seinem Herzen.
Ärgert dich aber dein rechtes
Auge, so reiß es aus und wirf's
von dir. Es ist dir besser, daß
eins deiner Glieder verderbe,
und nicht der ganze Leib in die
Hölle geworfen werde.
Räuber II,3:
Nicht genug - itzt will ich stolz reden.
Geh hin und sage dem
hochlöblichen Gericht, das über
Leben und Tod würfelt - Ich bin
kein Dieb, der sich mit Schlaf und
Mitternacht verschwört, und auf
der Leiter groß und herrisch tut was ich getan habe, werd ich
ohne Zweifel einmal im
Schuldbuch des Himmels lesen,
aber mit seinen erbärmlichen
Verwesern will ich kein Wort mehr
verlieren. Sag ihnen, mein
Handwerk ist Wiedervergeltung Rache ist mein Gewerbe.
Dt 32,35; zitiert bei Römer 12,19
Die Rache ist mein; ich will vergelten.
Räuber III,2
die ganze Welt eine
Familie und ein Vater
dort oben - Mein
Vater nicht - Ich allein
der Verstoßene […]
daß ich werden dürfte
wie dieser Taglöhner
einer!
Lk 15,19
[Ich] bin hinfort nicht
mehr wert, daß ich
dein Sohn heiße;
mache mich zu einem
deiner Tagelöhner!
Räuber IV, 5
Rache, Rache, Rache dir! grimmig
beleidigter, entheiligter Greis! So
zerreiß ich von nun an auf ewig
das brüderliche Band! Er zerreißt
sein Kleid von oben bis unten. So
verfluch ich jeden Tropfen
brüderlichen Bluts im Antlitz des
offenen Himmels!
schwör ich, das Licht des Tages nicht
mehr zu grüßen, bis des
Vatermörders Blut, vor diesem
Steine verschüttet, gegen die
Sonne dampft.
Mt 26, 65-66 [Prozeß Jesu]:
Da zerriß der Hohepriester seine
Kleider und sprach: Er hat Gott
gelästert! Was bedürfen wir
weiteres Zeugnis? Siehe, jetzt
habt ihr seine Gotteslästerung
gehört. Was dünkt euch? Sie
antworteten und sprachen: Er ist
des Todes schuldig!
Gen 4, 8-10:
Und es begab sich, da sie auf dem
Felde waren, erhob sich Kain
wider seinen Bruder Abel und
schlug ihn tot. Da sprach der
HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder
Abel? […] Die Stimme des Bluts
deines Bruders schreit zu mir von
der Erde.
Räuber V,2
Ha! Er war zu herrlich für
mich - Aber ich will ihm
entgegen mit meinen
Tränen, meinen
schlaflosen Nächten,
meinen quälenden
Träumen, seine Knie will
ich umfassen - rufen laut rufen: Ich hab
gesündigt im Himmel und
vor dir. Ich bin nicht wert,
daß du mich Vater
nennst.
Lk 15, 21
Der Sohn aber sprach zu
ihm: Vater, ich habe
gesündigt gegen den
Himmel und vor dir; ich
bin hinfort nicht mehr
wert, daß ich dein Sohn
heiße.
Räuber V,2
Es ist aus! - Ich wollte
umkehren und zu
meinem Vater gehn, aber
der im Himmel sprach, es
soll nicht sein. Kalt.
Blöder Tor ich, warum
wollt ich es auch? Kann
denn ein großer Sünder
noch umkehren? Ein
großer Sünder kann
nimmermehr umkehren,
das hätt ich längst wissen
können.
Lk 15, 18
Ich will mich aufmachen und
zu meinem Vater gehen
und zu ihm sagen: Vater,
ich habe gesündigt gegen
den Himmel und vor dir
Rembrandt: Die Rückkehr des Verlorenen Sohns. Vgl. Lk 15,11-32
Amalia und Karl
Illustration von Chodowiecki
Franz und Amalia
Der alte Graf Moor und Amalia