Kapitel 1: Personalökonomik und imperfekte Arbeitsmärkte 1.0

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Transcript Kapitel 1: Personalökonomik und imperfekte Arbeitsmärkte 1.0

Kapitel 1: Personalökonomik und imperfekte Arbeitsmärkte
1.0
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
Vorbemerkungen
Was ist Personalökonomik?
Unvollständige Verträge
Perfekte und imperfekte Arbeitsmärkte
Institutionen am Arbeitsmarkt
Beispielstudie
Leitfragen
• Was ist das Selbstverständnis des Fachs Personalökonomik sowie sein Beitrag und Menschenbild?
• Welche Bedeutung hat das Konzept des homo oeconomicus in der Personalökonomik?
• Was versteht man unter vollständigen Verträgen und was ist ihre Bedeutung?
• Wie unterscheiden sich perfekte und imperfekte Märkte?
• Welche Institutionen beeinflussen den Arbeitsmarkt und wie sind die Regelungen in Deutschland?
• Wie lässt sich die Auswirkung von Kündigungsschutz überprüfen?
• Wie funktioniert ein diference-in-differences Schätzer?
1.0 Vorbemerkungen
1.0.1 Technisches
• Veranstaltungsort & -zeit: H6, Mo. 8.30 – 10.00, 10.15 – 11.00 Uhr
• Lehr- & Lernmaterial:
– Folien mit Leitfragen, Übungsaufgaben und Schlüsselbegriffen
– Textsammlung
– Lehrbuch: Garibaldi 2006
1–2
1.0.2 Ziele der Veranstaltung
• Instrumente vermitteln, die es erlauben, Probleme des betrieblichen Personalwesens zu analysieren
• Einüben, betriebliche Facetten des human resources management zu durchdenken und auf ihre ökonomische Wirkung zu hinterfragen
• Theoretische Erkenntnisse der Ökonomie auf Problemstellungen im Unternehmen anwenden lernen
• Lernen, empirische Untersuchungen kritisch zu lesen
• Schlüsselfragen des Forschungsgebietes kennen lernen
1.0.3 Hintergrundliteratur
• Garibaldi, Pietro (2006), Personnel Economics in Imperfect Labour Markets,
Oxford Univ. Press, Oxford.
• Lazear, Edward P. (1995), Personnel Economics, MIT Press, Cambridge MA.
1–3
• Wolff, Birgitta und Edward P. Lazear (2001), Einführung in die Personalökonomik, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart.
• Backes-Gellner, Uschi, E.P. Lazear und B. Wolff (2001), Personalökonomik:
Fortgeschrittene Anwendungen für das Management, SchäfferPoeschel-Verlag, Stuttgart.
• Milgrom, Paul und John Roberts (1992), Economics, Organization and Management, Prentice Hall, Upper Saddle River.
1.0.4 Inhaltlicher Veranstaltungsüberblick
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Personalökonomik und imperfekte Arbeitsmärkte
Qualifikationsanforderungen
Arbeitszeit und Beschäftigung
Befristete und unbefristete Beschäftigung
Adverse Selektion bei der Auswahl von Mitarbeitern
Optimale Kompensationspakete
Leistungs- und Senioritätsentlohnung
Turnierentlohnung und Effizienzlöhne
1–4
9. Humankapitalinvestitionen im perfekten Arbeitsmarkt
10. Ausbildungsinvestitionen auf imperfekten Arbeitsmärkten
11. Teams und Gruppenanreize
1.0.5 Hinweise zur Interpretation von Koeffizientenschätzungen
• Nichtlineare Schätzer
a) Interpretation von Vorzeichen und statistischer Signifikanz
b) Interpretation von Größeneffekten problematisch, das Koeffizient ≠ marginaler Effekt
• Linearer Schätzer (KQ)
Y = α + βX + e
a) Interpretation von Vorzeichen und statistischer Signifikanz.
b) Prinzipiell kann Koeffizient als erste Ableitung von Y nach X interpretiert
werden. Approximativ bedeutet das: Ändert sich X um eine Einheit, ändert
sich Y um β (z.B. Alter ± 1). Diese Interpretation ist bei diskreten erklären1–5
den Variablen (X) nicht sinnvoll, da hier marginale Änderungen nicht plausibel sind (z.B. die marginale Änderung zwischen Geschlecht männlich (=
1) versus weiblich (= 0)). Daher gedankliche Interpretation der Wirkung von
X als einmaligen Sprung in Y um den Betrag von β:
E(Y X = 1) = α + β
E(Y X = 0 ) = α
• Spezialfälle bei linearen Schätzern
1. Y und X in Logarithmen: β kann als Elastizität interpretiert werden.
2. Y in Logarithmen, X nicht:
β kann als "Semielastizität" interpretiert werden, d.h. bei einer Änderung von
X um 0,01 ändert sich Y um β Prozent (Änderung von X um 1, Y um β* 100
Prozent).
Bei kleinen β ist direkte Prozentinterpretation angemessen, da % Δ y ≈ 100 ⋅
Δ log y. Bei großen Werten von β (z.B. über 0,2) sollte man bei einer Änderung in X um eine Einheit berechnen % Δ y = 100(exp(β) – 1).
1–6
Beispiel: log(Stundenlohn) = 4,2 + 0,08 Jahre Ausbildung.
Hier führt ein weiteres Ausbildungsjahr zu einem um circa. 8% höheren Lohn,
genau 100 ⋅ (exp(0,08) – 1) = 8,329. Bei β = 0,47 ergibt sich 100 ⋅ (exp(0,31)
– 1) = 0,5999.
3. Interpretation von Polynomen
Y = α + βX + γX 2 + e
jetzt muss der Effekt von X auf Y über beide Koeffizienten, β und γ gleichzeitig beschrieben werden; gemeinsamer Signifikanztest. Aus den Vorzeichen
ergibt sich konkaver oder konvexer Verlauf (Hinweis: Y nach X ableiten).
4. Interpretation von Koeffizienten kategorischer Variablengruppen
… relativ zur ausgelassenen Kategorie, diese ist die Referenzgröße!
5. Interpretation von Interaktionseffekten
Y = α + β X + y Z + δ( X Z ) + e
Ableitung von Y nach X durch Z beeinflusst und umgekehrt. Effekt von X auf
∂Y
Y variiert mit Z und umgekehrt:
= β + δ ⋅ Z.
∂X
1–7
1.1 Was ist Personalökonomik?
1.1.1 Definitionen
• Wolff und Lazear (2001, S. 68): "Die Personalökonomik befasst sich – wie
Ökonomik grundsätzlich – mit Fragen der Allokation von Rechten an Ressourcen, sowohl an Inputfaktoren als auch an Ergebnissen von Leistungsprozessen."
• Lazear (1999, JOLE, S. 200): "The use of economics to understand the internal workings of the firm".
• Garibaldi (2006, S. vii): "The use of economics for studying human resource
issues."
1.1.2 Historische Entwicklung
• Personalwirtschaftslehre bis Ende der 1960er Jahre: Systematisierung von Instrumenten und Kategorisierung von Aufgaben; kaum theoriegestützte Betrachtung.
1–8
• Ab 1970er "Psychologisierung", Ziel nicht Erklärung der Personalpolitik, sondern des Arbeitnehmerverhaltens und psychischer Prozesse (Lern-, Motivations-, Führungstheorien).
• Seit 1980er Jahren im Zentrum nicht Individualphänomene, sondern kollektivorganisationale Phänomene (Politik-/Strategiewahl). Zentral: Überlegungen
zur ökonomischen Effizienz und zu marktlichen Selektionsmechanismen.
1.1.3 Beitrag der Personalökonomik
Literatur: Wolff/Lazear, Kapitel I
• Verhalten erklären
• Vorgaben für effiziente zielgerichtete Steuerung entwickeln. Effizienz ist Beurteilungskriterium und Ziel der Unternehmenstätigkeit.
• Ziele: Erfolg des Unternehmens, Lebensqualität ("Wohlfahrt") der Mitglieder
einer Organisation
1–9
• Aufgaben des Personalmanagements:
(i) Koordination = Organisation von Leistungsprozessen, Zuordnung von
Aufgaben, von Rechten an Inputs (Kapital, Information) und von Weisungsbefugnissen auf Akteure.
(ii) Motivation = Harmonisierung der Ziele von Individuen und Organisation
durch Zuordnung von Rechten an Output, setzt Anreize, Spielraum effizient zu nutzen.
• Probleme der Koordination: z.B. Fehlallokation von Inputrechten (Informationen, Weisungsrechte, Budgets), z.B. Qualifikationsmängel der Mitarbeiter.
• Probleme der Motivation: z.B. Fehlanreize durch Trittbrettfahren, Akteur kann
Output erzielen, ohne an Rechten beteiligt zu sein, z.B. Motivationsmangel.
• Interdependenzen: Bei Lösung von Koordinationsproblemen Motivationswirkung beachten (mehr Pflichten erfordern mehr Outputrechte). Maßnahmen
wirken als System, Anreize können Koordinationsprobleme lösen.
1–10
1.1.4 Das Menschenbild der (Personal-)Ökonomik
• Homo oeconomicus, gekennzeichnet durch
(1) Handlungsmotiv des Eigennutzes, Nutzenmaximierung
(2) Rationalität von Entscheidungen, d.h. keine systematischen Fehler oder
Abweichungen vom Ziel, zielkonsistentes Verhalten.
• Was ist von diesem Grundpostulat zu halten?
(i) Es entspricht nicht der Realität
– Experimente zeigen, dass Individuen nicht strikt eigennützig handeln: Ultimatum Spiele, bei denen
(a) freiwillig etwas abgegeben wird
(b) Kosten in Kauf genommen werden, um für unfaires Verhalten zu bestrafen.
– Daniel Kahnemann (mit V. Smith 2002 Wirtschafts-Nobelpreis) hat gezeigt, dass menschliche Entscheidungen von den Vorgaben rationalen
Verhaltens abweichen.
1–11
(ii) Es ist eine sinnvolle Annahme
– Rationales Verhalten ist in Wettbewerbsmärkten typisch, auch wenn es
Abweichungen davon gibt.
– Ohne Rationalitätsannahme ist es schwierig, von Motivation auf Handlung zu schließen.
– Die Analyse von Institutionen unter der Annahme des homo oeconomicus erlaubt auch bei Zweifeln an den Annahmen einen Test der Institutionen.
(iii) Erfordernis wissenschaftlichen Arbeitens
– Jedes Modell muss abstrahieren, um interessierende Einflussfaktoren zu
isolieren ("ceteris paribus"-Annahme); es sollte möglichst realistisch
sein.
– Ein wissenschaftlicher Ansatz kann ersetzt werden, wenn eine Alternative mit gleichem Erklärungsgehalt existiert, die zusätzlich beobachtete
Anomalien erklären kann.
– Unter der Annahme des homo oeconomicus abgeleitete Hypothesen
können empirisch überprüft und gegebenenfalls verworfen werden.
1–12
• Die Personalökonomie geht vom homo oeconomicus – als modellhaft verkürzter Darstellung – aus. Sie fokussiert auf die Rolle von Anreizen für menschliches Verhalten und hat das Ziel aus theoretischen Überlegungen testbare
Hypothesen abzuleiten, und durch empirische Tests zu Erkenntnisgewinn zu
gelangen.
Weiterentwicklungen zum Thema "homo oeconomicus"
(1) Reinhard Selten (1999, aus Weimann 2001, S.45) hat sowohl auf dem Gebiet der Spieltheorie als auch zur eingeschränkten Rationalität gearbeitet:
"Menschen sind nicht vollständig rationale Wesen und deshalb ist es sinnvoll, sich mit Modellen zu befassen, die versuchen, eingeschränkt rationales
Handeln abzubilden. Gleichzeitig aber streben Menschen danach, rational
zu sein, d.h. Rationalität ist vielfach das Ziel menschlichen Lernens. Deshalb
macht es auch Sinn zu betrachten, wie denn vollständig rationales Verhalten
aussehen würde. Man kann als Wissenschaftler gleichzeitig die Rationalitätsannahme auf die Spitze treiben und sie als empirisch gehaltvolle Annahme ablehnen, ohne dabei in einen Widerspruch zu gelangen."
1–13
(2) Gift Exchange und Soziale Normen (Akerloff, 1982):
Auf Basis soziologischer Theorien wird erklärt, warum sich Wettbewerbsmärkte nicht klären. Mit Preis und Leistung sind soziale Normen verbunden,
die den Wettbewerb z.T. außer Kraft setzen.
(3) ERC Theorie (Bolton/Ockenfels '00, Fehr/Schmidt '99)
Equity Reciprocity, Competition: Tradeoff zwischen Eigennutz und Gerechtigkeit: Individuen sind rational, aber nicht nur eigennützig.
(4) Wachsendes Forschungsinteresse an der Schnittstelle zwischen Psychologie und VWL.
1.2 Unvollständige Verträge
Literatur: Milgrom/Roberts (1992), Kapitel 5
• Ein vollständiger Vertrag würde alle möglichen zukünftigen Situationen regeln
(die Rechte und Pflichten jeder Vertragsseite bei jeglichem Vertragsbruch, jeglicher Änderung äußerer Umstände ...).
1–14
• Bedeutung:
– Wäre Planung effizient, wäre pareto-optimale Allokation möglich.
– Wenn alles geregelt und fixiert ist, keine Anreiz- und Motivationsprobleme.
• Voraussetzung für vollständige Verträge:
– Voraussicht, Beschreibbarkeit (ex ante und ex post) aller möglichen zukünftigen Situationen.
– Parteien können und wollen sich über alle Situationen einigen.
– Nach Vertragsabschluss müssen sich beide an den Vertrag halten (keine
Nachverhandlung) und Nichteinhaltung muss sanktionierbar sein.
• Tatsächlich: Begrenzte Rationalität (bounded rationality)
– begrenzte Voraussicht über mögliche Situationen
– ungenaue Sprache
– Kosten, Vereinbarung zu erzielen
– Kosten, Vertrag niederzuschreiben
• Da vollständige Verträge nicht möglich, Gefahr von Opportunismus. Dessen
Abwehr führt zu ineffizienten Lösungen (z.B. Verträge unterbleiben).
1–15
• Reaktion auf Unvollständigkeit der Verträge
– Spotmarktverträge: Sofortiger Leistungsaustausch
– Relational contracts: Regeln Verfahrensweise, Regeln, Prinzipien bei im Detail offenen Ereignissen (funktioniert bei begrenztem Potential für opportunistisches Verhalten)
– Implizite Verträge: Geteilte Erwartung der Parteien an Vertragsbeziehung;
zentral: Unternehmenskultur (allgemeine Übereinkunft). Schwierig durchzusetzen
• Drei klassische Probleme als Auswirkung unvollständiger Verträge
– commitment problem 1:
Vertragsbruch wegen geänderter Umstände die Möglichkeit (und der unbekannte, erforderliche Aufwand den unvollständigen Vertrag durchzusetzen)
kann effiziente Verträge verhindern.
– commitment problem 2:
Verträge nicht effizient, wenn spätere Neuverhandlung möglich (z.B. Optionspreise).
1–16
– commitment problem 3:
bei Investitionen in (co-) spezifische Aktiva, hold-up Problem, führt zu Unterinvestition und mögliche effiziente Vereinbarungen unterbleiben
– Insgesamt ist es schwierig, Vertrauen und positive Erwartungen zu begründen.
• Lösungsansätze
– Wilhelm der Eroberer
– vertikale Integration
– nicht-vertragliche Mittel als Signal (z.B. Apple)
– Reputation: Interesse an Vertrauen für zukünftige Verträge. Vertragsseite
mit geringerem Anreiz für opportunistisches Verhalten sollte bei unvorhergesehenen Vertragsproblemen entscheiden können.
1.3 Perfekte und imperfekte Arbeitsmärkte
• Annahmen an perfekte Märkte (vollständige Konkurrenz)
– Nachfrager sind Preisnehmer (atomistisch)
1–17
–
–
–
–
vollständige Information
keine externen Effekte
homogene Produkte
freier Marktzugang
• Vollständige Konkurrenz am Arbeitsmarkt
– atomistisches Angebot und Nachfrage (Löhne exogen)
– Löhne reagieren flexibel auf Änderungen der Rahmenbedingungen
– Lohn entspricht dem Grenzleid der Arbeit und dem Wert-Grenzprodukt, keine Renten, keine Gewinne
• Eigenschaften imperfekter Arbeitsmärkte:
– Mit Beschäftigungsverhältnissen werden Renten erzielt
– Institutionen relevant für Personalwirtschaft (z.B. Lohnfindung, Kündigungsschutz)
– Löhne inflexibel, Anpassungen müssen anders erfolgen
1–18
• Im imperfekten Arbeitsmarkt:
y = Produktionswert der Arbeit eines Arbeitnehmers (z.B. in €)
v = Alternativlohn des Arbeitnehmers am Arbeitsmarkt (auch Wert der Freizeit)
w = Arbeitslohn (in €)
Rente des Unternehmens: Sπ = y – w
Rente des Arbeitnehmers: Sw = w – v
Gesamtrente:
S = Sπ + Sw = y – v
• Im Wettbewerbsmarkt: y = v, w = y, w = v, daher S = 0.
• Imperfekter Arbeitsmarkt und Lohnsetzung durch Unternehmen (S > 0):
Gewinnmaximierung unter der Nebenbedingung, dass Arbeitnehmer für Unternehmen arbeitet: Max S w = y − w
NB : w ≥ v
w
Optimaler Lohn für Unternehmen: w = v
Gewinn: Sw = y – v
1–19
• Imperfekter Arbeitsmarkt mit Rententeilung (S > 0):
Anteil des Arbeitnehmers: β, Anteil des Unternehmens: (1 – β)
Arbeitnehmer: wβ = v + β ⋅ S = v + β(y – v)
Unternehmen: Sπ = y – wβ
= (1 – β)v + βy
= y – v – β(y – v) = (1 – β)(y – v)
• Imperfekter Arbeitsmarkt mit exogenem Lohn w (S > 0 ) :
Arbeitnehmer nimmt Job an, wenn S w = w − v ≥ 0
Unternehmen bietet Job an, wenn S π = y − w ≥ 0
1.4
Institutionen am Arbeitsmarkt
1.4.1 Mindestlöhne
• National verschieden (Höhe, Abdeckung, Funktionsweise), z.T. national einheitlich, z.T. für Teilgruppen gesondert, z.T. nominal, z.T. indexiert
1–20
• Vergleichbar durch Kaitz-Index: Mindestlohn / mittleren Lohn (z.B. Median ohne Überstunden, Boni), z.B. 60% in Frankreich, Belgien, 30% in Spanien,
Tschechien.
• Deutschland: Impliziter Mindestlohn durch soziale Mindestsicherung (Hartz IV,
früher Sozialhilfe)
• Expliziter Mindestlohn, z.B. Entsendegesetz, Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen für gesamte Branchen durch den Bundesarbeitsminister.
1.4.2 Gewerkschaften
• Einfluss variiert, messbar durch
Gewerkschaftsdichte
= Gewerkschaftsmitglieder/Arbeitnehmer
Erfassungsgrad
= Anteil der Arbeitnehmer, deren Lohn kollektiv
verhandelt wird
Zentralisierungsgrad
= Ebene, auf der Lohnverhandlungen stattfinden
• Starke nationale Unterschiede (vgl. Frankreich – USA)
1–21
Gewerkschaftseinfluss im internationalen Vergleich
Gewerkschaftsdichte Erfassungsgrad
Frankreich
9.1
95.0
Deutschland
29.0
92.0
Spanien
21.1
78.0
Italien
23.7
82.0
USA
14.3
18.0
Japan
24.0
21.0
EU
43.1
82.3
Zentralisierungsgrad*
2.0
2.0
2.0
2.0
1.0
1.0
1.9
Quelle: OECD 1999, *) 1 = Unternehmensebene … 3 = zentrale Ebene
1.4.3 Kündigungsschutz
• Regelt Entlassung von Arbeitnehmern, z.B. Abfindung, Kündigungsfrist
• Gesetzliche Mindestbedingung plus tarifvertragliche Ausgestaltung plus Richterrecht
• Anreizwirkungen für Individuen
1–22
• Kostenträchtig: 15 Monatsgehälter für ital. Unternehmen mit > 15 Angestellten,
wenn Niederlage vor Gericht
• Die OECD misst das Ausmaß des Kündigungsschutzes (Gesamtindex) anhand von Regelungen zu individueller Entlassung, Gruppenentlassung, Regelung befristeter Beschäftigung. Auf Basis der Werte von 2003 ist der Kündigungsschutz in Deutschland vergleichsweise strikt.
• OECD Gesamtindex (1 = flexibel … 6 = rigide):
Frankreich
Deutschland
Spanien
Italien
Japan
USA
EU
Gesamtindex
1980er Jahre
1990er Jahre
2,7
3,0
3,2
2,5
3,7
3,1
4,1
3,3
–
2,4
0,2
0,2
2,7
2,3
1–23
1–24
• Regelungen in Deutschland
– Kündigungsschutzgesetz schützt Arbeitnehmer ab 6. Beschäftigungsmonat
in Unternehmen mit Mindestanzahl von Arbeitnehmern (10/6 je nach Beginn
des Arbeitsverhältnisses nach/vor 1.1.04)
– Kündigung wirksam, wenn sie durch Gründe, die in der Person (z.B. mangelnde Eignung, Krankheit) oder in dem Verhalten (nach Abmahnung, z.B.
schuldhafte Vertragsverletzung, Betrug, Diebstahl) des Arbeitnehmers liegen
oder durch dringende betriebliche Erfordernisse (z.B. Geschäftsrückgang,
Reorganisation, Pflicht zur Sozialauswahl, Ausnahmen wegen betrieblichem
Interesse, ggf. Anspruch auf Abfindung) bedingt ist.
– Gibt es einen Betriebsrat, so muss er informiert und gehört werden, kann
widersprechen, dann Rechtsstreit.
– Neben allgemeinem Kündigungsschutz besonderer Schutz für schutzbedürftige Personen (z.B. Schwangere, Schwerbehinderte, Betriebsräte)
– Sonderregelungen bei Massenentlassungen (Anzeigepflicht gegenüber
Bundesagentur, Betriebsrat)
1–25
– Kündigungsfristen bis zu 7 Monate, abhängig von Betriebszugehörigkeitsdauer (§ 622 BGB)
1.5 Beispielstudie
Bauer, Bender, Bonin 2007, Dismissal Protection and Worker Flows in Small Establishments, Economica (im Erscheinen)
1.5.1 Frage und Motivation
• Welche Auswirkungen hat Kündigungsschutz auf Beschäftigung? Wie kann
das gemessen werden?
• Hier: Difference-in-differences Analyse der Auswirkung von Änderungen in
Kündigungsschutzbestimmungen in Deutschland.
• Fokus der Literatur: Auswirkung auf Netto-Beschäftigungsänderung, hier Betrachtung von Bruttoströmen.
1–26
• Getestete Hypothese: strikter Kündigungsschutz reduziert Beschäftigtenströme.
• Theoretische Aspekte:
– Kündigungsschutz generiert zusätzliche Kosten (es sei denn Ausgleich
durch niedrigere Löhne). Eventuell Substitution durch Kapital.
– Kündigungsschutz könnte Produktivität steigern (Anreiz zu Weiterbildung).
– "Steuer" auf Änderung von Beschäftigungsverhältnissen, erhöhte Anpassungskosten reduziert Entlassungen und Neueinstellungen, insbes. wenn
Arbeitsstunden flexibel.
– Nettobeschäftigungseffekt unklar. Beschäftigtenströme sollten sinken.
– Bei institutionellen Hürden strategisches Verhalten zu erwarten (z.B. bei
Schutz ab 10 Mitarbeitern, Aufteilung des Unternehmens ab 11. Mitarbeiter).
• Bisherige Evidenz:
– Kündigungsschutz reduziert Ströme in/aus Arbeitslosigkeit.
– insignifikante Beschäftigungseffekte.
1–27
• Literatur nutzt
– OECD-Indices für Ländervergleiche
– nationale Regeländerungen als natürliches Experiment
– unterschiedliche Schutzvorschriften für verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern
– unterschiedliche Striktheit der Überwachung
– Unterschiede an Schwellenwerten.
1.5.2 Institutionen
• Im internationalen Vergleich sind deutsche Kündigungsschutzregeln strikt.
• Arbeitsrichter betonen Arbeitnehmerschutz.
• Kündigungsschutzgesetz trifft nicht zu für Unternehmen mit wenigen Beschäftigten, relevant ist Betriebsgröße, nicht Unternehmensgröße. Seit 1.1.04 ab 10
Vollzeit-äquivalente Beschäftigte.
1–28
• Bis Okt. 1996 ab 5, dann auch "6 – 10" von Vorschrift befreit (Änderung betraf
10% aller Betriebe mit 5% aller Beschäftigten!) – allerdings nur für Neueinstellungen.
• Seit Jan. 1999 wieder alte Regel, ab 5 Beschäftigte greift Kündigungsschutz.
1.5.3 Daten
• Employer-Employee Daten auf Basis der Beschäftigtenstatistik (BA), Merkmale des Betriebs auf Basis der Meldung zur Arbeitslosenversicherung erfassbar.
• 5% Zufallsstichprobe aller westdeutschen Betriebe < 30 Beschäftigte (März
1995, 97, 99) (ohne Landwirtschaft, Bergbau, Nonprofit). Über 12 Monate hinweg werden alle Zu- und Abgänge der Beschäftigten gemessen.
1–29
• Stichprobengröße:
März 95-96
Betriebe
Beschäftigte
Schwelle für Kündigungsschutz
53 041
281 000
März 97-98
54 355
289 100
März 99-00
54 900
289 100
vor 1. Reform
Okt: 1996
zwischen Reformen
Okt: 1996, Jan. 1999
nach Reform 1999
weit vor Reform 2004
5
10
5
• Anpassungen in Daten: Zählung vollzeitäquivalenter Beschäftigter, keine Info
zu Befristungen.
• Mehr als 2/3 der Betriebe haben weniger als 5 Beschäftigte. Keine Häufung
von Betriebsgrößen um Schwellenwerte.
• Wahrscheinlichkeit, dass Betriebsgröße steigt, wächst mit Beschäftigtenanzahl,
Verlauf der Wahrscheinlichkeit sinkender Betriebsgröße ist flacher (Fig. 3, 4).
1–30
1.5.4 Empirische Analyse
• Herkömmlicher Test auf Schwellenwerteffekte:
y i = α + β' X i + δ' S i + ∑ γ k D(S i = k ) + ε i
k
yi = Ergebnis für Betrieb i, z.B. Einstellungen
Si = Polynom der Betriebsgröße (z.B. δ 1S i + δ 2 S i2 + δ 3 S i3 )
Di = Vektor mit Betriebsgrößenindikatoren
Xi = Kontrollvariablen
εi = Störterm
α, β, δ, γ = geschätzte Parameter, γ sollte Schwellenwerteffekt abbilden.
• Wurde geschätzt, aber ergab keine signifikanten Ergebnisse für γ.
• Difference-in-differences Schätzer δ
Yit = Xitβ + Zit γ + Dit ρ + Dit Xit ψ + Dit Zit δ + εit
Yit = Ergebnis für Betrieb i in Periode t (z.B. Ströme, Einstellungen)
Xit = Vektor von Merkmalen von Betrieb i in Periode t
1–31
Zit = Indikator ob Beobachtung in Treatmentgruppe (1 = ja, 0 = nein)
Dit = Indikator ob Beobachtung nach Politikänderung (1 = ja, 0 = nein)
Effekt der Politikänderung nach Bereinigung der Effekte allgemeiner Änderungen um Zeit der Politikänderung (ρ, ψ) sowie um allgemeine Unterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgruppe (γ):
δ = (E[Yit Xit , Zit = 1, Dit = 1] − E[Yit Xit , Zit = 1, Dit = 0] ) −
(E[Yit Xit , Zit
= 0, Dit = 1] − E[Yit Xit , Zit = 0, Dit = 0] )
Schätzung mit KQ, heteroskedastie-robuste Standardfehler. Zentrale Annahme: ohne Politikänderung ist δ = 0, d.h. (Dit ⋅ Zit ) exogen, z.B. dürfen keine Änderungen im gesamtwirtschaftlichen Umfeld sich auf die Kontroll- und Treatmentgruppe unterschiedlich auswirken.
1–32
• Ergebnisse (Tab. 2):
Difference-in-Differences Results: Basic Specification
Panel A: 1995-97
Establishment
size
0–5
6 – 10
11 – 20
Panel B: 1997-99
HR
SR
JFR
HR
SR
JFR
-1.82
(3.87)
-2.41
(2.64)
1.62
(1.71)
-0.83
(1.50)
-1.62
(1.34)
0.55
(1.36)
-0.99
(3.29)
-0.79
(2.30)
1.08
(1.22)
2.11
(3.65)
0.91
(2.09)
1.04
(1.91)
-0.30
(1.43)
0.46
(1.33)
1.21
(1.39)
2.41
(3.05)
0.45
(1.61)
-0.17
(1.34)
Notes: Results from OLS. Robust standard errors in parentheses. Control group: establishment
size 21-30. Observations 1995-97: 107,396; 1997-99: 109,255. Indicates significance at the 95%
confidence level. All regressions include the following control variables and interactions of these
variables with an index variable for year 1997 (resp. 1999): share of blue-collar workers, share of
females, share of apprentices, log average wage, mean age of employees, mean age of employees squared, 14 industry dummies, and six regional dummies. JFR: job flow rate, HR: hiring
rate; SR: separation rate. Reference: Establishments 21 – 30 employees.
1–33
• Keine signifikanten Unterschiede in Beschäftigtenströmen vor/nach Reform.
Keine Evidenz für Auswirkung von Kündigungsschutz!
• Robustheitstests
– detailliertere Kontrolle für Beschäftigtenzahl
– keine Korrektur für Vollzeitäquivalente
– Kontrollgruppe 16 – 20 statt 21 – 30.
• Effektstärke könnte unterschiedlich ausfallen, z.B. gewichtiger für volatile als
für stabile Branchen (z.B. Dienstleistung vs. Industrie). Nie signifikante Unterschiede für Treatmentgruppe.
1.5.5 Zusammenfassung
• Keiner der erwarteten Effekte zeigt sich bei Difference-in-differences Ansatz
• Mögliche Gründe:
– Datenmangel: Reaktion über Anpassung befristeter Arbeitsverhältnisse
– Datenmangel: Freiwillige Kündigungen nicht sichtbar
– Datenmangel: Zeitfenster eines Jahres zu kurz, um Reaktionen zu messen
1–34
– Keine bindende Begrenzung – auch im Querschnitt keine Schwellen sichtbar. Evtl. wegen Flexibilität bei Arbeitszeit, befristeten Verträgen, Auszubildenden (statt Einstellung und Entlassung)
– Reaktion über bessere Auswahl der Beschäftigten.
1–35
Schlüsselbegriffe
Personalökonomik
Koordination
Motivation
Homo oeconomicus
gift exchange
unvollständiger Vertrag
begrenzte Rationalität
Spotmarkt
relational contract
Impliziter Vertrag
commitment problem
hold-up Problem
Reputation
Rententeilung
Mindestlohn
Kaitz-Index
Gewerkschaftsdichte (density)
Erfassungsgrad (coverage)
Zentralisierungsgrad
Kündigungsschutz
Kündigungsfrist
Difference-in-differences Analyse
Netto-Beschäftigungsänderung
Bruttostrom
natürliches Experiment
Vollzeit-Äquivalent
Employer-Employee-Daten
Beschäftigtenstatistik
Schwellenwerteffekt
Treatment- und Kontrollgruppe
Robustheitstest
linearer/nichtlinearer Schätzer
marginaler Effekt
Semielastizität
ausgelassene Kategorie
Interaktionseffekt
1–36
Literatur
Garibaldi, Pietro (2006), Personnel Economics in Imperfect Labour Markets, Oxford Univ. Press, Oxford, Kapitel 1.
Wolff, Birgitta und Edward P. Lazear (2001), Einführung in die Personalökonomik, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart, Kapitel I.
Milgrom, Paul und John Roberts (1992), Economics, Organization and Management, Prentice Hall, Upper Saddle River, Kapitel 5.
Bauer, Thomas K., Stefan Bender und Holger Bonin, 2007, Dismissal Protection
and Worker Flows in Small Establishments, Economica (im Erscheinen).
1–37