Die romanischen Sprachen aus soziolinguistischer Perspektive

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Die romanischen Sprachen aus
soziolinguistischer Perspektive
22.11.2010
1
Die Soziolinguistik im
wissenschaftsgeschichtlichen Überblick
 Norbert Dittmar:Grundlagen
der
Soziolinguistik – Ein Arbeitsbuch mit
Aufgaben. Tübingen 1997.
 Brigitte Schlieben-
Lange:Soziolinguistik. Eine
Einführung. Stuttgart/Berlin/Köln
31991.
2
Die Soziolinguistik im
wissenschaftsgeschichtlichen Überblick
Vorwissenschaftliche Phase - Sprachphilosophie
3
Vorwissenschaftliche Phase
 Ludovico Castelvetro (1505-1571)

Correzione d’alcune cose del
Dialogo delle lingue di Benedetto
Varchi (1563/1572)
 Impliziter Hinweis auf die Existenz
einer vulgärlateinischen Sprache.
4
Vorwissenschaftliche Phase
 Drei Entwicklungsstufen nach L. Castelvetro
• Die zunehmende Wichtigkeit der
vulgärlateinischen Varietät in Rom.
• = Sprachkontakt unterschiedlicher sozialer Gruppen
• Die Dominanz des Vulgärlateinischen während
der Gotenherrschaft.
• = interlingualer Sprachkontakt und Sprachkontakt
unterschiedlicher sozialer Gruppen
• = die Elite war gezwungen, sich an den Sprachgebrauch
der bildungsfernen Schichten anzupassen
• Der Übergang vom korrumpierten Latein zum
volgare während der Herrschaft der
Langobarden nach mehreren Generationen.
5
Vorwissenschaftliche Phase
 Gottfried Wilhelm Leibniz

6
Unvorgreifliche Gedanken
betreffend die Ausübung und
Verbesserung der Teutschen
Sprache (entst. 1697, publ. 1717)
Vorwissenschaftliche Phase
 Jean-Jacques Rousseau (1712-
1778)
 Discours sur l‘inégalité (1755)
 Kann es vor der Existenz der Sprache so
etwas wie eine menschliche Gemeinschaft
geben?
7
Vorwissenschaftliche Phase
 Sprache und Gesellschaft als
Gegenstand philosophischer Reflexion
 Karl Marx,
Deutsche Ideologie (1845)
 „Die Sprache ist so alt wie das Bewußtsein, -
die Sprache ist das praktische, auch für
andere Menschen existierende, also auch für
mich selbst existierende, wirkliche
Bewußtsein, und die Sprache entsteht, wie das
Bewußtsein, erst aus dem Befürfnis, der
Notdurft des Verkehrs mit anderen
Menschen“
 (zit. nach Schlieben-Lange 1991, 15)
8
Vorwissenschaftliche Phase
Sprachphilosophie
 Für die Sprachphilosophie stellt
die Gesellschaftlichkeit eine
Grundbestimmung der Sprache
dar.
 Sprache ist bestimmt
 durch ihre Intentionalität
 durch ihre Gesellschaftlichkeit
 Durch ihr Auftreten als
historische Einzelsprache
9
Vorwissenschaftliche Phase
Sprachphilosophie
Anthropologie
Bewusstseinsphilosophie
10
 Gegenseitige Bedingtheit von
 Sprache
 Gesellschaft
 Bewusstsein
Soziolinguistische Problemstellung
Allgemeiner Überblick
11
Soziolinguistische Problemstellungen
Die
gesellschaftliche
Bedingtheit von
Sprachen
 Sprachen kommen nur als
historische Einzelsprachen vor
 Sie sind daher gebunden an eine
bestimmte
 Gesellschaft
 Schicht
 Nation
 Minderheit
 (…)
12
Soziolinguistische Problemstellungen
Die
gesellschaftliche
Bedingtheit von
Sprachen
 Die gesellschaftliche
Determination betrifft
 nicht nur die Existenz als
historische Einzelsprache,
 sondern auch die Inhalte der
betreffenden Sprache.
 Für die betreffende Sprache
ergeben sich dadurch bestimmte
Bezeichnungsnotwendigkeiten.
13
Soziolinguistische Problemstellungen
Die
gesellschaftliche
Bedingtheit von
Sprachen
 Die Themen, Dinge, Realitäten,
welche für die betreffende
Gesellschaft wichtig sin, müssen
entsprechend differenziert
bezeichnet werden:
 z.B. die Unterscheidung zwischen
Blutsverwandtschaft und
angeheirateter Verwandtschaft
 z.B. Ausdifferenziertes System von
Höflichkeitspronomina in in stark
hierarchisch geprägten
Gesellschaften
14
Soziolinguistische Problemstellungen
Die
gesellschaftliche
Bedingtheit von
Sprachen
 Determination sprachlicher
Strukturen durch gesellschaftliche
Gegebenheiten
 Gesellschaftliche Relevanzstrukturen
schaffen
 Bezeichnungsnotwendigkeiten für die
betreffende Sprache
15
Soziolinguistische Problemstellungen
Die
Sprachbedingtheit
der Gesellschaft
 Umgekehrte Perspektive
 Sprache schafft
 Identität
 Nationen
 Minderheiten definieren sich über
die gemeinsame Sprache
 Die gemeinsame Sprache trägt zur
Identität von Gruppen,
Subkulturen etc.bei
16
Soziolinguistische Problemstellungen
Die
Sprachbedingtheit
der Gesellschaft
17
 Auch die Art der Erfassung der
Wirklichkeit durch die Gesellschaft
ist sprachlich geprägt
 Gesellschaften erfassen die
Wirklichkeit in den Kategorien,
welche die Sprache anbietet
Soziolinguistische Problemstellungen
 Wilhelm v. Humboldt
 Hypothese einer sprachlich
vermittelten Weltansicht
18
Soziolinguistische Problemstellungen
Sprache und
Gesellschaft als
Handlungssysteme
19
 Sprache und Gesellschaft sind
keine unveränderlichen Größen
 Einfluss des Menschen (als
Subjekt des Handelns) auf
Sprache und Gesellschaft
Soziolinguistische Problemstellungen
Dynamik der
Handlungssysteme
 Sozialisation
 In Handlungen lernt das Kind die
Sprache sowie ihre korrekte
Anwendung in sozialen Situationen
 Durch das Leben in sozialen
Zusammenhängen lernt es Sprache
und mit Hilfe von Sprache zu
kommunizieren und zu interagieren
20
Soziolinguistische Problemstellungen
Dynamik der
Handlungssysteme
 Geschichte
 Veränderungen gesellschaftlicher
und sprachlicher Normen können
immer nur aus Handlungen der
Träger von Sprache und
Gesellschaft entstehen
21
Soziolinguistische Problemstellungen
Dynamik der
Handlungssysteme
 Verschiedene Veränderungen
 Aussterben oder Fortleben einer
Institution
 Modifizierung oder Neueinführung
einer Institution
 ein Wort
 ein Brauch
 eine Sprache
 ein politisches System
22
Soziolinguistische Problemstellungen
Dynamik der
Handlungssysteme
23
 Weder Gesellschaften noch
Sprachen ändern sich selbsttätig,
sondern immer nur durch
Handlungen der beteiligten
Menschen
1
2
Sprachhandlungen
Sprachsysteme
1
2
1
Nicht-sprachl. Handlungen
1 = schaffen; verändern
2 = verfestigen
24
2
1
2
SL
Andere Systeme
(Ökonomische Struktur,
Norm und Wertestellungen)
Sprechen – Sprache - Text
 Der Zusammenhang zwischen
Sprache und Gesellschaft ist
nicht direkt, sondern basiert über
die Vermittlung des Sprechens
und der Texte.
25
Sprechen – Sprache - Text
 Veränderung sozialer Ordnungen und der
Sprache durch:
 Massenalphabetisierung
 Neue mediale Verhältnisse (Buchdruck, Internet)
26
Sprechen
Sprache
Text
Kultur
Sprachgemeischaft
Textgemeinschft
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Im 20. Jahrhundert
27
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Vereinigte Staaten von Amerika und Kanada
28
Wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung der
Soziolinguistik
 1965-1975
 Etablierung der Soziolinguistik als
linguistische Teildisziplin
 Die Soziolinguistik in den USA
und Kanada
 Auseinandersetzung mit der
Generativen
Transformationsgrammatik (GTG)
Chomskys
29
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Soziolinguistik in den USA
und Kanada
 Kritik an der GTG
 Idealisierung homogener
Sprachgemeinschaften
 Zweideutigkeit des Begriffs der
Performanz
30
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Besondere Bedingungen
 Bilinguismus durch Einwanderung
 Beobachtung von
 Akkulturation
 Sprachwandel
 Sprachmischung
 Besonderes Interesse an Hispanics
und Schwarzen
 In Kanada Anglophonie vs.
Frankophonie
31
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Richtungen der nordamerikanischen
Soziolinguistik
 Bilinguismus-Diglossie-Studien
 Untersuchungen von Stadtsprachen

32
Ethnography of Communication
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Ferguson (19211998)
 Charles A. Ferguson,

Diglossia (1959)
 Zwei Formen derselben Sprache sind in
ihrer Verwendung spezialisiert
High variety
 Low variety

33
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Joshua Fishman (*1926)
 Erweiterung von Fergusons
Diglossie-Begriff
 Nicht nur auf eine Sprache bezogen,
sondern auch auf verschiedene
Sprachen
 Unterscheidung zwischen der sozialen
Funktionszuweisung (Diglossie) und der
individuellen zweisprachigen Kompetenz
(Bilinguismus)
 → Aufweichung des Diglossiebegriffs
 → Kritik an Fishman (u.a. aus
Katalonien)
34
Wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung der
Soziolinguistik
 Bilinguismus und Diglossie
 Joshua Fishman
 Language Loyalty in the United States
(1966)
 Die besondere Situation im
klassischen Einwanderungsland USA
o language shift: Aufgabe der
mitgebrachten Sprache nach
einigen Generationen
o Language mantenance:
Beibehaltung der mitgebrachten
Sprachen
35
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
W. Lambert (1922
– 2009)
36
 In Kanada
 Wallace Lambert
 A Social Psychology of Bilingualism
(1967)
 matched guise technique
o = Feststellung der Korrelation von
Gebrauch einer Sprache und
politischen, sozialen u. kulturellen
Wertvorstellungen (in Kanada)
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Vier Gruppen
von Einwohnern
37
1.
Bewohner
englischer
Herkunft
2.
Portugiesische
Einwanderer
3.
Indianer
4.
Neue Siedler
unterschiedlicher
Herkunft
 Stadtsprachen (Urban
Studies)
Language
 William Labov (*1927)
 The Social Motivation of a Sound
Change (1963)
 Behandlung der Sprachsituation einer
Insel (Martha‘s
Vineyard/Massachusetts)
 Wichtig für die Weiterentwicklung der
Soziolinguistik
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Fünf verschiedene
Sprechsituationen
38
1.
Zwanglose
Sprechweise
2.
Gewählte
Sprechweise
3.
Vorlesestil
4.
Wortlisten
5.
Aussprache von
Minimalpaaren
 Stadtsprachen (Urban
Studies)
Language
 William Labov
 The Social Stratification of English in
New York City (1966)
 Untersuchung von vier Schichten
(1) lower class
(2) working class
(3) lower middle class
(4) upper middle class
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
J. Gumperz
(*1922)
 Ethnography of Communication
 Einbettung sprachlicher
Handlungen in
Interaktionssituationen
 Jan-Petter Blom / John Gumperz:
Social Meaning in Linguistic Structure:
Code Switching in Norway (1972)


39
Koexistenz von lokalen Dialekten und
Standardsprachen
In welchen Situationen wird welche
Sprachform verwendet?
o situational switching
o metaphorical switching
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Großbritannien
40
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Basil Bernstein (1924-2000)
 Unterscheidung von zwei Formen
des Sprachgebrauchs
 Zunächst:

formal – public
 Später:

elaborated code – restricted code
o Arbeiterklasse:
• restringierter Code
o Mittelschicht:
• Elaborierter Code
41
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Frankreich
42
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Frankreich
Eigene
soziolinguistische
Tradition
 Rezeption der britischen und
nordamerikanischen
Soziolinguistik mit Verspätung
 Eigene Entwicklung in Frankreich
 Zunächst eine Art Textlinguistik,
die sich mit politischen Texten
befasst
43
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Frankreich
 Verknüpfung zwischen
Strukturalismus und
soziolinguistischen
Fragestellungen
 1960
 Ruth Reichstein (Schülerin von
André Martinet)
 Untersuchung zur phonologischen
Erscheinungen in Paris
 Bestimmte phonologische Oppositionen
werden nur im 16. Arrondissement
aufrechterhalten
44
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Frankreich
Zentralismus
Dominanz des
Strukturalismus
Linguistik
Ethnologie
Psychoanalyse
Philosophie
Verschmelzung
von Textlinguistik
und
Soziolinguistik
45
 Marcel Cohen
 Marxistischer Ansatz
 Pour une sociologie du langage
 Histoire d‘une lange, le français
 In den 70er Jahren beginnt die
Auseinandersetzung mit den
ethnischen Minderheiten
Frankreichs
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Frankreich
 1974 hatte Jean-Baptiste
Marcellesi zusammen mit Bernard
Gardin eine Introduction à la
sociolinguistique. La sociolinguistique
verfasst – für lange Zeit die einzige
französische Einführung.
46
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Frankreich
 1977 – ein Schlüsselmoment für
die Soziolinguistik in Frankreich
 in der Zeitschrift Langages, Nr.
46 (1977) erscheint JeanBaptiste Marcellesis Artikel
„Langage et classes sociales: le
marrisme“
 Entzündung einer Sprachdebatte
47
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Frankreich

Exkurs

Le marrisme
 Bezugnahme auf den sowjetischen
Linguisten Nikolai Jakowlewitsch Marr
(1864-1934)
 Marr erarbeitete eine Neue Lehre von
der Sprache (Japhetitologie).
 Die Hypothese war, dass alle modernen
Sprachen dazu tendierten, in eine
einzige Sprache - die der
kommunistischen Gesellschaft - zu
münden.
 Die Theorie wurde von Partei (KPdSU)
und Regierung der Sowjetunion
anerkannt (bis 1950).
48
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Nikolai
Jakowlewitsch
Marr
Neue Lehre von
der Sprache
49
 In einem vielbeachteten Artikel in der
Zeitung Prawda erklärte Stalin am 20. Juni
1950 die Japhetitologie Marrs für
unmarxistisch.
 In der Folge wurde in der sowjetischen
Sprachwissenschaft wieder verstärkt
Methoden der junggrammatischen Schule
angewandt.
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Nikolai
Jakowlewitsch
Marr
Neue Lehre von
der Sprache
 Überbauthese
 die Sprache ist als Überbauphänomen auf
der Basis der Produktion und
Produktionsverhältnisse anzusehen.
 Lehre vom Klassencharakter der
Sprache
 die Sprache ist wie jedes
Überbauphänomen klassenbedingt.
50
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Nikolai
Jakowlewitsch
Marr
Neue Lehre von
der Sprache
51
 Stadialtypologie
 die Sprachzustände lösen einander
mit dem Wechsel der
Gesellschaftsformationen ab.
 Die Theorie der Sprachfamilien
müsse durch eine Theorie der
Sprachstadien abgelöst werden.
 Jede Gesellschaftsstruktur bringt ein
ihr entsprechendes Sprachstadium
hervor.
 Auch der Kommunismus werde einen
ihm entsprechenden völlig neuen
Sprachzustand hervorbringen.
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Nikolai
Jakowlewitsch
Marr
 Theorie vom einheitlichen glottogonischen
Neue Lehre von
der Sprache
 Sprachkreuzungstheorie
Prozess
 Die Entwicklungswege aller Sprachen sind gleich.
 Die Kreuzung von Sprachen ist
hauptverantwortlich für die Divergenz nah
verwandter Dialekte.
 Sprachen können sich nicht wie im
Stammbaummodell voneinander abspalten,
sondern nur miteinander kreuzen und dabei neue
Sprachen hervorbringen.
 Dabei kann eine Sprache in einer sozialen
Explosion sich bis zur Unkenntlichkeit
verwandeln.
52
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Exkurs
 Walentin Nikolajewitsch
Woloschinow (1895-1936)
 Marxismus und Sprachphilosophie
[russ. Orig. Марксизм и философия
языка], Leningrad 11929, 21930
(engl./amerikanisch: 1973, deutsch:
11975 Frankfurt/M, Berlin, Wien)
 Woloschinow setzte sich kritisch mit dem
zeichentheoretischen
Kommunikationsmodell von Ferdinand de
Saussure auseinander, an dem er eine
ahistorische Perspektive bemängelte.
53
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Italien
54
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Italien
 Italien stellt aufgrund seines
Reichtums an Dialekten sowie
wegen seiner Vielzahl von
ethnischen Minderheitensprachen
ein ideales sozio- und
varietätenlinguistisches
Studienobjekt dar.
55
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Italien
 Die wissenschaftliche Rezeption
der neuen linguistischen
Teildisziplin setzte in den späten
60er Jahren ein.
 Im September 1969 fanden in
Rom Giornate internazionali di
sociolinguistica statt, deren
Ergebnisse ein Jahr darauf
publiziert wurden.
56
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Italien
 Die ersten italienischen
Monographien mit soziolinguistischer
Thematik erschienen gegen Mitte
der 70er Jahre.
 1974 erschienen sowohl Gaetano
Berrutos La sociolinguistica als auch
Gianna Marcatos La sociolinguistica
in Italia.
57
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Italien
 Es folgten italienische Fassungen
der Werke von Trumper (1979),
Marcellesi/Gardin (1979), Hudson
(1980) und Dell (1980).
58
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Italien
 Seit Mitte der 70er Jahre sind
zahlreiche Studien zur sprachlichen
Variation in Italien erschienen.
 Zu nennen wäre in diesem
Zusammenhang die Untersuchung
von Bazzanella (1980) und Tempesta
(1980) zur soziolinguistischen
Situation im schulischen Bereich.
59
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Italien
 Weitere Arbeiten entstanden zum
italiano regionale bestimmter
Regionen,
 z.B. zur regionalen Varietät des
Italienischen im Salento (Sobreo /
Romanello 1981) und auf Sizilien (Tropea
1976; Leone 1982),
 zum mailändischen Stadtdialekt (Galli de‘
Pratesi 1984),
 zur sprachlichen Situation in Sardinien
(Sole 1988) oder im Tessin (Petralli
1990).
60
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Spanien
61
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Spanien
 1965-1975
 Schlussphase der Franco-Diktatur
 Unterdrückung der ethnischen
Minderheitensprachen Baskisch,
Galicisch, Katalanisch
 Zunehmender Widerstand gegen die
Unterdrückung in Katalonien sowie im
Baskenland
62
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Spanien
 Antoni M. Badia i Margarit (*1920)

La llengua dels Barcelonins (1969)
 Planung des Projekts 1965
 Ausgangslage


63
Die Situation des Katalanischen
wurde als kritisch empfunden
Die soziolinguistische Untersuchung
sollte Klarheit bringen
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Ziele der Untersuchung
 Die Einstellung der Katalanen zum
Katalanischen
 Beherrschung der Sprache
 Bindung an die Sprache
 Der Einfluss der Einwanderer aus
dem Süden Spaniens auf das
Katalanische
 Sensibilisierung der
Öffentlichkeit für das Spanische
 Einflussnahme auf die gesellschaftliche
Realität
64
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Fünfteilige Planung
(1) Umfrage
(2) Ergebnisse und Auswertung
o
Beziehungen von Sprache
undgeographischer Herkunft der
Sprecher sowie deren soziale Herkunft
(3) Assimilation und Übernahme des
Katalanischen durch die
Einwanderer und deren Kinder
(4) Koexistenz von Katalanisch und
Kastilisch in individueller und
kultureller Hinsicht
(5) Zusammenfassende Interpretation
65
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Datenerhebung
 Aus den Wahlerhebungslisten von
1960 der zwölf Stadtbezirke
Barcelonas wurde eine
Informantengruppe von 21.772
Bürgern ausgewählt (Zufallsauswahl,
ca. jeder 20. Haushalt )
 Austeilung eines Fragebogens mit 35
(mehrteiligen) Fragen in katalanischer
und kastilischer Fassung (es konnte
auf Katalanisch oder Kastilisch
geantwortet werden)
66
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Datenerhebung
 Wahrung der Anonymität
 Angabe folgender Daten
 Geburtsort
 Schulbildung
 Beruf
 Zeit und Ort der Erlernung des
Katalanischen bzw. des Kastilischen
 Grad der Beherrschung der Sprachen
 Sprache von Eltern und Ehegatten
 Situationen, in denen die Sprachen
verwendet werden
 Beurteilung der katalanischen Kultur
67
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Datenerhebung
 Zusätzlich wurden 222
Hausbesuche durchgeführt
 Ziel


68
Kontrolle der Daten
Aufschluss über Reaktionen der
Informanten (Interesse,
Widerstand, Ablehnung,
Gleichgültigkeit, Misstrauen)
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Datenerhebung
 Ergebnisse der Hausbesuche
 Zurückhaltung auf die Fragebögen
in den ärmeren Stadtvierteln
 Offenheit hingegen im Gespräch
 In den wohlhabenden Vierteln war
die Situation genau umgekehrt
69
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Datenerhebung
 Rücklauf von 3485 Fragebögen (=
16%)
 Die Betreiligung schwankte je nach
Stadtbezierk
 61,7% wurde auf Katalanisch
beantwortet
 38,3% auf Kastilisch
 Unterschiede zwischen
Fragebogen und Hausbesuchen
70
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Ergebnisse
 78,9%: Katalanisch als
Umgangssprache
 19,8%: Kastilisch als
Umgangssprache
 Fragebogenaktion: nur 61,7%
Katalanisch!
 Viele Katalanen hatten seinerzeit
Schwierigkeiten mit der kat.
Schriftsprache (es gab unter Franco
keinen katalanischen Schulunterricht)
71
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Ergebnisse
 Bei der Generation über 40 war
das Katalanische häufiger
Umgangssprache als bei den
Jüngeren
72
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Ergebnisse
 Drei Gruppen von Gebieten
 Traditionelle Bezirke III-VIII
 Hohe Beteiligung
 Wenig Zuwanderung
 Bildungsbürgertum
 Bezirke II und IX-XI
 Geringe Beteiligung an der
Fragebogenaktion
 Viele Zuwanderer (teilweise
angepasst)
 Bezirk XI: Kastilisch sprechende
Katalanen der Oberschicht
73
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Ergebnisse
 Bezirke I, V, XII
 Weniger als 50% sprechen Katalanisch
 Neubaugebiete ohne Tradition (I, V)
 oder sanierungsbedürftige
Altstadtviertel (XII)
74
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Ergebnisse
 Von den Informanten sind 78,8%
in Katalonien geboren
 Von den nicht in Katalonien
Geborenen sind 37,4% aus dem
Süden (23,2% Andalusier)
75
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Ergebnisse
 Der Sprachgebrauch in der Familie
 Informanten mit katalanischen Eltern
(60,8%) sprechen zu 95,5% das
Katalanische als Umgangssprache
 13% der Informanten mit gemischten
Elternpaaren sprechen zu 84,4%
(80,4%) Katalanisch
 Sogar 38,2% der Informanten mit
nichtkatalanischen Eltern sprechen das
Katalanische als Umgangssprache
 64,4% sprechen mit ihren Kindern
Katalanisch
76
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die Ergebnisse
 Der Sprachgebrauch in der Familie
 Lediglich 50,2% der Kinder sprechen
untereinander Katalanisch
77
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Würdigung
 Eine Pionierleistung im Bereich der
Romanistik
 Vergleichbar mit den Arbeiten von
Labov in den USA
 Badias Untersuchung ist allerdings
eher soziologisch als linguistisch
orientiert, denn man erfährt wenig
über das Katalanische oder
Kastilische
 Eine gewisse Einseitigkeit
78
Themen und Probleme der
Soziolinguistik im Überblick
 Probleme des konkreten Zusammenwirkens von
Sprache und Gesellschaft in historischen
Situation
 Die Varietäten der historischen Einzelsprache
 Sprache als Identitäts- und Prestigesymbol
 Die Kodifizierung von Sprachen
 Sprachliche Norm als soziale Kontrolle
 Attitüden (Einstellungen der Sprecher)
79
Themen und Probleme der
Soziolinguistik im Überblick
 Probleme der Datengewinnung
 Das Beobachter-Paradoxon
80