Die romanischen Sprachen aus soziolinguistischer Perspektive

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Transcript Die romanischen Sprachen aus soziolinguistischer Perspektive

Die romanischen Sprachen aus
soziolinguistischer Perspektive III
29.10.2010
1
Kurze Wiederholung
Wichtiger Punkte
2
Vorwissenschaftliche Phase
 Sprache und Gesellschaft
 Gegenstand der PHILOSOPHIE
3
Vorwissenschaftliche Phase
 Die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis
von Sprache und Gesellschaft in der
Sowjetunion
 Kritik an der historischen Sprachwissenschaft
der Junggrammatiker
 Kritik an der Geschichtslosigkeit der
Strukturalisten
4
Sozialistische Sprachwissenschaft
 Nikolai Jakowlewitsch Marr
(1864-1934)
 Marr erarbeitete eine
Neue Lehre von
der Sprache (Japhetitologie).
 Die Hypothese war, dass alle modernen
Sprachen dazu tendierten, in eine
einzige Sprache - die der
kommunistischen Gesellschaft - zu
münden.
 Die Theorie wurde von Partei (KPdSU)
und Regierung der Sowjetunion
anerkannt (bis 1950).
5
Sozialistische Sprachwissenschaft
 Walentin Nikolajewitsch
Woloschinow (1895-1936)
 Marxismus und Sprachphilosophie
[russ. Orig. Марксизм и философия
языка], Leningrad 11929, 21930
(engl./amerikanisch: 1973, deutsch:
11975 Frankfurt/M, Berlin, Wien)
 Woloschinow setzte sich kritisch mit dem
zeichentheoretischen
Kommunikationsmodell von Ferdinand de
Saussure auseinander, an dem er eine
ahistorische Perspektive bemängelte.
6
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Amerika
Großbritannien
Frankreich
Italien
7
Wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung der
Soziolinguistik
 1965-1975
 Etablierung der Soziolinguistik als
linguistische Teildisziplin
 Auseinandersetzung mit der Generativen
Transformationsgrammatik (GTG)
Chomskys
 Kritik an der GTG
 Idealisierung homogener
Sprachgemeinschaften
8
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Stadtsprachen (Urban
Language Studies)
 William Labov (*1927)
 The Social Motivation of a Sound Change (1963)
 Wichtig für die Weiterentwicklung der Soziolinguistik
9
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Stadtsprachen (Urban
Studies)
Language
 William Labov
 The Social Stratification of English in
New York City (1966)
10
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Basil Bernstein (1924-2000)
 Unterscheidung von zwei Formen
des Sprachgebrauchs

elaborated code – restricted code
 Arbeiterklasse:
restringierter Code
 Mittelschicht:
 Elaborierter Code

11
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Frankreich
Zentralismus
Dominanz des
Strukturalismus
Linguistik
Ethnologie
Psychoanalyse
Philosophie
Verschmelzung
von Textlinguistik
und
Soziolinguistik
12
 Marcel Cohen
 Marxistischer Ansatz
 Pour une sociologie du langage
 Histoire d‘une lange, le français
 In den 70er Jahren beginnt die
Auseinandersetzung mit den
ethnischen Minderheiten
Frankreichs
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
Frankreich
 1974 hatte Jean-Baptiste
Marcellesi zusammen mit Bernard
Gardin eine Introduction à la
sociolinguistique. La sociolinguistique
verfasst – für lange Zeit die einzige
französische Einführung.
13
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Italien stellt aufgrund seines Reichtums an
Dialekten sowie wegen seiner Vielzahl von
ethnischen Minderheitensprachen ein ideales
sozio- und varietätenlinguistisches
Studienobjekt dar.
14
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Die ersten italienischen Monographien mit soziolinguistischer
Thematik erschienen gegen Mitte der 70er Jahre.
 1974 erschienen sowohl Gaetano Berrutos La sociolinguistica
als auch Gianna Marcatos La sociolinguistica in Italia.
15
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 In Spanien
 1965-1975
 Schlussphase der Franco-Diktatur
 Unterdrückung der ethnischen Minderheitensprachen
Baskisch, Galicisch, Katalanisch
 Zunehmender Widerstand gegen die Unterdrückung in
Katalonien sowie im Baskenland
16
Wissenschaftsgeschichtliche
Entwicklung der Soziolinguistik
 Antoni M. Badia i Margarit (*1920)

La llengua dels Barcelonins (1969)
 Planung des Projekts 1965
 Ausgangslage


17
Die Situation des Katalanischen wurde als kritisch
empfunden
Die soziolinguistische Untersuchung sollte Klarheit
bringen
Einige Grundbegriffe der
Soziolinguistik
Unter Berücksichtigung der regionalen
Besonderheiten in den romanischen Ländern
18
Diglossie
Mikrodiglossie
Makrodiglossie
Dilalie
Dinomie
19
Diglossie
 Definition
 Die Diglossie (gr. διγλωσσία,
diglossía, „Zweisprachigkeit“)
ist eine besondere Form der sozial markierten
Zweisprachigkeit.
 Sie beschreibt die „Zweisprachigkeit“ einer ganzen
Gesellschaft, bei der es eine klare funktionale
Differenzierung zwischen zwei eng verwandten
Sprachvarietäten gibt.
20
Diglossie
 Anwendung
 Insbesondere wird mit dem Terminus die Koexistenz von
Dialekt und Standardsprache oder von gesprochener
Volkssprache zu geschriebener Hochsprache bezeichnet.
21
Diglossie
 Anwendung
 Jeder Sprecher einer Gemeinschaft verfügt über die
gleichen zwei (oder auch mehr) Varietäten, verwendet aber
die eine oder die andere nur in einer ganz bestimmten
Situation.
22
Diglossie
 Begriffsgeschichte
 Der Terminus (franz.
diglossie) wurde 1885
ursprünglich von Ioannis Psycharis (18541929) für die damalige Sprachsituation in
Griechenland geprägt.
23
Diglossie
Katharevousa
vs.
Dimotiki
24
 Der Hintergrund
 In Griechenland wurden bis in die 70er-
Jahre des 20. Jhs. zwei Varietäten des
Griechischen, die (gelehrtere und meist
geschriebene) Katharevousa und die
(muttersprachlich gesprochene) Dimotiki
nebeneinander gebraucht.
Diglossie
 William Marçais
 bezog den Terminus auf die
arabischsprachigen Länder, in denen die
jeweiligen nationalen Varietäten des
Arabischen neben dem Hocharabischen
stehen.
25
Diglossie (nach Ch. Ferguson)
 Begriffsgeschichte
 Charles Ferguson
 stellte in seinem Aufsatz „Diglossia“ von 1959 neben den
griechischen und arabischen Sprachraum auch den
deutschschweizerischen und haitianischen.
26
Diglossie (nach Ch. Ferguson)
 Ferguson
 DIGLOSSIA
 LOW VARIETY (L)
 HIGH VARIETY (H)
27
Diglossie (nach Ch. Ferguson)
High variety
Low variety
 Geschrieben
 Gesprochen
 Formale Redesituationen
 Informelle Redesituationen
 Erlernung in den
 Erlernung als





28
Bildungsinstitutionen
Hohes Prestige
Nachrichten
Literatur
Politische Reden
(…)
Muttersprache ohne
institutionelle Kontrolle
 Unterhaltung in der Familie
oder mit Freunden
 (…)
Diglossie (nach Ch. Ferguson)
 Unterschiede zw. H-Variety und L-Variety
 Grammatik
 Phonetik
 Lexikon
29
Diglossie (nach Ch. Ferguson)
Low Variety
High Variety
 GRAMMATIK
 GRAMMATIK
 Weniger grammatische
Kategorien
 Reduziertes Flexionssystem
30
 Höhere grammatische
Komplexität
Diglossie (nach Ch. Ferguson)
 Die Diglossie-Situation unterscheidet sich in zwei
wesentlichen Aspekten von der Relation zwischen Standard
und regionalen Dialekten:
 In der Diglossie-Situation wird die
High Variety von niemandem in
der gewöhnlichen Alltagskommunikation verwendet.
 In der Standard–Dialekt–Situation ist der Standard oft identisch
mit der Varietät einer regionalen oder sozialen Gruppe.
31
Diglossie (nach Ch. Ferguson)
 Zusammenfassung
 DIGLOSSIE nach Ferguson
 SITUATION zweier stabiler VARIETÄTEN einer
Einzelsprache im Kontext
 High Variety: überlagernde, öffentliche Sprache mit
starker Kodifizierung
 Low Variety: unkodifizierte Sprache im Familien- und
Freundeskreis
32
Ein Beispiel aus der röm. Antike
 Diffusus hac contentione Trimalchio:
„Amici, inquit, et servi homines sunt et
aeque unum lactem biberunt, etiam si illos
malus fatus oppresserit. Tamen me salvo
cito aquam liberam gustabunt…”.
33
Ein Beispiel aus der röm. Antike
 Sequens ferculum fuit sciribilita frigida et
supra mel caldum infusum excellente
Hispanum.
 Emi ego nunc puero aliquot libra rubicata,
quia volo illum ad domusionem aliqud de jure“
34
Diglossie (nach J. Fishman)
 Joshua Fishman
 erweiterte das Konzept 1967 (extended
diglossia):
 seines Erachtens sollten auch diglossische Situationen, in
denen die Sprachen nicht miteinander verwandt sind.
 In dieser Frage herrscht unter Soziolinguisten bis heute
Uneinigkeit.
35
Diglossie (nach J. Fishman)
 Diglossie und Bilingualismus
 Diglossie als Koexistenz zweier Sprachen, deren Werte
zueinander komplementär sind.
36
Diglossie (nach J. Fishman)
37
Diglossie und Bilingualismus
- USA
- Indien
- Paraguay
- Schweiz
Bilingualismus ohne Diglossie
- Durch Migration
- Gastarbeiter
Diglossie ohne Bilingualismus
- Französisch als höfische Sprache
im 18. Jh. in Deutschland
- Die Situation in kolonialen und
postkolonialen Gesellschaften (z.B.
in Afrika)
Weder Diglossie noch Bilingualismus
- isolierte Gesellschaften, heute
eher selten
Exkurs: Anwendungen auf die
Romania
Diglossie nach Ferguson vs. Diglossie nach Fishman
38
Diglossie
Beispiele
Diglossie nach Ferguson (1959)
 Romania










 Haiti: Kreol. – Frz.
 Cabo Verde: Kreol. –Pg.
 Frankreich: Elsäss. – Frz.
 Italien: Sardisch – Ital.
 Spanien: Katal. – Span.
 USA: Span. – Engl.
 Belgien: Wallon. – Frz.
 Peru: Quechua – Span.
 Kanada: Frz. – Engl.
39
Ja









Nein









Bibliographischer Hinweis
 J. A. Fishman:
 “Bilingualism
with and without Diglossia; Diglossia
with and without Bilingualism.” In: Journal of
Social Issues. 1967.
40
Dinomie
Jenseits der Sprache…
41
Dinomie
Dinomia = gr.
‚zwei Systeme
von Gesetzen‘
42
 Saville-Troike (1982)
 Berücksichtigung sozialer und kultureller
Systeme,
 welche den Sprachgebrauch steuern
 Typisch für hochindustrialisierte
Gesellschaften mit Minderheiten auf
Grund von Migrationsbewegungen
Dinomie
 Eine Gesellschaft ist DINOMISCH, wenn in
ihr eine distinktive Menge kultureller
Normen im Heim- und Familienmilieu gelten,
 z.B. türkische Gemeinschaft in dt.
Großstädten
 Algerische Einwanderer in Frankreich
 Eliten in Asien und Afrika, die westliche
Bildungssysteme ohne Anpassung an die
indigene Kultur übernommen haben.
43
Dinomie
 Das Umschalten von einem System
kultureller Werte zu einem anderen in
kommunikativ angemessener Weise verlangt
mehr als nur sprachliche Veränderungen,
wenn die Sprecher nicht nur
ZWEISPRACHIG, sondern auch als
KOMPETENT in zwei Kulturen betrachtet
werden sollen.
 Sprechen ist mit kulturellem Wissen
verbunden.
44
Dinomie
 Soziale Verteilung von DIGLOSSIE und DINOMIE
 Individuelle Verteilung von ZWEISPRACHIGKEIT und
BIKULTURALITÄT
45
Dinomie - Diethnie
 Fishman bevorzugt gegenüber DINOMIE den
Terminus DIETHNIE.
46
Bibliographische Hinweise
 Fishman, Joshua:
 „Bilingualism and Biculturalism as Individual and
as Social Phenomena“. In: Journal of Multilingual
and Multicultural Developement (1980).
 Saville-Troike, Muriel:

47
The Ethnography of Communication (1982).
Mikro- und Makrodiglossie
 Mikrodiglossie:
 Patois - Französisch
 Makrodiglossie:
 Standard – dialektale Koiné
48
Mikro- und Makrodiglossie
 Trumper (1989)
 MAKRODIGLOSSIE = wahrhaftige Diglossie
 MIKRODIGLOSSIE = Pseudodiglossie
49
Das sprachliche Repertoire einer
Sprachgemeinschaft
 Der italienische Soziolinguist A. Mioni (1987)
unterscheidet insgesamt sieben Typen des
Repertoires einer Sprachgemeinschaft.
50
Das sprachliche Repertoire einer
Sprachgemeinschaft
Standardvarietät A und Regionalsprache oder Dialekt B.
(2) Standardvarietät A und Minderheitensprache sowie der
Dialekt der umgebenden Zone bilden Varietät B (z.B. europ.
Länder mit dachlosen Dialekten/Fremdsprachen)
(3) Nationale Standardvarietät A und Standard der
Minderheitensprache A sowie der Dialekt der
Minderheitensprache als Varietät B (z.B. Spanisch,
Standardkatalanisch, kat. Dialekte)
(1)
51
Das sprachliche Repertoire einer
Sprachgemeinschaft
Nationale Standardvarietät A und Substandard B (in
monolingualen Gesellschaften).
(5) Exolingua (von einer Elite aufgezwungene Kolonialsprache)
A und die Verkehrssprache überregionaler Verbreitung B
sowie die lokale Umgangssprache B (z.B. in Afrika)
(6) Exolingua A sowie Nationalsprache A und die lokalen
Umgangssprachen B (afrikanische Gesellschaften mit einer
offiziellen Standardsprache; z.B. in Tunesien, Marokko,
Algerien etc.)
(4)
52
Das sprachliche Repertoire einer
Sprachgemeinschaft
(7)
53
Exolingua A und lokale Umgangssprachen B (afrikanische
Gesellschaften ohne nationale Standardsprache und
überregionale Verkehrssprachen)
Diglossie/Polyglossie
G. Lüdi (1990)
DIGLOSSIE/POLYGLOSSIE = ein Kontinuum
von 6 polaren Achsen
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Diglossie/Polyglossie
(1)
Linguistische Distanz
(Familienähnlichkeiten zwischen Sprachen und Varietäten mit
vielen Unterdifferenzierungen)
(2)
Verbreitung in der Sprachgemeinschaft
(lokal bis überregional und national; keine, mittlere bis verbreitete
Zweisprachigkeit; Minderheitensprachen im Verhältnis zu
Mehrheitssprachen; diglossische Existenzformen vom Individuum über
die Familie zur Kleingruppe bis zu größeren Gemeinschaften)
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Diglossie/Polyglossie
Funktionale Komplementarität
(geringfügige, mittlere bis überwiegende Überlappung
sprachlicher/kommunikativer Funktionen, minimale über
mittlere bis zu weitgehender Stabilität)
(4) Standardisierung
(Entwicklung einer Schrift, Reichweite von einem
Minimum bis zu einer maximalen Ausgestaltung
(literarische Werke); Ausbau von einem geringen bis zu
einem hohen Grade)
(3)
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Diglossie/Polyglossie
Spracherwerbstypen
(minimale bis maximale Beherrschung nach
institutionellem, gesteuertem oder natürlichem,
spontanem Spracherwerb)
(6) Prestigegefälle zwischen den Varietäten
(von einem Minimum bis zu einem Maximum)
(5)
57
Dilalie
58
Dilalie
 Reaktion auf die zunehmende Aufweichung
des Fergunsonschen DIGLOSSIE-Begriffs
 Der ital. Soziolinguist G. Berruto führt 1995
den Begriff der DILALIE (< gr. DI ‚zwei‘ +
LALEO ‚sprechen‘, ‚reden‘) als Provisorium ein.
 Es handelt sich um einen der DIGLOSSIE
entgegengesetzten Beegriff.
 Einer der Begriffe zur Beschreibung des
sprachlichen Repertoires neben der
SOZIALEN ZWEISPRACHIGKEIT,
DIGLOSSIE und BIDIALEKTALITÄT.
59
Dilalie
 DILALIE unterscheidet sich grundlegend von der
DIGLOSSIE, weil der Code A zumindest zu einem guten Teil
auch in Alltagskonversationen genutzt wird.
60
Bibliographische Hinweise
 Berruto, Gaetano:
Fondamenti di Sociolinguistica (1995).
 Trumper, John:

 „Observations on sociolinguistic behaviour in two
Italian regions“. In: International Journal of the
sociology of language (76/1989).
61
Sprach- und Varietätentypologie in
mehrsprachigen Gesellschaften
 Nationalsprache
 Offizielle Sprache
 Territorialsprache
 Regionalsprache
 Verkehrssprache
 Minderheitensprache
62