[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache [I

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[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache [I]: totalitäre Ausdrucksmittel
in Politik und Medien aus der Sicht der Kritischen
Diskursanalyse
Vorlesung, 2 SWS
Modul: MSW_2/1 Kommunikationslinguistik der russischen/polnischen
Sprache [Kommunikationslinguistik I]
Prof. Dr. Peter Kosta
Mi 09.15-10.45
1.09.213 19.04.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache
 Die Vorlesung beschäftigt sich mit dem
Verhältnis von institutioneller Macht und den
sprachlichen Mitteln, durch welche Macht in
der Kommunikation ausgeübt werden kann.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache
 Ausgehend von der Textsorte „Schauprozess“ wie er
in der Zeit des stalinistischen Totalitarismus
gegen den sog. antisowjetischen „Block der Rechten
und Trotzkisten“ im Jahre 1938 (vgl.
Freidhof 1996:95) manifestiert und durchexerziert
worden ist und unter Einbeziehung weiterer
Korpora des totalitären Diskurses (etwa SlánskýProzesse in den 50er Jahren in der
Tschechoslowakei), werden wir uns mit Fragen der
forensischen Linguistik auseinandersetzen.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache
 Neben der direkten Machtausübung durch Sprache
(in der Sprache der Politik, der Medien, der Werbung)
werden wir uns mit einschlägigen Bereichen der
alltäglichen (Alltagsdiskurs, Partygespräche) und
institutionellen Kommunikation (Arzt-PatientGespräche, Behörden- und Amtssprache, Polizeiverhöre, Auskunftsgespräche) beschäftigen, in der Beeinflussung durch Sprache auf äußerst subtile und indirekte Weise, quasi unbemerkt von den Kommunikationsteilnehmern, vor sich geht.
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 Wir stützen uns u. a. auf Theorien und
Methoden, die in der Frankfurter und
Potsdamer Schule der Diskursanalyse und
Sprechhandlungsmusteranalyse entwickelt
worden sind (vgl. Freidhof 1995, 1996; Kosta
1995, 1996, 1998; Kuße 1998, 2004; Mann
2000), beziehen dabei aber vor allem auch
die Arbeiten der sog. Kritischen
Diskursanalyse ein (Wodak ed. 1989,
Wodak/Meyer eds. 2003, Wodak/Chilton eds.
2005).
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 Die Lehrveranstaltung richtet sich an alle
Studiengänge. Gäste aus den
Nachbardisziplinen, die die geplanten
Masterstudiengänge Fremdsprachen- und
Kommunikationslinguistik besuchen, sind
willkommen.
 Leistungsnachweis: regelmäßige Teilnahme,
Kurzreferat oder Klausur
 Leistungsbewertung: 2 LP + 2 LP
prüfungsrelevante Leistungen
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Sprache

Gliederung und Ablauf der Lehrveranstaltung
Womit beschäftigt sich die forensische Linguistik?
Theoretische Grundlagen
2. Grundlage der Kritischen Diskursanalyse
3. Grundlagen der Sprechhandlungsmusteranalyse
(SHMA)
4. Synthese: Forensische Linguistik, Kritische
Diskursanalyse und SHMA
1.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
5. Textsorte Schauprozess/Polizeiverhör
6. Zur Sprache der Politik
7. Analyse der Sprache der Medien und der
Werbung
8. Analyse von Arzt-Patient-Gespräch
9. Amtssprache, Behördensprache
10. Beeinflussung in der Alltagssprache
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Sprache
1. Womit beschäftigt sich die forensische
Linguistik? Theoretische Grundlagen
Definitionen:
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Sprache
 Forensik
 aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Begriff der Forensik stammt vom lat. forum = der
Marktplatz, das Forum, da vormals
Gerichtsverfahren, Untersuchungen,
Urteilsverkündungen sowie der Strafvollzug öffentlich
und meist auf dem Marktplatz durchgeführt wurden.
Daher bezeichnet das Attribut forensisch alles, was
gerichtlichen oder kriminologischen Charakter hat.
Der Begriff beschränkt sich damit nicht nur auf die
Bereiche des Strafrechtes (z.B. die Rechtsmedizin
und die forensische Psychiatrie), sondern umfasst
jede berufliche Tätigkeit innerhalb eines jeden
Gerichtsverfahrens.
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Sprache
 Die forensische Linguistik (eher forensische
Phonetik) untersucht Sprache auf einen
kriminologischen Aspekt hin, z.B. bei der
Feststellung des Urhebers eines Erpresserbriefes.
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 Schauprozess
 Als Schauprozesse werden im Allgemeinen
öffentliche Gerichtsverfahren bezeichnet, bei
den die Verurteilung des Beklagten bereits im
Vorhinein feststeht. Das verbleibende Ziel ist,
die Gründe der Bestrafung in die
Öffentlichkeit zu bringen. Typisch werden
Schauprozesse als Mittel zur Verfolgung
politischer Gegner oder anderer
unerwünschter Personen eingesetzt.
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Sprache
 Schauprozesse werden besonders häufig in
diktatorischen Systemen verwendet, um
missliebige Personen auszuschalten. Sie
finden dann oft unter Missachtung aller
rechtsstaatlicher Prinzipien statt und dienen
zur Eliminierung, Entwürdigung und
Zurschaustellung der Beklagten in der
Öffentlichkeit. Daher werden sie oft als große
Medienspektakel inszeniert und dienen der
Abschreckung und Disziplinierung
Andersdenkender.
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 Im Wesen dieser Prozesse liegt die
Aufbauschung vermeintlicher oder
unwesentlicher Vergehen zu staats- oder
gesellschaftszersetzenden Verbrechen. So
wird z. B. Kritik an der gegenwärtigen
Regierung zu Hochverrat, Spionage oder
ähnlichem hochstilisiert. Die andere Variante
ist die Erfindung von irgendwelchen Delikten,
die die Angeklagten begangen haben sollen.
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 Die Angeklagten haben praktisch keine
Möglichkeit der Verteidigung und die
Geständnisse werden meist im
Prozessvorfeld erpresst oder unter Folter
gemacht. Die Urteile stehen in den meisten
Fällen schon vorher fest. Die Anklage wird in
polemischer Form vorgetragen und das Urteil
ist unverhältnismäßig hart.
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 Die bekanntesten historischen Schauprozesse sind:
 Die Verfahren gegen die politischen Gegner Stalins
während der Stalinschen Säuberungen in der
Sowjetunion in den dreißiger Jahren des 20.
Jahrhunderts, wobei fast alle vorherigen
Kampfgenossen, insbesondere die Verbündeten
Lenins, große Teile der Parteiprominenz sowie
Millionen Menschen entweder hingerichtet oder in
den Straflagern des Gulag zugrundegerichtet
wurden.
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 Nach dem Vorbild der Moskauer Schauprozesse ließ
Stalin später ähnliche Prozesse in den
Satellitenstaaten inszenieren. Diese Prozesse
dienten als Kampf- und Propagandainstrument in der
Auseinandersetzung mit Tito. Die Angeklagten
wurden meist des Hochverrats und der Spionage im
Dienste Jugoslawiens beschuldigt. Auch diese
Prozesse endeten teilweise mit Todesurteilen oder
langjährigen Zuchthausstrafen. Diese Prozesse
fanden gerade in der Hochzeit des Kalten Krieges
Ende der 1940er und in den 1950er Jahren: Ungarn
(József Mindszenty, Laszlo Rajk), CSSR (Rudolf
Slansky), Bulgarien (Kostoff). Ähnlich drakonische
Strafen wurden in Geheimprozessen wie den
Waldheimer Prozessen in der DDR verhängt.
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 Die Verfahren gegen die Hitler-Attentäter und
Verschwörer des 20. Juli 1944. Es fand beim
Volksgerichtshof unter dessen Präsidenten
Roland Freisler statt. Die Prozesse wurden
für Hitler und die Wochenschau heimlich
gefilmt, kamen jedoch nicht in die Kinos, weil
der unter wütendem Geschrei Freislers
geführte Prozess der NS-Propaganda als
nicht öffentlichkeitswirksam empfunden
wurde.
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 Auch Kriegsverbrecherprozesse werden regelmäßig
als Siegerjustiz kritisiert. Im Gefolge der
demonstrativen juristischen Aufarbeitung wird
besonders von Anhängern des besiegten Regimes
jede Unregelmäßigkeit im Verfahren als Indiz einer
Farce im Sinne eines Schauprozesses gewürdigt.
Dies trifft selbst geschichtlich respektierte Vorgänge
wie den Nürnberger Prozess gegen die
Hauptkriegsverbrecher.
 Die Stalinschen Schauprozesse wurden literarisch
von Arthur Koestler in seinem Roman
"Sonnenfinsternis" verarbeitet.
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Sprache
 Stalinsche Säuberungen
 aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
 Stalinsche Säuberungen (Чистки,Tschistki) ist ein
Euphemismus für politische Verfolgungen unter Josef
W. Stalin in der Sowjetunion. Diese Säuberungen
hatten ihren Höhepunkt in der sogenannten Großen
Säuberung von 1936 bis 1938. Damit ist der
systematische Terror gegen angeblich gegen Stalin
konspirierende Unschuldige gemeint, der oft als
gerichtliche Verfolgung getarnt und durch unter Folter
erpresste Geständnisse begründet (Schauprozess),
Hunderttausenden den Tod brachte.
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 Inhaltsverzeichnis
 [Verbergen]
 1 Hintergrund
 2 Opfer
 3 Straflager
 4 Einige der prominenten Opfer
 5 Anzahl der Opfer
 6 Stalins Propaganda
 7 Literatur
 8 Verwandte Themen
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 Hintergrund
 Hintergrund waren verschiedene, einander
ablösende Verschwörungstheorien, unter anderem
gegen Trotzkisten, Titoisten und die der
Ärzteverschwörung bezichtigten jüdischen Mediziner.
Ebenso wie ein großer Teil der Gründer der III.
Internationale wurden nahezu alle bedeutenden
Theoretiker der KPdSU(B) während der
Revolutionsjahre Opfer dieser Säuberungen.
Chefankläger von 1936 bis 1938 war der
Generalstaatsanwalt der Sowjetunion Andrej
Januarjewitsch Wyschinski.
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Sprache
 Außerdem wurde ein Großteil der militärischen Führungsspitze
um Marschall Michail Nikolajewitsch Tuchatschewski - unter
Mithilfe der Gestapo - einer Verschwörung bezichtigt und
ausgelöscht. Auch viele Kommunisten anderer Herkunft, die in
die Sowjetunion emigriert waren, fielen den Verfolgungen zum
Opfer. Im Jahre 1940 wurde der Hauptverantwortliche für die
Durchführung der Säuberungen Nikolai Iwanowitsch Jeschow
(1895-1940) (nach ihm auch Jeschowtschina genannt), der von
1936 bis 1938 Chef des NKWD (Volkskommissariat für innere
Angelegenheiten) und Mitglied des Zentralkomitees der
KPDSU(B) gewesen war, ebenso wie bereits sein Vorgänger
Genrich Grigorewitsch Jagoda (1891-1938), selbst zum Opfer
des stalinistischen Terrors.
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 Opfer
 Stalin ließ nicht nur seine vermeintlichen politischen Gegner,
darunter zahlreiche ausländische Kommunisten, die in der
Sowjetunion lebten oder vor Verfolgung dorthin emigriert waren,
in Schauprozessen aburteilen, sondern es wurden ganze Völker
der Sowjetunion, ethnische Minderheiten, in Lager (Gulag)
deportiert. "Kulaken" (Großbauern) und willkürlich als solche
Deklarierte, Priester und Mönche sowie kirchliche Laien fielen
den Säuberungen zum Opfer. Selbst die Angehörigen der
Verhafteten blieben nicht verschont. So wurden regelmäßig
selbst unpolitische Menschen verhaftet, um das dafür
vorgegebene Plansoll zu erfüllen und damit Gefängnisse sowie
Straflager zu füllen.
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 Straflager
 Die Opfer von Stalins Willkür wurden in Arbeitslager (Gulag)
gebracht, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen
Waldarbeiten, Straßenbau, Kanalbau, Eisenbahnbau,
Städtebau, Arbeit in Bergwerken, sowie Erdarbeiten verrichten
mussten. Beispielsweise wurde der Weißmeer-Ostsee-Kanal,
Teile der Transsibirischen Eisenbahn sowie Teile der BaikalAmur-Magistrale von Häftlingen gebaut. Die Lebens- und
Arbeitsbedingungen waren äußerst schlecht. Teilweise erhielten
die Häftlinge lediglich 300 Gramm und zudem feuchtes
Schwarzbrot und einen Teller Brennnesselsuppe am Tag,
verfügten auch im Winter nur über leichte Sommerbekleidung
und lebten in hölzernen Baracken. Das Plansoll entschied über
die Länge des Arbeitstages, der oft mehr als 12 Stunden betrug.
 Viele Menschen wurden nach Folterungen exekutiert: Während
der Großen Säuberung wurden im Mittel tausend Menschen am
Tag ermordet.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Einige der prominenten Opfer
 Den Säuberungen fielen
 40 Mitglieder oder ehemalige Mitglieder des Zentralkomitees der







KPdSU(B)
9 frühere Mitglieder des Politbüros der KPdSU(B)
3 von 5 Marschällen der Sowjetunion
13 von 15 Armeekommandeuren
alle 16 Politkommissare der Armeen
25 von 28 Korpskommissaren
alle elf Stellvertreter des Volkskommissars für Verteidigung
98 von 108 Mitgliedern des Obersten Militärrats zum Opfer.
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Sprache
2. Doppelstunde: Grundlagen der Kritischen
Diskursanalyse
„Wir wollen übrigens das Wort nicht verachten. Es ist doch ein
mächtiges Instrument, es ist das Mittel, durch das wir einander
unsere Gefühle kundtun, der Weg, auf den anderen Einfluss zu
nehmen. Worte können unsagbar wohl tun und fürchterliche
Verletzungen zufügen. Gewiss, zu allem Anfang war die Tat, das
Wort kam später, es war unter manchen Verhältnissen ein kultureller
Fortschritt, wenn sich die Tat zum Wort ermäßigte. Aber das Wort
war ursprünglich ein Zauber, ein magischer Akt, und es hat noch viel
von seiner alten Kraft bewahrt“ (Freud, 1976, XIV, S. 214).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 In diesem Zitat unterstreicht Freud die Macht des Wortes,
der Sprache, gleichzeitig dessen Bedeutung für den
„Fortschritt“ der Menschheit und der Kultur: Von zunächst
wortlosen, stummen Handlungen habe sich der Mensch
weiterentwickelt, sei über Sprache und Kommunikation in
der Lage, Taten zu planen und nachher zu reflektieren.
Worte können zwar Schmerzen zufügen, aber nicht
sogleich töten… Freud relativierte jedoch seine Aussage:
Nur unter manchen Verhältnissen kann dieser Fortschritt
als positiv angesehen werden. Es kommt natürlich darauf
an, wer zu wem, wann, wo, mit welchen Motiven, welchen
Mitteln und mit welcher Macht ausgestattet spricht.
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Sprache
 Kritische Diskursanalyse, inspiriert von den Schriften Michel
Foucaults und orientiert an kultur- und
literaturwissenschaftlichen Analyse- und Interpretationsverfahren,
erfreut sich zunehmender Beliebtheit in allen Disziplinen, die mit
Texten zu tun haben. Sowohl Pädagogen wie Psychologen, Sozial-,
Sprach- und Literaturwissenschaftler, Medien- und
Kommunikationswissenschaftler haben inzwischen erfolgreich mit
den Vorschlägen, die die Kritische Diskursanalyse enthält,
Diskurse analysiert und interpretiert. Das kritische Potential, das
dieses Verfahren enthält, macht dieses besonders geeignet,
gesellschaftlich brisante Themen zu analysieren, ihre Formen und
Inhalte zu problematisieren und zu kritisieren, ungerechtfertigte
Wahrheitsansprüche offen zu legen, Widersprüche aufzudecken
und die suggestiven Mittel diskursiver Ansprache aufzuzeigen.
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 Die Kritische Diskursanalyse (CDA) knüpft an Untersuchungen






der frühen 70er Jahre des 20. Jh. an. Die CDA geht von den
folgenden kritischen sozio- und textlinguistischen Fragen aus, die
man bei Brecht (Darstellung von Sätzen in einer neuen
Enzyklopädie, Werke 20:14) wie folgt vorfindet:
1. What is the use of the sentence?
2. To whom does it pretend to be useful?
3. What is its challenge?
4. What is its practical purpose?
5. Which sentence follows which sentence? What sentences support
it?
6. In which situation is it spoken? By whom? (Bertold Brecht,
Darstellung von Sätzen in einer neuen Enzyklopädie, Werke 20:14)
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Sprache
 Die CDA stellt sich ebenfalls die folgenden Fragen, wobei sie nicht





wie Brecht von Sätzen, sondern von Sprechhandlungen bzw.
Diskurs/Texten ausgeht:
Wie sieht die Sprecherabsicht (Intention) einer Sprechhandlung
aus?
Was passiert danach?
Welche anderen Handlungsziele konstituieren die sog.
illokutionäre Kraft der Äußerung/des Sprechakts?
Wie sehen die sozialen und politischen Praktiken solcher
Äußerungen aus?
Daneben sind folgende Fragen der Rederechtvergabe und
Rederechtsteuerung von immanenter Bedeutung: „Who takes the
floor? Who controls? Who chooses? Who defines what is good or
bad (language) behaviour?
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Sprache
 CDA ist im Gegensatz zu anderen Forschungsrichtungen der
pragmatisch orientierten Linguistik (z. B. Konversationsanalyse
der US-Ethnolinguistik: Sacks/Schegloff; oder die klassische SATheorie) nicht rein deskriptiv und keinesfalls neutral angelegt.
 Die Leitidee der CDA (cf. Habermas 1971) besteht darin,
Ungerechtigkeit und Ungleichheit offensiv und „parteiisch“
aufzudecken, zu entblößen, zu enttarnen, eindeutige Stellung zu
beziehen, sich für die Machtlosen und Unterdrückten einzusetzen.
 Damit soll nicht unterstellt werden, dass diese Forschungsrichtung
„einseitig“ oder gar unwissenschaftlich sei.
 Die CDA geht nach dem Leitmotiv vor: „diagnosis first and
therapy to follow.“ (cf. Wodak et al. 1985, 1986ab;
Wodak/Quasthoff eds. 1985; Wodak ed. 1989, xiv).
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Sprache
 Summary Critical Linguistics (CDA)
 The most important characteristics of critical research are:
 A. Research interests: Uncovering inequality and injustice.
 B. Object under investigation: Language behaviour in natural
speech situations of social relevance (institutions, media, minority
problems, racism etc.) is to be investigated. All situations which are
threatening or involve power play between individuals are of
interest.
 C. Interdisciplinary research: Social phenomena are too complex to
be dealt with adequately in only one field.
 D. Empirical research: Data from natural speech situations are to
be analyzed. Nevertheless, theory and methodology, values and
aims are to be discussed explicitly.
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Sprache
 Summary Critical Linguistics (CDA)
 E. Inclusion of the historical perspective: Social processes are
dynamic, not static. This has to be reflected in the theory and in
the methodology.
 F. “Leitmotif” of critical research: “Diagnosis” first, interpretation
and “therapy” to follow!
 G. Researchers are forced to take sides: Especially in empirical
research, the “subjects under investigation” cannot be treated as
objects any longer. Research includes the “researched” and,
eventually, ought to help them (if possible).
 H. Social and political practice is aimed at: Results of research not
only imply success in the academic field, but they should also
include proposals for practical implementation.
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Sprache
 Summary Critical Linguistics (CDA)
 I. Necessity for new notions and extensions of traditional concepts
of “language behaviour” and “meaning”: Social phenomena are
very complex, irrational and rational. Many different and
ambivalent, conscious and subconscious motives are relevant. Thus
multiple methods, manifest and latent meanings, cognitive and
affective aspects are important. Finally, the historical and social
context should not be neglected.
 Quellen:
 Wodak, Ruth. (ed.). 1989. Language, power, and ideology: studies
in political discourse. Amsterdam, Philadelphia: Benjamins.
(Critical Theory, 7). [ES 155 LAN].
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Sprache


Jäger, Siegfried. 1993. Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung.
ISBN: 3-89771-732-8. Ausstattung: br., 404 Seiten
Preis: 24.00 Euro.

Inhalt:

Soziolinguistik und Qualitative Sozialforschung
· Die Tätigkeitstheorie A.N. Leontjew
· Vom Text zum Diskurs – diskurstheoretische Ansätze im
Überblick – Die Diskurstheorie Michel Foucaults –
Kollektivsymbolik – Die Macht der Diskurse – Zum Verhältnis von
Diskurs und „Wirklichkeit“ – Diskurs, Wissen, Macht, Subjekt –
Wirkung von Diskursen auf individuelles und kollektives
Bewusstsein - Analyseverfahren
· Kritische Diskursanalyse
Ethisch begründete Kritik – Kritik gegen Herrschaft – Relativität
von Kritik
· Musteranalysen
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Sprache
3. Grundlagen der
Sprechhandlungsmusteranalyse (SHMA)
3.1 Ausgangsthesen der klassischen
Sprechakttheorie
Der englische Philosoph John Langshaw Austin
(1911-1960) hat in seinen berühmten HarvardVorlesungen von 1955, die erst nach seinem Tode
im Jahre 1962 (siehe Literaturliste, Position 1.)
veröffentlicht wurden, die Frage gestellt, wie wir
etwas mit Worten tun.
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Sprache
 Diese Frage hat seitdem viele Philosophen und
Sprachwissenschaftler zu einem Umdenken ihrer
bisherigen Vorstellungen über Sprache geführt; fast
wie selbstverständlich reden wir heute von
Sprachhandlungen und Sprechakten. Dennoch ist
der theoretische und praktische Kontext, in dem wir
diese Begriffe sinnvoll gebrauchen können, noch
relativ unklar und ungeklärt.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Welche Arten von Sprachhandlungen lassen sich
unterscheiden?
 Was ist die Funktion von Sprachhandlungen für die
Weiterführung von Kommunikation, für die
Entwicklung sozialer Beziehungen, für die
gesellschaftliche Praxis im allgemeinen?
 Welche Wörter, Ausdrücke und Konstruktionen
müssen wir gebrauchen, um bestimmte
Sprachhandlungen auszuführen und den mit diesen
Sprachhandlungen intendierten Effekt beim Hörer zu
erzielen?
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Sprache
 Diese und ähnliche Fragen sollen im Mittelpunkt der
heutigen Vorlesung stehen.
 Seit einigen Jahren befasse ich mich mit den von
Austin zu Bewusstsein gebrachten Problemen. Einen
wesentlichen Einfluss hatten auf meine Arbeit zum
einen die philosophischen Schriften von Paul Grice
(siehe Position 4. der Literaturliste) und John Searle
(siehe Position 2. und 3.); sie haben auf einige
Probleme bei Austin hingewiesen, andere jedoch
hinzugefügt, andere wiederum vernachlässigt.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Diese philosophischen Arbeiten versuchen, teils
logische, teils sprachpsychologische Klärungen
vorzubereiten, sie stehen aber leider in keiner
direkten Beziehung zu empirischen Untersuchungen
und haben auch keine Methodik dafür entwickelt. Um
den Abfolgezusammenhang von Sprachhandlungen
in der menschlichen Interaktion und den Bezug auf
soziale Bedürfnisse, wie er uns vorschwebt, hat sich
keiner der genannten Philosophen gekümmert.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Diese Sichtweise rückt gerade heute wieder stärker
ins Blickfeld, nicht zuletzt unter dem Einfluss der
Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen
Habermas. Einen dritten wichtigen Einfluss hatten auf
meine Arbeit die interaktionssoziologischen
Untersuchungen, besonders von Harvey Sacks,
Emanuel Schegloff und John Gumperz. Sie haben
vor allem die interaktionale Ausarbeitung von
sozialen Situationen hervorgehoben und eine sehr
diffizile Methodik empirischer Untersuchungen
entwickelt, besonders im Hinblick auf die formalen
Aspekte der Interaktion.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Der zweite Teil der Lehrveranstaltung ist - wie schon
der Titel verrät - der sprachwissenschaftlichen
Analyse von Gesprächen gewidmet. Seit mehr als 20
Jahren lässt sich in der Linguistik eine deutliche
Abkehr von Sprache als System und eine
gleichzeitige Hinwendung zur Sprache in ihrem
natürlichsten Vorkommen: im Dia- bzw. Polylog
beobachten. Die Beschäftigung mit Sprache in
Verwendung hat mehrere konkurrierende Richtungen
hervorgerufen, so u. a.:
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Sprache
 - die Konversationsanalyse
 - die Diskursanalyse
 - die Dialoganalyse
 - die Gesprächsanalyse
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Diese Variation der Begriffe und Termini darf
nicht täuschen: Was sich nämlich unter
wechselndem Namen versteckt, reflektiert in
Wirklichkeit eine Rezeption der
amerikanischen "conversational analysis"
dar oder ist doch im wesentlichen durch diese
ins Leben gerufen worden.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Am Ende dieser Lehrveranstaltung soll der
Versuch unternommen werden,
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der
Sprechakttheorie und der Gesprächsanalyse
herauszuarbeiten
 Literaturverweise siehe: http://www.uni-
potsdam.de/u/slavistik/vc/mike/discurs/lit.htm
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 Die Distinktion konstativ vs. performativ
 Ich möchte zunächst einige wichtige Begrifflichkeiten
einführen, die für das allgemeine Verständnis der
späteren Ausführungen zur "Bewertung als
Sprachhandlung" eine unbedingte Voraussetzung
bilden.
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Sprache
 1. Die erste wichtige Dichotomie in der SA-
Theorie Austins ist das Paar performativ vs.
konstativ.
 Zunächst möchte ich kurz auf den
sprachphilosophischen "background" zu sprechen
kommen, der den Ausgangspunkt dieser
Unterscheidung bildet:
 Seit GOTTLOB FREGELS (1892) Unterscheidung
von Sinn und Bedeutung einer Aussage wird die
Bedeutung einer Satzaussage durch den
Wahrheitswert bestimmt:
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Der Satz: "Die Katze ist kleiner als die Maus." stimmt
entweder mit der Wirklichkeit überein, und ergo der
Satz ist wahr oder nicht und ergo der Satz ist falsch:
 Ich zitiere: "So werden wir dahin gedrängt, den
Wahrheitswert eines Satzes als seine Bedeutung
anzuerkennen. Ich verstehe unter dem Wahrheitswert
eines Satzes den Umstand, dass er war oder falsch
ist. Weitere Wahrheitswerte gibt es nicht." (Zitiert
nach der Ausgabe von G. PATZIG (ed.), Funktion,
Begriff, Bedeutung. Göttingen 1969, S. 48.)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Problematisch an dieser Bestimmung ist die
Tatsache, dass von dieser Definition nur die
assertorischen Sätze erfasst werden.
 Diese logisch-positivistische Satzbedeutungstheorie
betrifft ausschließlich Sätze mit dem Modus der
"Assertion", d. h. Aussagen, Behauptungen,
Beschreibungen etc. oder eben Propositionen, die
ohne Modus sind. Insofern werden auch Fragen bzw.
Befehle aus dem Begriff ausgeklammert.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Interessierte sich der Logische Positivismus (z. B.
Wiener Kreis um Wittgenstein) nur für Sätze, die die
Aussagen (Assertionen) beinhalten, so interessierten
J. L. AUSTIN gerade die nicht-assertorischen Sätze.
Er "persiflierte" den logisch-positivistischen
"statemental-approach" - auch bekannt in der
deutschen SA-Forschung unter dem Begriff
"deskriptiver Fehlschluss" mit folgenden Worten:
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
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 "Natürlich waren es die Philosophen gewohnt so zu
reden, als ginge ich oder irgend jemand anderer
herum und sagte alles über alles aus, und das wäre
vollkommen in Ordnung, und es gäbe nur die kleine
Frage: ist das wahr oder falsch." (Zitiert nach
BRAUROTH/SEYFERT et al. (ed.), Performative
Utterences, in: Phil. Papers 236, 1978, S. 138.)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Selbstverständlich war es schon immer bekannt,
dass es neben Assertionen (w/f) auch nichtassertorische Sätze in natürlichen Sprachen gibt.
 Aufgabe 1:
 http://www.uni-
potsdam.de/u/slavistik/vc/mike/discurs/aufg1.
htm

[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Novum an der Austinschen Feststellung ist, dass
auch ein großer Teil der Sätze im Präsens Indikativ
keine Assertionen (Aussagen) in dem Sinne
darstellen, dass sie etwas beschreiben, berichten
oder behaupten. Vielmehr stellt ihre Lokution
(Äußerung) ein HANDELN dar, und Handlungen kann
man nicht als wahr (w) oder falsch (f) klassifizieren.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Sätze dieser Klasse sind z. B.:
 (1) Ich taufe dieses Schiff auf den Namen "Queen
Elizabeth".
 (2) Ich vermache meine Uhr meinem Bruder.
 (3) Ich wette einen Fünfziger, dass es morgen nicht
regnet.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Mit den Äußerungen der Sätze (1) bis (3) beschreibt
man nicht etwa, was man tut (nämlich "taufen", "eine
Uhr vermachen", "wetten"), man macht auch keinen
"Bericht" über Schiffstaufen, Geschenke oder Wetten;
es handelt sich bei (1) bis (3)auch um keine
"Feststellung" (man kann z. B. nicht mit "Das ist nicht
wahr" darauf reagieren).
 Die Äußerung der Sätze (1) bis (3) stellt die
Handlung selbst dar, denn mit ihrer Äußerung führt
man gewissermaßen die Handlung aus!
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 In dieser Hinsicht sind diese Äußerungen
verschieden von den Äußerungen (4) bis (6):
 (4) Ich fahre mit der "Queen Elizabeth".
 (5) Ich blicke auf meine Uhr.
 (6) Ich habe einen Fünfziger bei mir.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Aufgabe 2:
 http://www.uni-
potsdam.de/u/slavistik/vc/mike/discurs/aufg2.
htm
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Sätze des Typs (1) bis (3) wollen wir fortan als
performative Sätze bzw. Äußerungen bezeichnen, da
man mit ihnen zugleich eine Handlung (performance)
ausführt.
 Sätze des Typs (4) bis (6) werden zunächst als
konstative Sätze bzw. konstative Äußerungen
bezeichnet (im Anschluss an Austin).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die beiden Typen von Äußerungen lassen sich durch
folgendes Merkmalbündel (vorläufig)
charakterisieren:
 7)
 performative Äußerungen
 konstative Äußerungen
Wahrheitswert


Vollzug der Handlung


[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Um präzise zu sein, sollten wir den Begriff "Satz" vermeiden,
denn Sätze selbst können nicht wahr oder falsch sein,
insbesondere wenn sie anaphorische oder deiktische Formen
nicht enthalten. Der Satz
 (5) Ich blicke auf meine Uhr.
 ist nicht verifizierbar, da aus der Form des Satzes nicht
hervorgeht, auf welchen empirischen Tatbestand er sich bezieht,
z. B.: wer ist der "Ich" dieses Satzes, wann (zu welchem
Zeitpunkt) gilt die Aussage (5).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Man sollte daher bei den konstativen "Sätzen" des
Typs (4) bis (6) lieber von "Äußerungen" sprechen,
wie dies auch Austin getan hat, bzw. von
Sprechakten, obwohl es natürlich auch Sätze gibt,
deren Wahrheitswert unabhängig von der
Äußerungssituation (Deixis) ist, z. B. generische,
universelle, definitorische, deontische oder logische
Sätze des Typs (8) bis (14).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 (8) Die Zahl "3" ist eine Primzahl. (w)
 (9) Der Mond besteht aus grünem Käse. (f)
 (10) poln.: W Anglii jeździ się lewą stroną ulicy. "In England fährt




man links." (w)
(11) russ.: Jaguary v Južnoj Amerike vymirajut. "Der Jaguar
(gen. prox.) stirbt in Südamerika aus." (w)
(12) russ.: Cypljat po oseni sčitajut. "Man soll den Tag nicht vor
dem Abend loben."
(13) čech.: Na začátku věty se píše velké písmeno. "Am
Satzanfang schreibt man (gen. univ.) groß." (w)
(14) čech.: Zákony musí být dodržovány (všemi). "Gesetze
müssen (von allen/generell) befolgt werden." (w)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Der Satz "Der Mond besteht aus grünem Käse" ist
nur insofern ohne Kontext als wahr oder falsch zu
beurteilen, insofern man weiß, worauf sich das
Nomen "Mond" bezieht, d. h. auf welches Objekt der
außersprachlichen Wirklichkeit es sich konkret
bezieht/worauf es "referiert". Ich will dies anhand der
folgenden Skizze zeigen:
 Mond1 = „Begleiter der Erde”, d. h. Satz (9a) ist
falsch
 Mond2 = „Attrappe (Nachbildung)”, vielleicht als
Werbegag der Lebensmittelbranche , d. h. Satz (9b)
ist wahr.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Daraus folgt: die pragmatisch ausgerichtete
Satzanalyse untersucht die Satzsemantik
gerade im HANDLUNGSKONTEXT! Ihre
kleinste Einheit ist die Äußerung, nicht
aber der isolierte Satz oder das isolierte
Wort.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Zwischenfazit:
 Für uns ist die Erkenntnis wichtig, dass eine semantische
Theorie, die pragmatische Faktoren wie Weltwissen der
Kommunikationspartner einbezieht, den Bereich der
Erkenntnistheorie, der so genannten "ordinary language
philosophy" berührt und in die von Hintikka begründete Richtung
der "Semantik der möglichen Welten" mündet.
 Austin nennt Äußerungen wie "Ich taufe dieses Schiff auf den
Namen "Queen Elizabeth"." performative Äußerungen (aus engl.
perform = handeln, vollziehen).
 Performative Äußerungen sind solche, mittels denen man
Handlungen vollzieht oder vollbringt. Die Unterscheidung
zwischen performativ - konstativ bestimmt Austin als "die
Unterscheidung zwischen Tun und Sagen" (Austin, Theorie: 63).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Handlungen, die mit Hilfe von performativen
Äußerungen vollzogen werden können, kann man
auch nonverbal vollbringen.
 Statt zu sagen: "Hiermit schenke ich Dir eine Mark",
kann man die Handlung so ausführen (z. B. die Mark
in die Hand des Dialogpartners drücken).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Performative Äußerungen erfordern immer auch die
Reaktion des Hörers. Wenn man z. B. jemandem
eine Mark schenkt, zieht dieser Akt der Schenkung
nicht nur Besitzerwechsel nach sich, sondern setzt
voraus, dass der Beschenkte die Mark annimmt!
 Tut er das - aus welchen Gründen auch immer nicht, dann ist zwar meine Äußerung "Ich schenke Dir
eine Mark" nicht "Falsch" (also keine konstative
Äußerung), aber da die Handlung nicht zustande
gekommen ist, sie "verunglückt" ("unhappy", wie
Austin das nennt).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Performative Sprechakte können, wie alle anderen
Handlungen auch, glücken oder misslingen.
 Dem "Wahrheitskriterium" der konstativen
Äußerungen entspricht das "Erfolgskriterium" der
performativen Äußerungen.
 Zu fragen wäre hier, wie die Struktur des Gelingens
oder Misslingens eines SAs von Austin im einzelnen
klassifiziert werden. Die Lehre von den
„Unglücksfällen" (infelicities) bestimmt diese
Determinanten, die den Handlungscharakter der
Äußerungen verbürgen.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Ich will diese Unglücksfälle hier zunächst noch
ausklammern. Wichtiger erscheint mir die
Unterscheidung zwischen expliziten performativen
Äußerungen des Typs:
 (1) // "Hiermit spreche ich Dir ein Lob aus." und den
primären performativen Äußerungen wie:
 (2) // "Das hast Du schön gemacht."
 Beide Sätze bzw. Äußerungen stellen den Sprechakt
(performative Äußerung) des "Lobes" dar.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Aber im ersten Satz steht die so genannte performative Formel





obligatorisch als Form 1. Ps. Sg./Pl. Präsens Indikativ Aktiv von
einem Handlungsverb wie LOBEN, TADELN, TAUFEN,
WETTEN etc. und durch das Modalwort "hiermit", "hierdurch"
modifiziert werden.
Die performative Formel verdeutlicht den Handlungscharakter
durch das Benennen der Handlung direkte Handlungsreferenz.
Steht das performative Verb dagegen nicht im Präsens und/oder
nicht in der 1. Ps., dann bedeutet seine Verwendung nicht
gleichzeitig den Handlungsvollzug selber, sondern einen bloßen
Bericht über eine Handlung, z. B.:
(1) a. "Damals habe ich ihn gelobt."
(1) b. "An Pfingsten wurde Anja getauft."
Diese Äußerungen (1a-b) sind verifizierbar oder falsifizierbar,
also wahrheitsfähig/bzw. wahrheitswertfähig, und somit als
konstative Äußerungen zu bezeichnen!
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die so genannten Handlungsäußerungen enthalten
keine performative Formel. Sie gelten daher als
primär, weil Austin der Überzeugung ist, dass die
expliziten die implizit-primären voraussetzen!
 Hausaufgabe:
 Lesen Sie im Internet unter der folgenden Adresse
die Begriffserklärung zu den Termini Lokution,
Illokution und Perlokution:
 http://www.unipotsdam.de/u/slavistik/vc/mike/discurs/lok.htm
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die grundlegenden Aussagen der klassischen SA-Theorie




(unter Vernachlässigung der Unterschiede zwischen Austin
(1961, dt. 1989) und Searle (1969, dt. 1992)) lassen sich in
folgenden Thesen zusammenfassen:
1. Sprachtheorie ist Teil einer allgemeinen
Handlungstheorie
2. Das Sprechen einer Sprache ist Regel geleitetes
intentionales Verhalten
3. Die Grundeinheit der sprachlichen Kommunikation ist
der illokutive Sprechakt
4. Für den Vollzug von Sprechhandlungen lassen sich
notwendige und hinreichende Bedingungen aufstellen
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 5. Sprechhandlungen setzen sich aus mehreren simultan
vollzogenen, nicht voneinander isolierbaren Teilakten
zusammen:
 aus Äußerungsakten, die die Artikulation von Morphemen,
Wörtern und Sätzen beinhalten;
 aus propositionalen Akten, die einen Sachverhalt einführen
und durch die Sprechakte der Referenz und Prädikation
konstituiert werden;
 aus illokutionären Akten, die die kommunikative Funktion
der Sprechhandlung bezeichnen; m. a. W.: Indem man
etwas sagt, realisiert man eine BEHAUPTUNG,
AUFFORDERUNG, WARNUNG usw.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 6. Der illokutionäre Akt kann eventuell einen perlokutionären Effekt, d. h.
eine nicht konventionelle Wirkung des illokutionären Akts, beim Rezipienten
hervorrufen.
 7. Sprachliche Äußerungen erfüllen bestimmte kommunikative Funktionen,
sog. illokutionäre Rollen, die sich durch den Gebrauch entsprechender
sprachlicher Mittel, der Indikatoren der illokutionären Rolle, bestimmen lassen
(illokutive Indikatoren für eine AUFFORDERUNG sind im Dt. etwa bitte und
gefälligst. In Imperativsätzen kooperieren die beiden Lexeme mit dem Satztyp
und spezifizieren die AUFFORDERUNG im Fall von bitte als BITTE (vgl.
Gib mir bitte das Buch!) und im Fall von gefälligst als FORDERUNG (vgl.
Mach gefälligst die Tür zu!). Im Russ. wird z. B. durch die Konstruktion ne +
Imperativ des Verbs im perf. Aspekt eine WARNUNG indiziert (vgl. Ne
opozdaj! Ne upadi! Ne poterjaj!), während dieselbe Konstruktion mit dem ipf.
Aspekt das neutrale VERBOT indiziert, vgl. Ne opazdyvajte na uroki!
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die illokutionäre Rolle oder der kommunikative Sinn einer
Äußerung ergibt sich aus dem Interaktionszusammenhang.
Zum Beispiel kann die Äußerung
 Morgen komme ich
in Abhängigkeit von dem spezifischen
Kommunikationskontext als BEHAUPTUNG,
VERSPRECHEN, WARNUNG oder DROHUNG
aufgefasst werden.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Durch die explizit performative Formel (Verb in der 1.
Pers. Sg./Plur., Aktiv, Präsens, Indikativ oder 2./3. Pers.
Sg. Oder Plural, Passiv, Präsens, Indikativ) kann die
illokutionäre Rolle einer Sprechhandlung verbal expliziert
werden. Das obige Beispiel könnte also u. a.
folgendermaßen paraphrasiert werden:


1. VERSPRECHEN: Ich verspreche dir (hiermit), dass ich
morgen komme
oder
2. WARNUNG: Ich warne dich (hiermit): Morgen komme
ich
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die explizit performative Formel kann auch so ausgedrückt





werden:
(1) Ich danke/Wir danken Euch, dass ihr Susi geholfen
habt.
(2) Ich verspreche dir/Wir versprechen dir hiermit, morgen
zu kommen.
(3) Die Patienten werden gebeten, ihre Chipkarte
mitzubringen.
(4) Sie werden ermahnt, Ihre Bücher in der Bibliothek
abzugeben.
(5) Es wird empfohlen, nicht zu rauchen.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Wichtig: Nicht alle Sprechhandlungen können in die




explizit performative Formel transformiert werden, z. B.:
*Ich drohe dir (hiermit), dass ich morgen komme.
Dasselbe gilt für persuasive Sprechhandlungen oder für
Sprechhandlungen, die mit verdeckter Strategie arbeiten
(in denen also die illokutionäre Rolle nicht direkt
erschließbar ist), vgl.:
*Ich überzeuge dich (hiermit), dass du es für mich machst.
*Ich überrede dich (hiermit), es für mich zu machen.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Vollzieht ein Sprecher einen illokutionären Akt, so kann er
unter Umständen beim Rezipienten einen perlokutiven
Effekt auslösen. Dieser Effekt tritt dann ein, wenn der
Textproduzent mit seiner Äußerung praktische, emotionale
oder primäre kognitive Wirkungen beim Rezipienten
hervorgerufen hat: Der Adressat kann eine bestimmte
Handlung ausführen bzw. unterlassen, verärgert oder auch
von etwas überzeugt sein.
 Weitere Beispiele: ÜBERREDEN, ERSCHRECKEN,
ÜBERRASCHEN, TRÖSTEN, AUFHEITERN,
BELEIDIGEN, IRREFÜHREN oder BEUNRUHIGEN.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Illokution und Perlokution bedingen sich in der Regel
nicht konventionell.
 Den Akt der Lokution unterteilt AUSTIN (1989:110) in
drei Teilakte:
 1. den phonetischen Akt (besteht im Äußern gewisser Geräusche bzw.
Laute (phone));
 2. den phatischen Akt (besteht im Äußern gewisser Wörter, d. h.
Geräusche bestimmter Gestalt, die zu einem bestimmten Vokabular
gehören und einer gewissen Grammatik folgen);
 3. den rhetischen Akt (besteht darin, dass die Wörter dazu benutzt
werden, um über etwas zu reden).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Wir betrachten die folgende Abfolge (Austin 1989:119):
 (1) Akt (A), Lokution
 Er hat zu mir gesagt: „Das kannst du nicht tun!“
 Akt (B), Illokution
 Er hat dagegen protestiert, dass ich das täte.
 Akt (C), Perlokution
 (C. a) Er hat mir Einhalt geboten.
 (C. b) Er hat mich davon abgehalten, mich zur Besinnung
gebracht, mich gestört.
 (Wie man sieht, ist die Beziehung zwischen Akt A und B
konventionalisiert, zwischen B und C dagegen nicht)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Dass der Akt C der Perlokution mit der Form der
Äußerung (A) über die Illokution (B) nicht konventionell
verbunden ist, sieht man auch daran, dass der illokutive
Akt (i. d. R.) durch die explizit performative Formel
vollzogen werden kann, während dies beim perlokutiven
Akt nicht der Fall ist, vgl.:
 (2) *Ich beleidige dich hiermit
 (3) * Ich muntere dich hiermit auf
 (4) * Ich erfrage hiermit
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Handlungsbedingungen für den Vollzug einer
Sprechhandlung nach SEARLE
 Zentrale Frage: Welche Bedingungen sind notwendig
und hinreichend, damit ein bestimmter illokutionärer Akt
mittels der Äußerung eines gegebenen Satzes vollständig
vollzogen wird und gelingen kann?
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Zu den allgemeinen Voraussetzungen jeder Art menschlicher




Kommunikation zählen folgende Bedingungen:
1. Es liegen Idealbedingungen für sinnvolles Sprechen und Hören ohne
subjektive bzw. objektive, außersprachliche Störfaktoren vor, d. h. die
Sprecher (= Sp) Sp1 und Sp2 sind nicht durch
- psychische oder physische Behinderungen bzw. objektive Störungen
(z. B. Lärm) daran gehindert, an der Kommunikation zu partizipieren;
- die Kommunikationsteilnehmer sind bereit, an der Kommunikation
teilzunehmen und sich mit den Äußerungen der Gesprächspartner
auseinanderzusetzen, d. h. die Kommunikation wird durch niemanden
blockiert;
- die Sprechhandlung wird ernsthaft vollzogen (Äußerungen in
Spielen, als Beispielsätze im Sprach- und Linguistikunterricht oder in
scherzhafter Rede werden als nicht ernsthaft ausgeschlossen).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 2. Sp1 und Sp2 verständigen sich mit Hilfe eines
gemeinsamen Codes.
 3. Das Kooperationsprinzip (siehe Grice 1980:113ff.) wird
von allen Gesprächsteilnehmern befolgt.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Zu den spezifischen Handlungsbedingungen für das
Gelingen einer Sprechhandlung rechnet SEARLE (1992)
folgende:
 1. Wesentliche Bedingungen (essential conditions): sie
beinhalten die kommunikative Intention und das
Handlungsziel des Sprechers und stellen eine notwendige
Bedingung für den Vollzug einer Sprechhandlung dar;
 2. Einleitungsbedingungen (preparatory conditions): sie
schildern die situativen Rahmenbedingungen und in
wessen Interesse die Sprechhandlung stattfindet; weiterhin
besagen sie, dass die Sprechhandlung einen Sinn haben
muss (z. B. kann man nicht jemanden zu etwas auffordern,
wenn er dies bereits tut).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 3. Aufrichtigkeitsbedingungen (sincerity conditions): sie
zeigen, dass der Sprecher aufrichtig und ernsthaft
beabsichtigt, seine Intention zu erreichen (z. B. muss ein
Sprecher, der einen Adressaten zu etwas auffordert, auch
wünschen, dass dieser der Aufforderung nachkommt; ein
Sprecher, der etwas behauptet, muss glauben, dass das,
was er sagt, wahr ist; ein Sprecher, der einen Rat erteilt,
muss glauben, dass dieser dem Adressaten nützt).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 4. Bedingungen des propositionalen Gehalts
(propositional content condition): hierbei wird die
Proposition von den übrigen Teilakten der Sprechhandlung
isoliert; diese Bedingungen legen die Art der Proposition
fest, d. h. sie stellen fest, ob für einen Illokutionstyp jede
Proposition möglich ist oder nur eine bestimmte und
welche Merkmale diese kennzeichnen.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die drei Hauptkriterien, nach denen Searle die Sprechhandlungen
klassifiziert sind:
 1. Der illokutionäre Zweck (illocutionary point): darunter sind die
kommunikativen und praktischen Absichten, die ein Sprecher mit
seiner Äußerung verfolgt, zu verstehen; der illokutionäre Zweck
entspricht den wesentlichen Bedingungen;
 2. die psychische Einstellung (psychological state), die der Sprecher
mit der Sprechhandlung zum Ausdruck bringt (z. B. Überzeugung,
Wunsch, Bedauern, Verärgerung usw.);
 3. die Anpassungsrichtung (direction of fit) zwischen den Worten und
der Welt als Folge des illokutionären Zwecks.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Auf der Grundlage dieser drei Hauptkriterien unterscheidet
SEARLE (1976) fünf Grundkategorien illokutiver Akte:
 ASSERTIVA
Sp1 sagt, was der Fall ist und legt sich
auf die Wahrheit der Proposition fest
(BEHAUPTEN, FESTSTELLEN…)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 DIREKTIVA
Sp1 sagt, was Sp2 tun soll und versucht
damit zu erreichen, dass Sp2 diese
Handlung ausführt (BITTEN,
BEFEHLEN, AUFFORDERN…)
 KOMMISSIVA
Sp1 sagt, was Sp1 tun wird und legt
sich darauf fest (VERSPRECHEN,
GELOBEN…)
 EXPRESSIVA
Sp1 sagt, was Sp1 oder Sp2 fühlen
(DANKEN, KLAGEN, LACHEN…)
 DEKLARATIVA Sp1 sagt, was sozial oder institutionell
gelten soll (ERÖFFNEN, TAUFEN,
VERURTEILEN …)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache


Fortsetzung: Grundlagen der
Sprechhandlungsmusteranalyse (SHMA)
Das Gricesche Kooperationsprinzip und die Theorie
der Konversationsimplikaturen

SEARLE wies darauf hin, dass die wörtlich indizierte Illokution von
der tatsächlich vollzogenen Illokution abweichen kann. Betrachten
Sie dazu das folgende Beispiel:

Sp1: „Herr Ober, ich bekam ein Bier.“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 In diesem Satz weicht die Bedeutung des Satztyps von der
tatsächlich vollzogenen (intendierten) Illokution insofern
ab, als dass die Tempusform auf ein in der Vergangenheit
liegendes Ereignis verweist. Mit dieser Äußerung stellt
allerdings Sp1 nicht etwa fest, dass er ein Bier
(tatsächlich) erhalten hat, sondern er vollzieht eine
Sprechhandlung der MAHNUNG bzw. des
INSISTIERENS, in der darauf verwiesen wird, dass er in
der Vergangenheit eine direktive Sprechhandlung des
BITTENS (etwa: ich bekomme ein Bier) vollzogen hat, der
aber der Kellner immer noch nicht nachgekommen ist.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Wenn eine illokutionäre Handlung X durch den Vollzug
einer anderen illokutionären Handlung Y indirekt
vollzogen wird, so wird erstere auch i n d i r e k t e
Sprechhandlung genannt.
 Ein weiteres Beispiel für eine indirekte Sprechhandlung:
 Können Sie mir sagen, wie spät es ist?
 Formal (d. H. satztypisch) handelt es sich um einen
Fragesatz. Dass Fragesätze aber nicht automatisch mit der
Sprechhandlung FRAGEN zusammenfallen, sieht man an
diesem Beispiel. Tatsächlich entspricht die Illokution der
Sprechhandlung AUFFORDERUNG. Dies sieht man auch
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache




daran, dass die Antwort nicht mit „ja“ oder „nein“
beantwortet werden kann, sondern dass danach die
Auskunft erfolgen muss, vgl.:
Sp1 : Können Sie mir sagen, wie spät es ist?
Sp2: *Ja. /*Nein.
Sp2: 9:15h.
(Natürlich kann ich mit „nein“ antworten, indem ich
freilich dann darauf hinweise, dass ich leider keine Uhr
habe).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Eine Erklärung, wie der Vollzug indirekter
Sprechhandlungen in der Kommunikation möglich ist,
stützt sich vor allem auf das von GRICE (1968, dt. 1980)
formulierte K o o p e r a t i o n s p r i n z i p und das
darauf beruhende Modell der konversationellen
Implikatur.
 Ausgehend davon, dass Sprechen einen besonderen Fall
oder eine Variante Zweck gerichteten, also rationalen
Handelns und Verhaltens darstellt und genuin kooperativ
ist, postuliert der Logiker GRICE das Grundprinzip der
Kommunikation, das er Kooperationsprinzip nennt.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 K o o p e r a t i o n s p r i n z i p (GRICE 1968, dt.
1980):
 „Gestalte deinen Gesprächsbeitrag so, dass er dort, wo
er im Gespräch erscheint, dem anerkannten Zweck
dient, den du gerade mit deinen
Kommunikationspartnern verfolgst.“ (GRICE
1980:113)
 Das Kooperationsprinzip wird durch die vier
Konversationsmaximen der Quantität, Qualität, Relation
und Modalität konkretisiert, die folgendes besagen:
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
Konversationsmaximen der Quantität, Qualität,
Relation und Modalität (nach GRICE):
A) Maxime der Q u a n t i t ä t (bezieht sich auf die
Menge der gelieferten Information):
1.
Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie (für die
augenblicklichen Gesprächszwecke) nötig.
2. Mache deinen Gesprächsbeitrag nicht informativer als
nötig.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 B) Maxime der Q u a l i t ä t: Obermaxime: Versuche
deinen Gesprächsbeitrag so zu gestalten, dass er wahr
ist.
 1. Behaupte nichts, von dessen Wahrheit du nicht
überzeugt bist.
 2. Behaupte nichts, wofür du keine hinreichenden
Beweise hast.
 [Anm. Kosta: Der „Schauprozess“ ist ein typisches
Beispiel eines SHM dafür, wie Wahrheit (und damit die
Maxime der Qualität) manipuliert bzw. außer Kraft gesetzt
werden kann.]
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache






C) Maxime der R e l a t i o n: sei relevant.
D) Maxime der M o d a l i t ä t: Obermaxime: Sei klar.
1. Vermeide Unklarheit im Ausdruck.
2. Vermeide Mehrdeutigkeit.
3. Vermeide Weitschweifigkeit.
4. Vermeide Ungeordnetheit.
 Hausaufgabe zum 24.05.06 : Geben Sie Beispiele für die
Verletzung der vier Konversationsmaximen in
verschiedenen Sprechhandlungen des analysierten
Textes (Kosta 1998: 122-126) an:
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 5. Textsorte Schauprozess/Polizeiverhör
 5.1 Die Typologie der Textsorte/des Sprechhandlungs-
musters <Schauprozess>
 Makrostruktureller Rahmen = Anklage – Verteidigung
 Mikrostrukturelle Sequenzen von Sprechhandlungen =
Behauptung – Widerspruch – Eingestehen (Geständnis)
 Diese Entsprechungen sind feststellbar trotz – oder gerade
wegen – der Tatsache, dass es bei den Voruntersuchungen,
dem Prozess selbst und dem Prozessbericht um
Inszenierung, Fälschung, Konstruktion u. a. m. geht.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die im vorliegenden Teil behandelte Problematik stellt den
metakommunikativen Gesichtspunkt im Dialog vor Gericht
in den Mittelpunkt.
 Der hohe Anteil solcher Einheiten (d. h.
Metakommunikation, Metadialog, Master Speech Act) ist
zwar keine Besonderheit des Schauprozesses als Subtyp
der Textsorte <Prozess, Verhör, Vernehmung>.
 Wohl scheint es aber für den Prozess im Jahre 1938
(ebenso wie für die von 1936 und 1937) besonders
charakteristisch, dass die „thematische“ Führung und
Leitung des Prozesses/der Prozesse durch den Staatsanwalt
Andrej Vyšinskij und weniger durch den Vorsitzenden
Richter wahrgenommen wird.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Hieraus resultieren gewisse Besonderheiten des
Schauprozesses gegenüber anderen Prozessen, u. a. Der
vergleichsweise hohe Anteil an solchen
metakommunikativen Einheiten, die man nach FOTION
(1971, 1978) als „Master Speech Act“ bezeichnet.
 Im forensischen Dialog liegt, was die Möglichkeit zur
Ergreifung des Wortes angeht (sog. Rederechtvergabe,
Rederechtsteuerung oder Rederechtorganisation), eine
A s y m m e t r i e vor. Die leitende bzw. die
vernehmende Instanz hat das Recht der Redevergabe
bzw. der S t e u e r u n g von Themen und Problemen
im Verhör.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Diese Asymmetrie wird im untersuchten Schauprozess
besonders deutlich, weil der Staatsanwalt in teilweise sehr
aggressiver Weise seine Formulierungen wählt und den
Angeklagten in seinem Argumentationsspielraum
einzuengen versucht.
 Metakommunikation nach Freidhof (1996:96):
 „Unter Metakommunikation will ich im folgenden
zunächst eine solche Kommunikation verstehen, bei der
ein Kommunikat, das auf einen bestimmten Sachverhalt
referiert, durch ein zweites oder drittes Kommunikat
ersetzt wird, das auf denselben Sachverhalt referiert, und
durch einen sprachlichen Indikator angezeigt wird.“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 „Metakommunikation liegt dann vor, wenn ich Y für X
benutze oder diesen Wechsel beim Partner akzeptiere und
gleichzeitig voraussetze, dass sich beides auf den
Bezugsrahmen Z bezieht. „ (Freidhof, a.a.O.)
 Eine zweite spezifische Art von Metakommunikation liegt
dann vor, wenn Sprechakt bezeichnende Ausdrücke in
metakommunikativen Sprechakten Verwendung finden,
wenn Sp2 z. B. eine Äußerung von Sp1 in der Replik als
<Behauptung> oder <Widerspruch> einstuft.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die Metakommunikation bietet einen Rahmen, um das
Gelingen von Sprechakten in der Interaktion kurzfristig zu
garantieren, im günstigsten Fall bereits mit der Folgereplik.
 Metakommunikation kommt sowohl in Alltagsdialogen als
auch im i n s t i t u t i o n e l l e n R a h m e n vor.
 Beispiele für institutionelle Kommunikation:
Bildungsanstalten (Schulen, Gymnasien, Hochschulen,
Universitäten), soziale Einrichtungen und
Gesundheitswesen (therapeutische Kommunikation ArztPatient) u. a.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 In der forensischen Kommunikation (wie Prozess,
Verhör, Vernehmung) nimmt die M e t a k o m m u n i –
k a t i o n insofern eine Sonderstellung ein, als eine
genaue Klärung von Sachverhalten qua
institutionellem Auftrag erfolgen muss, zum anderen aber
auch Motivationen und Gründe für eine Tat (wegen des
Strafmaßes) genau einzuschätzen sind.
 Die Metakommunikation im forensischen Dialog und im
Schauprozess im besonderen demonstriert sehr eingängig,
wie die spezifischen Gesprächsnormen und Regeln des
Verhörs funktionieren.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die prototypische Makrostruktur in einer
Gerichtshauptverhandlung besteht aus den folgenden
Kernphasen: Eröffnung der Verhandlung, Vernehmung
des Angeklagten zur Person, Verlesung der Anklage,
Entlastung/Belastung durch Vernehmung der Zeugen,
Urteilsverkündung und ggf. Urteilsbegründung,
Abschluss der Verhandlung (vgl. Hoffmann 1983:26).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Eckard Rolf (1994:330) weist darauf hin, dass die „meisten
Phasen monologisch realisiert werden“, der größte Anteil
an dialogischen Strukturen finde sich aber bei der
Vernehmung des Angeklagten zu seiner Person und zu der
ihm zur Last gelegten Sache sowie bei der
Zeugenvernehmung.
 Beim S c h a u p r o z e s s von 1938 kann dagegen
zwischen Vernehmung von Angeklagten und Zeugen nicht
immer genau unterschieden werden: Bei der Vernehmung
der einzelnen Angeklagten werden immer wieder andere
Angeklagte (sozusagen als Zeugen) befragt, die einen
erhobenen Deliktvorwurf bestätigen sollen.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Da dem Prozess aber letztlich eine Gesamtanklage zu
Grunde liegt, nämlich die unzulässige Bildung eines
„staatsfeindlichen“ Blocks der Rechten und Trotzkisten,
wird eine Zeugenbelastung auch immer zu einer
Selbstbelastung (resp. Entlastung). (Freidhof 1996:99)
 Die folgenden Sprechaktfolgen sind charakteristisch für
den Schauprozess:
 A) Informationsfrage – reaktivischer Sprechakt
Informieren und Feststellen
 B) Bestätigungsfrage – reaktivischer Sprechakt: Bestätigen
und Feststellen bzw. Nichtbestätigen und Feststellen
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Mögliche Modifikationen: Angeklagte präzisiert,
korrigiert oder vergewissert sich durch Rückfragen;
Vernehmende fragt nach, präzisiert seine Informationsfrage
oder verändert sie in der Zielsetzung.
 Die Bestandteile des K o o p e r a t i o n s p r i n z i p s
nach Grice (1980) haben vor Gericht keine volle
Gültigkeit, im Extremfall, nämlich der
Aussageverweigerung, wird es gänzlich außer Kraft
gesetzt. Dieser Fall ist in den Schauprozessen nicht belegt.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die inszenierte oder in Teilen vielleicht auch gewählte
Verteidigungsstrategie zeigt eher gegenteilige Züge:
nämlich die Bereitschaft zur Auskunft bis in kleinste
(erdachte/belastende) Einzelheiten und zum „Geständnis
von Taten“, die überhaupt nicht begangen worden sind –
und dies alles möglicherweise in der Hoffnung, auf die
Milde des Gerichtes setzen zu können (was aber nicht
eingetreten ist).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die im folgenden gezeigten Belege beziehen sich auf die
folgenden Teilbereiche der Metakommunikation:
 A) Paraphrasieren oder explizieren mit dem Ziel,
Vagheit aufzulösen
 B) Präzisieren mit dem Ziel, zur Verständnissicherung
beizutragen
 C) Zusammenfassen mit dem Ziel, einen
Vernehmungsabschnitt abzuschließen ggf. auch zu
bewerten
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 A) Paraphrasieren oder explizieren mit dem Ziel,
Vagheit aufzulösen
 Die Auflösung der Vagheit ist für den forensischen Dialog eine
unbedingte Voraussetzung und Bedingung, zu einem Urteil zu
kommen. Davor muss jede Unklarheit beseitigt sein. Die Auflösung
von Vagheit wird oft durch Nachfragen der vernehmenden Seite
eingeleitet, kann aber auch durch den Angeklagten selbst bewirkt
werden.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Dass in den Schauprozessen Vagheit sehr häufig auftritt, hängt mit
der paradoxen Situation zusammen, in der sich die Angeklagten
befinden: sie lassen sich auf Beschuldigungen und „Geständnisse“
von Taten ein, die sie nicht begangen haben. Aus der Not heraus,
einerseits erdachte Behauptungen zu bestätigen, also Unwahres zu
sagen, andererseits sich aber nicht ganz „untreu“ zu werden,
kommt es zu einer Konfrontation von zwei Strategien, die
unvereinbar sind. Die Folge davon ist die – bewusst oder
unbewusst gewählte – Unklarheit in der Aussage (Verstoß gegen
die Maxime der Modalität nach Grice 1980).
 Diese Vagheit muss aber die vernehmende Seite in einem
forensischen Dialog aufzulösen versuchen, ob es nun ein normales
Polizeiverhör oder ein Schauprozess ist.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Bei der Vernehmung von Sergej A. Bessonov kommt es zu
dem folgenden Dialog zwischen dem Staatsanwalt und
dem Angeklagten (Bsp. Nach Freidhof : 100f.)






Vaše otnošenie k Oktjabr‘skoj revoljucii?
2 Bessonov: Ésérovskoe. [éser = to že, čto socialistrevoljucioner]
3 Vyšinskij: To est‘?
4 Bessonov: Vmeste s drugimi éserami ja ne prinimal
Oktjabr‘skoj revoljucii. V avguste 1918 goda ja porval
s éserami i v oktjabre 1918 goda ob étom zajavil oficial‘no.
5 Vyšinskij: No do 1918 goda?
6 Bessonov: Do 1918 goda razdelil celikom i polnost‘ju
1 Vyšinskij:
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache



Bessonov ff.: ustanovki éserovskoj partii za isključeniem
voennogo perioda, kogda ja byl poražencem.
7 Vyšinskij: V étot period vremeni vaše otnošenie k
Oktjabr‘skoj revoljucii, k Kommunističeskoj partii bylo
kakoe? Položitel‘noe ili otricatel‘noe?
8 Bessonov: Otricatel‘noe.
6
 [SO 1938, 40 = Sudebnyj otčet po delu antisovetskogo
„pravo-trockistskogo bloka“ . Moskva 1938].
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 B) Präzisieren mit dem Ziel, zur Verständnis-
sicherung beizutragen
 Die Präzisierung dient in dem Prozess vor allem der
Verschärfung eines „belastenden“ Momentes (wird also
vom Staatsanwalt entweder evoziert oder realisiert) oder
der Verteidigung durch den Angeklagten, in dem ein
solches Moment der Belastung entschärft wird. Die
Präzisierung hat daher nicht selten auch die Funktion einer
K o r r e k t u r.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Vernehmung von Fajzulla Chodžaev, während der der Angeklagte auf








„Veranlassung“ des Staatsanwalts („To est?“) eine Liste von Exempla
aufführt, die den Ausgangsausdruck verständlicher, präziser machen:
1 Chodžaev: (...) Éti tri vešči vyzvali nedovol‘stvo Bucharina.
2 Vyšinskij: V čem éto vyrazilos‘?
3 Chodžaev: On skazal, čto plocho rabotaem, čto nel‘zja tak rabotat‘.
Konečno, on menja ne rugal i ne mog rugat‘, a tak prosto govoril, čto
éto plocho, čto éto nedostatočno, čto tak sojuzniki ne rabotajut.
4 Vyšinskij: Predlagal projavljat‘ bol‘še aktivnosti?
5 Chodžaev: Da, lučše, aktivnee rabotat‘...
6 Vyšinskij: To est‘?
7 Chodžaev: Po organizacii povstančeskich kadrov.
8 Vyšinskij: Éto raz.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache





organizacii terrorističeskich grupp.
10 Vyšinskij: Éto dva.
11 Chodžaev: I svjaz‘ s Angliej.
12 Vyšinskij: Čto u vas treboval Bucharin, govorja o svzai s Angliej?
13 Chodžaev: Ja chotel ob étom potom rasskazat‘, no mogu i sejčas éto
sdelat‘. (.......) (SO 1938:208f.) (nach Freidhof 1996:101)
9 Chodžaev: Po
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die Präzisierung in der Funktion der gerichtlichen Terminolo-
gisierung:
 Verhör von Grigorij F. Grin‘ko (SO 1938:75)
 1 Grin‘ko: (...) Stavilsja takže prjamo vopros o neobchodimosti ubrat‘
Ežova, kak čeloveka naibolee opasnogo dlja zagovórščikov.
 2 Vyšinskij: Čto značit „ubrat‘“?
 3 Grin‘ko: Ubrat‘ – éto značit ubit‘.
 4 Vyšinskij: Tak i nado govorit‘.
 5 Grin‘ko: Ja skazal „ubrat‘“ potomu, čto éto imelo dvojnoj smysl: s
odnoj storony, diskreditacija Ežova vnutri partii, podryv ego avtoriteta,
s drugoj storony, - ubrat‘ fizičeski.
 6 Vyšinskij: Éto ja ponimaju, no mne takže nebezinteresno, čto
ponimalos‘ pod slovom ubrat‘, v kriminal‘nom smysle.
 7 Grin‘ko: Ubrat‘ – značit ubit‘.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 C) Zusammenfassen mit dem Ziel, einen
Vernehmungsabschnitt abzuschließen ggf. auch zu
bewerten
 Vernehmung von Vasilij F. Šarangovič wird sog.
„Schädlingsarbeit“ auf unterschiedlichen Gebieten der
Wirtschaft vorgeworfen. Während des Verhörs kommt es
zu einer zwischenzeitlichen Zusammenfassung, die der
Staatsanwalt Vyšinskij mit der Partikel značit „d. h.“
einleitet:
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
Šarangovič: Ja zanimalsja vreditel‘stvom, glavnym
obrazom, v oblasti sel‘skogo chozjajstva. V 1932 godu my,
i ja lično, v étoj oblasti razvernuli bol‘šuju vreditel‘skuju
rabotu. Pervoe – po sryvu tempov kollektivizacii.
 (...)
 2 Šarangovič: Pozdnee neskol‘ko, po linii sel‘skogo
chozjajstva byla provedena nami vreditel‘skaja rabota v
oblasti nadelenija kolchoznikov prisadebnymi učastnikami
(...)
 3 Vyšinskij: I vse éto bylo pod vašim neposredstvennym
ukazaniem?

1
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
Soveršenno pravil‘no. Dal‘še, po sel‘skomu
chozjajstvu, ja choču skazat‘ otnositel‘no našej diversii v
oblasti konevodstva. (...)
 (…)
 5 Vyšinskij: A v oblasti promyšlennosti?
 6 Šarangovič: V oblasti promyšlennosti vreditel‘stvo
ochvatilo takie ob‘‘ekty kak torf. (...)
 (...)
 7 Šarangovič: Da. I celyj rjad ešče vreditel‘stv, kotorye šli
po linii promyšlennosti. Dal‘še, govorja o vreditel‘stve, ja
dolžen ostanovit sja na kul turnom fronte, (...)

4 Šarangovič:
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache



Vyšinskij: Slovom, po všem linijam kul‘turnogo fronta,
gde tol‘ko možno bylo vredit‘ ?
9 Šarangovič: Soveršenno pravil‘no.
10 Vyšinskij: Značit, podytoživaja vašu prestupnuju
vreditel‘skuju dejatel‘nost‘, možno skazat‘, čto ni odna
otrasl‘ socialističeskogo stroitel‘stva ne ostalas‘ vne vašej
vreditel‘skoj dejatel‘nosti?
8
 Der eigentlichen Zusammenfassung in turn 10, die makrostrukturell
ausgerichtet ist, geht eine weitere mikrostrukturelle Zusammenfassung
in 8 voraus, eingeleitet durch das Signal „slovom“ („mit anderen
Worten“, „anders ausgedrückt“) !
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 In der Metakommunikation geht es auch darum,
sprechaktbezeichnende Ausdrücke (d. h. Verben, aber
auch nominale Derivationen und ggf. Sprechakt
bezeichnende Phraseologismen oder analytische
Konstruktionen) sprechaktklassifikatorisch festzulegen.
 Wenn ich sage: „Ich verstehe Ihre Behauptung in dem
Sinne, dass…“, dann bewerte ich eine Replik des
Dialogpartners als eine <Behauptung>, ohne dass dieser
das Lexem BEHAUPTEN gebraucht haben muss.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Metakommunikativer Sprechakt:
 „In einem metakommunikativen Sprechakt spricht Sp1
über Aspekte des Gesprächs, das er gerade mit Sp2 führt.“
 Im Prozess von 1938 kommen metakommunikative
Sprechakte häufig vor, z. B. in einem Dialog zwischen
Bucharin und dem Staatsanwalt wird die Replik …
Bucharins vom Staatsanwalt Vyšinskij als eine
<Behauptung> eingestuft, die der Behauptung der Zeugin
Jakovleva entgegensteht (im Gegensatz zur Feststellung
gilt eine Behauptung als nicht erwiesen)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache







Ja že govorju, čto predpolagalos‘, čto étot samyj akt možno
sdelat‘ takim obrazom, čtoby on byl nasil‘stvennym, no ne krovavym
(gemeint ist der (angebliche) Versuch der Inhaftnahme von Lenin,
Stalin und Sverdlov – P.K.), i potomu ne možet byt‘....
2 Vyšinskij: Nasil‘stvennym, no ne krovavym.
3 Bucharin: Vy menja arestovali, éto est‘ akt nasilija, no ja, odnako,
ešče živ, ja možet byt‘ ne budu živ i daže počti v étom uveren, no ešče
živ, čemu svidetelem služit to, čto ja govorju s étoj skam‘i
podsudimych.
4 Vyšinskij: Éto naprasnoe otstuplenie ot doprosa.
5 Bucharin: Ja vam govorju, čto bylo.
6 Vyšinskij: Ja choču vyjasnit‘ tol‘ko, gde vy provodili liniju meždu
nasil‘stvennym arestom v processe bor‘by i meždu ubijstvom, gde vy
provodili?
7 Bucharin: Byli razgovory togda, čto nužno obespečit‘ i garantirovat‘
1 Bucharin:
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache



Bucharin ff.: polnuju sochrannost‘ označennych lic.
8 Vyšinskij: Éto vy utverždaete, a Jakovleva govorit, čto govorilos‘
kak raz obratnoe (also die gegensätzliche Behauptung = P.K.)
9 Bucharin: Ja s étim ne soglasen i govorju, čto ona govorit nepravdu.
7
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Metakommunikativer Vorwurf an den Angeklagten, er provoziere






Streit durch die Verwendung eines für einen forensischen Dialog
unzulässigen „witzigen“ Ausdrucks:
Vyšinskij: (...) Operacii, kotorye byli prodelany po ukazaniju vašego
„pravo-trockistskogo bloka“, izvestny vam ili net?
Zelenskij: Da, izvestny.
Vyšinskij: V čem oni zaključalis‘?
Zelenskij: Oni zaključalis‘ v sledujuščem: vse zagotovitel‘nye
organizacii pri vyrabotke masla pol‘zovalis‘ mirovymi standartami,
opredeljajuščimi sortnost‘ masla.
Vyšinskij: Éto ne to.
Zelenskij: Vot éto i est‘.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Vyšinskij: Net.
 Zelenskij: Kak net? Éto proizvodilos‘…
 Predsedatel‘stvujuščij: Podsudimyj Zelenskij, ne prerekajtes‘ i
otvečajte po suščestvu.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Vyšinskij: Menja interesuet vaše prestuplenie.
 Bucharin: Chorošo, no prestuplenij étich tak mnogo, graždanin





Prokuror, čto iz nich nužno vybirat‘ naibolee suščestvennye.
Vyšinskij: Menja interesujut oni vse, ne na vyborku, a ot načala do
konca.
Predsedatel‘stvujuščij: Poka ešče vy chodite vokrug do okolo, ničego
ne govorite o prestuplenijach.
Bucharin: Značit, vy ne sčitaete nelegal‘nuju organizaciju
prestupleniem, rjutinskuju platformu tože ne sčitaete prestupleniem?
Vyšinskij: Ne v étom delo, no vam govorjat, čto vy chodite vokrug da
okolo.
Predsedatel‘stvujuščij: Podsudimyj Bucharin, ja vas prošu ne
prerekat‘sja, a govorit‘, esli vy chotite govorit‘.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die Verwendung metakommunikativer Äußerungen in dem
Bericht zum Prozess von 1938 ist von großer Produktivität.
Die hier angeführten Belege zeigen zum Großteil
reaktivischen Charakter, d. h. ein Sp1 (Sprecher) reagiert
auf die Äußerung eines anderen Sp2: etwa mit der
Einstufung als <BESTREITEN> (<WIDERSPRECHEN>), als <BEHAUPTEN> oder
<ERKLÄREN>, aber auch mehr spezifischer Natur: als
<STREITEN> oder <SICH WITZIG ÄUßERN>.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Bei der Vernehmung von Akmal‘ Ikramov kommt es zu



einem „Zwischendialog“, in dem der Staatsanwalt eine
mehrere Repliken vorher von Nikolaj I. Bucharin
gemachte Äußerung als Widerspruch klassifiziert (SO
1938:313f.):
1 Vyšinskij: Ja Bucharina choču sprosit‘. U vas bylo
svidanie s Ikramovym v 1933 godu?
2 Bucharin: Bylo, ja žil u nego v tečenie neskol‘kich dnej v
1933 godu.
3 Vyšinskij: Značit, on pravil‘no rasskazyvaet?
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
Bucharin: Soveršenno pravil‘no.
 5 Vyšinskij: Byli političeskie razgovory?
 6 Bucharin: Byli.
 (...)
 7 Vyšinskij: O vreditel‘stve tože s nim govorili?
 8 Bucharin: Net, ne govoril.
 9 Vyšinskij: Čto že on nepravil‘no pokazyvaet?
 10 Bucharin: On, očevidno, sputal.
 11 Vyšinskij: Možet byt‘, popozže govorili?

4
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 12 Bucharin: Delo v tom, čto Ikramov na očnoj stavke otrical vsjakij







razgovor političeskogo charaktera. Ja zastavil ego soznat‘sja.
(...)
13 Vyšinskij: Otricaete, čto v étot raz govorili o vreditel‘stve i
diversijach?
14 Bucharin: Éto byl pervyj razgovor.
15 Vyšinskij: Počemu vy ne otvečaete na vopros?
16 Bucharin: Ja motiviruju moj otricatel‘nyj otvet.
17 Vyšinskij: Mne motivirovka ne nužna.
18 Bucharin: Ja otvečaju otricatel‘no.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die von dem Staatsanwalt mit ‚otricaete‘ eingeleitete
Replik in turn 13 nimmt Bezug auf die Äußerung
Bucharins „net, ne govoril“ in turn 8 und hat die Funktion
einer metakommunikativen Rückbestätigung, die für
forensische Dialoge und insbesondere Gerichtsverfahren
typisch ist, um Sachverhalte genau festzuhalten (für das
Protokoll).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Master Speech Act:
 Metakommunikativer Sprechakt, bei dem die
gesprächssteuernde Person (in Interviews der Interviewer,
in Talk Shows der Talk Master, in Gerichtsprozessen der
Staatsanwalt oder der Richter) den Verlauf des Dialogs
thematisch und/oder interaktionell festzulegen versucht,
bzw. „Maximen für den weiteren Verlauf des Gesprächs
aufzustellen“ (Hindelang 1983:36).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Master Speech Act nach Fotion (1971:234):
 „Similarly when someone says „Let us pray“, his speech
act suggests that those who are within earshot adopt a
certain attitude, manner, or what have you, for a set period
of time and, as a part of that attitude or manner, use
language in a certain way or ways. In effect what we have
here (…) are speech acts which cotroll other speech acts.
Since these speech acts play this controlling or
masterminding role I propose to call them master speech
acts.“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Im Schauprozess treten folgende metakommunikativen
Äußerungen auf, die als Master Speech Act(s) (MSA)
bezeichnet werden können, auf, die sich nach Freidhof
(1996:118f.) in folgende grobe Klassen einteilen lassen:
 1) MSA, die die prozedurale Steuerung des Dialogs,
also den Ablauf der Sitzung oder eines Vernehmungsteils
betreffen. Eine Äußerung wie „Sie sind jetzt nicht an der
Reihe, antworten Sie, wenn ich Sie frage“ oder „Wir
kommen nun zur Vernehmung des Angeklagten X“ sind
hierzu zu zählen.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 2) MSA, die die thematische Steuerung des Dialogs
betreffen, etwa: „Sprechen Sie zum Thema/Problem X“,
„Sprechen Sie zu dem Detail XYZ“ (Specifier nach Fotion
1979:621), „Beschränken Sie sich auf das Wesentliche“,
„Kehren Sie zur Kernfrage, zum Ausgangspunkt zurück“
(Generalizer, nach ibidem).
 3) MSA, die die modale Steuerung des Dialogs betreffen,
so z. B.: „Sprechen Sie offen“, „Formulieren Sie präziser“,
„Sprechen Sie verständlicher, nicht so poetisch, nicht so
verworren, deutlicher usw.“ (vgl. Maxime der Modalität
nach Grice 1980:114).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 4) MSA, die die phatische Steuerung des Dialogs
betreffen, d. h. es geht um solche metakommunikativen
Äußerungen, die den Start oder erneuten Start der
Partnerreede freigeben oder aber gerade diese beenden
oder unterbrechen (vgl. Interrupter, Restarter nach Fotion
1979:621). Im Extremfall kommt es zur Blockade der
Partnerrede (vgl. Freidhof 1979:621), zu der die leitende
(im konkreten Fall wohl auch die vernehmende) Instanz im
Schauprozesse legitimiert ist bzw. legitimiert wird.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 1) MSA, die die prozedurale Steuerung des Dialogs,
also den Ablauf der Sitzung oder eines Vernehmungsteils,
betreffen.
 Richter: Perechodim k doprosu podsudimogo Bucharina
(SO 1938: 331)
 Richter: Podsudimyj Bucharin, prodolžajte vaši pokazanija
o vašej antisovetskoj dejatel‘nosti (ibidem: 351) – hier ist
eine Überlappung zu der Klasse 4 der MSA erkennbar
 Richter: Pristupaem k doprosu obvinjaemogo Zubareva
(ibidem:128).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Metakommunikative Absprachen des Vorsitzenden





Richters mit dem Staatsanwalt:
Richter: Sadites‘. Zasedanie prodolžaetsja. Tovarišč
Vyšinskij, u vas est‘ voprosy k Bessonovu? (ibidem: 66)
Richter: U vas est‘ ešče voprosy k podsudimomu Grin‘ko?
Stereotype prozedurale Abschlussformeln zum Ende einer
Sitzung oder eines Sitzungsteils:
Richter: Ob‘‘javljaetsja pereryv na dva časa (ibidem:65)
Richter: Na étom segodnjašnee zasedanie zakančivaetsja.
Zavtra prodolženie zasedanija v 11 časov (ibidem: 103)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Prozedurale MSA bei der Vernehmung der Zeugen:
 Richter: Vy vyzvany svidetelem po delu Bucharina Nikolaja
Ivanoviča. Predlagaetsja pokazyvat‘ pravdu. Tovarišč
Prokuror, vy imeete voprosy k svidetelju Mancevu?
(ibidem: 414)
 Reden der Verteidiger und die Erteilung des Schlusswortes
des Angeklagten:
 Richter: Sadites‘, požalujsta. Zasedanie prodolžaetsja.
Slovo imeet člen kollegii zaščitnikov tovarišč Braude
(ibidem:615)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Richter: Slovo imeet člen kollegii zaščitnikov tovarišč
Kommodov (ibidem: 621)
 Richter: Sadites‘, požalujsta. Podsudimyj Bucharin, vam
predostavljaetsja poslednee slovo (ibidem: 678).
 Richter: Podsudimyj Jagoda imeet poslednee slovo.
(ibidem: 693)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Prozedurale MSA, die das Rederecht steuern und dem






Angeklagten das Rederecht entziehen können:
Vyšinskij: Inače govorja, orientacija na poraženie SSSR?
Bucharin: V obščem, summarno, povtorjaju – da.
Predsedatel‘stvujuščij: Voprosov bol‘še net?
Vyšinskij: Net.
Bucharin: Možet byt‘, vy mne razrešite, graždanin
predsedatel‘stvujuščij, skazat‘ paročku slov otnositel‘no
teoretičeskich ékskursov?
Predsedatel‘stvujuščij: Net, éto pri vašem doprose.
Pristupaem k doprosu obvinjaemogo Zubareva. (...)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 2) MSA, die die thematische Steuerung des Dialogs




betreffen:
Predsedatel‘stvujuščij: Kakie vorposy imejutsja u vas,
tovarišč Prokuror?
Vyšinskij: Podsudimyj Grin‘ko, rasskažite sudu o svoej
prestupnoj dejatel‘nosti. (ibidem: 66)
Bucharin: Ja znaju, čto Ikramov dostatočno ser‘eznyj
čelovek. (...) Ja ne glup, tak rassuždat‘ ne mogu, kak
pokazyvaet Ikramov. Razgovor načalsja...
Vyšinskij: Ja ne interesujus‘, s čego načalsja razgovor. Ja
vas sprašivaju, v 1935 godu vstreča na četvertom étaže
byla? (ibidem: 314)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 3) MSA, die die modale Steuerung des Dialogs
betreffen:
 Hierbei geht es um Unklarheiten im phonetischakustischen Bereich ebenso wie im semantischen. Meist
geht es um die Aufforderung zur Reformulierung
(Paraphrase), weil der gewählte Ausdruck vom
Rezipienten nicht verstanden wird oder dieser dies zum
Zweck der „Überführung“ vortäuscht: ein gutes Beispiel
für vorgetäuschte Unklarheit beim Rezipienten findet sich
im Metadialog, als der Staatsanwalt dem Angeklagten
Bucharin vorwirft, „philosophierend“, also unklar und
vage zu antworten. Er fordert ihn auf, die „Philosophie“
beiseite zu lassen.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Vyšinskij: Podsudimyj Bucharin – fakt ili ne fakt, čto
gruppa vašich soobščnikov na Severnom Kavkaze byla
svjazana s beloémigrantskimi kazackimi krugami za
granicej? Fakt ili ne fakt? Rykov govorit ob étom, Slepkov
govorit ob étom.
 Bucharin: Esli Rykov govorit ob étom, ja ne imeju
osnovanija ne verit‘ emu.
 Vyšinskij: Možete mne otvetit‘ bez filozofii?
 Bucharin: Èto ne filozofija.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 4) MSA, die die phatische Steuerung des Dialogs
betreffen: hierbei wird der Kontakt zum Gesprächspartner
freigegeben, unterbrochen, beendet, erneut freigegeben
oder auch blockiert. Die Produktivität solcher MSA hängt
damit zusammen, dass beim forensischen Dialog und
insbesondere beim Verhör in einem Schauprozess die
leitende bzw. anklagende/venehmende Instanz legitimiert
ist bzw. sich legitimiert sieht, den Gesprächsablauf in
besonderer Weise asymmetrisch zu gestalten.
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Sprache
 Vyšinskij: Skažite, požalujsta, čto iz vsego étogo
proizošlo?
 Levin: Dlja obyčnogo bol‘nogo sdelat‘ podarok trudno,
poskol‘ku ....
 Vyšinskij: Izvinite, ja vas ešče raz pereb‘ju. Kogda vas
osvoboždali ot vsjakogo roda tamožennych osmotrov, vy
sčitali, čto éto estestvenno i zakonno?
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
6. Zur Sprache der Politik (14.06.06)



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
Politolinguistik
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Politolinguistik (oder auch politische
Kommunikation) ist die wissenschaftliche
Untersuchung der Kommunikation in der Politik.
Sie gehört zur Allgemeinen Sprachwissenschaft,
wo sie einen Teil der Angewandten Linguistik
ausmacht. Politolinguistik ist empirisch
ausgerichetet und gehört zur linguistischen
Pragmatik.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht
der Sprache
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Inhaltsverzeichnis
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1 Geschichte
2 Themen
 2.1 Sprache und politisches System (Polity)
 2.2 Sprache und der politische Prozess
(Politics)
 2.3 Sprache und Politikfelder (Policies)
 3 Theorien
 4 Literatur
 [Bearbeiten]
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht
der Sprache
 Geschichte
 Politolinguistik ist im deutschsprachigen Raum
erst seit dem Zweiten Weltkrieg ein
Forschungsgebiet, obwohl die Rhetorik schon
seit der Antike zur politischen Linguistik gehört
und wird erst seit den fünfziger Jahren
vorangetrieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg
wurde die Nazi-Sprache analysiert und seit der
Gründung der DDR und der SED und deren
Ideologie-Sprache wurde das Ideologie-Vokabular
untersucht.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht
der Sprache
 Themen
 Politolinguistik befasst sich mit den folgenden drei Themen: Sprache




und politisches System (polity), Sprache und der politische Prozess
(politics) und Sprache und Politikfelder (policies):
[Bearbeiten]
Sprache und politisches System (Polity)
Politiklinguistik befasst sich einerseits mit der Sprache und dem
politischem System. In diesem Zusammenhang werden seit den
1950er Jahren zwei Fachgebiete untersucht: Einerseits handelt es sich
um die Nazisprache und andererseits mit der Zwei-Staaten-Frage und
somit mit der stark ideologisch geprägten Sprache der DDR, bzw. der
SED. Es gehört dazu auch die linguistische Untersuchung von
parlamentarischen Debatten (welche ein kommunikatives
Grossereigniss darstellt) und in der Schweiz wird auch die Sprache der
direkten Demokratie untersucht. Es handelt sich also um die
Untersuchung von Meinungs- und Ideologiesprache.
[Bearbeiten]
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht
der Sprache
 Sprache und der politische Prozess (Politics)
 Zweitens befasst sich Politolinguistik mit dem politischen




Prozess, also mit der Untersuchung von Reden, Wahlkämpfen,
Skandalen usw. Der politische Prozess wird völlig von Sprache
bestimmt ("Stimmenfang"), in welchem verschiedene Stilmixe
auftreten und Code-Switching geschieht.
[Bearbeiten]
Sprache und Politikfelder (Policies)
Drittens befasst sich Politolinguistik mit verschiedenen
Themenfeldern der Politik, beispielsweise der 68-er Generation,
der ökologischen Bewegungen, Friedensbewegung, den NatoBeschlüssen, Asyl- und Migrationsthema und der Europapolitik.
[Bearbeiten]
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht
der Sprache
 Theorien
 Wichtige Schlagworter für die Theorie der politischen
Kommunikation stellen Bedeutungskonkurrenz und
Bezeichnungskonkurrenz dar. Unter Bedeutungskonkurrenz
versteht man, wenn dasselbe Wort in unterschiedlichen
Bedeutungen verwendet wird, z.B. das Hochwertwort
"Sozialismus" in einem sozialistischen Kontext mit den
Merkmalen "Klassen" und "Kampf" und in einem
nichtsozialistischen Kontext ohne diese Merkmale zu
verwenden. Von Bezeichnungskonkurrenz spricht man, wenn
dieselben Maßnahmen für die Befürworter "Umbau" und für die
Gegner "Abbau" bedeuten. Bedeutungs- und
Bezeichnungskonkurrenz sind die beiden wichtigsten Formen
des semantischen Kampfes.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht
der Sprache
 Literatur
 Armin Burkhardt: Das Parlament und seine Sprache. Studien zu
Theorie und Geschichte parlamentarischer Kommunikation.
Tübingen. Niemeyer, 2003.
 Walther Dieckmann: Sprache in der Politik. Einführung in die
Pragmatik und Semantik der politischen Sprache. Heidelberg.
Carl Winter, 1969.
 Josef Klein: Politische Kommunikation Sprachwissenschaftliche Perspektiven, in: Otfried Jarren,Ulrich
Sarcinelli, Ulrich Saxer (Hrsg.): Politische Kommunikation in der
demokratischen Gesellschaft Ein Handbuch mit Lexikonteil.
Westdeutscher Verlag, Opladen, 1998, S. 187-199.
 Von „http://de.wikipedia.org/wiki/Politolinguistik“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
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Путин: без правил хаоса не избежать
(Pravda 02.06.2006 20:53)
"Россия никогда не ставила для себя вопрос о включении
каких-либо территорий за ее пределами в состав
российского государства", - сказал Владимир Путин на
встрече с руководителями информагентств стран
"восьмерки".
Übers: Putin: ohne Regeln (Gesetze) kann man Chaos nicht
vermeiden
„Russland hat sich nie die Frage gestellt bezüglich der
Einverleibung irgendwelcher Territorien jenseits seiner Grenze
in den Bestand des russischen Staates“, sagte VP auf dem
Treffen der Großen 8-Staaten.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
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 Президент РФ призвал международное сообщество выработать
единые подходы к вопросам, связанным с решением проблем
территориальной целостности государств: "Я считаю, что все мы
должны и в состоянии выработать единые правила, нормы и
подходы к событиям одного порядка, происходящим в различных
регионах мира, иначе мы придем к хаосу", - подчеркнул президент.
 Übers: Der Präsident der Russischen Föderation lud die internationale
Gemeinschaft dazu ein, einheitliche Methoden zu erarbeiten, die mit
dem Problem der territorialen Einheit der Staaten verbunden sind: „Ich
meine, dass wir alle müssen und dazu auch in der Lage sind,
einheitliche Regeln, Normen und Herangehensweisen zu erarbeiten zu
Ereignissen eines Ordnungssystems, die in den verschiedenen
Regionen der Welt passieren.“, unterstrich der Präsident.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
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 Говоря о референдуме о независимости Черногории, президент
признал важность принятого на нем решения. Вместе с тем он
подчеркнул, что "мы должны определить, что мы ставим для себя
приоритетом при решении проблем подобного рода - задачу
сохранения территориальной целостности государства или некие
трудно объяснимые понятия исторической справедливости и
политической целесообразности", сообщает «Интерфакс».
 Übers.: Bezug nehmend auf das Referendum zur Unabhängigkeit von
Monte Negro unterstrich der Präsident die Wichtigkeit der bei diesem
Referendum getroffenen Entscheidung. Zugleich unterstrich er, (dass)
„wir müssen definieren, was für uns Priorität bei der Lösung von
ähnlichen Problemen ist – die Aufgabe der territorialen Einheit des
Staates oder irgendwelche schwer erklärbaren Begriffe der historischen
Gerechtigkeit und der politischen Vernunft,“ – berichtet Interfaks.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
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 Путин: Запад должен платить из собственного
кармана за то, что происходит сейчас на
Украине
 Президент России Владимир Путин призвал
Запад платить за то, что происходит на Украине
из собственного кармана. "Россия 40 лет
поставляла в Европу энергоносители, не
останавливаясь ни на один день, ни на один час, и
в начале этого года Россия в полном объеме
обеспечила поставки для европейских
потребителей", - отметил глава российского
государства на встрече с руководителями
ведущих информагентств "восьмерки".
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 "То, что страна транзитер - Украина - отбирала
часть газовых ресурсов - это вопрос к ней", сказал он.
 Путин призвал: "Давайте не будем наводить тень
на плетень, давайте прямо и честно говорить о
проблеме, наши западные друзья поддержали
оранжевые события на Украине, то, что там
сейчас происходит, мы все видим, там есть много
проблем, если хотите это поддерживать, вы за это
заплатите, почему за это должна платить
Россия?"
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 "На протяжении последних лет Россия ежегодно
субсидировала украинскую экономику по 3-5 млрд
долларов, и каждый год мы ставили вопрос, что
нужно переходить на рыночное
ценообразование", - напомнил Путин. "Давайте
выходить на то, чтобы работать по единым
правилам", - призвал он. "Почему потребители в
ФРГ должны платить по 250 долларов, а на
Украине - по 50? Если хотите - сделайте им
подарок, возьмите, выньте эти деньги из карманов
своих налогоплательщиков, мы ничего против не
имеем, платите деньги", - сказал он.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
"Наши деловые партнеры, особенно европейские, никогда
не сомневались и сейчас не сомневаются в надежности
отношений с Россией на энергорынке", - убежден Путин. "А
вопрос такого рода, сама постановка таких вопросов нами
оценивается как способ побудить нас к принятию
односторонних решений, которые удовлетворяли бы наших
партнеров, но не учитывали интересы российской
экономики", - сказал президент, отвечая на вопрос
руководителя германского агентства ДПА Мальте фон Трота
по поводу возможного конца партнерских отношений России
и Европы в энергетике.
 "Это способ конкурентной борьбы", - подчеркнул российский
лидер. Об этом сообщает ИТАР-ТАСС.

[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
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 PRAHA 3. května 2006 | 15:25 Volným pokračováním Dálkového
výslechu, který před dvaceti lety vedl z německého exilu s Václavem
Havlem publicista Karel Hvížďala, je jejich knižní rozhovor doplněný
dokumenty, úryvky osobních denních záznamů, poznámkami a
instrukcemi prezidenta spolupracovníkům. Úryvky z nové knihy najdete
v dnešním vydání Lidových novin.
 Übers: Prag, LN, 3. Mai 2006/ Eine lockere Fortsetzung der
Fernvernehmung, die vor 20 Jahren aus dem deutschen Exil der
Publizist K.H. mit VH führte, stellt ihr literarisches Gespräch dar,
ergänzt mit Dokumenten, Ausschnitten von persönlichen Tagesnotizen,
sowie durch Bemerkungen und Instruktionen des Präsidenten an die
Mitarbeiter. Die Ausschnitte aus dem neuen Buch finden sich in der
heutigen Ausgabe der Lidové Noviny.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Nová kniha Karla Hvížďaly se jmenuje Václav Havel:
Prosím stručně a dnes ji na knižní trh uvádí
nakladatelství Gallery. Literární koláž střídá několik
žánrových rovin a strukturou textů potvrzuje příklon
zpovídaného k dramatické formě.
Übers.: Das neue Buch von KH heißt Václav Havel:
„Ich bitte bündig“. Und heute wird es durch den
Verlag Gallery auf den Markt eingeführt. Die
literarische Collage wechselt zwischen mehreren
Genres und durch die Textstruktur bestätigt sie die
Neigung des Befragten zur dramatischen Form.

[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 V osmdesátých letech jste tvrdil, cituji: „Dávám přednost politice,
která vychází ze srdce, nikoliv z nějakých tezí... Jeden elektrikář se
srdcem na správném místě může ovlivnit dějiny celého národa.“
Začal jste si už tehdy uvědomovat, že všechny vaše poznámky o
srdci jsou v přímém rozporu s praktickou politikou, která ve svých
výstupech naopak musí být velmi pragmatická?
 Übers.: In den achtziger Jahren haben sie behauptet: „Ich gebe den
Vortritt einer Politik, die vom Herzen ausgeht, und nicht von
irgendwelchen Thesen. Ein Elektriker mit Herz am richtigen Ort kann
die Geschichte eines ganzen Volkes beeinflussen.“ Sie fingen schon
damals an zu begreifen, dass alle Ihren Bemerkungen von der (Politik
des) Herzens in direktem Widerspruch mit der praktischen (Tages-)
Politik sind, die in ihren Auftritten sehr pragmatisch sein muss?
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Každé vyjádření – slovo, věta či pojem – je povýtce situační a je třeba
vnímat souvislosti, v nichž byly řečeny. To, co citujete, jsem psal v eseji
zabývající se politickým významem mravních postojů v totalitních
poměrech. V nich opravdu jedno statečné slovo Solženicynovo může
mít větší politickou sílu než v demokratických poměrech hlasy milionu
voličů. Ale to jen tak na okraj. Hlavní je, že za tím stojím vlastně
dodnes.
 Übers.: Jeder Ausdruck – Wort, Satz bzw. Begriff – ist vor allem
situationsgebunden und man muss die Zusammenhänge begreifen, in
denen er gesagt wurde. Das, was Sie zitieren, habe ich in einem Essay
geschrieben, das sich mit der politischen Bedeutung von moralischen
Einstellungen unter totalitären Bedingungen befasst. In diesen kann
wahrlich ein mutiges Wort Solzenicyns eine größere politische Macht
haben als die Stimme von Millionen von Wählern unter demokratischen
Bedingungen. Das Wichtigste ist, das ich dazu bis heute stehe.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache


V posledních patnácti letech jsem se totiž měl bezpočtukrát příležitost
přesvědčit, jak je i v demokratických poměrech důležité, aby politika nebyla jen
pouhou technologií moci, ale skutečnou službou občanům, službou pokud
možno nezištnou, založenou na určitých ideálech, která dbá mravního řádu nad
námi, pamatuje na dlouhodobé zájmy lidského rodu, nikoli tedy jen na to, co se
líbí veřejnosti této chvíle, a odmítá se proměnit jen ve hru různých partikulárních
zájmů či pragmatických cílů, za nimiž se nakonec skrývá jediné: snaha se za
každou cenu udržet u vesla.
Übers.: In den vergangenen 15 Jahren hatte ich nämlich unzählige Male die
Gelegenheit mich davon zu überzeugen, wie es auch in demokratischen
Verhältnissen wichtig ist, dass Politik nicht eine bloße Technologie der Macht ist,
sondern echter Dienst am Bürger, ein möglichst uneigennütziger Dienst, der sich
auf bestimmte Ideale gründet, die die sittliche Ordnung über uns berücksichtigt,
die langfristigen Interessen des Menschengeschlechts einbezieht, also nicht nur
auf das achtet, was der Öffentlichkeit in diesem Augenblick gefällt, und die es
ablehnt, sich in ein Spiel von verschiedenen partikulären Interessen bzw.
pragmatischen Zielen zu verwandeln, hinter denen letztendlich nur eines steht:
das Bemühen, unter jedem Preis am Ruder zu bleiben.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Samozřejmě: je něco jiného jen tak nezávisle filozofovat a
skutečně něčeho konkrétního v politice dosáhnout. To uznávám.
Ale to přece neznamená, že politika musí rezignovat na všechny
ideály, zříci se „srdce“ a stát se jen jakýmsi technokratickým
samopohybem.
Übers.: Selbstverständlich: es ist etwas Anderes, nur so frei zu
philosophieren und etwas Konkretes in der Politik zu erreichen.
Das sehe ich ein. Aber das bedeutet nicht, dass Politik auf
sämtliche Ideale verzichten müsste, dass sie das „Herz“
aufgeben und zu einem gewissen technokratischen Automat
werden sollte.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Sprache der Politik (Parlamentsdiskussionen)
 Beispiel des Ausdrucks des Kontrasts in parallelen
syntaktischen Strukturen in der Rhetorik Václav
Havels
 …definitivní tečku za naším prvním pokusem o demokratický stát udělal
patnáctého března roku 1939 jistý šílenec v holínkách, když vtrhl do
tohoto hradu, aby zvěstoval světu, že násilí vítězí nad svobodou a lidskou
důstojností. Vtrhl sem posel války. Posel hrubosti. Posel lži. Posel pýchi a
zla, bezpráví a krutosti. Vtrhl sem masový vrah. Vrah národů.
 Kdo sem tohoto člověka vpustil? Kdo mu dovolil znesvětit tyto starobylé
sály? Především to byla část jeho spoluobčanů, která podlehla jeho
primitivnímu apelu na zrádnou stránku jejich citů, archetypálních vidin a
národních a sociálních tužeb.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
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 Dále to byla nekonečná krátkozrakost tehdejších vlád Francie a Anglie,




které si myslely, že zachrání mír, když otevřou dveře poslu války.
A posléze to byl strach našeho vlstního státního vedení vzepřít se přesile a
riskovat velké nepochopení a velké oběti. Strach podbarvený možná i
tušenou spoluodpovědností za přezíravý vztah našeho tehdejšího státu k
právům národních menšin, který měl nepochybně vliv na to, že se tolik
občanů německé národnosti spolčilo s oním šílencem proti svému státu.
Jeho válka proti civilizovanému světu začala sice až druhého září, ale
vyhlášena byla vlastně už patnáctého března. A to zde, na Pražském
hradě.
Dnes, kdy stojíme na počátku našeho druhého pokusu o demokracii a kdy
si připomínáme to, co se stalo před jednapadesáti lety, vítáme na tomto
hradě jiného hosta.
Totiž představitele německé demokratie. Posla míru. Posla slušnosti. Posla
pravdy. Posla lidskosti. Zvěstivatele zprávy, že násilí nesmí už nikdy
zvítězit nad svobodou, lež nad pravdou a zlo nad lidským životem.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Muže, který řekl, že nic nesmí být zapomenuto, mimo jiné i proto,






že paměť je zdrojem víry ve vykoupení.
Před jednapadesáti lety sem nepozván vtrhl nepřítel.
Dnes je tu na naše pozvání přítel.
Tehdejší návštěva přinášela smrt naší předválečné demokracii.
Dnešní návštěva je pozdravem naší demokracie nové.
Tehdejší návštěva byla začátkem našeho novodobého neštěstí.
Dnešní návštěva se kryje s jeho koncem.
Náš tehdejší host nám otevřel cestu k porobě. Náš dnešní host nám
blahopřeje k naší čerstvě nabyté svobodě.
(Auszug aus der Ansprache des Präsidenten Václav Havel
anlässlich des Besuchs des Präsidenten der BRD Richard von
Weizsäcker 1990 in Prag)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Analyse:
 Der Kontrast zwischen zwei Persönlichkeiten, die im Abstand von
mehr als 50 Jahren die Prager Burg besucht haben, dient VH als
Ausgangspunkt der Reflexion auf das Thema totalitäre Diktatur
vs. Demokratie, Krieg und Frieden. Die stilistische Wirkung der
Ansprache (Begrüßungsrede) wird durch die Gegenüberstellung
von zwei längeren kontrastierenden Parallelismen erzeugt, die
durch stilistische Gradation der Schlüsselbegriffe posel „Bote“ –
masový vrah „Massenmörder“ – zvěstovatel „Verkünder“
gesteigert wird.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
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 Parlamentssitzungen im Parlament der ČR (Video-
Aufzeichnungen aus den Jahren 1998-2000; Quelle
Tschechisches Fernsehen; Hoffmanová 2003):
Abgeordnetenkammer (30 Stunden)
 Ähnlich wie beim Gerichtsprozess treten in den
Parlamentssitzungen vermehrt MSA auf, die in erster Linie
die Funktion haben, die Abgeordneten zur Ordnung zu
rufen, sie zu beruhigen. In den Aufzeichnungen werden
akustische Störungen des Kanals in runden Klammern
(šum v sále, v sále je velký hluk = Lärm im Saal)
angegeben.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Um diesen störenden Geräuschpegel zu überwinden,
einzudämmen oder zu beseitigen, bedient sich der
Parlamentspräsident in der Regel des MSA der
prozeduralen Steuerung /Typ 1/:
 Zahajuji schůzi a věřím že i vy to vezmete jako motiv ke zklidnění a
ztišení; jestli takhle hlučíme na začátku / tak nevím jak budeme
hlučet na konci „Ich eröffne die Sitzung und gehe davon aus (wörtl.
glaube fest), dass auch Sie dies als Anlass zur Beruhigung sehen; wenn
wir so schon am Anfang laut sind / dann weiß ich (wirklich) nicht wie
laut wir am Ende sein werden“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Vom Tisch des Vorsitzenden lassen sich häufig SA der Aufforderung,
der Bitte, der Ermahnung, des Rufens zur Ordnung in Form von
metakommunikativen direktiven, persuasiven bzw. insistierenden SA
vernehmen:
 prosím o klid ...ještě jednou prosím o klid ... já vážně prosím o klid ....ráda
bych požádala velectěnou Sněmovnu zda by bylo možno trochu ztišit šum v
tomto jednacím sále.... prosím o ztišení atmosfěry v jednacím sále protože v
takovém hluku se skutečně jednat nedá... pokusím se zjednat trochu důstojnější
prostředí.....prosím abychom méně pochodovali po Sněmovně
 „ich bitte um Ruhe… ich bitte noch einmal um Ruhe… ich bitte wirklich um
Ruhe ….ich möchte gerne die Abgeordnetenkammer darum bitten, ob es
möglich wäre, den Geräuschpegel in diesem Sitzungssaal zu senken…. Ich
bitte um Beruhigung der Atmosphäre denn in einem solchen Lärm kann man
wirklich nicht verhandeln… ich werde mich bemühen, eine würdigere
Umgebung zu verschaffen… ich bitte darum, in der Kammer weniger
spazieren zu gehen
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Oft werden die Ermahnungen an die Abgeordneten auch kausal
begründet:
 ...abyste umožnili svým kolegům vystoupení v důstojné atmosféře
 ...abyste svým konáním umožnili této Sněmovně pokračovat ve své práci
 ... aby hladina hluku byla odpovídající vážnosti problémů které zde řešíme
 Längere Appelle:
 Promiňte paní poslankyně páni poslanci / já jsem v tuto chvíli obdržela i
zprávu od stenografek že v tomto hluku není možno stenografovat / já doufám
že alespoň s ohledem na toto budete ochotni poněkud snížit hladinu hluku v
tomto sále... “Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete / ich
erhielt in diesem Moment eine Nachricht von den Stenographinnen, dass man
in diesem Lärm nicht stenographieren kann / ich hoffe, dass sie wenigstens
unter Berücksichtigung dessen bereit sind, den Geräuschpegel in diesem Saal
zu senken.“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Wenn dies alles nicht hilft, kommen sogar Appelle in
Form von SA des Drohens und der Warnens vor:
 Já opravdu nebudu dávat hlasovat nebude-li tady klid ve Sněmovně (...)
 „Ich lasse wirklich nicht abstimmen wenn hier in der Kammer keine Ruhe
herrscht“
 Vážení kolegové já prostě konstatuji / že nenastane-li klid ve Sněmovně já
normálně se zdvihnu z této židle přestanu řídit schůzi přeruším jednání / já to
říkám smrtelně vážně (...) já prostě oznamuji že já to předem oznamuji že budu
používat tuto metodu aby náhodou někdo nebyl překvapen ...
 „Geehrte Kollegen ich konstatiere einfach / dass wenn keine Ruhe im Saal
einkehrt stehe ich einfach vom Stuhl auf und höre auf diese Sitzung zu leiten
ich unterbreche die Sitzung / ich sage es tot ernst (…) ich kündige einfach an
dass ich es im voraus ankündige dass ich diese Methode benutzen werde damit
keine nachher überrascht ist..“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache

Manchmal kommt es vor, dass die Redner in Kooperation mit der
Parlamentsvorsitzenden selbst für Ruhe sorgen. Es kommt dann zum turn-taking in
Form folgender Repliken:
DM
nejprve vás požádám paní předsedající / abyste
požádala ty kolegyně a kolegy kteří chtějí vykládat /
aby vykládali venku / mě to ruší
„ich bitte Sie, Frau Vorsitzende, die Kolleginnen und
Kollegen, die sich unterhalten wollen, zu bitten, sich draußen
unterhalten, mich stört es“
PB
prosím o klid v jednacím sále „ich bitte um Ruhe im
Sitzungssaal“
DM
děkuji za snahu „ich danke für Ihre Bemühungen“
PB
pane poslanče / víc z tohoto místa nemohu pro vás udělat
„Herr Abgeordneter / mehr kann ich von dieser Stelle aus für Sie nicht
machen“
DM
ano / já jsem vám poděkoval za snahu ta byla rotomilá
„ja / ich habe Ihnen für Ihre Bemühung gedankt, sie war niedlich“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Wiederholt wird auch die Verletzung der Höflichkeitsmaxime
eingeklagt; sie wird zum Gegenstand eines Konflikts:

PD
JK
byl bych rád pane předsedající / kdyby pan K. za mými zády hlasitě
nedělal poznámky na téma co říkám / je možné abyste
ho napomenul pane předsedající? / napomeňte pana premiéra ať se naučí
slušnému chování
„ich wäre froh, Herr Vorsitzender / wenn Herr K. nicht laut hinter meinem
Rücken Bemerkungen zum Thema, was ich sage, machen würde / ist es möglich,
dass Sie ihn ermahnen, Herr Voristzender? / Ermahnen Sie Herrn Premier damit
er anständiges Benehmen lernt“
dobře pane poslanče já požádám v případě poslance V.K. /
protože jako na premiéra na něj samozřejmě nemám žádné páky /
jako poslance ho samozřejmě požádám / aby se zdržel hlasitých
projevů
během vašeho příspěvku (....) „gut, Herr Abgeordneter, ich werde im Falle des
Abgeordneten V.K. /denn in seiner Funktion als Premier habe ich natürlich keine
Mittel / also als Abgeordneten werde ich ihn selbstverständlich bitten / laute
Bemerkungen während Ihrer Rede zu unterlassen“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die bereits festgestellte mangelnde Disziplin der Abgeordneten als Resultat
der oft langen und anstrengenden Diskussionen in den Parlamentssitzungen
findet ihren Ausdruck in der häufig anzutreffenden Abwesenheit zahlreicher
Abgeordneter. Dann lassen sich oft die Redner mit den folgenden Worten
vernehmen:
 KM Vážená vládo či spíše vážené vládní torzo / protože při
pohledu do
lavice za mnou mě napadá otázka zda už
náhodou neprobíhá
restrukturace vlády „Verehrte Regierung oder eher
Regierungstorso / denn beim Anblick der Bank hinter mir fällt
mir die Frage ein ob nicht zufälligerweise die Restrukturierung
der Regierung verläuft“
 JL
(místopředseda vlády) onomu vládnímu torzu odpovídá asi tak
přesně poslanecké torzo „(Vizeprämier) Jenem Regierungstorso
entspricht in etwa genau das Abgeordententorso“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
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 Konfliktsituationen Abgeordnete vs. Regierung, Rechte vs. Linke,
die Regierungs- vs. Oppositionsparteien
 In den meisten Fällen wird dieser Antagonismus durch die
unterschiedliche politische Einstellung, Ideologie und Zugehörigkeit
zu unterschiedlichen politischen Lagern zum Ausdruck gebracht.
Selten kommen Konfliktsituationen in Form von offenen direkten SA
des <Kritisierens>, <Drohens>, <Beschimpfens> vor. Viel häufiger
werden die Konflikte durch indirekte SA ausgedrückt, sie sind durch
die Höflichkeitsmaxime und die Öffentlichkeit geprägt und
entsprechend abgemildert.
 Im Unterschied zu anderen Parlamenten kommt es in dem tsch.
Parlament sehr selten zu physischen Übergriffen. Drohungen dieser Art
hört man nur ausnahmsweise:
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 AG V každé slušné a zavedené sněmovně se někdy přihodí že si
poslanci dají pár facek / jestliže si ještě jednou vezmete do úst
pro svou pokleslou argumentaci naše odbojové a popravené
občany této země pak vám pane V. těch pár facek opravdu dám
„In jedem anständigen Parlament kommt es manchmal vor dass
sich die Abgeordneten ein Paar Ohrfeigen geben / wenn Sie noch
einmal aufgrund Ihrer gesunkenen Argumentation unsere Bürger
hingerichteten Widerstandskämpfer dieses unseren Landes
nehmen dann werde ich Ihnen Herr V. wirklich ein Paar
Ohrfeigen geben“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Manchmal passiert die Androhung von physischer Gewalt indirekt:
 MF s panem poslancem G. bych si rád některé věci vysvětlil mezi
čtyřma očima / a to fyzickým způsobem „mit dem Herrn
Abgeordneten G. würde ich manche Sachen unter vier Augen
regeln / und das auf physische Art und Weise“
Einige Abgeordnete nehmen wirklich kein Blatt vor Mund:
JW
musím reagovat na rozvášněnou řeč pana ministra V. / pane
ministře nenadávejte ani svým kolegům ani opozici / protože
vinen jste vy „Ich muss auf die leidenschaftlich erregte Rede von
Herrn Minister V. reagieren/ Herr Minister beschimpfen Sie
weder Ihre Kollegen noch die Opposition / denn schuld sind
allein Sie“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Bewertende Adjektive wie „demagogisch“, „populistisch“,
„illegitim“ gehören zu den beliebtesten Aufklebern, mit
denen Abgeordnete ihre Kollegen im Parlament häufig
etikettieren:
 PŠ domnívám se že vystoupení exministra V. bylo
demagogické a mírně řečeno populistické ty slzy které
tu pan exministr roní (...) jsou nelegitimní a řekl bych
krokodýlí „ich bin der Meinung dass der Auftritt von
Ex-Minister V. demagogisch und milde gesagt
populistisch war und die Tränen die Herr Exminister
vergießt (…) sind illegitim, sozusagen
Krokodilstränen“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Humor und Komik in den Reden von Politikern
 Wie man in zahlreichen Publikationen zu Humor, Wortspiel, Ironie und
Sprachwitz lesen kann (vgl. Kosta 1986, Nash 1985, Mulkay 1988, Chiaro
1992, Norrick 1993, Rosss 1998, Crystal 1998 u. a.), gründet sich Sprachwitz
am häufigsten auf Kontrast, Überraschung und Inkongruenz:.man erwartet
etwas und wird mit etwas ganz anderem konfrontiert, etwas, was die
Konventionen und Regeln bzw. Tabus verletzt: in der Abgeordnetenkammer
wird oft der Kontrast zwischen einem gewichtigen, ernsten Thema oder
Problem und seiner grotesken trivialen Konkretisation bewirkt, z. B. wenn ein
Abgeordneter vom institutionellen Dialog der Parlamentsrede zu seinen
eigenen privaten Problemen des Alltags springt: es wirkt z. B. komisch und
nicht allzu würdevoll, wenn der Präsident des höchsten Kontrollorgans, der im
Parlament einen Tätigkeitsbericht seiner Institution gibt, immer wieder zum
Thema zurückkehrt, dass das Parlament kein repräsentatives Gebäude besitzt,
dass es zwischen Hafen und Bahnhof siedelt, und wie folgt fortsetzt:
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 stala se tam i taková příhoda že v pravé poledne
sekretářku která vyšla ven rvali do auta nějací muži a když
jim vytrhla říkali že je hloupá že mohla být bohatá kdyby s
nimi jela na E 55 „es passierte dort auch so eine
Geschichte, dass am Mittag irgendwelche Kerle meine
Sekretärin, die herausging, in einen Wagen zerrten und als
sie sich ihnen entriss sagten sie zu ihr, sie sei dumm, sie
hätte reich werden können wenn sie mit ihnen auf die E 55
gefahren wäre“ (es geht hier um die Tätigkeit als
Prostituierte auf der berühmt berüchtigten E 55 bei
Dresden/Dubí)
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Eigenwillige Fälle der Konkretisierung lassen sich aus dem
Munde der Abgeordneten vernehmen, wenn es um das
Gesetz zum Schutz vor Alkohol und Drogen geht, z. B. der
Abgeordnete P.Č.: nevadí mi když kolega B. kouří a
neobtěžuje mě / a jsem dokonce ochoten ze soldárního
zdravotního pojištění na jeho rakovinu připlácet // jen
abych ji nedostal já dříve než on. „es macht mir nicht aus
wenn der Kollege B. raucht und es belästigt mich auch
nicht / ich bin sogar bereit vom dem Solidaritätsbeitrag zur
KV hinzuzuzahlen für seinen Krebs // nur dass ich ihn nicht
früher bekomme als er“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Zu einem sehr anschaulichen Dialog zwischen zwei
Abgeordneten kommt es im folgenden Beispiel, wo es
ebenfalls um die Behandlung des Alkohol-/Drogengesetzes
geht:
 EJ nejde mi o to že si někdo dá koňak v bufetu / ale o to
aby si někdo nepřinesl flašku rumu do hlediště divadla
kde dávají Prodanou nevěstu / a nezačal si přihýbat
„ es geht mir nicht darum, dass jemand einen Cognac
in einer Bar zu sich nimmt / sondern darum, dass er
nicht auch noch eine Flasche Rum in den
Zuschauerraum wo man (Oper von B. Smetana =
P.K.) die Verkaufte Braut aufführt mitnimmt und
anfängt ihn reinzukippen“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 GM
láhev rumu v divadle či láhev piva ve
Sněmovně u nohy poslance mi až tolik nevadí
pokud ovšem mi dotyčný po několika dalších
lahvích nepadne do klína nebo mě nepozvrací
„eine Flasche Rum im Theater oder eine
Flasche Bier im Parlament am Bein eines
Abgeordneten machen mir nicht allzu viel aus,
solange mir der Betroffene nicht in den Schoß
fällt oder mich voll kotzt“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Die sprachlichen Mittel
 Die Sprache der Macht, wie sie in den Parlamentsreden in ihrer reinsten Form
in Erscheinung tritt, zeichnet sich durch Figuren der klassischen Rhetorik wie
z. B. syntaktische Parallelismen, Antithesen, Paradox, Ironie, Metapher,
Phraseologismen, Vergleich usw. aus. Daneben kommen Zitate und bonmots,
Anspielungen, Paraphrasen u.a. vor:
 J.K. Při čtení odpovědi ministra R. na moji interpelaci jaksi zdálky na
mne dolehlo / známé Gottwaldovo kdo nejde s námi jde proti
nám // jistě by bylo nejlepší kdyby všichni drželu ústa a krok a
neodvážili se ani pípnout aby svými tendenčními interpretacemi
nevnášeli zmatek do hlav pracujících a budování lepších zítřků
„beim Lesen der Antwort des Ministers R. auf meine
Eingabe
erfasste mich gewissermaßen aus der Ferne das bekannte wer
nicht mit uns geht, geht gegen uns Gottwalds // und sicherlich wäre es
am besten wenn alle den Mund und Schritt halten würden und nicht mal
wagen würden einen Pieps zu machen damit sie nicht durch ihre
tendenziösen Interpretationen Chaos in die Köpfe der arbeitenden
Bevölkerung hineintragen würden und das Bauen einer besseren
Zukunft“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Anekdoten:
 JK švýcarský důchodce posnídá švýcarský sýr / přečte si švýcarské
noviny a jde se projít k Ženevskému jezeru // francouzský
důchodce posnídá francouzský sýr / přečte si
francouzské noviny a jde se projít do Buloňského lesíka /
český důchodce posnídá švýcarský prášek /přečte si
Němci vydávané noviny / vezme si francouzské hole a jde do
práce „ein Schweizer
Rentner frühstückt Schweizer Käse /
liest Schweizer Zeitungen und geht spazieren am Genfer See //
der französische Rentner isst zum Frühstück
französischen Käse / liest französische Zeitungen und
geht spazieren im Wald von Boulogne / der tschechische Rentner
nimmt eine Schweizer Tablette / liest eine von Deutschen
herausgegebene Zeitung / nimmt französische Stöcke und geht
arbeiten“
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
Mögliche Kontrollfragen (Klausur am 19.07.2006)
1. Frage: Womit beschäftigt sich die forensische Linguistik?
Antwort: Die forensische Linguistik (eher forensische Phonetik)
untersucht Sprache auf einen kriminologischen Aspekt hin, z.B. bei
der Feststellung des Urhebers eines Erpresserbriefes.
2. Frage: Was ist ein Schauprozess?
Antwort: Als Schauprozesse werden im Allgemeinen öffentliche
Gerichtsverfahren bezeichnet, bei den die Verurteilung des Beklagten
bereits im Vorhinein feststeht. Das verbleibende Ziel ist, die Gründe
der Bestrafung in die Öffentlichkeit zu bringen. Typisch werden
Schauprozesse als Mittel zur Verfolgung politischer Gegner oder
anderer unerwünschter Personen eingesetzt.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
3. Frage: Nennen Sie die wichtigsten Prinzipien der Kritischen
Diskursanalyse
Antwort:
 Summary Critical Linguistics (CDA)
 The most important characteristics of critical research are:
 A. Research interests: Uncovering inequality and injustice.
 B. Object under investigation: Language behaviour in natural
speech situations of social relevance (institutions, media, minority
problems, racism etc.) is to be investigated. All situations which are
threatening or involve power play between individuals are of
interest.
 C. Interdisciplinary research: Social phenomena are too complex to
be dealt with adequately in only one field.
 D. Empirical research: Data from natural speech situations are to
be analyzed. Nevertheless, theory and methodology, values and
aims are to be discussed explicitly.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Summary Critical Linguistics (CDA)
 E. Inclusion of the historical perspective: Social processes are
dynamic, not static. This has to be reflected in the theory and in
the methodology.
 F. “Leitmotif” of critical research: “Diagnosis” first, interpretation
and “therapy” to follow!
 G. Researchers are forced to take sides: Especially in empirical
research, the “subjects under investigation” cannot be treated as
objects any longer. Research includes the “researched” and,
eventually, ought to help them (if possible).
 H. Social and political practice is aimed at: Results of research not
only imply success in the academic field, but they should also
include proposals for practical implementation.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Summary Critical Linguistics (CDA)
 I. Necessity for new notions and extensions of traditional concepts
of “language behaviour” and “meaning”: Social phenomena are
very complex, irrational and rational. Many different and
ambivalent, conscious and subconscious motives are relevant. Thus
multiple methods, manifest and latent meanings, cognitive and
affective aspects are important. Finally, the historical and social
context should not be neglected.
 Quellen:
 Wodak, Ruth. (ed.). 1989. Language, power, and ideology: studies in
political discourse. Amsterdam, Philadelphia: Benjamins. (Critical
Theory, 7). [ES 155 LAN].
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
4. Frage: Wodurch unterscheiden sich die folgenden Äußerungen?
 (1) Ich taufe dieses Schiff auf den Namen "Queen Elizabeth".
 (2) Ich vermache meine Uhr meinem Bruder.
 (3) Ich wette einen Fünfziger, dass es morgen nicht regnet.
 (4) Ich fahre mit der "Queen Elizabeth".
 (5) Ich blicke auf meine Uhr.
 (6) Ich habe einen Fünfziger bei mir.
Antwort: Die beiden Typen von Äußerungen lassen sich durch
folgendes Merkmalbündel (vorläufig) charakterisieren:

Wahrheitswert
(1)-(3) performative Äußerungen

(4)-(6) konstative Äußerungen

Vollzug der Handlung


5. Frage/Aufgabe: Betrachten Sie den folgenden Textausschnitt
 1 Vyšinskij: Ja Bucharina choču sprosit‘. U vas bylo svidanie s Ikramovym
 v 1933 godu? Ich möchte B. fragen. Gab es ein Treffen mit I. im J. 1933?
 2 Bucharin: Bylo, ja žil u nego v tečenie neskol‘kich dnej v 1933 godu. Ja,
gab es, ich lebte/wohnte bei ihm im Verlaufe einiger Tage im J. 1933.
 3 Vyšinskij: Značit, on pravil‘no rasskazyvaet? Heißt es, er sagt die
Wahrheit?
 4 Bucharin: Soveršenno pravil‘no. Vollkommen richtig.
 5 Vyšinskij: Byli političeskie razgovory? Gab es politische Gespräche?
 6 Bucharin: Byli. Es gab sie.
 (...)
 7 Vyšinskij: O vreditel‘stve tože s nim govorili? Haben Sie mit ihm über




Schädlingsarbeit gesprochen?
8 Bucharin: Net, ne govoril. Nein, habe ich nicht.
9 Vyšinskij: Čto že on nepravil‘no pokazyvaet? Was nun, sagt er etwa die
Unwahrheit?
10 Bucharin: On, očevidno, sputal. Er hat sich offensichtlich geirrt.
11 Vyšinskij: Možet byt‘, popozže govorili? Vielleicht haben Sie später
gesprochen?
 12 Bucharin: Delo v tom, čto Ikramov na očnoj stavke otrical vsjakij razgovor





političeskogo charaktera. Ja zastavil ego soznat‘sja. Die Sache ist die, dass I.
I. beim Augengespräch jede Art politischer Unterhaltung abgelehnt hatte. Ich
zwang ihn, sich zu bekennen.
13 Vyšinskij: Otricaete, čto v étot raz govorili o vreditel‘stve i diversijach?
Sie leugnen, dass Sie diesmal von Schädlingsarbeit und Untergrabung
gesprochen haben?
14 Bucharin: Éto byl pervyj razgovor. Das war das erste Gespräch
15 Vyšinskij: Počemu vy ne otvečaete na vopros? Warum antworten Sie
nicht auf (meine) Fragen?
16 Bucharin: Ja motiviruju moj otricatel‘nyj otvet. Ich motiviere meine
negative Antwort
17 Vyšinskij: Mne motivirovka ne nužna. Ich brauche keine Motivation
18 Bucharin: Ja otvečaju otricatel‘no. Ich antworte negativ
 5. Charakterisieren Sie die Textsorte Schauprozess vom
Standpunkt der kritischen Diskursanalyse und der
Sprechhandlungstheorie, indem Sie die folgenden Begriffe
einbeziehen: a) makrostruktureller Rahmen, b) mikrostrukturelle
Sequenzen von Sprechhandlungen, c) Rederechtsteuerung, d)
Kooperationsprinzip (Konversationsmaximen), e) Paraphrasieren oder
explizieren mit dem Ziel, Vagheit aufzulösen, f) Präzisieren mit dem
Ziel, zur Verständnissicherung beizutragen, g) Zusammenfassen mit
dem Ziel, einen Vernehmungsabschnitt abzuschließen ggf. auch zu
bewerten; h) MSA, die die prozedurale Steuerung des Dialogs
betreffen; i) MSA, die die thematische Steuerung des Dialogs
betreffen; j) MSA, die die modale Steuerung des Dialogs betreffen, k)
MSA, die die phatische Steuerung des Dialogs betreffen.
 Frage 6: Welche Art von Sprechakt liegt hier vor?
 Zahajuji schůzi a věřím že i vy to vezmete jako motiv ke zklidnění a
ztišení; jestli takhle hlučíme na začátku / tak nevím jak budeme
hlučet na konci „Ich eröffne die Sitzung und gehe davon aus (wörtl.
glaube fest), dass auch Sie dies als Anlass zur Beruhigung sehen; wenn
wir so schon am Anfang laut sind / dann weiß ich (wirklich) nicht wie
laut wir am Ende sein werden“
 Frage 7: Charakterisieren Sie die direktiven, die persuasiven und
die insistierenden Sprechakte im folgenden Text (nach Searle und
Kosta, Mann):
 prosím o klid ...ještě jednou prosím o klid ... já vážně prosím o klid
....ráda bych požádala velectěnou Sněmovnu zda by bylo možno trochu
ztišit šum v tomto jednacím sále.... prosím o ztišení atmosfěry v
jednacím sále protože v takovém hluku se skutečně jednat nedá...
pokusím se zjednat trochu důstojnější prostředí.....prosím abychom
méně pochodovali po Sněmovně
 „ich bitte um Ruhe… ich bitte noch einmal um Ruhe… ich bitte
wirklich um Ruhe ….ich möchte gerne die Abgeordnetenkammer
darum bitten, ob es möglich wäre, den Geräuschpegel in diesem
Sitzungssaal zu senken…. Ich bitte um Beruhigung der Atmosphäre
denn in einem solchen Lärm kann man wirklich nicht verhandeln… ich
werde mich bemühen, eine würdigere Umgebung zu verschaffen… ich
bitte darum, in der Kammer weniger spazieren zu gehen
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache
 Literatur:
 Berwanger, Katrin/Kosta, Peter (eds.). 2005. Stereotyp und
Geschichtsmythos in Kunst und Sprache. Frankfurt am
Main: Peter Lang (Vergleichende Studien zu den
slavischen Sprachen und Literaturen, Band 11).
 Burkhardt, Armin. 2003. Das Parlament und seine Sprache.
Studien zur Theorie und Geschichte parlamentarischer
Kommunikation. Tübingen: Niemeyer (Reihe
Germanistische Linguistik, 241). [Signatur: GD 8840
BUR, ausgeliehen]. Chomsky, Noam. 2003. Media
Control. Wie die Medien uns manipulieren. Hamburg,
Wien: Europa Verlag.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der
Sprache
 Literatur:
 Carmichael, J. 1972. Säuberung. Die Konsolidierung des
Sowjetregimes unter Stalin 1934/1938. Frankfurt am Main
u.a.
 Čmejrková, S., Hoffmanová, J. (ed.). 2003. Jazyk, média,
politika.
 Ehlich, M. 1993. Metakommunikation. In: Metzler
Lexikon Sprache (ed. H. Glück). Stuttgart/Weimar
1993:386.
 Fotion, N. 1971. Master Speech Acts. In: The
Philosophical Quarterly 21 (1971): 232-243.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache
 Literatur:
 Freidhof, Gerd. 1995. Der Schauprozeß als Exemplum
forensischer Linguistik. Teil 1: Einführung und Typologie
von charakteristischen Sprechhandlungen. In: Slavische
Sprachwissenschaft und Interdisziplinarität (eds. G.
Freidhof u.a.). Nr. 1. München 1995, S. 7-36 (Specimina
philologiae Slavicae 106).
 Freidhof, Gerd. 1996. Der Schauprozeß als Exemplum
forensischer Linguistik. Teil 2: Metakommunikation,
Metadialog und Master Speech Act. In: Slavische
Sprachwissenschaft und Interdisziplinarität (eds. G.
Freidhof u.a.). Nr. 2. München 1996, S. 95-131.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache




Literatur:
Gibbons, John (ed.). 1994. Language and the Law. London/New York.
Hoffmann, L. 1983. Kommunikation vor Gericht. Tübingen.
Hoffmanová, J. 2003. Veřejné mluvené projevy v Poslanecké
sněmovně: humorný konflikt a konfliktní humor. V: Čmejrková, S.,
Hoffmanová, J. (ed.). 2003. Jazyk, média, politika, 40-79.
 Kosta, Peter. 1995. Zur Modellierung persuasiver Sprechakte, in: ZfSl
40 (1995) 3, S. 305-324.
 Kosta, Peter. 1996. Zur semantischen Struktur und illokutionären Kraft
persuasiver Sprechakte, in: W. Girke (ed.), Slavistische Linguistik
1995: XXI. Konstanzer Slavistisches Arbeitstreffen, Mainz 26.09.29.09.1995, München 1996, S. 201-226 .
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache
 Literatur:
 Kosta, Peter. 1998. Argumentation, Persuasion und der
turn-taking-Mechanismus, in: S. Čmejrková; J.
Hoffmanová; O. Müllerová; J. Světlá (eds.), Dialoganalyse
VI: Referate der 6. Arbeitstagung, Prag 1996, Tübingen:
Niemeyer, 1998 (Beiträge zur Dialogforschung), S. 115131.
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache
 Literatur:
 Kosta, Peter 2005. Zum Tschechenbild bei den Polen und
zum Polenbild bei den Tschechen aus der Sicht der
Stereotypen- und Prototypensemantik. In: Berwanger,
Katrin/Kosta, Peter (eds.). 2005. Stereotyp und
Geschichtsmythos in Kunst und Sprache, a. a. O., S. 51-70.
 Kuße, Holger. 1998. Konjunktionale Koordination in
Predigten und politischen Reden. Dargestellt an Belegen
aus dem Russischen. München: Sagner (Specimina
philologiae Slavicae. Supplementband 61).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache
 Literatur:
 Kuße, Holger. 2004. Metadiskursive Argumentation.
Linguistische Untersuchungen zum russischen
philosophischen Diskurs von Lomonosov bis Losev. 2004.
Leinen. XVIII, 592 S. 80.- Euro. (ISBN 3-87690-884-1).
 Mann, Elke. 2000. Persuasive Sprechhandlungen in
Alltagsdialogen des Russischen : unter besonderer
Berücksichtigung ihrer Handlungsbedingungen / Elke
Mann. - München : Sagner, 2000. - 294 S. (Specimina
philologiae Slavicae : Supplementband ; 68) Zugl.:
Potsdam, Univ., Diss., 1999 (ISBN 3-87690-750-0. ISSN
0170-1320).
[28101] Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache
 Literatur:
Škljarevskaja, G. N./Tkaceva, I.O. 2004. Davajte govorit’
pravil’no: političeskij jazyk sovremennoj Rossii. Kratkij
slovar’-spravočnik. Moskva: Akademia [Sign. KC 1775
SKL (Präsenzbestand Golm)].
 [SO 1938 = Sudebnyj otčet po delu antisovetskogo „pravotrockistskogo bloka“ . Moskva 1938].
 Jäger, Siegfried. 1993. Kritische Diskursanalyse. Eine
Einführung. ISBN: 3-89771-732-8.
Ausstattung: br., 404 Seiten. Preis: 24.00 Euro.
 Literatur:
 Wodak, Ruth. (ed.). 1989. Language, power, and
ideology: studies in political discourse. Amsterdam,
Philadelphia: Benjamins. (Critical Theory, 7). [ES 155
LAN].
 Wodak, Ruth/Meyer, M. (eds.). 2003. Methods of
critical discourse analysis. London u.a.: SAGE. [ET
760 MET]
 Wodak, Ruth/Paul A. Chilton (eds.). 2005. A new
agenda in (critical) discourse analysis: theory,
methodology and interdisciplinary. Amsterdam,
Philadelphia: Benjamins.