Dr. Michael Krueger

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Zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Fachhochschule Gelsenkirchen in Kooperation mit der Ruhr Universität Bochum

Bildungsbenachteiligung überwinden – geht das überhaupt?

Dr. Michael Krüger-Charlé

Einleitung

• Hinter dem Titel dieses Themenblockes steht ein Fragezeichen. Meine Kollegin Brigitte Pawlik und ich wollen versuchen, aus dem Fragezeichen ein Ausrufungszeichen zu machen.

• Mein Vortrag nimmt folgende Problembereiche in den Blick:        Vergleich der Lage auf dem Ausbildungsmarkt 2005 – 2010/11 Definition von Bildungsbenachteiligung Quantitative Dimension von Bildungsbenachteiligung Qualitative Dimension von Bildungsbenachteiligung Reformbedarf Beschäftigungschancen für Bildungsbenachteiligte Fazit

Ausgangslage

„Wir brauchen hier jeden, hoffnungslose Fälle können wir uns nicht erlauben.“

Wege zur Sicherung der beruflichen Bildung in Deutschland (Titel des Sammelbandes, der vom BIBB in 2005 zur Lage in der beruflichen Bildung veröffentlicht wurde.)

• Zitat im Buchtitel stammt vom Finnen Jukka Sarjala, der damit die Bildungsphilosophie des PISA-Siegers Finnland umschrieben hatte.

Ausgangslage 2005 Höhepunkt der Krise auf dem Ausbildungsmarkt:

• Neuzugänge in das Übergangs system: Zwischen 2003 und 2006 fast eine halbe Million pro Jahr • Anteil der Altbewerber an Ausbildungsplatzsuchenden: den In 2008 waren mehr als die Hälfte der Bewerber um einen Ausbildungsplatz Altbewerber • Jugendliche die zunächst keinen Zugang zur betrieblichen Ausbil dung gefunden haben: Anteil ist zwischen 1992 und 2007 um 111 % gestiegen, hat sich also mehr als verdoppelt

Situation 2010/11

Stimmen aus der Tagespresse in Jahr 2010: Auszubildende händeringend gesucht“ (Augsburger Allgemeine vom 07.10.2010) „Lehrstellen sind keine Mangelware mehr, dafür aber gute Lehrlinge“ (Ostthüringer Zeitung vom 15.03.2010) „Roter Teppich für Lehrlinge“ (Main-Post vom 10.06.2010) „Wirtschaft klagt: Wo sind die Lehrlinge“ (Süddeutsche Zeitung vom 05.08.2010)

Situation 2010/11

• Haben sich die Zeiten geändert?

• Wird womöglich aus der Forderung des Finnen Jukka Sarjala, die in 2005 in Deutschland noch wie ein frommer Wunsch klang, in den nächsten Jahren bitterer Ernst werden?

• Und profitieren von der Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt auch die Bildungsbenachteiligten?

Bildungsbenachteiligte - Definition

• • • • • • Als „benachteiligt" gelten junge Menschen mit individuellem Förderbedarf, die ohne besondere Hilfen keinen Zugang zur Ausbildung und Arbeit finden und ihre soziale, berufliche und persönliche Integration in die Gesellschaft nicht allein bewältigen können. Benachteiligt sind insbesondere folgende Gruppen: noch nicht ausbildungsreife Jugendliche, junge Menschen mit fehlender Berufseignung, junge Menschen mit Lernbeeinträchtigung, Un- und Angelernte, sozial Benachteiligte, Jugendliche, denen die Aufnahme oder der Abschluss einer Ausbildung nicht gelungen ist und deren Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen durch die weitere Handlungsfähigkeit erhöht werden sollen.

Förderung ihrer beruflichen Häufig finden sich insbesondere junge Menschen mit Migrationshintergrund in diesen Gruppen.

Aus: Bundesagentur Handlungsempfehlung / für Arbeit: Fachkonzept für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen gem. § 61 SGB III, Neufassung, Geschäftsanweisung 03/2006

Quantitative Dimension Übergang/Bildungsbenachteiligung

Bestand Übergangssystem NRW in 2009

Bundesagentur für Arbeit Bildungsgänge des Übergangs Altbewerber 38.175

79.472

42.932

Quantitative Dimension Übergang/Bildungsbenachteiligung

Tabelle 3: Schulische Herkunft der Schülerinnen und Schüler nach Teilbereichen des Berufsbildungssystems in NRW 2009/10

Duales System Schulberufs system Übergangs system Gesamt Ohne Hauptschulabschluss Mit Hauptschulabschluss 7.952 26.886 123 7.447 17.098 36.449 25.173 70.782 Mit mittlerem Abschluss 43.394 21.728 12.965 78.087 Mit Fachhochschulreife 15.768 4.355 301 20.424 Mit Hochschulreife 15.266 4.225 761 20.252

Quelle: Landesdatenbank (IT.NRW), Tab. E12.3, Schulische Herkunft der Schüler/innen nach Teilbereichen des Berufsbildungssystems

Quantitative Dimension Übergang/Bildungsbenachteiligung

Schaubild 10: Schulische Herkunft der Schülerinnen und Schüler des Berufsbildungssystems in NRW nach Schulabschluss und Nationalität (in %) 2009/10*

3,51 Ausländer 29,74 66,75 3,77 Deutsche 20,50 75,73 3,41 Ausländer 21,21 75,39 1,34 Deutsche 21,33 77,33 Ausländer 28,28 28,61 43,12 15,51 Deutsche 27,75 56,74 65,00 Ausländer 7,37 27,62 49,29 Deutsche 11,03 39,67 78,28 Ausländer 0,16 21,56 Deutsche 0,00 65,81 0,55 33,60 10,00 20,00 30,00 40,00 50,00 60,00 70,00 80,00 Übergangssystem Schulberufssystem Duales System

***Neu eingetretene Schülerinnen und Schüler Quelle: Landesdatenbank (IT.NRW), Tab. E12.3, Schulische Herkunft der Schüler/innen nach Teilbereichen des Berufsbildungssystems

Qualitative Dimension Bildungsbenachteiligte

Berufskollegs NRW Berufliche Erstausbildung im dualen System Vollzeitschulische Ausbildung nach Landesrecht Weiterführende Schulabschlüsse Berufsvorbereitung Berufliche Grundbildung • •

Berufskolleg:

Entsorgungsstätte für schwierige Schüler/-innen unter 18 Jahren Viele kommen ohne Hauptschulabschluss und viele verlassen die BK ´s ohne höherwertigen Schulabschluss • •

Herausforderungen:

Lebensbewältigung und Berufsperspektiven heterogener Lerngruppen erfordern diagnostische Kompetenz für Berufswegplanung und Berufswegebegleitung (Kompetenzblick) Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung

Qualitative Dimension Bildungsbenachteiligung

Strategiediskussion Übergang/Bildungsbenachteilgung zwei Steuerungsgrößen

Strukturelle Ebene

Systematische Abstimmung der Planung und kommunalen Bildungsangeboten in Form eines regionalen/lokalen Übergangsmanagements

Einzelfallebene

Bildungsbiographisch sinnvolle Ausrichtung und Umsetzung der Bildungsangebote im Zuge der persönlichen Begleitung des jeweiligen Jugendlichen.

Qualitative Dimension Bildungsbenachteiligung

Auf beiden Ebenen finanzielle und systematische Probleme, die eng verzahnt sind: • „Kommunen sollen es richten.“ Horizontale Zuständigkeitsverwischung „Bildung-Soziales-Jugend“ kann nur vor Ort geklärt werden. Das geht nicht ohne zusätzliche Mittel (Konnexitätsprinzip).

• Einstiegs- und Berufswegebegleitung zumeist nur langfristig an der Bildungsbiographie orientiert angelegt.

temporär und nicht • Dilemma bei Bildungsbenachteiligten: Trotz fehlender Motivation und Orientierung werden sie ständig mit Entscheidungssituationen konfrontiert.

• Nicht nur, aber insbesondere bei Problemgruppen geht es neben beruflicher Integration immer auch um die Vorbereitung Karrieremuster, die neben Zeiten der auf diskontinuierliche Erwerbstätigkeit auch Zeiten der Arbeitslosigkeit und Weiterbildung aufweisen werden.

• • • • •

Reformbedarf

Nicht Parallelsysteme optimieren, sondern die verschiedenen Segmente des Berufsbildungssystems besser verzahnen.

Mobilität zwischen „Übergangssystem“ und dualer Erstausbildung erhöhen (Abschlüsse und Anschlüsse).

Einführung von anschlussfähigen Modulen (Qualifizierungsbausteine im Rahmen von EQJ).

Zertifizierung von Teilqualifikationen und Anrechenbarkeiten herstellen.

Hauptziel bleibt: Qualifizierter Abschluss der Berufsausbildung.

• Für die Integration von Problemgruppen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, auch niedrigschwellige Angebote. Dabei geht es im Kern um folgende Aspekte: • • Erlernen einer durch betriebliche Regeln und Prozesse strukturierten Arbeits- und Lebensweise; Vermittlung von Fertigkeiten für Anlerntätigkeiten; • • Betrieblich fokussierte Hinführung zur Ausbildungsreife (Durchstiegsoptionen); Einsatz von angelernten Fachkräfte im Handwerk.

Arbeitskräften zur Entlastung vorhandener oder künftiger

Beschäftigungschancen für Bildungsbenachteiligte

Beschäftigungschancen für Bildungsbenachteiligte

• • • • • • •

Baugewerbe:

Betriebe jeder vierte Mitarbeiter an- bzw. ungelernt. Mehr als 50 Prozent der würde weitere an- und ungelernte Mitarbeiter einstellen.

Elektrotechnik:

In diesem Bereich spielen an- und ungelernte Mitarbeiter derzeit kaum eine Rolle, 30 Prozent der Betriebe würde jedoch an- und ungelernte Mitarbeiter einstellen.

Gebäudereiniger:

rund 75 Prozent der Mitarbeiter an- bzw. ungelernt und der Bedarf ist nach wie vor sehr hoch.

Kälte- und Klimatechik:

Prozent der Betriebe Jeder vierte Mitarbeiter an- bzw. ungelernt und mehr als 60 würde weitere an- und ungelernte Mitarbeiter einstellen.

Maler- und Lackierer:

In diesem Bereich spielen an- und ungelernte Mitarbeiter derzeit kaum eine Rolle, 35 Prozent der Betriebe würde jedoch an- und ungelernte Mitarbeiter einstellen.

Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik:

jedoch An- und ungelernte Mitarbeiter 8 Prozent, würden mehr als 30 Prozent der Betriebe weitere an- und ungelernte Mitarbeiter einstellen.

Tischler:

Hier liegt der Anteil an an- und ungelernten Mitarbeitern derzeit bei 6 Prozent, jedoch würden rund 36 Prozent der Betriebe weitere an- und ungelernte Mitarbeiter einstellen.

Fazit

Im gesamten Bildungsbereich gibt es erheblichen Veränderungsbedarf. Davon ist die berufliche Bildung nicht auszunehmen.

Künftig wird es hier darum gehen: • • • • Handlungsdruck, der vom Übergangssystem ausgeht und bei den Passungsproblemen zwischen Schule-Ausbildung-Beruf noch nicht aufhört, für Strukturverbesserungen in der beruflichen Bildung nutzen.

Schwarze-Peter-Spiel muss ein Ende haben, in dem die Verantwortung zwischen Schule-Dualer Ausbildung und für Ausbildungsprobleme Übergangssystem hin- und hergeschoben wird.

Problemgruppen nicht länger als „leidigen Versorgungsfall“ ansehen, sondern als eine Ressource, der bei der Mobilisierung vorhandener Begabungsreserven eine nicht zu unterschätzende Rolle zukommt (Fachkräftemangel).

Berufliche Integration von Bildungsbenachteiligten kostet Geld. Wer hier von demografiebedingten Kosteneinsparungen ausgeht, wird künftig deutlich mehr Mittel für Nachqualifizierung aufwenden müssen.

Diesem Veränderungsdruck müssen sich alle stellen, die an der Gestaltung beruflicher Bildung in Deutschland beteiligt sind. Das gilt für Unternehmen, Kammern und Gewerkschaften gleichermaßen.

Angesichts der notwenigen festzuhalten: Veränderungen in der beruflichen Bildung bleibt

Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber soviel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es gut werden soll.

(Georg Christoph Lichtenberg)