Transcript WS 2012/13

Prof. Dr. Friedrich Schneider
Institut für Volkswirtschaftslehre
Johannes Kepler Universität Linz
Altenbergerstraße 69
A-4040 Linz-Auhof
Tel.: 0043-732-2468-8210,
Fax: -8209
E-mail: [email protected]
http://www.econ.jku.at/schneider
Studien/Finanz/2011/tobin.ppt
Recht und Ökonomie
(Law and Economics)
LVA-Nr.: 239.203
WS 2012/13
(9) Die Transaktions- / Tobin-Steuer: Utopie
oder realistische Alternative?
(Dezember 2012)
WS 2012/13
Recht und Ökonomie
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel
Seite
1. Wie funktioniert die Transaktions- / Tobin-Steuer?
3
2. Ziele der Transaktions- / Tobin-Steuer
8
3. Erzielbare Einnahmen aus der Transaktions- / Tobin-St.
10
4. Der EU-Vorschlag: Finanztransaktionssteuer
17
5. Vor- und Nachteile der Transaktions- / Tobin-Steuer
33
Transaktions- / Tobin-Steuer als Instrument zur
Krisenvermeidung?
49
6.
7. Alternativen zur Transaktions- / Tobin-Steuer (?)
52
8. Fazit Transaktions- / Tobin-Steuer
57
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1. Wie funktioniert die
Transaktions- / Tobin-Steuer?
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1. Wie funktioniert die
Transaktions- / Tobin-Steuer
(1) James
Tobin,
Wirtschaftswissenschaftler
und
Nobelpreisträger für Ökonomie (1981), wollte
folgendes Problem lösen:
Die
Beeinträchtigung
von
unternehmerischen
Investitions- und Produktionsentscheidungen durch
stark schwankende Wechselkurse.
(2) Daher Vorschlag einer Devisentransaktionssteuer, die
die Kosten der Transaktionen von Finanzkapital
erhöhen soll.
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1. Wie funktioniert die Transaktions- /
Tobin-Steuer (Forts.)
(3) Das Konzept der Transaktions- / Tobin-Steuer sieht
vor, alle – oder zumindest einen Großteil der –
Devisenmarktgeschäfte zu besteuern.
(4) Ein einheitlicher Steuersatz in Höhe von 0,001 bis zu
0,005 Prozent soll die Rentabilität kurzfristiger
Devisentransaktionen stark reduzieren, d.h. jener
Geschäfte, die mit einem schnellen Rücktransfer des
Kapitals ins Inland verbunden sind.
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1. Wie funktioniert die Transaktions- /
Tobin-Steuer (Forts.)
(5) Die Steuer soll vor allem die spekulativen
Arbitragegeschäfte treffen – dabei werden kleinste
internationale Differenzen zwischen Zinssätzen oder
zwischen Preisen sowie kleinste erwartete Zinssatzund Wechselkursänderungen ausgenützt.
D.h. die Steuer soll diese Geschäfte verteuern und
ihre Anzahl reduzieren; ebenso Geschäfte im
automatisierten
bzw.
computerisierten
Handel
(„Algo-Trading“ & „Hochfrequenzhandel“).
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1. Wie funktioniert die Transaktions- /
Tobin-Steuer (Forts.)
(6) Langfristige Devisentransaktionen – das sind
beispielsweise Direktinvestitionen, internationaler
Waren- und Dienstleistungshandel – würden aufgrund
des zeitlich degressiven Charakters der Steuer
weitgehend unbeeinflusst bleiben.
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2. Ziele der Transaktions - /
Tobin-Steuer
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2. Ziele der Transaktions- /
Tobin-Steuer
Die Transaktions- / Tobin-Steuer verfolgt drei Ziele:
(1) Die
Steuer
soll
das
Ausmaß
spekulativer
Kapitalströme begrenzen, um so z.B. exzessive
Schwankungen der Wechselkurse zu reduzieren.
(2) Die geldpolitische Autonomie der Notenbanken soll
gestärkt werden.
(3) Die Steuereinnahmen sollen die Finanzierung der
Staatsdefizite
erleichtern,
und
/
oder
die
Steuergerechtigkeit erhöhen.
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3. Erzielbare Einnahmen
aus der
Transaktions- / Tobin-Steuer
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3. Erzielbare Einnahmen aus der
Transaktions- / Tobin-Steuer
Die Prognosen der fiskalischen Wirkung einer
Transaktions- / Tobin-Steuer gehen weit auseinander und
hängen stark davon ab:
i.
ob eine Finanztransaktionssteuer lediglich in
einzelnen Ländern oder Regionen (z.B. in der EU)
oder weltweit eingeführt wird;
ii. auf welche Finanztransaktionen
angewendet wird;
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die
Steuer
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3. Erzielbare Einnahmen aus der
Transaktions- / Tobin-Steuer (Forts.)
iii. wie hoch der Steuersatz ist; und
iv. welche Umgehungsmöglichkeiten (zum Vermeiden
der Steuer) es gibt.
Es sei deshalb explizit hervorgehoben, dass die
folgenden Projektionen Grobschätzungen sind, die einen
Fehler von + / - 30 % ohne Weiteres aufweisen können.
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3. Erzielbare Einnahmen aus der
Transaktions- / Tobin-Steuer (Forts.)
(1) Nach eigenen Schätzungen hätten die Einnahmen im
Jahr 2011 bei einem Steuersatz von 0,05 %
– bei Finanztransaktionen für die gesamte EU –
in Österreich zwischen 0,5 und 1,5 % des BIPs bzw.
zwischen 1,3 und 4,0 Milliarden Euro betragen.
In Deutschland wären dies rund 17 bis 36 Milliarden
Euro gewesen.
Für die gesamte EU wären dies ca. 110 bis 250
Milliarden Euro oder 1,5 bis 2,1 % des EU-BIPs
gewesen.
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3. Erzielbare Einnahmen aus der
Transaktions- / Tobin-Steuer (Forts.)
(2) Das
WIFO
(„Österreichisches
Institut
für
Wirtschaftsforschung“; Jahr 2008) hat berechnet,
dass bei einem Steuersatz von 0,01 % allein im
europäischen Raum (d.h. EU-27 sowie Schweiz und
Norwegen) Steuereinnahmen von rund 80 Milliarden
Euro erzielt werden könnten; ein Rückgang des
Handelsvolumens auf Grund der Einführung der
Steuer wurde einkalkuliert.
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3. Erzielbare Einnahmen aus der
Transaktions- / Tobin-Steuer (Forts.)
(3) In Österreich hätte man nach Berechnungen vom
WIFO (Jahr 2008) und dem österreichischen
Finanzministerium:
 bei einem Steuersatz von 0,01 % für das Jahr 2008
als Untergrenze ein Potential von 600 Millionen
Euro erzielen können;
 bei einem Steuersatz von 0,05 % ein Volumen von
1,1 Milliarden Euro erzielen können.
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3. Erzielbare Einnahmen aus der
Transaktions- / Tobin-Steuer (Forts.)
(4) Der Steuervorschlag des IMF („International Monetary
Fund“; Jahr 2010):
i. Steuersatz zwischen 0,01 % und 0,1 % auf alle
Umsätze mit Wertpapieren, Derivaten und Devisen.
ii. Circa 500 Milliarden USD an jährlichen Einnahmen
weltweit, davon rund 200 Milliarden USD (ca. 150
Milliarden Euro) in Europa.
iii. Für Deutschland ergibt sich eine Einnahmespanne
zwischen 10 und 50 Milliarden Euro; für Österreich
eine Spanne zwischen 1,2 und 5,6 Milliarden Euro.
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4. Der EU-Vorschlag:
Finanztransaktionssteuer
 Der EU-Vorschlag (Sept. 2011)
 Geplante EU-Umsetzung (Dez. 2012)
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4. Der EU-Vorschlag:
Finanztransaktionssteuer
(1) Die EU-Kommission hat am 28. September 2011 ihren
schriftlichen Vorschlag 1) für die Einführung einer
Transaktions- / Tobin-Steuer in den 27 Mitgliedstaaten
der Europäischen Union präsentiert.
(2) Der Vorschlag sieht eine Harmonisierung der Steuern
der EU-Mitgliedstaaten auf Finanztransaktionen vor,
um das reibungslose Funktionieren des EUBinnenmarktes zu gewährleisten.
1)
„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame
Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG“.
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4. Der EU-Vorschlag
4.1. Idee und Ziele
(1) Es soll sichergestellt werden, dass der Finanzsektor
in Zeiten der Haushaltskonsolidierung in den EUMitgliedstaaten einen angemessenen Beitrag zur
Haushaltssanierung leistet bzw. er auch angemessen
an den Kosten der jüngsten Krise beteiligt wird.
Der Finanzsektor hatte einen wesentlichen Anteil an
der Entstehung der Wirtschaftskrise (ab 2007/2008),
während die Regierungen und damit die Bürgerinnen
und Bürger Europas die Kosten für die massiven
– durch Steuergelder finanzierten – Rettungspakete
für den Finanzsektor getragen haben.
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4. Der EU-Vorschlag
4.1. Idee und Ziele (Forts.)
(2) Der Finanzsektor wird – im Vergleich zu anderen
Sektoren – gegenwärtig zu gering besteuert.
 Es soll sichergestellt werden, dass für die
Finanzinstitute in steuerlicher Hinsicht die gleichen
Wettbewerbsbedingungen bestehen wie für andere
Wirtschaftszweige.
 Viele Finanz- und Versicherungsdienstleistungen
sind beispielweise von der Mehrwertsteuer befreit.
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4. Der EU-Vorschlag
4.1. Idee und Ziele (Forts.)
(3) Ein koordinierter Finanzsteuerrahmen auf EU-Ebene
würde zur Stärkung des EU-Binnenmarktes beitragen.
 Es soll einer Zersplitterung des Binnenmarktes für
Finanzdienstleistungen vorgebeugt werden – in
Anbetracht der Vielzahl unkoordinierter einzelstaatlicher Steuermaßnahmen.
 Wegen der sehr hohen Mobilität eines Großteils der
zu besteuernden Transaktionen ist ein wesentlicher
Punkt, Wettbewerbsverzerrungen aufgrund von
einseitigen Steuerregelungen der EU-Mitgliedsstaaten zu verhindern.
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4. Der EU-Vorschlag
4.1. Idee und Ziele (Forts.)
 Gegenwärtig wenden einzelne Mitgliedstaaten
unterschiedliche Arten von Finanztransaktionssteuern an (Bsp. Frankreich). Durch den Vorschlag
würden neue Mindeststeuersätze eingeführt.
(4) Es sollen Anreizregelungen geschaffen werden, die
der Effizienz der Finanzmärkte nicht förderliche
Transaktionen unterbinden. Damit sollen in weiterer
Folge regulatorische Maßnahmen zur Vermeidung
zukünftiger Krisen ergänzt werden.
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4. Der EU-Vorschlag
4.1. Idee und Ziele (Forts.)
(5) Die Transaktions- / Tobin-Steuer auf EU-Ebene würde
die Position der EU in der Debatte über gemeinsame
Regeln zur Einführung einer weltweiten Transaktions/ Tobin-Steuer, insbesondere im Rahmen der G20,
stärken.
 G20 ist die Abkürzung für die Gruppe der zwanzig
wichtigsten Industrie- und Schwellenländer; sie
besteht aus 19 Ländern und der EU.
 Die Gruppe G20 soll als Forum für die Kooperation
und Konsultation in Fragen des internationalen
Finanzsystems dienen (http://www.g20.org).
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4. Der EU-Vorschlag
4.1. Idee und Ziele (Forts.)
(6) Die Einführung einer Transaktions- / Tobin-Steuer
wurde laut einer Eurobarometer-Umfrage von 65 % der
europäischen Bürgerinnen und Bürger befürwortet.
 Auftraggeberin der Eurobarometer-Umfragen ist die
EU-Kommission, diese werden seit 1978 zur
Beobachtung der Meinungsentwicklung genutzt.
 Die
Eurobarometer-Umfragen
werden
meist
halbjährlich durchgeführt, dabei werden etwa 1.000
EU-Bürger (im Alter ab 15 Jahren) je Mitgliedsland
zu unterschiedlichen Themen befragt.
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4. Der EU-Vorschlag
4.2. Konkrete Ausgestaltung
(1) Anwendung des Ansässigkeitsprinzips: Besteuerung
in dem EU-Mitgliedsstaat, in dem der Finanzakteur
ansässig ist, unabhängig vom Ort der Transaktionen.
(2) Festlegung von Steuersätzen in einer Höhe, bei der
die Auswirkungen auf die Kapitalkosten für
nichtfinanzielle Investitionszwecke möglichst gering
bleiben.
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4. Der EU-Vorschlag
4.2. Konkrete Ausgestaltung (Forts.)
(3) Nichtanwendung der Steuer bei Transaktionen auf
Primärmärkten (d.h. Emissionsmärkten) für:
 Wertpapiere
(Anleihen, Anteile), damit
die
Kapitalbeschaffung für öffentliche Haushalte und
Unternehmen nicht erschwert wird.
 Währungen.
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4. Der EU-Vorschlag
4.2. Konkrete Ausgestaltung (Forts.)
(4) Nichtanwendung der Steuer auf Finanztransaktionen
z.B. mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und den
Zentralbanken der Mitgliedsstaaten – damit die
Refinanzierungsmöglichkeiten der Finanzinstitute und
die Instrumente der Geldpolitik nicht beeinträchtigt
werden.
(5) Abschirmung der Anleihe- und Darlehenstätigkeit
privater Haushalte, Finanzinstitute oder Unternehmen
sowie anderer laufender Finanztätigkeiten wie
z.B.
Hypothekendarlehen,
Verbraucherkredite,
Versicherungsverträge oder Zahlungsdienste.
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4. Der EU-Vorschlag
4.2. Konkrete Ausgestaltung (Forts.)
(6) Anwendung der Steuer nicht nur für den Handel in
organisierten Märkten wie geregelten Märkten und
multilateralen Handelssystemen, sondern auch für
andere
Handelsformen
einschließlich
des
außerbörslichen Handels.
(7) Währungskassatransaktionen sind im Gegensatz zu
Währungsderivatkontrakten keine steuerpflichtigen
Finanztransaktionen.
Physische Warentransaktionen sind nicht erfasst,
Derivatkontrakte im Zusammenhang mit Waren sind
schon erfasst.
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4. Der EU-Vorschlag
4.2. Konkrete Ausgestaltung (Forts.)
(8) Der Handel mit Anteilen und Anleihen würde mit
einem Steuersatz von 0,1 %, der Handel mit
Derivatkontrakten mit einem Steuersatz von 0,01 %
besteuert werden.
(9) Dadurch könnten jährliche Steuereinnahmen von etwa
57 Milliarden Euro in der EU erzielt werden.
(10) Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll die
Steuer am 1. Jänner 2014 in Kraft treten.
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4. Der EU-Vorschlag
4.3. Geplante Umsetzung
(1) Anfang Oktober 2012 einigten sich elf (der 27)
EU-Mitgliedsländer
darauf,
gemeinsam
eine
Finanztransaktionssteuer einzuführen.
(2) Mitte Oktober 2012 gab die EU-Kommission ihre
Zustimmung zur Einführung der Steuer, im Rahmen
der „verstärkten Zusammenarbeit“ der teilnehmenden
Länder. Für eine „verstärkte Zusammenarbeit“
einzelner
EU-Länder
sind
zumindest
neun
Mitgliedsstaaten erforderlich.
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4. Der EU-Vorschlag
4.3. Geplante Umsetzung (Forts.)
(3) Übersicht teilnehmende EU-Mitgliedsländer (Stand
Dezember 2012):
 Bereits eingeführt: Frankreich (seit 01.08.2012;
Regelungen jedoch nicht ident mit EU-Vorschlag).
 Einführung
geplant:
Deutschland,
Belgien,
Griechenland, Österreich, Portugal und Slowenien.
 Absichtserklärung abgegeben:
Slowakei und Spanien.
Estland,
Italien,
 Überlegungen zur Einführung: Niederlande.
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4. Der EU-Vorschlag
4.3. Geplante Umsetzung (Forts.)
(4) Die Einführung der Steuer in den teilnehmenden EULändern ist für den 01.01.2014 geplant; jedoch könnte
eine Verschiebung bis zum Jahr 2016 eintreten.
(5) Deutschland und Österreich haben eine Einführung ab
2014 bereits in ihren nationalen Budgets eingeplant.
(6) Wesentliches Problem (Details dazu im Folgekapitel):
Nicht alle Finanzplätze der Eurozone bzw. der EU
wollen bei der Umsetzung mitmachen. Beispielsweise:
 Irland, Luxemburg und Zypern (jeweils Eurozone).
 Großbritannien (Finanzplatz London!).
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5. Vor- und Nachteile
der
Transaktions- / Tobin-Steuer
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.1. Die Vorteile
5.1.1. Die Gewinnung von Finanzmitteln
(1) Die Transaktions- / Tobin-Steuer wird beträchtliche
Finanzmittel generieren, die die öffentlichen Haushalte
enorm entlasten könnten.
(2) Allein in der EU-27 sowie Schweiz und Norwegen
könnten bei einem Steuersatz von 0,01 % im
europäischen Raum Steuereinnahmen von 80
Milliarden Euro generiert werden, und bei einer
globalen Einführung beliefen sich die Einnahmen auf
rund 250 Milliarden Euro.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.1. Die Vorteile (Forts.)
5.1.2.
Globalisierung der internationalen Finanzmärkte
(1) Da diese Steuer auf Grund des niedrigen Steuersatzes
vor allem den häufigen Kauf und Verkauf von
Finanzprodukten verteuern würde – die Steuer würde
per Transaktion erhoben – hätte sie eine
systemstabilisierende Wirkung, denn die häufigen
Kaufund
Verkaufsentscheidungen
(kurzfristig
spekulative
Transaktionen)
wirken
oft
trendverstärkend.
(2) Diese Transaktionen erhöhen die kurzfristige
Volatilität von Wechselkursen, Rohstoffpreisen und
Aktienkursen wesentlich.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.1. Die Vorteile (Forts.)
5.1.2.
Globalisierung der internationalen Finanzmärkte (Forts.)
(3) Besonders beschleunigt wird diese Entwicklung
durch
computergestützte
Handelssysteme
(algorithmic trading bzw. „Algo-Trading“), die
– durch komplexe Algorithmen – auf kleinste
Preisentwicklungen reagieren.
(4) Die Computerprogramme empfangen Informationen
auf elektronischem Weg (z.B. von Nachrichtenagenturen oder Datendienstleistern) und Handeln auf
Basis dieser Informationen.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.1. Die Vorteile (Forts.)
5.1.3.
Hochfrequenzhandel
Ein Teil des „Algo-Tradings“ ist der Hochfrequenzhandel
(high frequency trading):
(1) Die Dauer einer Auftragsübermittlung wird in
Millisekunden gemessen, einige Handelsplattformen
sollen bereits in der Lage sein, die Aufträge in
Nanosekunden durchzuführen (eine Mrd. (!) Orders
pro Sekunde bereits technisch möglich).
(2) Laut Studien halten die meisten Hochfrequenzsysteme keine Position länger als zehn Sekunden.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.1. Die Vorteile (Forts.)
5.1.3.
Hochfrequenzhandel (Forts.)
(3) Schätzungen (vom Mai 2012) gehen davon aus, dass
die Handelscomputersysteme in den USA für ca. 70 %
des Handels mit Aktien verantwortlich sind; in Europa
sollen es etwa 40 % sein – Tendenz steigend.
(4) Fälle von „Pannen“ bei Handelscomputersystemen:
 06.05.2010, NYSE (USA): „Dow Jones-Index“ fällt um 998,5
Punkte bzw. um 862 Mrd. (!) USD binnen weniger Minuten
(„Flash Crash“).
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.1. Die Vorteile (Forts.)
5.1.3.
Hochfrequenzhandel (Forts.)
 01.08.2012, „NYSE“ (USA): Neue Handelssoftware des USAktienhändlers „Knight Capital“ führte fehlerhafte Kaufaufträge
über 7 Mrd. USD aus; Schaden ca. 440 Mio. USD binnen 45 Min.
 04.10.2012, „National Stock Exchange of India” (Indien):
Aktienindex „Nifty“ bricht binnen Sekunden um 16 % ein (ca.
minus 58 Mrd. USD Börsenwert).
 24.10.2012, „PureMatch“ (Australien): Sofort nach Handelsstart
stieg gemeinsame Marktwert von 10 Firmen um ca. 10 Mrd. USD.
 28.11.2012, Börse Stockholm (Schweden): Fehlauftrag für IndexDerivate im Wert von knapp 70.000 (!!!) Mrd. Dollar (entspricht ca.
dem 131-fachen des schwedischen BIPs).
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.1. Die Vorteile (Forts.)
5.1.4. Beitrag der Finanzmärkte zur Krisenbewältigung
(1) Es wäre gerecht, wenn gerade jene Bereiche, die die
aktuelle Wirtschaftskrise auch ausgelöst haben, mit
einer Finanztransaktionssteuer einen Beitrag zur
Wiedergutmachung der Schäden leisten.
(2) Auch im Hinblick auf die Steuergerechtigkeit macht
eine Finanztransaktionssteuer Sinn, denn vor allem
andere Faktoren – wie Arbeit, Konsum, etc. – leisten
ihren
Beitrag
zum
Steueraufkommen,
der
Finanzsektor aber nicht.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.1. Die Vorteile (Forts.)
5.1.5. Der langfristige Aspekt
(1) Die Transaktions- / Tobin-Steuer macht es attraktiver,
langfristig zu investieren, und macht es teurer, sehr
kurzfristig zu investieren.
Das bringt mehr Stabilität, aber das Wichtigste ist, die
Steuer bringt (Steuer-)Einnahmen.
(2) Der Finanzsektor kommt für die Kosten seines
Handels bisher nicht auf und er führt zu starken
Zyklen, d.h. die Steuer würde einen Beitrag für die
langfristige Stabilität des Finanzsystems leisten.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.2. Die Nachteile
5.2.1. Räumliche Umgehung
(1) Es bestünde für Marktteilnehmer ein Anreiz, das
Devisengeschäft dort auszuführen, wo die Steuer
nicht oder mit einem geringeren Steuersatz erhoben
würde  räumliche Umgehung.
Die Steuer müsste daher eigentlich an allen
Devisenhandelsplätzen
der
Welt
mit
einem
einheitlichen Steuersatz eingeführt werden.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.2. Die Nachteile (Forts.)
5.2.1. Räumliche Umgehung (Forts.)
(2) Nur mehr 60 % der Devisenumsätze entfällt
auf die drei großen Finanzzentren in Großbritannien,
den USA und Japan; d.h. es verbleibt ein
beträchtlicher Anteil der Umsätze in kleineren
Finanzzentren und in sogenannten Offshore-Zentren
(Steueroasen).
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.2. Die Nachteile (Forts.)
5.2.2. Instrumentale Umgehung
(1) Ausweichen auf nichtsteuerpflichtige Devisen- oder
Transaktionsgeschäfte  instrumentale Umgehung:
Die Akteure können auch auf nicht steuerpflichtige
Transaktionen ausweichen; gilt die Transaktions- /
Tobin-Steuer beispielsweise nur für KassamarktTransaktionen, so könnten die Marktteilnehmer auf
den Markt für Termin- oder Derivativkontrakte
ausweichen.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.2. Die Nachteile (Forts.)
5.2.2. Instrumentale Umgehung (Forts.)
(2) Wirtschaftspolitik kann nur nachträglich auf neue
Finanzinstrumente reagieren.
Selbst für den Fall, dass die Steuer für sämtliche
Devisenmarkt-Transaktionen gelten würde, wäre damit
zu rechnen, dass der Innovationsdrang der
Finanzmärkte für die Entwicklung neuer substitutiver
Finanzinstrumente sorgt, die zunächst keiner
Steuerpflicht unterliegen.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.2. Die Nachteile (Forts.)
5.2.3. Intrasektorale Umgehung
(1) Stärkere Konzentration im Bankensektor:
Die Steuer könnte die Konsolidierungstendenzen im
Bankensektor weiter verstärken. Dadurch, dass
Transaktionen im eigenen Haus steuerfrei blieben,
bestünde ein starker Anreiz, einen großen Teil der
Devisenmarktumsätze intern abzuwickeln bzw. sich
mit bisher externen Handelspartnern zusammen zu
schließen  intrasektorale Umgehung.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.2. Die Nachteile (Forts.)
5.2.4. Einhebung der Transaktions- / Tobin-Steuern im
weltweiten Sinn
(1) Wenn die Transaktions- / Tobin-Steuer weltweit
eingehoben werden soll, ist die größte Schwierigkeit,
dass es bisher keine international anerkannte
Institution gibt, die die Einhebung durchführen – und
diese politisch durchsetzen und überwachen – kann.
(2) Es bleibt hier nur der Lösungsvorschlag, dass die
Steuer von den Nationalstaaten eingehoben wird und
in deren Souveränität verbleibt.
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5. Vor- & Nachteile Transaktions- / Tobin-Steuer
5.2. Die Nachteile (Forts.)
5.2.5. Überwälzung der Steuerlast auf die Endkunden
(1) Mit der Transaktions- / Tobin-Steuer werden zuerst die
Finanzintermediäre (Finanzinstitute) belastet, die
diese Steuer dann jenen Kunden, die die
Handelsgeschäfte beauftragt haben, als indirekte
Steuer weiterbelasten.
(2) Es sei hier darauf hingewiesen, dass diese Steuer
einen geringen Steuersatz hat, dass die Überwälzung
sicher vorgenommen wird, aber für den Endkunden
ohne weiteres zu verkraften ist.
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6. Die Transaktions- / TobinSteuer als Instrument zur
Krisenvermeidung?
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6. Transaktions- / Tobin-Steuer als
Instrument zur Krisenvermeidung?
Die Transaktions- / Tobin-Steuer ist zur Verhinderung von
Währungskrisen ungeeignet:
(1) Währungskrisen
beruhen
auf
fundamentalen
Schwächen eines Landes (z.B. Überschuldung).
(2) Eine
Währungskrise
(beispielsweise
erwartete
Abwertungsraten von bis zu 40 %) ist ein
unerwünschtes
Ereignis,
das
viele
negative
Externalitäten auf die Handelspartner hat.
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6. Transaktions- / Tobin-Steuer als
Instrument zur Krisenvermeidung?
(3) Bei Abwertungsraten bis zu 40 % spielt eine Steuer
von maximal 0,5 % eine zu geringe Rolle.
(4) Stellt man das Thema der Krisenvermeidung und nicht
das Thema der Eindämmung von Wechselkursvolatilitäten in den Mittelpunkt, so ist zu (hinter)fragen,
ob die Transaktions- / Tobin-Steuer als Instrument der
Krisenvermeidung geeignet ist.
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7. Alternativen zur
Transaktions- / Tobin- Steuer (?)
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7. Alternativen zur Transaktions- /
Tobin-Steuer (?)
7.1. Finanzaktivitätssteuer
(1) Besteuert werden die Gewinne (gewinnbringende
Transaktionen) von Banken und Finanzdienstleistern
sowie Gehälter und Boni (Vergütungen) der Manager.
(2) Privatanleger sind nicht von der Steuer betroffen.
(3) Die Finanzaktivitätssteuer wird vom IMF präferiert.
(4) Vorschlag
EU-Kommission:
Einführung
einer
Finanzaktivitätssteuer mit einem Steuersatz von 5 %.
Die Einnahmen auf EU-Ebene werden auf ca. 25 Mrd.
Euro geschätzt.
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7. Alternativen zur Transaktions- /
Tobin-Steuer (?)
7.1. Finanzaktivitätssteuer (Forts.)
(5) Probleme einer Finanzaktivitätssteuer:
 Gewinne und Gehälter bereits (national) besteuert
 Doppelbesteuerung.
 Begrenzter
Lenkungseffekt,
da
riskante
Transaktionen nicht direkt besteuert werden.
 Räumliche Umgehungsmöglichkeiten,
Steuer nicht weltweit eingeführt wird.
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falls
die
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7. Alternativen zur Transaktions- /
Tobin-Steuer (?) [Forts.]
7.2. Börsenumsatzsteuer / „Stempelsteuer“
(1) Besteuert wird der Verkauf von Aktien, je nach
Ausprägung auch der Verkauf von Optionsscheinen.
(2) Der Handel mit vielen Finanzprodukten (z.B. Derivate)
und mit Devisen ist nicht von der Steuer betroffen.
(3) Bsp. Großbritannien („Stamp Duty“):
 Steuer von 0,5 % auf den Verkaufswert bei Verkäufen von
Aktien oder Optionsscheinen inländischer Firmen.
 Nicht besteuert werden: Aktien ausländischer Firmen, der
Handel mit fest verzinslichen Papieren (z.B. Staatsanleihen),
der Handel mit Derivaten und Devisen.
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7. Alternativen zur Transaktions- /
Tobin-Steuer (?) [Forts.]
7.2. Börsenumsatzsteuer / „Stempelsteuer“ (Forts.)
(4) Probleme einer Börsenumsatzsteuer:
 Kein Lenkungseffekt (wie bei der Transaktions- /
Tobin-Steuer), da Transaktionen bei Devisen und
Derivaten nicht besteuert werden.
 Räumliche Umgehungsmöglichkeiten,
Steuer nicht weltweit eingeführt wird.
falls
die
 Außerbörslicher Handel (Freiverkehrs- bzw. OTCHandel) wäre nicht von der Steuer betroffen.
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8. Fazit Transaktions- /
Tobin- Steuer
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8. Fazit Transaktions- /
Tobin-Steuer
(1) Die Transaktions- / Tobin-Steuer ist eine sehr gute
Idee, die zu unterstützen ist, wenn sie zur
Stabilisierung von kurzfristigen Devisen- und anderen
Finanztransaktionen eingesetzt wird.
(2) Entscheidend würde aber sein, dass die Steuer
zumindest auf der EU-Ebene eingeführt wird.
Noch besser wäre es natürlich, wenn Nordamerika
und die wichtigsten asiatischen Finanzmärkte sich
anschließen würden.
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8. Fazit Transaktions- /
Tobin-Steuer (Forts.)
(3) Die Verzerrungswirkungen sind gering
Steuereinnahmen könnten dazu beitragen:
und
die
 zum einen ein Stück mehr Steuergerechtigkeit
herzustellen;
 zum anderen die akuten Finanznöte vieler
Regierungen zu lindern (auch wegen der BankenRettungspakete).
(4) Die große Schwierigkeit bei einer weltweiten
Einführung der Tobin-Steuer ist, dass es bislang keine
international anerkannte Institution gibt, die diese
politisch durchsetzen und überwachen könnte.
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