Das neue Erwachsenenschutzrecht und die Patientenverfügung

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Transcript Das neue Erwachsenenschutzrecht und die Patientenverfügung

Institut Dialog Ethik
Schwierige medizin-ethische
Entscheidungen treffen:
Das neue Erwachsenenschutzrecht
und die Patientenverfügung
Insieme Zürich
21.1.2013
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Inhalte
• Das neue Erwachsenenschutzrecht: Wichtigste
Fakten
• Welche Vorteile bringt das neue Recht?
• Was ist eine Patientenverfügung, was kann
darin geregelt werden?
• Was ändert sich für Menschen mit einer
geistigen Behinderung und ihre Angehörigen?
• Was können Angehörige unternehmen?
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Das neue Erwachsenenschutzrecht
• Löst das Vormundschaftsrecht ab
• Dieses ist seit 1912 in Kraft
 nicht mehr zeitgemäss
• Teil des Schweizerischen Zivilgesetzbuches
• Das Erwachsenenschutzrecht trat am 1.1.2013
in Kraft
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Das neue Erwachsenenschutzrecht
• Ziele:
– Selbstbestimmung stärken
– Solidarität in der Familie stärken
– Professionalisierung der Behörden
– Massnahmen nach Bedürfnissen der
schutzbedürftigen Person
– So viel Schutz wie nötig, aber nicht mehr
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Inhalte des neuen
Erwachsenenschutzrechts
1. Die eigene Vorsorge
2. Massnahmen von Gesetzes wegen für
urteilsunfähige Personen
3. Die behördlichen Massnahmen
4. Organisation
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Das neue Erwachsenenschutzrecht
3. Die behördlichen Massnahmen:
Beistandschaften
(anstelle von Vormundschaft, Beiratschaft
und Beistandschaft)
Idee der Massnahmen nach Mass
 Mehr Selbstbestimmung und
Mitspracherecht der Familie
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3. Die behördlichen Massnahmen
4 Hauptarten von Beistandschaften:
• Begleitbeistandschaft
• Mitwirkungsbeistandschaft
• Vertretungsbeistandschaft
• Umfassende Beistandschaft
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1. Die eigene Vorsorge
• Der Vorsorgeauftrag
• Die Patientenverfügung
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Der Vorsorgeauftrag
• Auftrag an eine selbst gewählte Person, dass
sie alltägliche Dinge erledigt wie:
– Personensorge
– Vermögenssorge
– Vertretung im Rechtsverkehr
• Der Vorsorgeauftrag tritt erst in Kraft, wenn
die Person urteilsunfähig ist.
• Eine Patientenverfügung kann Teil eines
Vorsorgeauftrages sein.
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Der Vorsorgeauftrag
Konkrete Handlungen in einem Vorsorgeauftrag
– Rechnungen bezahlen
– Post erledigen
– Haustiere füttern
– Haushalt organisieren
– Heimplatz organisieren, Betreuungsvertrag
abschliessen, etc.
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Beispiel 1: Joël Bachmann
• Joël Bachmann: 35 Jahre alt
• Hat das Downsyndrom
• Er lebt seit mehreren Jahren in einer
betreuten Wohngruppe
• Arbeitet 100% in einem Hotel
• Seine Eltern hatten die elterliche Sorge
als er Kind war und haben ab 18 Jahren
diese verlängert.
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Beispiel 1: Vorsorgeauftrag
Die Eltern von Joël können einen
Vorsorgeauftrag erstellen und damit regeln:
• Ihre eigenen persönlichen, rechtlichen und
finanziellen Angelegenheiten
• Sie müssen das Dokument von Hand
schreiben, datieren und unterschreiben.
• Unterlagen finden Sie z.B. bei der Pro
Senectute, oder bei einem Rechtsanwalt
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Die Patientenverfügung
Schriftliche Willensäusserung für
zukünftige Situationen,
in welcher ich festhalte,
wie ich medizinisch behandelt werden
möchte,
wenn ich einmal nicht mehr urteilsfähig
sein sollte.
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Patientenverfügung im
Erwachsenenschutzrecht
• Patientenverfügung erstmals gesamtschweizerisch
rechtlich geregelt.
• Die verfügende Person kann jemanden benennen,
der an ihrer Stelle über medizinische Massnahmen
entscheidet.
• Der Arzt muss bei jedem urteilsunfähigen Patienten
abklären, ob eine Verfügung vorliegt.
• Er prüft auf der Versichertenkarte, ob eine
Patientenverfügung erstellt wurde und wo sich diese
befindet.
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Beispiel 1: Kann Joël Bachmann eine
Patientenverfügung erstellen?
• Jede urteilsfähige Person kann eine
Patientenverfügung erstellen.
• Die Frage ist, ob Joël im Bezug auf die zu
treffenden Entscheide urteilsfähig ist.
• Urteilsfähigkeit ist immer situationsbezogen
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Mögliche Inhalte von
Patientenverfügungen
– Will ich, dass mein Leben durch
lebensverlängernde Massnahmen erhalten wird
nach einem schweren Unfall bei schlechter
Prognose?
– Möchte ich künstlich ernährt werden, wenn ich
einmal nicht mehr selbst essen (schlucken) kann?
– Dürfen mir Organe entnommen werden?
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Beispiel 1: Kann Joël Bachmann eine
Patientenverfügung erstellen?
Die Patientenverfügung stellt hohe kognitive
Anforderungen an die verfügende Person
2 Szenarien:
A. Er ist urteilsfähig und kann entscheiden, ob
eine Patientenverfügung erstellen möchte
B. Er ist nicht urteilsfähig
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Szenario A: Er ist urteilsfähig
Wie kann er vorgehen, wenn er eine
Patientenverfügung erstellen will…
• Zusammenstellung von Formularen
(Kassensturz 15.1.2013)
• Gratis Download auf www.dialogethik.ch
• Beratung beim Hausarzt oder bei Dialog
Ethik
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Mögliche Inhalte von
Patientenverfügungen
• Wichtige Personen
• Personalien
• vertretungsberechtigte Personen
• Seelsorger
• Datum und Unterschrift (für
Rechtsverbindlichkeit)
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Mögliche Inhalte von
Patientenverfügungen
• Evtl. bestehende Vorerkrankungen
• Medizinische Entscheidungen
– Schmerzlinderung
– Künstliche Ernährung
– Lebensverlängernde Massnahmen
• Wünsche für die letzte Lebenszeit (Sterbeort)
• Wünsche nach dem Tod (Organspende, Autopsie,
Bestattung)
• Datum und Unterschrift (für Rechtsverbindlichkeit)
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Damit die Patientenverfügung
verbindlich ist
Formvorschriften:
• Urteilsfähigkeit
• Schriftform, Datum und Unterschrift
• Ausdruck des freien Willens
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Die Patientenverfügung ist fertig
erstellt…
• Sprechen Sie mit vertretungsberechtigten
Personen und nahen Angehörigen über die
Verfügung und deren Inhalte
• Speichern Sie den Hinterlegungsort Ihrer
Patientenverfügung auf der Versichertenkarte
der Krankenkasse
• Aktualisierung Sie ihre Patientenverfügung
regelmässig, ungefähr alle zwei Jahre
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Der Arzt ist verpflichtet, der Patientenverfügung zu
entsprechen, ausser:
• Sie enthält Forderungen, die gegen das
Schweizer Recht verstossen
• Sie wurde unter Druck erstellt
• Es bestehen begründete Zweifel, dass die
Patientenverfügung noch dem mutmasslichen
Willen der Person entspricht.
Der Arzt muss schriftlich festhalten, falls er der
Patientenverfügung nicht entspricht (und aus
welchen Gründen).
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Was man in der Patientenverfügung
nicht regeln kann
• Gewisse Entscheidungen in Notfallsituationen
(z.B. keine Reanimation bei einem Unfall)
• Finanzielle Angelegenheiten (Testament)
• Einige Arten von Sterbehilfe
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Sterbehilfe
• Hilfe beim Sterben: Passive/Indirekte
Sterbehilfe
•
•
•
•
Sterbebegleitung/Palliative Care
Behandlungsverzicht
Behandlungsabbruch
Handlung mit doppelter Wirkung (Schmerzlinderung/Sedierung)
• Hilfe zum Sterben:
• Beihilfe zum Suizid
• In der Schweiz gesetzlich verboten, StGB Art. 111-114:
– Aktive Sterbehilfe: Tötung auf Verlangen
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Szenario B: Joël Bachmann ist nicht
urteilsfähig
• Vielleicht kann er Wünsche äussern, wer an
seiner Stelle entscheiden soll, oder was ihm
bei Krankheit wichtig wäre
• Wenn er dies nicht kann: Die nahen
Angehörigen entscheiden im Notfall in einer
im Erwachsenenschutzrecht festgelegten
Reihenfolge über anstehende Therapien
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Joël braucht eine Operation
• Joël sollte wegen seines Herzfehlers eine
Operation durchführen lassen. Da er selbst
nicht in die Therapie einwilligen kann:
Wer kann in die Operation einwilligen, und bei
allfälligen Komplikationen über die
Behandlung entscheiden?
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Eine Kaskade von vertretungsberechtigten
Personen (Art. 378 ZGB):
1. Die in einer PV oder Vorsorgeauftrag bezeichnete
Person
2. Beistand mit Vertretungsrecht in med. Massnahmen
3. Ehegatte oder eingetragene Partnerin/eingetragener
Partner
4. Person, die mit dem urteilsunfähigen Patienten einen
gemeinsamen Haushalt führt
5. Nachkommen
6. Eltern
7. Geschwister
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Die vertretungsberechtigte Person: ihre
Funktionen
• Wird bei Notfällen benachrichtigt
• Erhält Auskunft über den Gesundheitszustand
und die Prognose (Ärzte sind ihr gegenüber
von der Schweigepflicht entbunden)
• Setzt die Patientenverfügung der verfügenden
Person durch
• Darf in medizinische Therapien einwilligen
oder diese ablehnen anstelle des Patienten
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Eine vertretungsberechtigte Person
ernennen
• Eine mit Verantwortung verbundene
Rolle,
die emotional schwierig ist!
Es lohnt sich, gut zu überlegen, wer die
Rolle übernehmen kann und will.
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Fragen bei der Wahl einer
vertretungsberechtigten Person
• Wer kennt meinen Willen am besten?
• Kann diese Person / können diese Personen
sich auch im Spital für mich einsetzen: Sind sie
der Aufgabe gewachsen, wenn ich im Sterben
liegen sollte?
• Wie ist es für meine Bezugspersonen, dass ich
sie einsetze?
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Beispiel 1: wie kann vorgegangen werden,
falls Joël Bachmann nicht urteilsfähig ist?
• Wenn die Eltern eine Beistandschaft mit
Vertretungsrecht in medizinischen
Angelegenheiten haben, können sie in der
Situation in Therapien einwilligen
• Eventuell mit der betreuten Wohngruppe das
Gespräch suchen, um das Vorgehen bei
Notfallsituationen zu besprechen (falls nicht
schon gemacht).
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Zusammenfassend Patientenverfügung
• Tritt erst in Kraft, wenn der Patient nicht mehr
selbst entscheiden kann.
• Ist eine Entlastung für Angehörige und
Behandlungsteam
• Wenn keine Patientenverfügung vorliegt,
werden die nahen Angehörigen (oder
gesetzlichen Vertreter) vom behandelnden
Arzt gefragt  Zustimmung in die
vorgeschlagene Therapie
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2. Massnahmen von Gesetzes wegen für
urteilsunfähige Personen
• Vertretung bei medizinischen Massnahmen
• Aufenthalt in Wohn- und Pflegeeinrichtungen
– Betreuungsvertrag bei urteilsunfähigen Personen
– Bewegungseinschränkende Massnahmen
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Beispiel 3: Anja Koller
• Anja Koller hat eine komplexe Behinderung. Sie ist
Tetraplegikerin und hat eine schwere geistige
Behinderung. Sie kann sich nicht verbal ausdrücken.
• Bald wird sie 18 Jahre alt.
• Als Tagesstruktur hat Anja nach Abschluss der
Sonderschule nach ihrem 18. Geburtstag einen Platz
in einer Werkstätte eines Behindertenzentrums
gefunden.
• Da das Zentrum über 50 km vom Wohnort der Eltern
entfernt ist, entscheiden die Eltern, dass Anja unter
der Woche im Behindertenzentrum wohnen wird.
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Beispiel 3: Eintritt in eine Institution
• Das Zentrum ist verpflichtet, mit dem Beistand
von Anja (in ihrem Fall die Eltern), einen
Betreuungsvertrag abzuschliessen.
• Trotz gut eingestellter Medikamente hat Anja
regelmässig epileptische Anfälle. Wer vertritt
Anja, wenn medizinische Entscheidungen
notwendig sein sollten im Notfall?
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Beispiel 4: Umgang mit
bewegungseinschränkenden Massnahmen
• Heidi Kühne ist 65 Jahre alt, sie hat schwere autistische Züge
und eine geistige Behinderung.
• Sie lebt seit vielen Jahren in einer Institution.
• In letzter Zeit ist sie zunehmend räumlich desorientiert, steht
nachts auf und ist zweimal gestürzt.
• Nach einer Abklärung im Spital wurde eine dementielle
Erkrankung festgestellt, welche die Sturzgefahr erhöht.
• Wie sollen nun die Betreuerinnen mit dem Sturzrisiko
umgehen? Dürfen Sie Frau Kühne nachts an ihrem Bett
festbinden?
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Beispiel 4: Umgang mit
bewegungseinschränkenden Massnahmen
• Bewegungseinschränkende Massnahmen sind
immer ein Dilemma
• Laut Gesetz dürfen sie nur gemacht werden,
wenn
– Es keine weniger einschneidende Massnahme gibt
– Eine ernsthafte Gefahr besteht für den Bewohner
oder die Mitbewohnerinnen
– Die Gemeinschaft schwerwiegend gestört wird
ohne die Massnahme
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4. Organisation
• Neu gibt es die Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörden (anstelle der
Vormundschaftsbehörde)
• Interdisziplinär zusammengesetzte Behörde
(mind. 1 Jurist und 1 Sozialarbeiterin)
• Professionalisierung
• Innerhalb von 3 Jahren werden alle
bestehenden Massnahmen überprüft
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Die Erwachsenenschutzbehörde
Jede dem Patienten nahe stehende Person kann
die Erwachsenenschutzbehörde anrufen,
1. wenn der Patientenverfügung nicht
entsprochen wird,
2. wenn die Interessen des Patienten gefährdet
sind oder
3. wenn die Patientenverfügung nicht auf
freiem Willen beruht (Art. 373 Abs. 1 E-ZGB)
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Mögliche nächste Schritte
• Für sich als Angehörige eine
Patientenverfügung/einen Vorsorgeauftrag erstellen
• Medizinische Entscheidungen bei Menschen mit
geistiger Behinderung: inwieweit können Wünsche
Ihres Kindes einbezogen werden? Besteht
Handlungsbedarf für Notfallsituationen?
• Wie sieht es mit (bestehenden) oder zukünftigen
Beistandschaften aus (falls das Kind bald volljährig
wird)? Ist das medizinische Vertretungsrecht
enthalten?
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Herzlichen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!
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Kontakt
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Tel. 044 252 42 01
[email protected]