Prinzipat Jurisprudenz - Rechtswissenschaftliches Institut

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Rechtswissenschaftliches Institut
Römische Rechtsgeschichte
22. Okt. 2012
Lehrstuhl für Römisches Recht, Privatrecht und Rechtsvergleichung
Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux
Der Prinzipat: § 6 Die klassische Jurisprudenz
• Vorstellung einiger wichtigen Juristen
• Juristen im Dienst der Kaiser: ius respondendi
• Jurisprudenz als Rechtsquelle
Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux
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Übersicht 3: Epochen der klass. Rechtswiss.
-
Frühklassik: v.a. Labeo, Sabinus und Proculus (sog.
Rechtsschulen)
-
Hochklassik: Celsus, Julian, Pomponius, Gaius
-
Spätklassik: Papinianus, Paulus, Ulpian
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Zwei wichtige Hochklassiker:
•
Julian = L. Octavius Cornelius P. Salvius Iulianus Aemilius
- geb. um 107 aus Hadrumentum (Africa)
- Schüler des Javolen
- senatorische Laufbahn, von Hadrian gefördert
- 130 n. Chr.: Redaktion des prätorischen Edikts
- Werke:
 digestorum libri (90 Bücher)
 weitere Kommentare und Einzelschriften
•
Celsus = P. Iuventius Celsus T. Aufidius Hoenius Severianus (Celsus
filius)
- praetor um 106 oder 107 n. Chr.
- Haupt der prokulianischen Schule
- im consilium des Hadrian
- aus einer Juristenfamilie
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Spätklassiker:
•
Papinian = Aemilius Papinianus
- stammt aus Africa oder Syrien
- 194 - 202 entwarf er die Privatreskripte des Kaisers
- 205 praefectus praetorio
- 212 von Caracalla hingerichtet
- Werke:
 quaestionum libri (37 Bücher)
 digestorum responsorum libri (19 Bücher)
 weitere kleine Werke
 v.a. auch Mitarbeit bei Reskripten
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Spätklassiker:
•
Paulus = Iulius Paulus
-
um 160 n. Chr. geb.
-
Schüler des Cervidius Scaevola
-
205 Assessor des Papinian
-
219 praefectus praetorio
-
220 Verbannung durch Elagabal, Weiterarbeit unter Alexander
Severus
-
Werke:

Ad Masurium Sabinum (16 Bücher)

Notae ad Papiniani quaestionum (27 Bücher)

Ediktskommentar

Monographien

responsorum libri (23 Bücher)
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Spätklassiker:
•
Ulpian = Domitius Ulpianus aus Tyrus in Syrien
- um 170 n. Chr. geb.
- 208 als Begleiter des Kaisers in Britannien
- 212 Mitwirkung bei der constitutio Antoniniana
- 222 praefectus praetorio
- 223 von den Prätorianern erschlagen
- Werke:
 Kommentare (zum Edikt des Prätors, zum Edikt der
kurulischen Ädilen, zu verschiedenen leges)
 Monographien, Unterrichtswerke, responsorum libri
 in den Digesten Justinians stammen mehr als 2/5 aus Ulpians Feder
 Ulpian selbst liefert eine Summe des klassischen Rechts, auf die
Justinian gerne zurückgegriffen hat
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Tätigkeiten der Juristen
• agere = «klagen» = Vorbereitung der Klage, Konzeption der
Klageformel; Beratung der Partei / des Gerichtsmagistraten
• cavere = «vorsorgen» = Konzeption von Geschäftsformularen
und Verträgen
• respondere = «antworten» = Rechtsauskunft, Gutachten für
Private zur Vorlage in einem Rechtsstreit
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Q 19 = D. 1.2.2.49 Pomp. l. sing. enchir.
1. Inskription:
- Pomponius
- liber singularis enchridii
2. Paraphrase:
-
ein Exkurs (obiter sciamus) über das sog. ius respondendi
-
vor Augustus nicht vom Kaiser erteilte Erlaubnis, sondern eigene
Befugnis der Fachkundigen
-
seit Augustus offenbar versiegelte (signata) Rechtsgutachten; vorher
Zeugenurkunde über das Gutachten oder Brief an den Richter
-
Augustus bestimmt, dass Juristen ihre Rechtsgutachten (responsa) ex
auctoritate principis erteilen; seitdem erteilen Kaiser dieses Privileg
-
Antwort des Hadrian an ehemalige Prätoren: wenn sie das Privileg
erhalten wollen, sollen sie sich entsprechend vorbereiten
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3. Interpretation:
-
Was bedeutet publice respondendi ius?
-
Welche Neuerung liegt in der Erteilung des ius respondendi
durch Augustus?
-
Welchen Zweck verfolgte diese augusteische Reform?
-
Was bedeutet die Antwort Hadrians an die ehemaligen
Prätoren?
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Publice respondendi ius
-
öffentliche Zugänglichkeit zu einem Respondierjuristen
-
öffentliche Erörterung der Rechtsgutachten im Kreis der
Anwesenden
-
öffentliche Erteilung des Gutachtens (Brief oder Zeugen)
-
Berufung auf die Rechtsgutachten vor Gericht
 Keine Neuerung durch Augustus, sondern schon in
republikanischer Zeit bekannt
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Welche Neuerung liegt in der Erteilung des ius
respondendi durch Augustus?
ut ex auctoritate eius responderent
Begrenzung der Respondierjuristen auf die von Augustus
erwählten (str.)
responsum der Respondierjuristen erhält die Autorität des
princeps (= besonderes Ansehen; Geltung)
Gutachten werden versiegelt an den Richter versandt (=
Authentifizierung des Inhalts; Rückführbarkeit auf den siegelnden
Juristen)
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Welchen Zweck verfolgte diese augusteische
Reform?
Verschiedene Thesen:
-
Auswahl der Besten (also Beschränkung auf bestimmte
Juristen)
-
Auszeichnung bestimmter Juristen gegenüber anderen (str.)
-
Monopolisierung des Respondierwesens in den Händen der
Senatoren (Kunkel)
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Was bedeutet die Antwort Hadrians an die
ehemaligen Prätoren?
Anfrage der ehemaligen Prätoren:
- ut sibi liceret respondere
Reskript des Hadrian:
- hoc non peti, sed praestari solet…
 ius respondendi ist ein Privileg, keine förmliche Zulassung
 Hadrian erscheint grosszügiger als Augustus: wer geeignet
ist, möge sich dieser Aufgabe widmen (Kunkel).
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Q 20 = Gai. 1, 7
1. Inskription:
- Gaius
- Institutiones
2. Paraphrase:
-
Responsa prudentium sind die Rechtsansichten der Juristen,
denen es erlaubt ist, Recht zu schöpfen.
-
Sind sie einer Meinung, erhält diese die Kraft eines Gesetzes.
-
Sind sie verschiedener Meinung, hat Hadrian entschieden,
dass der Richter auswählen kann, wem er folgen will.
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Gesetzeskraft der responsa prudentium
-
Gesetzeskraft (legis vicem) im Sinne von
Allgemeinverbindlichkeit (wie ein Volksgesetz)
-
Neuerung, die mit dem ius respondendi zusammenhängen
könnte, vgl. quibus permissum est iura condere
-
Autorität des princeps trägt das Gutachten des Juristen, wenn
sie übereinstimmen = Vorstellung einer Delegation / eines
Auftrags, vgl. Verbindlichkeit der vom princeps beantragten
Senatsbeschlüsse (in der Republik: Empfehlung)
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Auswahlermessen des Richters (iudex):
-
iudex ist ein Privatrichter (Laie); er ist an die Klageformel und
das dort niedergelegte Prozessprogramm gebunden
-
iudex verfügt wahrscheinlich über ein (privates)
Ratgebergremium (consilium), in dem sich (auch) Juristen
befinden
-
ius controversum betrifft weite Bereiche des römischen
Privatrechts (mehr als aus den Digesten ersichtlich ist)
 Weiter Anwendungsbereich für Auswahlentscheidung des
Richters
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Bewertung der Verleihung des ius respondendi
-
Zugriffs- und Kontrollmöglichkeit des princeps auf die Juristen
 Qualität
 Herkunft
 politische Orientierung
-
Erstarken des Juristenrechts zur Rechtsquelle
 Autorität des princeps
 Professionalisierung der Rechtspflege notwendig
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Beispiel eines responsum, Q 22
-
Briefform: Domitius Labeo an Celsus
-
Anfrage (quaero):
Kann auch der Schreiber des Testaments Zeuge für den
Testamentsinhalt sein?
-
Antwort:
 unsinnige Frage, deren Bedeutung nicht einleuchtend ist
 «Mehr als lächerlich ist es zu bezweifeln, ob jemand
Zeuge sein kann, weil er das Testament geschrieben hat».
 responsum zwischen zwei Juristen
 starke rhetorische Prägung der Antwort
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§ 7 Juristenrecht
- Rechtsunterricht: praktische Unterweisung im
Gefolge eines anerkannten Juristen, Diskussion auf
dem Forum
- Rechtsschulen «sectae»: unterschiedliche
Richtungen innerhalb der frühklassischen
Jurisprudenz; Auswirkungen dieser Kontroversen
bis in die Spätklassik
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Rechtsschulen, Q 21:
1. Inskription: s.o. zu Pomponius, liber singularis enchiridii
2. Paraphrase:
- Ateius Capito und Antistius Labeo begründeten zwei
unterschiedliche Richtungen innerhalb der römischen
Jurisprudenz. Capito wird von Pomponius als
Traditionalist, Labeo als Erneuerer aufgrund
umfassender Bildung gekennzeichnet.
- Capito wird von Sabinus, Labeo von Nerva abgelöst.
Der Gegensatz zwischen beiden Schulen wird durch
diese noch verstärkt.
- Sabinus war nicht senatorischer Abstammung. Dennoch
erreichte er unter Tiberius als erster das Recht,
öffentlich Rechtsgutachten zu erteilen.
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Beispiel für Kontroversen, Q 24 = Gai. 3, 103:
Stipulation über datio „für sich und einen anderen“ (der nicht
in der Gewalt ist)

„unsere Lehrer“ (Sabinianer): Stipulation vollständig wirksam

„Autoritäten der anderen Schule“ (Prokulianer): Stipulation ½
wirksam, ½ unwirksam
Fragen:
 Warum ist die Stipulation für einen anderen unwirksam?
 Wie lassen sich die beiden Positionen begründen?
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Unwirksamkeitsgründe der Stipulation
Q 23 = D. 45.1.110pr. Pomp. 4 ad Q. Muc.
Prinzip:
alteri nemo stipulari potest = man kann sich nicht wirksam für
einen anderen versprechen lassen
Ausnahme: Ein Sklave lässt sich für seinen Herrn
versprechen.
 Die Stipulation zugunsten eines anderen ist unwirksam.
 «Es gibt keinen Vertrag zugunsten Dritter».
 «Es gibt keine (echte) Stellvertretung».
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Die Positionen der Sabinianer und Prokulianer:
Stipulation: «mihi et Titio decem» (mir und Titius zehn)
Sabinianer: «mihi et Titio decem»  «mihi decem»  Stipulation
vollumfänglich wirksam für ego.
Prokulianer: «mihi et Titio decem»
«mihi quinque et Titio quinque» 
«mihi quinque»  Stipulation ist wirksam in Höhe von 5 für ego.
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Die Entwicklung der Frage Q 26 und Q 27:
Q 26 Julian: «mihi et Titio decem»  gemeinschaftliches Haben
von ego und Titius (communiter), einmal zehn für beide
 Erweiterung der sabinianischen Lösung: auch «Titio
decem» wird gerettet als gemeinschaftliche Verpflichtung
Q 27 Ulpian: «mihi decem et Titio decem»
 kein gemeinschaftliches Haben versprochen (2x decem)
 Versprechen für Titius ist unwirksam
 Versprechen für ego ist wirksam
Folge: ego bekommt nur fünf!
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Prinzip: ambiguitas contra stipulatorem, Q 25
Lösung Ulpians in Q 27 wird durch ambiguitas-Regel
gerechtfertigt: verba contra stipulatorem interpretanda sunt.
Doppeldeutigkeit lag in der Frage, ob 2 x 10 = 20 oder 2 x =
10 versprochen sind.
 10 insgesamt versprochen, dann eigentlich Lösung
Julians, Q 26, aber hier: keine Gemeinschaftlichkeit! Daher
Teilunwirksamkeit: nur 5 für ego.
 20 versprochen, dann 10 für ego.
Ambiguitas-Regel zwingt zur Annahme 10.
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Rechtfertigung der ambiguitas durch Celsus:
«weil es dem stipulator frei gestanden hätte, die Worte weit zu
fassen»
 Der Stipulator formuliert die Frage, die die Grundlage für den
Inhalt der Stipulation bildet.
 Er muss diese gut vorbereiten (Gestaltungsmacht).
 Er erhält eine Forderung aus dieser Formulierung
(Schuldnerschutz).
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Beispiel des Celsus:
«Versprichst du zu geben, wenn du innerhalb von zwei Jahren
das Kapitol nicht bestiegen hast»
 Mehrdeutigkeit: Verfällt das Versprechen schon dann, wenn
er das Kapitol nicht mehr besteigen kann/will oder immer erst
nach zwei Jahren.
 contra stipulatorem: erst nach zwei Jahren = maximaler
Zeitraum für den Schuldner.
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Zusammenfassung:
-
ius respondendi: Bedeutung und Wirkungen
-
Rechtsschulen im Prinzipat: Kontroversen und
Persönlichkeiten
-
Beispiel Stipulation:
 alteri stipulari nemo potest
 ambiguitas contra stipulatorem
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