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Vorlesung 2 Psychosomatische Medizin

Propädeuticum WS 2006 / 07 am Institut für Erziehungswissenschaften Uni Salzburg Alexandra Kostrba-Steinbrecher

OÄ im SA für Psychosomatische Medizin der Universitätsklinik für Psychiatrie I Im St.Johanns-Spital SA für Psychosomatische Medizin 1

Psychosomatische Diagnostik

     Biopsychosoziale Anamnese Psychometrische Diagnostik Somatische / psychophysiologische Diagnostik Physiotherapeutische Diagnostik Beziehungsdiagnostik (Übertragung, Gegenübertragung…) und system.Kontext

A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 2

Diagnostische psychosomatisch-psychotherapeutische Methoden        Teilstrukturierte psychodynamische Interviews Die biographische Anamnese Operationalisierte psychodynamische Diagnostik OPD Standardisierte Diagnostik Test- und Fragebogen-Diagnostik Verhaltensbeobachtung und Diagnostik Integrative bio-psycho-soziale Diagnostik A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 3

Teilstrukturierte psychodynamische Interviews

  Im Vordergrund steht die Erfassung von unbewussten Prozessen, von Strukturen der Persönlichkeit, von Konflikten und von interpersonellen Beziehungskonstellationen in der Gegenwart und in der Vergangenheit Im Hintergrund steht die Klassifikation, d.h. die deskriptive Beschreibung von Verhaltensmerkmalen und Störungen A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 4

Rahmenbedingungen für teilstrukturierte psychodynamische Interviews       Ca 1 Stunde Dauer Begrüßung, Einführung, Fragen nach dem Anliegen Subjektive Schilderung, Deutung der Beschwerden, Biographie, Beziehungskonstellationen,..

Reinszenierung ( kommt Pat. alleine?) Vereinbarung fürs weitere Procedere A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 5

Teilstrukturierte psychodynamische Interviews

  Das psychoanalytische Erstgespräch:    Wahrnehmung der Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse Gleichschwebende Aufmerksamkeit, Empathie, teilnehmender Beobachter Erfassung der Rollenzuweisung in der Interaktion Das interaktionelle Interview nach Balint:     Herstellung zeitlicher Zusammenhänge zwischen Symptomentstehung und situativen Umständen Herausarbeitung lebensgeschichtlicher Ereignisse ( life events) Biographie incl. auslösende Situationen und frühkindliche Entwicklung Verständnis für Übertragung und Gegenübertragungsprozesse A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 6

Teilstrukturierte psychodynamische Interviews

 Psychoanalytisches Interview nach Argelander:   Im Vordergrund ist die Erfassung der unbewussten szenischen Mitteilungen, aus denen Übertragunsprozesse und infantile Szenen rekonstruiert werden können.

Inittierung der pathognomonische Interaktion mit dem Therapeuten  Biographische Mitteilung, lebensgeschichtliche Umstände, subjektive Evidenz A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 7

Teilstrukturierte psychodynamische Interviews

 Das strukturelle Interview nach Kernberg:  Ziel ist die Differenzierung der 3 Haupttypen der Persönlichkeitsorganisation durch Erfassung von: Störungen der Identität, der Realitätsprüfung, der Abwehrmechanismen, der Selbst-Objekt-Differenzierung     neurotisches Funktionsniveau Borderline Funktionsniveau psychotisches Funktionsniveau Hintergrundstörung für Symptome und Verhaltensmuster A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 8

Die biographische Anamnese    A.Dührssen ( Psychoanalyse), Heidelberger biographische Medizin, Psychosomatische Anamnese von Engel oder Bräutigam Herausarbeitung der individuellen psychischen, sozialen und medizinischen Entwicklungslinien Überblick über Persönlichkeitsentwicklung Berücksichtigung unterschiedlicher Lebensbereiche ( z.B: der Primärfamilie, Peergroups, Arbeitswelt, Freizeitaktivitäten) A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 9

Inhalte der biographischen Anamnese 1

   Familienanamnese:   Herkunft, Alter Beruf der Eltern Geschwisterkonstellation, Entwicklung der Geschwister   Familienklima Erkrankungen, Gesundheitsverhalten Individuelle Anamnese:  Schwangerschaft und Geburt ( Einstellung der Ang. ,Risiken, soz.Status)   Frühkindliche Entwicklung Kindliche Verhaltensauffälligkeiten Beziehungsanamnese   Zu den Eltern, zu den Geschwistern, Kindergartenzeit, Schulzeit Freundschaften, Bekanntschaften A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 10

Inhalte der biographischen Anamnese 2

   Berufsausbildung  Leistungsvermögen  Soziale Integration Psychosexuelle Entwicklung Eigene familiäre Konstellation  Art der Partnerwahl,    Ehe, Scheidung, Kinder Beziehungsentwicklung innerhalb der Ehe, zu den Kindern Erwartungen und Wünsche an die Kinder A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 11

    

Inhalte der biographischen Anamnese 3

Berufliche Situation  Karriere, berufliche Verantwortungsbereiche  Zufriedenheit, Enttäuschungen, Enticklungsmöglichkeiten, Leistungsmotivation Finanzielle Situation Partizipation an außerfamiliären Lebensbereichen (Sport-Vereine, Parteien, Kirchen,..) Übernahme an öffentlichen Funktionen Einstellungen, Werthaltungen und emotionale Stile Krankheitsbezogene Einstellungen und Verändeungsmotivationen A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 12

Methodisches Vorgehen bei der biographischen Anamnese

   Möglichst niedrig strukturiertes und flexibles Vorgehen Möglichst Freiraum für subjektive Sichtweisen durch offene Fragestellungen Augenmerk auf „maladaptive“ Beziehungsmuster A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 13

Teilstrukturierte psychodynamische Interviews

 Das diagnostische Interview zur Operationalisierten psychodynamischen Diagnostik (OPD):  Erfasst die Symptomatik, das Krankheitserleben, die Behandlungsmotivation und die Behandlungserwartungen, die Aspekte der interpersonellen Beziehungsmuster, zeitlich überdauernde unbewusste Konflikte und die Persönlichkeitsstruktur A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 14

OPD operationalisierte psychodynamische Diagnostik    Psychiatrisch syndromale Diagnostik ICD 10, DSM IV weniger Validität und geringere Relevanz für Therapie-Indikationen OPD 1996 entwickelt, 5 Achsen:   I Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen II Beziehung    III Konflikt IV Struktur V psychische und psychosomatische Störungen A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 15

Das psychosomatische Erstgespräch

Unterscheidet sich vom üblichen medizinischen Anamnesegespräch: Möglichkeit der subjektiven Darstellung des Pat. seiner Beschwerden und Zusammenhänge mit der Lebenssituation und ev. Belastungsfaktoren. Wesentliche Faktoren:     Zeitfaktor: Ruhiges Zuhören, Pat. sprechen lassen. Pat. fühlt sich gehört und kann die für ihr wichtigen Informationen mitteilen.

Vertrauensfaktor: persönliches Interesse des Interviewers Settingfaktor: Therapeut sorgt, soweit möglich, für einen eigenen Raum Ausbildungsfaktor:ausreichend medizinisches und psychologisches Wissen für psychosomatische Zusammenhänge und Vermittlungs- und Kommunikationsvermögen um Verständnis beim Pat. zu wecken. A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 16

Aufgaben im Psychosomatischen Erstgespräch

    Begegnung mit dem Patienten Zugang finden zu psycho-somatischem Erleben des Patienten Vermittlung des Patienten vor dem Hintergrund des Fachwissens in diagnose- und therapierelevante Information übersetzen Tragfähiges Arbeitsbündnis herstellen A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 17

Gesprächsführung

1. Beginn mit Begrüßung und Vorstellung 2. Gesprächsbedingungen schaffen ( keine Zuhörer, Sitzgelegenheiten, Positionen, Nähe-Distanz..) 3. Einführungs- und Aufwärmphase ( Bedingungen auf der Station,Zimmer, Essen,..) 4. Aufklärung über „Psychosomatisches Gespräch“: entängstigen, Vorurteile ansprechen,   Vermeiden: „psychische Probleme“, Konflikte anzusprechen bessere Akzeptanz: Überforderungssituation, Stress, Kränkung, besondere Belastungen… können körperliche Symptome auslösen, die längerfristig auch zur Krankheitsentwicklung beitragen könnten.

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Gesprächsführung

5. Wenn bisher ausreichend Vertrauen hergestellt werden konnte, beginnt meist Pat. selbst zu sprechen, wenn nicht günstige Fragen, um Gespräch in Gang zu bringen, nach:    Wohnsituation: wo, wie, mit wem Berufssituation Lebenssituation: ledig-verh.,… Kinder, Geschwister, Eltern… 6. Aktuelles Befinden, Grund der Aufnahme ( offene Fragen!), nach dem Pat. sein Leiden geschildert hat, genauer nachfragen:      zeitliches Auftreten, Intensität der Beschwerden Genaue Lokalisation der Beschwerden Umstände, wann Symptom auftritt, wann nicht, wann weniger, wann verstärkt Lebensumstände zu Beginn der Beschwerden A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 19

Gesprächsführung

7. Gab es die Symptome, Krankheit schon einmal früher?

8. Hatte in der Familie, in der Ursprungsfamilie jemand früher oder jetzt ähnliche oder gleiche Symptome ?

9. Sind psychosoziale Zusammenhänge erkennbar?

Mit dem Patienten gemeinsam Zusammenhänge herzustellen versuchen.

10. Frage nach bisherigen Copingstrategien und Ressourcen 11. Gemeinsam therapeutische Überlegungen anstellen, erklären was es für Möglichkeiten gibt:      Medikamentöse Therapie Entspannungsverfahren Gesundheitsberatung, Lebensstiländerung Psychotherapien Selbsthilfegruppen A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 20

Wahrnehmungsebenen im Gespräch

  

Faktisch-deskriptive Ebene

Welche Fakten teilt mir der Patient mit?

Empathische Ebene

Was empfinde ich, wenn ich mich in den Patienten hineinversetze?

Situativ-szenische Ebene

Wie gestaltet der Patient die Situation und die Beziehung zu mir?

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Psychosomatische Anamnese

      aktuelle und frühere Belastungen Ressourcen, die bisher zur Gesundheitserhaltung beigetragen haben Funktion des Symptoms (Ausdruck, Krankheitsgewinn) Zeitpunkt der Konsultation/ Krankenhausaufnahme Gestaltung / Inszenierung der Gesprächssituation durch den Patienten Reaktion (emotional) des Arztes/Therapeuten auf die Situation A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 22

    

Ablauf der biopsychosozialen Anamnese

( nach Bräutigam und Christian) Kontaktaufnahme, Beschwerden, Gründe des Kommens: Symptomatik Beschwerdebeginn, Zeitlicher Ablauf, körperliche Untersuchung, somatischer Befund Lebenssituation, allgemeines Psychosoziales Umfeld und somatische Begleitprobleme beim Beschwerdenbeginn oder bei Rückfällen (Veränderungen, Schicksalseinbrüche), Biographische Entwicklung, frühere Beziehungen, Belastungen, Bewältigung Bild der ganzen Person, ihrer Ressourcen, Konflikte,..

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Symptom als Narrativum

Allgemeiner Sprachgebrauch: Das Herz schlägt bis zum Hals, das Herz fällt in die Hose , da geht das Herz auf, das Herz auf der Zunge haben, an gebrochenem Herzen sterben, Herzfeuer – ausgebrannt sein, Das schnürt die Kehle zu, liegt im Magen, herunterschlucken, Eine Wut im Bauch haben, blind vor Wut, Aufs Aug drücken, ein Dorn im Auge, da kommt die Galle hoch, etwas ist über die Leber gelaufen, durchschlagender Erfolg atemberaubend, atemlos machen, das nimmt die Luft zum atmen, loslassen – ausatmen, A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 24

Symptom als Narrativum

 Das geht an die Nieren, die Haare stehen zu Berge, es läuft kalt über den Rücken, mit dem Rücken zur Wand stehen, es schlottern die Knie vor Angst, vor Angst in die Hose machen, Angst sitzt in den Knochen, kalte Füße bekommen, schwindlig vor Angst, den Boden unter den Füßen wegziehen, A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 25

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Chinesische Medizin

Funktionskreis Herz: Freude / Depression; Amor Herz - das Bewußtsein Shen Funktionskreis MP-Magen: Sorge, Denken, Verdauen; Agape Milz - die Gedankenkraft yi Funktionskreis Lunge / Dickdarm: Trauer Lunge - die Körperseele po Funktionskreis Niere-Blase: Angst / Sicherheit, Stabilität, Lebenskraft; Eros Niere - die Willenskraft zhi Funktionskreis Leber-Gallenblase: Aggression, Wut, Abgrenzung Bewegung, Muskelkraft Leber - die ätherische Seele hun SA für Psychosomatische Medizin 26

    4 psychosomatische Krankheitsgruppen Befindlichkeitsstörungen: Nichtorganische Körpersymptome ohne funktionelle oder somatische Störungsursachen mit keinem oder geringen Krankheitswert Funktionelle (somatoforme oder dissoziative) Störungen: primär nichtorganische Störungen mit Krankheitswert Psychosomatische Störungen im engeren Sinn: organische Erkrankungen mit psychosozialen Auslösern oder Verstärkern Somatopsychische Erkrankungen: organische Erkrankungen mit psychosozialen Folgen A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 27

Somatoforme Störungen

    Frühere Bezeichnung „funktionell“ - oft mit Abwertung verbunden zuwenig Aufmerksamkeit in der Behandlung Gefahr der Chronifizierung, Fixierung, Eskalation 10-20% in einer Akut- u. Notfallambulanz, in Allgemeinpraxis (Freiburger Kohortenstudie)  Altersgipfel bei 30-35a  Häufige Krankenstände, Chronifizierung führt oft zu Frühpensionierung Definition: Störung von organischen Funktionen ohne strukturell organische Veränderungen des Organs A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 28

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Funktionelle Störungen

Kann jedes Organ,jedes Organsystem betreffen, am häufigsten: Herz-Kreislauf mit „herzneurotischen Symptomen“:  Herzrasen, Herzstolpern, Herzschmerz, Druck in/ auf der Brust Magen-Darmtrakt:  Magendruck, Völlegefühl, Appetitlosigkeit, Blähungen, Durchfälle, Obstipation Lunge- Atemwege:  Atemnot, Hyperventilation, Globusgefühl HNO:  Schluckstörung, Globusgefühl, psychogene Heiserkeit, Schwindelzustände A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 29

Funktionelle Störungen

    Orthopädie:  Zervikalsyndrom, Lumbalgie, Neurologie:  Kopfschmerzen, Urologie:  Reizblase, chron.Prostata-Beschwerden Zahnheilkunde:  Zähneknirschen, Zähnreiben A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 30

Somatoforme Störungen

     „ körperlicher Ausdruck von Neurosen“ Konversionsneurotischer Anteil bei Fixierung Über-Ich – Botschaften:  Zähne zusammenbeißen, Indianer kennt keinen Schmerz, keine Schwäche zeigen Entlastungsmechanismen untersagt:  Angst haben und äußern, Überforderung ausdrücken, sich beklagen, ausjammern, weinen Innerseelische Druck findet seinen Ausdruck in körperlichen Funktionsstörung A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 31

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Somatoforme Störungen

Mechanismen tief verwurzelt Gesprächsverlauf – Zugänglichkeit zwischen Pat. und Arzt/TherapeutIn gibt Hinweis auf die Tiefe des Musters und auf die Veränderbarkeit:  gehemmte Sehnsucht nach Öffnung    Mitteilung mit negativen Erwartungshaltung und Konsequenzen verknüpft Innere Repräsentation von helfenden Instanzen? / Ansprüche, Erwartungen, Durchhalteparolen, Härtebefehle… Bindungsstil… A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 32

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Somatoforme Störungen – therapeutische Haltung

Aktives Engagement des Arztes/ PsychologIn nötig Nicht direkt psychopathologische Ursachen ansprechen, kann Angst, Abwertung, Tabu, die Symptome verstärken Allgemein akzeptierten Sprachgebrauch verwenden: „starke Belastung, Stress, Überlastung..“ Empfehlung:  Stressreduktion, chronobiologische Anpassung, geregelte Arbeitszeiten, Pause und Erholung, Resilienzförderung A.Kostrba-Steinbrecher SA für Psychosomatische Medizin 33

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

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