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Böhm-Bawerk gegen Marx:
Der Streit um das aristotelische Erbe
Symposium "100 Jahre Böhm-Bawerk"
Freitag, 17. Okt. 2014
Universität Wien
Vortrag von Bertram Schefold
Goethe-Universität
Frankfurt am Main
13.04.2015
Antike: Die Bücher-Meyer-Kontroverse
Auseinandersetzung Ende des 19.Jhds. über die Deutung der antiken Wirtschaft
Gegensatz
Griechische Wirtschaftsgeschichte
Mittelalter –
Frühe Moderne –
Moderne
Antizipation
•
Meyer: Hellenistische Wirtschaft ähnlich merkantilistischer Manufakturperiode,
antiker Kapitalismus
 Modernistische Position (Rostovtzeff, heute z.B. Cohen)
•
Bücher: Griechische Wirtschaft aus Selbstdarstellungen deuten,
Oikoswirtschaft
 Primitivistische Position (Finley, heute z.B. Millett)
13.04.2015
Prof. Dr. Dres. h.c. Bertram Schefold
1
Aristoteles
384 v.Chr. – 322 v.Chr.
Beispiele aus Aristoteles Werken
Nikomachische Ethik (350 v.Chr.)
Politik (350 v.Chr.)
Oekonomica (Ursprung umstritten
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2
Aristoteles
Politik (1): Das „gute Leben“
•
Im Zentrum Aristoteles Wirtschaftsvorstellung: die Polis als „naturgemäßes
Gebilde“ und autarke Gemeinschaft politischer Menschen
•
Oikos, Oekonomik und die Sklavenhaltung
•
Ziel der Oekonomik: Schaffung der materiellen Basis des „guten Lebens“
•
Gegen Platons Kollektivismus, Privateigentum wird befürwortet
•
Unterscheidung Haushaltskunst und Beschaffungskunst
 Verwendung und Beschaffung der im Haushalt zum Führen des
„guten Lebens“ gebrauchten Dinge
 Natürliche Beschaffungskunst Teil der Haushaltskunst
 Unnatürliche Beschaffungskunst: Bereicherung als Selbstzweck
(Chrematistik)
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Aristoteles
Politik (2): Haushalts- und Beschaffungskunst
begrenzt
unbegrenzt
Haushaltskunst
Häusliche Einzelherrschaft
Beschaffungskunst
Eheführung
Kindererziehung
Eigenerwerbskunst
Chrematistik
Sklavenführung
Tauschkunst
Gatte
Jäger
Landwirt
Bergbau
Kleinhandel
Vater
Fischer
Schuster
Holzwirtschaft
Großhandel
Herr
Räuber
Arzt
Bauer
Wucher
Lohnarbeit
Nomade
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Aristoteles
Politik (3): Chrematistik
•
Gewinn nur in Verbindung mit Zwischenhandel
•
Zins daraus nicht ableitbar, kein Erkennen des Mehrwerts
•
Geld nur als Tauschmittel natürlich, kein Konzept von Geldkapital
•
Sterilitätsargument: Geld gebiert keine Kinder
•
Wucher als Hauptbeispiel der Verfehlung des guten Lebens
•
Ungerechter Tausch
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Aristoteles
Tausch und Geld bei Aristoteles
•
a = b als Setzung / Geldschätzung
wegen Gleichsetzung des Werks (ergon)
wegen Bedarf (chreia)
als Tausch von Überschüssen (der oiken)
•
Geld als Tauschmittel
Metallismus (Aristoteles), Nominalismus (Platon)
•
Geld als Reichtum
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Marbod von Rennes, ca. 1100
Dives avarus eget. Per quid? Quia cum petit usus,
Tangere parta timet. Cur? Ne minuatur acervus.
Cur metuit minui? Quia mavult crescere. Quare?
Non esset vitium, si non ratione careret.
•
Partum
•
Also Tugend rational? Aber: ratio = Rechtfertigung
•
Noch altchristlich: Wucher = Geiz
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τόκος ? Aber: partum = Erwerb
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Scholastik
Thomas von Aquin (1225 – 1274)
Zins:
•
Geld kein Gebrauchsgut, sondern Verbrauchsgut, da es im Tausch gegeben
wird und damit vom Zahlenden „verbraucht“ wird. Bezahlung des Darlehens
durch Rückgabe; kein zweiter Preis.
•
Sterilitätsargument, Ablehnung des Zinses
•
Gründe für die legitime Zinsnahme, v.a. bei den Nachfolgern:
- damnum emergens
- periculum sortis
- lucrum cessans
•
Aber: noch kein Erkennen der produktiven Rolle des Kapitals und des Zinses
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Rogier van der Weyden
„Medici-Madonna“
1450-51, Städel,
Frankfurt am Main
Petrus, Johannes
Cosmas (Cosimo de Medici)
Damian (Giovanni de Medici,
Sohn Cosimos)
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Scholastik
Antoninus von Florenz (1385 – 1459)
•
Kriterium der Produktivität: Geldleihe und Kapitalanlage
•
Geldleihe: unproduktiv, daher Ablehnung eines Gewinns, Ausnahmen:
damnum emergens und lucrum cessans (enge Auslegung)
•
Kapitalanlage: produktiv, dann Zins gerechtfertigt
•
Wechselverkehr: Aufschläge gerecht, soweit dem Transport geschuldet
•
Bankiers: vorwiegend Wechsler
•
Geldwechsel sündig, weil grenzenlos
•
Kompensierende Gegenleistung: Gaben für die Öffentlichkeit,
Symbol: die drei Könige
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Florenz, San Marco, Zelle 39, Die Anbetung der drei Weisen
aus dem Morgenland - Benozzo Gozzoli, ca. 1440
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Marx über Aristoteles
Daß aber in der Form der Waarenwerthe alle Arbeiten als gleiche menschliche
Arbeit und daher als gleichgeltend ausgedrückt sind, konnte Aristoteles nicht aus
der Werthform der Waaren herauslesen, weil die griechische Gesellschaft auf der
Sklavenarbeit beruhte, daher die Ungleichheit der Menschen und ihrer Arbeiten
zur Naturbasis hatte. Das Geheimniß des Werthausdrucks, die Gleichheit und
gleiche Gültigkeit aller Arbeiten, weil und insofern sie menschliche Arbeit
überhaupt sind, kann nur entziffert werden, sobald der Begriff der menschlichen
Gleichheit bereits die Festigkeit eines Volksvorurtheils besitzt. Das ist aber erst
möglich in einer Gesellschaft, worin die Waarenform die allgemeine Form des
Arbeitsprodukts ist, also auch das Verhältniß der Menschen zu einander als
Waarenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältniß ist. Das Genie des
Aristoteles glänzt grade darin, dass er im Werthausdruck der Waaren ein
Gleichheitsverhältniß entdeckt. Nur die historische Schranke der Gesellschaft,
worin er lebte, verhindert ihn herauszufinden, worin denn "in Wahrheit" dieß
Gleichheitsverhältniß besteht.
(MEGA2, II. 5, S. 636.)
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Marx und Aristoteles: Indirekt und direkt Einflüsse
•
Wertformenlehre: W – G – W‘, G – W – G‘
Arbeitskraft
G–W
W‘ – G‘
Produktionsmittel
Substanz und Form
•
Wertbestimmung durch Arbeit
•
Kapitalakkumulation (Mehrwert heckender Wert) chematistisch
•
Zins irrational
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Karl Marx: Transformation von Werten in Preise
•
Aber: bisherige Analyse auf Basis der Arbeitswerte, nicht in Preisen
•
Die Analyse von Marx gilt jedoch nur, wenn Austauschverhältnisse in Preisen
wie in Arbeitswerten:
 „Kommunismus des Kapitals“
•
Der Gewinn (=Mehrwert) wird, zur Bestimmung der Profitrate, vom
Unternehmer zum eingesetzten Kapital in Beziehung gesetzt
•
Profitrate in Werten: r = m/(c+v)
 Lohn vorfinanziert, daher im Nenner  Sraffa:
•
Zu zeigen: M = P (Mehrwertsumme = Profitsumme)
•
C + V + M = K + W + P (linke Seite: Werte, rechte Seite: Preise)
•
Problem: unterschiedliche organische Zusammensetzung der Sektoren
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Karl Marx: Transformation von Werten in Preise (2)
•
Zwei Sektoren: Textil- und Eisenindustrie
•
uniforme Mehrwertraten (Konkurrenz unter den Arbeitern)
•
Unterschiedliche organische Zusammensetzung:
mt
me
vt
ve
ct
ce
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ce ct
>
ve vt
• unterschiedliche
Wertprofitraten widersprechen
der Konkurrenz
• Marx‘ Lösungsvorschlag:
Umverteilung von Mehrwert
bei der Transformation der
Werte in Preise
(Kommunismus des Kapitals)
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me mt
=
ve vt
m1t
m
m
m2e
vt
ve
ct
ce
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M = P = Zins + Unternehmergewinn
•
•
•
•
•
P = M in Spezialfällen:
Standardware
Input-Ouput Tabelle Zufallsmatrix, Arbeitsvektor und Numéraire unkorreliert –
> Arbeitwertlehre gilt im Durchschnitt und P = M
Es wird zum Gebrauchswert des Kapitals, Profit abzuwerfen
Zins als Preis des Kapitals: eine „verrückte Form“
•
Band III, 345
•
„Zins als Preis des Kapitals ist von vornherein ein durchaus irrationeller
Ausdruck. Hier hat eine Waare einen doppelten Werth, einmal einen Werth,
und dann einen von diesem Werth verschiednen Preis, während Preis der
Geldausdruck des Werthes ist....“
•
„Wie soll nun eine Werthsumme einen Preis haben außer ihrem eignen Preis,
außer dem Preis, der in ihrer eignen Geldform ausgedrückt ist?“
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Elemente der Böhm-Bawerkschen Lösung (1)
•
Datierung der Güter wie in der späteren Scholastik
Streitfrage: Wuchert, wer nach der Ernte Korn verleiht und vor der Aussaat
dieselbe Menge zurück fordert?
•
Darlehensvertrag = Vertrag über intertemporalen Tausch
•
Zins = Agio, nicht Teil eines Mehrwerts
•
Kapital als Wertsumme keine selbständige Entität (anders als bei Marx und
bei Clark), sondern aufgelöst in vorgetaner Arbeit.
•
Problem des irrationalen Ausdrucks „Preis des Kapitals“ entfällt.
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Elemente der Böhm-Bawerkschen Lösung (2)
•
Die Produktionsperiode wird verlängert, bis das Opfer zusätzlichen
Kapitaleinsatzes durch künftigen Mehrkonsum nicht mehr kompensiert wird
•
Dies ist nicht Abstinenztheorie, sondern Konsumallokation.
•
Es ist nicht Produktivitätstheorie des Zinses, da solcher Tausch auch ohne
Produktion vor sich gehen kann.
•
Max Weber: Die große Wirtschaftshistorische Zäsur ist die Spaltung des alten
produzierenden Hauses in konsumierenden Haushalt und produzierende
Unternehmung
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Elemente der Böhm-Bawerkschen Lösung (3)
•
Die Unternehmung maximiert den Gewinn.
•
Der Haushalt maximiert den Nutzen.
•
Auch wenn die Unternehmung chrematistisch handelt, steht sie unter der
gesellschaftlichen Kontrolle des Marktes. Der Arbeitseinsatz wird begrenzt
durch das Arbeitsleid, der Konsum durch die Bedürfnisbefriedigung, die
Akkumulation durch die Minderschätzung künftiger Güter.
•
Hayek: Damit die Akkumulation einer gegebenen Bevölkerung begrenzt und
ein stationärer Zustand erreicht wird, darf die Gegenwartspräferenz mit
steigendem Reichtum nicht abnehmen.
•
So dienen unternehmerische Produktion und Kreditvergabe einem natürlichen
Erwerb.
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Der Entwurf von Karl Marx
Kapital, Bd. 2, S. 123
„Denn der Kapitalismus ist schon in der Grundlage aufgehoben durch die
Voraussetzung, dass der Genuss als treibendes Motiv wirkt, nicht die
Bereicherung selbst.“
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