Neurobiologie und Psychoanalyse

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Transcript Neurobiologie und Psychoanalyse

GERHARD ROTH
NEUROBIOLOGIE UND
PSYCHOANALYSE
INSTITUT FÜR
HIRNFORSCHUNG
UNIVERSITÄT
BREMEN
 G. Roth, 2014
Wilhelm Griesinger (18171868) - einer der Begründer der
naturwissenschaftlich
orientierten Psychiatrie:
„Psychische Erkrankungen sind
Erkrankungen des Gehirns!“
Sigmund Freud
(1856-1939)
S. Freud „Das Unbewusste“ (1915)
„Es ist ein unerschütterliches Resultat der Forschung, dass die
seelische Tätigkeit an die Funktion des Gehirns gebunden ist wie an
kein anderes Organ. …
Aber alle Versuche, von da aus eine Lokalisation der seelischen
Vorgänge zu erraten, alle Bemühungen, die Vorstellungen in
Nervenzellen aufgespeichert zu denken und die Erregungen auf
Nervenfasern wandern zu lassen, sind gründlich gescheitert.
Dasselbe Schicksal würde einer Lehre bevorstehen, die etwa den
anatomischen Ort des Systems Bw, der bewussten Seelentätigkeit, in
der Hirnrinde erkennen und die unbewussten Vorgänge in die
subkortikalen Hirnpartien versetzen wollte.
Es klafft hier eine Lücke, deren Ausfüllung derzeit nicht möglich ist,
auch nicht zu den Aufgaben der Psychologie gehört. “
SIND WIR INZWISCHEN WEITER?
Welche Aussagen der Psychoanalyse sind aus
Sicht der Hirnforschung richtig?
(1) Das Unbewusste kontrolliert das Bewusstsein stärker als
umgekehrt;
(2) Das Unbewusste entsteht vor dem Bewusstsein; es legt sehr
früh die Grundstrukturen des Psychischen und des bewussten
Erlebens, des „Ich“, fest;
(3) Das Bewusstsein hat keine oder nur geringe Einsicht in die
unbewussten Determinanten des Erlebens und Handelns.
(4) Frühkindliche Bindungserfahrungen haben einen
entscheidenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung.
HYPOTHESE
Psychische Erkrankungen beruhen auf strukturellen und funktionalen Störungen corticaler und subcorticaler limbischer Hirnzentren
und ihrer Interaktion mit cortical-exekutiven Zentren (bes. präfrontaler Cortex)
Psychische Erkrankungen werden verursacht durch eine Kombination genetisch-epigenetischer Vorbelastung (u.a. des serotonergen
System), einer Schwächung der Stress-Achse, frühkindlicher
Traumatisierung und negativer Erfahrungen in späterer Kindheit und
Jugend.
Eine erfolgreiche Psychotherapie sollte einhergehen mit einer
sichtbaren Veränderung der gestörten Aktivität der limbischen
Zentren und ihrer Interaktion.
FRAGESTELLUNGEN DES VORTRAGS
• Sind die Modelle gängiger Psychotherapien (KVT, PA) hinsichtlich ihrer Wirkmechanismen empirisch belegt, und stimmen sie
mit den Befunden der Neurowissenschaften überein?
• Gibt es aus Sicht der Neurowissenschaften Erklärungen für die
Existenz zweier Therapiephasen (schnelle, aber instabile
Besserung der Befindlichkeit, lange und mühevolle Arbeit am
„Kern“ der psychischen Störungen) und damit eine Begründung
für die Notwendigkeit von Langzeittherapien?
EIN NEUROBIOLOGISCHES MODELL DES
PSYCHISCHEN
Aus gegenwärtiger neurobiologisch-psychiatrischer Sicht entstehen und wirken Persönlichkeitsmerkmale auf vier strukturellfunktionalen Ebenen des Gehirns, und zwar drei limbischen
Ebenen und einer kognitiven Ebene.
Diese Ebenen entstehen zu unterschiedlichen Zeiten der Hirnentwicklung und haben einen unterschiedlichen Einfluss auf
Persönlichkeit und Verhalten.
Psychischen Störungen sind verbunden mit Störungen auf den
limbischen Ebenen und ihrer Wechselwirkungen. Entsprechend
sollte ein Therapieerfolg mit adaptiven Veränderungen auf diesen
Ebenen bzw. ihrer Wechselwirkung sichtbar einher gehen.
Längsschnitt
durch das
menschliche
Gehirn
Hypothalamus
(nach Spektrum der
Wissenschaft,
verändert)
Limbisches
System
Untere limbische Ebene
Gehirn: Hypothalamus – zentrale Amygdala –vegetative Zentren des
Hirnstamms
Ebene unbewusst wirkender angeborener Reaktionen und Antriebe:
Schlafen-Wachen, Nahrungsaufnahme, Sexualität, Aggression –
Verteidigung – Flucht, Dominanz, Wut usw.
Diese Ebene ist überwiegend genetisch oder durch
vorgeburtliche Einflüsse bedingt und macht unser
Temperament aus. Sie ist durch Erfahrung und
Erziehung kaum zu beeinflussen.
Hierzu gehören grundlegende Persönlichkeitsmerkmale wie Stresstoleranz, Fähigkeit zur
Selbstberuhigung, Selbstvertrauen, OffenheitVerschlossenheit, Impulshemmung, Umgang
mit Risiken.
.
Mittlere limbische Ebene
Gehirn: basolaterale Amygdala, Nucleus accumbens, VTA
Ebene der unbewussten emotionalen Konditionierung: Anbindung elementarer Emotionen (Furcht, Freude, Glück, Verachtung,
Ekel, Neugierde, Hoffnung, Enttäuschung und Erwartung) an individuelle Lebensumstände. Fähigkeit zu nichtverbaler emotionaler
Kommunikation.
Grundlegende motivationale Antriebe: Art und Stärke der Belohnungserwartung (materiell, sozial, intrinsisch) und Enttäuschungsempfindlichkeit.
Diese Ebene macht zusammen mit der
ersten Ebene (Temperament) den Kern
unserer Persönlichkeit aus. Dieser Kern
entwickelt sich in den ersten Lebensjahren
und ist im Jugend- und Erwachsenenalter
nur über starke emotionale oder lang
anhaltende Einwirkungen veränderbar.
Obere limbische Ebene
(Beziehungsebene, psychische Befindlichkeit)
Gehirn: Prä- und orbitofrontaler, cingulärer und insulärer Cortex.
Ebene des bewussten emotional-sozialen Lernens: Gewinn- und
Erfolgsstreben, Anerkennung–Ruhm, Freundschaft, Liebe, soziale
Nähe, Hilfsbereitschaft, Moral, Ethik.
Sie entwickelt sich in später Kindheit und Jugend. Sie wird wesentlich
durch sozial-emotionale Erfahrungen beeinflusst. Sie ist entsprechend
nur sozial-emotional veränderbar.
Hier werden zusammen mit den unteren
Ebenen grundlegende sozial relevante
Persönlichkeitsmerkmale festgelegt wie
Machtstreben, Dominanz, Empathie,
Verfolgung von Zielen und Kommunikationsbereitschaft.
OFC
Ventromedialer Cortex
Anteriorer cingulärer Cortex
ANTERIORER CINGULÄRER UND VENTROMEDIALER
CORTEX
• Aufmerksamkeitssteuerung
• Fehlererkennung und Fehlerkontrolle
• Verarbeitung der affektiven und emotionalen Komponenten der
Schmerz- und Leidenswahrnehmung
• Emotionale Erwartungshaltung und Risikoabschätzung
• Registrierung von Belohnung und Bestrafung
• Erkennen des emotionalen Gehalts von Wahrnehmungen
(insbes. sozialer Signale wie Stimme, Mimik, Gestik)
• Kontrolle und Abruf emotionaler Gedächtnisinhalte
ORBITOFRONTALER CORTEX
• Handlungsantriebe und -motive
• Corticales Belohnungs- und Bestrafungsgedächtnis
• Emotions- und Impulskontrolle, d.h. Hemmung subcorticaler
limbischer Zentren, insbes. der Amygdala und des
Hypothalamus
• Erkennen des emotionalen Ausdrucks und des Sinngehalts
im Verhalten anderer (Empathie/Theory of Mind)
• Lernen und Steuerung sozial adäquaten Verhaltens
• Abschätzen der Konsequenzen eigenen Verhaltens und
individueller und sozialer Risiken
Aus Nieuwenhuys et al., 1989)
Corticale Verbindungen zur
Amygdala, bes. vom orbitofrontalen und anterioren cingulären,
nicht vom dorsolateralen PFC.
Verbindungen der Amygdala zum
Cortex, bes. zum präfrontalen,
medialen frontalen und insulären
Cortex.
Kognitiv-sprachliche Ebene
Gehirn: Linke Großhirnrinde, bes. Sprachzentren und dorsolateraler präfrontaler Cortex.
Ebene der bewussten sprachlich-rationalen Kommunikation:
Bewusste Handlungsplanung, Erklärung der Welt, Rechtfertigung
des eigenen Verhaltens vor sich selbst und anderen.
Sie entsteht relativ spät und verändert sich ein Leben lang. Sie
verändert sich im Wesentlichen aufgrund sprachlicher Interaktion.
Hier lernen wir, wie wir uns
darstellen sollen, um voran
zu kommen. Abweichungen
zwischen dieser Ebene
und den anderen Ebenen
führen zum Opportunismus
oder zur Verstellung.
Funktionale Gliederung der Großhirnrinde
BEWEGUNGSVORSTELLUNGEN
MOTORIK
ANALYSE
PLANUNG
ENTSCHEIDUNG
SOMATOSENSORIK
KÖRPER
RAUM
SYMBOLE
SEHEN
SPRACHE
BEWERTUNG
AUTOBIOGRAPHIE
OBJEKTE
HÖREN GESICHTER
SPRACHE SZENEN
VIER-EBENEN-MODELL DER PERSÖNLICHKEIT
(Roth-Cierpka)
-
NEUROBIOLOGISCHE GRUNDMECHANISMEN
DES PSYCHISCHEN
Stressverarbeitung: Wie werde ich mit Aufregungen fertig?
(aufregen und abregen). Adrenalin-Noradrenalin, Cortisol, funktionierende negative Rückkopplung
Bedrohungsempfindlichkeit, Frustrationstoleranz: Wie bedrohlich erlebe ich die Welt, wie sehr fürchte ich Misserfolge, wie sehr
suche ich Sicherheit? Mangel an Serotonin-1A-R, endogenen
Opiaten, Erhöhter Spiegel an Serotonin-2A-R, Hypercortisolismus.
Impulsivität und Impulskontrolle: Wie sehr werde ich von
unmittelbaren Motiven getrieben? Dopamin, Serotonin-2A-R,
Noradrenalin. Impulsbeherrschung, Selbstkontrolle: Glutamat,
GABA.
Belohnungsempfänglichkeit und Belohnungserwartung:
Wie stark suche ich die Belohnung, den Erfolg, das Risiko,
den Kick? Erhöhte Ausschüttung von Dopamin, endogenen
Opioiden.
Bindung und Sozialität: Wie wichtig ist mir das Zusammensein mit anderen, die Anerkennung durch sie; wie sehr ziehe
ich mich von den anderen zurück, empfinde sie als Bedrohung? Oxytocin, endogene Opioide, Serotonin-1A-R und
deren Mangel.
Realitätsbewusstsein und Risikowahrnehmung: Wie
genau kann ich Situationen und Risiken einschätzen, wie sehr
vermag ich aus (insbesondere negativen) Konsequenzen
meiner Handlungen lernen? Acetylcholin, Glutamat, GABA.
Diese Grundmechanismen tragen in ihren jeweiligen Ausprägungen zur psychischen Individualität eines Menschen
bei.
STRESS-VERARBEITUNGSSYSTEM
Produktion von CRF (Hypothalamus), ACTH (Hypophyse) und
Cortisol (Nebennieren-Rinde). Dies bewirkt eine Mobilisierung der
metabolischen, physiologischen und psychischen Reserven.
Das Stressverhalten wird vorgeburtlich und früh-nachgeburtlich
über das mütterliche Gehirn bzw. andere Umwelteinflüsse „eingestellt“, insbesondere über die Erhöhung und Erniedrigung der
Zahl der Cortisolrezeptoren bes. in der Amygdala, im Hippocampus und dem ventromedialen Frontalcortex.
Der Hippocampus spielt in der Stress-Achse hierbei eine
wichtige regulierende und dämpfende Rolle. Bei starkem Stress
schrumpfen die hemmenden Interneurone, und es werden keine
neuen Neurone mehr ausgebildet.
„STRESS-ACHSE“
CRF-ACTH-Cortisol-Rückkopplungsschleife zwischen
Nebennierenrinde, Hypothalamus und Hippocampus
Hypothalamus
_
CRF
+
Hippocampus
Hypophyse
ACTH
_
Min.cort.R.
+
Nebennierenrinde
Cortisol
Cortisol
SEROTONERGES BERUHUNGSSYSTEM
Serotonin (5-HT, produziert im Locus coeruleus):
Normale Funktion (1A-Rezeptoren): Regulation der Nahrungsaufnahme, Schlaf und Temperatur; Dämpfung, Beruhigung, Wohlbefinden.
Mangel ruft Schlaflosigkeit, Depression, Ängstlichkeit, reaktive
Aggression und Impulsivität hervor.
Erhöhte Ängstlichkeit beruht z.T. auf Defiziten im sog. SerotoninTransporter-Gen (5-HTT), eine erhöhte Aggressivität auf Defiziten
im MAO-A-Gen.
2A-Serotonin-Rezeptoren wirken dagegen offenbar impuls- und
aggressions-steigernd.
Die frühkindliche Bindungserfahrung ist die wichtigste Erfahrung in
unserem Leben. Das mütterliche Bindungsverhalten wird über das
Hormon Oxytocin vermittelt, das wiederum von einer normalen Entwicklung des Stressverarbeitungs- und Selbstberuhigungssystems
abhängt. Ein ausgeprägtes mütterliches Fürsorgeverhalten stimuliert im
Säugling/Kleinkind die Freisetzung von Oxytocin und Serotonin sowie die
Neuronen-Neubildung im Hippocampus, was protektiv auf die Stressachse einwirkt.
KOGNITIVE VERHALTENSTHERAPIE
Die kognitive Verhaltenstherapie (A. Beck) fokussiert auf:
•
Bewusstmachung tiefgreifender falscher Kognitionen („Schemata“)
•
Überprüfung falscher Kognitionen und Schlussfolgerungen auf ihre
Angemessenheit
•
Korrektur von irrationalen Einstellungen („kognitive Re-Strukturierung“)
•
Dadurch verbesserte kognitive Kontrolle subcorticaler limbischer
Strukturen.
GEHIRN UND DEPRESSION
Populäres funktionales Modell der „kognitiven Kontrolle“:
Depression beruht auf dem Zusammenbruch der kognitiven Kontrolle subcorticaler Zentren (vornehmlich der Amygdala) durch den
dlPFC und den dACC). Deshalb müsste sich vor Therapiebeginn
eine Verringerung dorsofrontaler und eine Erhöhung amygdalärer
Aktivität zeigen, was sich nach erfolgreicher Therapie umkehrt.
DEPRESSION: Beobachtete Effekte nach KVT
dlPFC (Goldapple et al., 2004;
Brody et al., 2001a)
Ventraler ACC (Brody et al.,
2001a)
Dorsal midGC (Goldapple et
al., 2004)
R Basalganglien (Martin et
al., 2001) !!
Amygdala??
Hippocampus (Goldapple et
al., 2004) !!
L temporaler Cortex (Brody
et al., 2001)
HANSE-NEURO-PSYCHOANALYSE-STUDIE
(HNPS)
Hanse-Neuro-Psychoanalyse-Studie
Vergleich der Aktivität der Amygdala und des Caudato-Putamen
von Patienten und Kontrollen bei T1 vs. T2 (12 Monate)
Verringerte Aktivität im ventralen anterioren cingulären Cortex bei
Präsentation von OPD-Sätzen in T2 bei Patienten:
Verringerter Leidensdruck durch Abstumpfung?
GENERELLE AUSSAGE ZU KVT
Das KVT-Paradigma der kognitiven Umstrukturierung als Hauptfaktor
des Therapieerfolges wird empirisch nicht bestätigt und ist auch
nicht mit neuroanatomischen und neurophysiologischen Erkenntnissen über die Verbindung des (dorso)lateralen PFC mit subcorticalen Zentren vereinbar:
Der dorsolaterale und laterale PFC haben keine nennenswerten
direkten Verbindungen zur Amygdala, zum Nucleus accumbens/VTA
und können sie somit nicht stark beeinflussen. Direkte Verbindungen
bestehen zwischen dem orbitofrontalen und anterioren cingulären
Cortex und Amygdala/Nucleus accumbens (Ray und Zald, 2012).
Diese üben keine kognitive, sondern eine emotionale Kontrolle aus.
Die wesentliche Wirkung von KVT muss also auf emotional wirkenden Faktoren wie Bindung („Bindungsorientierte KVT“) und auf
Training/Einüben („prozedurale Effekte“) beruhen.
PSYCHOANALYTISCHE THERAPIE
Die psychoanalytische Therapie versucht, dem Patienten ein vertieftes Verständnis der ursächlichen (meist unbewussten) Zusammenhänge seines Leidens zu vermitteln, das in der Regel aus
negativen (früh)-kindlichen und pubertären Erfahrungen bzw.
Defiziten resultiert.
Verdrängte Erfahrungen sind einer Verarbeitung durch das
Bewusstsein vorübergehend entzogen und können nicht in die
Persönlichkeit integriert werden.
Dies wird nach Meinung von Freud und der meisten heutigen
Psychoanalytiker geleistet durch das Bewusstmachen und
Deuten dieser Konflikte und eine dadurch ermöglichte Integration
dieser Mitteilungen durch den Patienten.
.
„BEWUSSTMACHEN UNBEWUSSTER KONFLIKTE“
Prozesse in subcorticalen limbischen Zentren (Hypothalamus, Amygdala, Nucleus accumbens usw.), aber auch solche, die vor der
Ausbildung eines erinnerungsfähigen corticalen Langzeitgedächtnisses bewusst erlebt werden („infantile Amnesie“), können grundsätzlich nicht bewusst gemacht werden,
Diese Inhalte sind psychisch wirksam und äußern sich in der psychischen Befindlichkeit und der nichtverbalen Kommunikation (Gestik,
Mimik, emotionale Sprache). Sie können nichtverbal vom Therapeuten erfahren werden, und zwar im Rahmen von Übertragung und
Gegenübertragung..
Eine rein sprachlich-aufklärende Mitteilung an den Patienten wirkt
nicht auf die subcorticalen limbischen Zentren. Deshalb kann die
„Deutung“ des Leidens durch den Therapeuten keine tiefgreifende
Wirkung haben.
„COMMON-FACTOR“ - THEORIE
.
Zahlreiche Untersuchungen zur Effektivität von Psychotherapien
(z.B. Wampold, 1997; Imel und Wampold, 2008) ergaben, dass
die gängigen Psychotherapien mehr oder weniger dieselbe
Effektivität zeigen; 30-70% der Wirkung scheinen auf einen gemeinsamen Faktor zurückzugehen
Dieser scheint im Bindungs- und Vertrauensverhältnis zwischen
Therapeut und Patient, dem Glauben des Therapeuten an seine
Methode (welcher Art auch immer) und dem Glauben des Patienten, dass ihm geholfen werden wird („therapeutische Allianz“),
zu bestehen.
Allerdings scheint dieser „Common factor“ nur für die erste
Therapie-Phase zu gelten.
ERSTE THERAPIE-PHASE
Die „therapeutische Allianz“ führt wahrscheinlich zu einer Beeinflussung des CRF- bzw. Cortisol- und Serotonin-Stoffwechsels
durch die bindungsbezogene Ausschüttung von Oxytocin und
endogenen Opioiden.
Eine bindungsorientierte PT könnte die Oxytocinfreisetzung
erhöhen und dadurch die CRF- und Cortisolfreisetzung hemmen.
Dies würde eine Hochregulation von 5-HT1A-Rezeptoren im
vmPFC bewirken und seine grüblerische „Innengerichtetheit“
vermindern.
Die eigentlichen strukturell-funktionalen Defizite werden dabei aber
offenbar nicht behoben – dies könnte die hohe Rückfallquote bei
Depression erklären.
HNPS: VERÄNDERUNGEN IM BDI NACH 7-10 MONATEN:
Depressive Symptome gehen deutlich zurück, sind aber noch
nicht verschwunden
Karlsson, 2010, Psychol.
Medicine 40.
Erhöhte 5-HT1A-RezeptorBindung bei depressiven
Patienten nach einer psychodynamischen Kurzzeittherapie, und zwar vornehmlich in der Amygdala, im
Hippocampus, insulärem,
medio- und orbitofrontalen
Cortex (generell 8%), nicht
im dlPFC.
ZWEITE THERAPIE-PHASE
Behandlung von Störungen als Ergebnis einer Kombination
genetisch-epigenetischer Vorbelastungen, einer Traumatisierung in
früher Kindheit bis hin zu schweren „strukturellen“, meist entwicklungsbedingten Störungen z.B. in der Verteilung, Dichte und Empfindlichkeit von Cortisol- und Serotoninrezeptoren in den limbischen
Zentren und einem Ungleichgewicht zwischen diesen Zentren.
Diese Störungen können offenbar nur sehr langsam und auf eine
Weise, die dem impliziten Lernen ähnelt, behandelt werden, indem
sich auf der Ebene der Basalganglien neue Muster von Antworteigenschaften („Ersatzschaltungen“) ausbilden, welche die alten
Muster überlagern, ohne sie ganz auszulöschen.
Hierbei könnte die Oxytocin-vermittelte Neubildung von Neuronen im
Hippocampus eine wichtige Rolle spielen.
ZUSAMMENFASSUNG 2
Psychotherapien verlaufen oft in zwei unterschiedlichen
Phasen:
In der ersten Phase tritt eine schnelle, aber nur unspezifische
Besserung aufgrund der „therapeutischen Allianz“ und der damit
verbundenen Wirkung von Oxytocin und endogenen Opioiden
(„common factor“) ein.
In der zweiten, langwierigen Phase muss es zu funktionalen und
strukturellen Veränderungen in subcorticalen limbischen Zentren
(Amygdala, Basalganglien) auf der Ebene von Rezeptoren im
Bereich der Stressverarbeitung, Selbstberuhigung, Bindungsfähigkeit und Impulshemmung kommen.
Dies geschieht in einer „impliziten“ bzw. „prozeduralen“ Weise, die
langwierig und dornig ist. Dennoch ist diese zweite, langwierige
Phase notwendig für eine nachhaltige Linderung der psychischen
Störungen.
Klett-Cotta, Stuttgart 2014
VIELEN DANK FÜR IHRE
AUFMERKSAMKEIT!