2. Tag der Rechtspsychologie - BDP Sektion Rechtspsychologie

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Transcript 2. Tag der Rechtspsychologie - BDP Sektion Rechtspsychologie

Staatsanwaltschaft Halle
2. Tag der Rechtspsychologie NRW
„ Wer braucht wen in der Rechtsprechung?“
Bonn, 25. September 2010
Aussagepsychologie und deren Bedeutung im Rechtssystem,
speziell im Strafverfahren
Dr. Meike Obudzinski
Staatsanwaltschaft Halle
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1. Fragestellungen:
a) Welche Rolle nimmt der Sachverständige im
Strafprozess ein?
b) Welche Folgen hat die Praxis der
Glaubhaftigkeitsbegutachtung auf unser
Beweisrecht?
2. Beauftragung Sachverständiger in der Praxis
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Grundsätzlich obliegt die Glaubhaftigkeitsbeurteilung dem
Tatrichter, sie ist seine originäre Aufgabe; sie gehört zum
Wesen der richterlichen Rechtsfindung.
Nach § 244 StPO ist die Heranziehung eines Sachverständigen
nicht erforderlich, wenn und soweit das Gericht über die
erforderliche Sachkunde verfügt.
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•
Regelmäßig wird dem Gericht die erforderliche Sachkunde – unabhängig vom
Deliktstypus – zugesprochen.
•
Ausnahmen und damit Indikationen zur aussagepsychologischen
Glaubhaftigkeitsbeurteilung existieren (nach der Rechtssprechung des BGH),
wenn „Besonderheiten“ vorliegen:
 Geisteskrankheiten
 Verwirrtheit
 Anzeichen für ein eingeschränktes Erinnerungsvermögen
 besonders schwierige Beweislage – Aussage gegen Aussage psychische Auffälligkeiten
 bereits bestehende psychologische Behandlung
Nach dem Gesetz und der höchstrichterlichen
Rechtsprechung :
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• Regel-Ausnahme-Prinzip
• In Teilbereichen Umkehrung :
Verfahren gegen sexuelle Selbstbestimmung, also
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung und vor allem in Fällen,
in denen es sich um den Verdacht des Missbrauchs von
Kindern handelt.
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Missliche Lage des Richters
•
Wann reicht meine eigene Sachkunde aus und wann muss ich einen
Sachverständigen bemühen?
•
Wie stelle ich fest, ob eine Besonderheit bei einem Zeugen vorliegt oder brauche
ich sogar einen Gutachter, der eine mögliche Besonderheit erst diagnostiziert?
•
Warum ist es für einen Laien schwieriger die Aussage eines Zeugen mit diesen
Besonderheiten zu beurteilen als die eines geistig gesunden Erwachsenen; hat
dieser nicht eventuell mehr Intellekt, um falsche Aussagen zu verdecken?
•
Nach der BGH- Rechtsprechung muss der Richter, solange er nicht die unbedingte
Sicherheit besitzt, dass seine Sachkunde ausreicht, einen Sachverständigen
hinzuziehen.
•
Praxis: Lieber ein Gutachten zu viel als eines zu wenig!
3. Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage als
Beweismittel
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•
Zeuge ist persönliches Beweismittel, d.h. eine Beweisperson, die in einem nicht
gegen sie selbst gerichteten Strafverfahren Auskunft über die Wahrnehmung von
Tatsachen gibt.
•
Die Führung des Zeugenbeweises zwingt den Richter, die Glaubwürdigkeit des
Zeugen und die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage festzustellen, die für die
Urteilsbildung relevant ist.
•
Berichtet der Zeuge Tatsachen, folgt daraus, dass der Sachverständige dem Gericht
Zugang zu Tatsachen verschaffen soll; er soll keine Wertung der Wirklichkeit
vornehmen; er soll dazu beitragen, dass die gesamten anderen Beweismittel
herangezogen werden können; die Aussage des Geschädigten soll zu den übrigen
Tatsachen in Bezug gesetzt werden können und insoweit soll ein in sich stimmiges
Geschehen ermittelt werden;
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Idealfall
dem Gericht liegen objektive Beweismittel
vor,die die Aussage des Zeugen in ihrem
Wahrheitsgehalt untermauern:
worst case
•
Aussage gegen Aussage
•
Aussage eines möglicherweise
bereits verstorbenen Opfers und damit einer
Exploration anhand der Aktenlage, weil die
betroffene Person nicht mehr befragt werden
kann
•
Spermaspuren des Täters,
•
bei Durchsuchung sichergestellte
Bekleidungsgegenstände des Täters mit DNASpuren des Opfers
•
BGH verlangt Indizien für die Richtigkeit der
Aussage, die außerhalb der Aussage selbst
liegen.
•
Tatwerkzeuge
•
•
Videoaufnahmen durch den Täter
Steht „Aussage gegen Aussage“ und hängt die
Entscheidung im Wesentlichen davon ab,
welchen Angaben das Tatgericht folgt, sind
gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und
die Entwicklung der belastenden Aussage
aufzuklären. Das gilt vor allem dann, wenn ein
Zusammenhang mit familiären
Auseinandersetzungen von vornherein nicht
auszuschließen ist (BGH NStZ 1999, 45; 2000,
496).
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• Durch ein
unabhängiges
Organ
beauftragt, soll er
Zugang
zu den Tatsachen
Die
Rolle
des
Gutachters
im
Prozess
schaffen, die das Gericht letztlich zu würdigen hat.
• Das Gericht muss den Gutachtenauftrag entsprechend präzisieren, so dass
der Gutachter die Tatsachen auch eruieren kann.
• Schnittstelle zwischen Gutachter und Gericht muss gewahrt bleiben, es
darf nicht dazukommen, dass der Gutachter eine Würdigung der Aussage
vornimmt.
4. Erwartungen an den Sachverständigen
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•
Helfer des Richters und des Staatsanwaltes
•
Vermittlung von Fachwissen oder aufgrund solchen Fachwissens die Tatsachen
festzustellen
•
Überprüfung des Realitätsgehalts und der Fundiertheit der Zeugenaussage
•
Transparenz des Gutachtens, um es auch kritisch würdigen zu können
Mindeststandards des BGH; Urteil vom 30.07.1999, 1 StR 618/98)
•
Rasche Gutachtenerstellung bei Haftsachen (Beschleunigungsgebot) oder mitten
im laufenden Prozess
•
Wünschenswert, dass das vorläufige Gutachten auch dem der Hauptverhandlung
entspricht
(
5. Bedenken verfassungsrechtlicher Art:
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• Nach Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut;
• Explorationen müssen die verfassungsmäßigen Grenzen des Schutzes der
Persönlichkeit des Explorierten stets ausreichend beachten.
• Nach § 68 StPO dürfen im Strafprozess keine Fragen gestellt werden, die
dem Zeugen zur Unehre gereichen oder seinen persönlichen
Lebensbereich betreffen ; d.h. das Gericht darf keinen
Ausforschungsbeweis erheben; der Gutachter beschäftigt sich gerade mit
diesem Bereich; außerhalb jeglicher richterlicher und
staatsanwaltschaftlicher Kontrolle leitet er Beweiserhebungen; teilweise
im privaten Umfeld des Zeugen.
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6. Fazit
a. Hohe Anforderungen an den Sachverständigen zu stellen, da
die Folgen von Beurteilungsfehlern erheblich sein können.
b. Zweites juristisches Staatsexamen bedeutet faktisch die
Befähigung zum Richteramt; aber weder in der Universität
noch in der praktischen Ausbildung im Referendariat wird
die erforderliche Sachkunde vermittelt.
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Wünschenswert für die Zukunft
• Mehr Fortbildungsveranstaltungen für Richter, so dass die ureigenste
Aufgabe der Juristen wieder verstärkt von uns selbst ausgeführt werden
kann.
• Keine Delegation der eigentlichen Sachentscheidung vom Gericht an den
Sachverständigen; der Gutachter darf nicht über Freispruch und
Verurteilung entscheiden;
• Beschaffung des empirischen Materials zur Möglichkeit der eigenen
Beweiswürdigung durch das Gericht.