Inklusion als menschenrechtliche Leitnorm

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Transcript Inklusion als menschenrechtliche Leitnorm

Inklusion
als
menschenrechtliche Leitnorm –
staatliche Verpflichtung und
zivilgesellschaftliche
Verantwortung
Jahrestagung 2012
des Vereins für Sozialplanung
Steinbach, 24./25.05.2012
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Überblick
1 Umfeldbeschreibungen
2 Inklusion als menschenrechtliche Leitnorm
3 Die einzelnen Rechte der UN-BRK
4 Stellung, Umsetzung, Monitoring
5 Örtliche Teilhabeplanung
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Meine Perspektive
• Monitoring-Stelle: angesiedelt beim
Deutschen Institut für Menschenrechte
• Politisch unabhängig
• Mandat: Rechte von Menschen mit
Behinderungen fördern und schützen;
Umsetzung in Deutschland überwachen
• Aufgaben: Beobachtung, Klärung,
Intervention
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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1 Umfeldbeschreibungen
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Schlaglichter
auf eine dynamische Entwicklung
• Anstoß: UN-Behindertenrechtskonvention
• Seit 2009: gesellschaftspolitische
Diskussion, Veröffentlichungen,
Tagungen, Kampagnen
• Politik: Weihnachtsansprache des
Bundespräsidenten, Koalitionsverträge,
Aktionspläne, Inklusionsbeiräte
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Diskurs und Kontext
• Geringer Kenntnisstand der allgemeinen
Bevölkerung
• Eher noch behindertenpolitische
Fachdiskussion; aber Inklusion strahlt aus
auf andere Diskurse
• Inklusionskritischer bis –feindlicher
Kontext: Diskriminierung, soziale
Ausgrenzung, Segregation, Armut etc.
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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2 Menschenrechtliche Inklusion
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Inklusion als Leitnorm
• Menschenrechtliches Prinzip (kein Recht)
• Bedeutung: vorbehaltlose Zugehörigkeit
aller Menschen von Anfang an (immer),
freiheitliche Vergemeinschaftung
• Wertschätzung von Vielfalt
• Voraussetzungsvoll; ein qualitativer Begriff
(Struktur, Prozess, Ergebnis)
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Weitere
menschenrechtliche Grundsätze
•
•
•
•
•
•
Selbstbestimmung
Nichtdiskriminierung
Barrierefreiheit / Zugänglichkeit
Partizipation
Kindeswohl
Gleichstellung von Frauen und Männern
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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3 UN-Behindertenrechtskonvention:
Die einzelnen Rechte
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Fokus, Ziel, Stellung
• Fokus: Menschen mit Beeinträchtigungen,
die Behinderungen erfahren („soziales
Modell“ von Behinderung)
• Ziel: gleichberechtigte Rechtsausübung
• Anerkennung von Behinderung als
Bereicherung und als Bestandteil
menschlicher Vielfalt
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Bedeutung
• Keine Spezialkonvention, sondern
Konkretisierung der bereits anerkannten
Menschenrechte
• Grundlage für eine Gesellschaftspolitik:
von einer Politik der Fürsorge hin zu einer
Politik der Rechte
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Welche Rechte?
• Bürgerliche und politische Rechte
Beispiel: Recht auf Meinungsfreiheit, Freiheit
und Sicherheit der Person
• Wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte
Beispiel: Rechte auf Bildung, Arbeit,
Wohnen, Gesundheit, Teilhabe am
kulturellen Leben
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Gleiche Anerkennung vor dem Recht
Anerkennung der Rechts- und
Handlungsfähigkeit aller Menschen (Artikel 16
UN-Zivilpakt, Artikel 12 UN-BRK):
Die Vertragsstaaten treffen geeignete
Maßnahmen, um Menschen mit
Behinderungen Zugang zu der
Unterstützung zu verschaffen, die sie bei der
Ausübung ihrer Rechts- und
Handlungsfähigkeit gegebenenfalls
benötigen (Artikel 12 Absatz 3 UN-BRK).
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Freiheit und Sicherheit der Person
Die Vertragsstaaten gewährleisten (Artikel 14
Absatz 1 b) UN-BRK),
•dass Menschen mit Behinderungen
gleichberechtigt mit anderen die Freiheit
nicht rechtswidrig oder willkürlich entzogen
wird,
•dass das Vorliegen einer Behinderung
keine Freiheitsentziehung rechtfertigt.
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Recht auf körperliche Unversehrtheit
Artikel 17 UN-BRK:
Jeder Mensch mit Behinderungen hat
gleichberechtigt mit anderen das Recht auf
Achtung seiner körperlichen und seelischen
Unversehrtheit.
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Recht auf Wohnen in der
Gemeinschaft
Die Vertragsstaaten gewährleisten(Artikel 19
UN-BRK i.V.m. Artikel 11 UN-Sozialpakt; Artikel 12
UN-Zivilpakt), dass
•Menschen mit Behinderungen
gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren
Aufenthaltsort zu wählen und zu
entscheiden, wo und mit wem sie leben, und
nicht verpflichtet sind, in besonderen
Wohnformen zu leben.
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Persönliche Mobilität
Die Vertragsstaaten treffen Maßnahmen
(Artikel 20 UN-BRK),
•um für Menschen mit Behinderungen
persönliche Mobilität mit größtmöglicher
Selbstbestimmung sicherzustellen, indem
sie die persönliche Mobilität zu
erschwinglichen Kosten fördern.
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Recht auf Zugang zu Informationen
Menschen mit Behinderungen haben das
Recht (Artikel 21 UN-BRK),
•sich frei Informationen zu beschaffen, zu
empfangen und weiterzugeben, indem der
Staat diese rechtzeitig ohne zusätzliche
Kosten in barrierefreien Formaten zur
Verfügung stellt und
•barrierefreie Kommunikation fördert.
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Recht auf inklusive Bildung
Bildung (lebenslanges Lernen) (siehe Art. 24
UN-BRK, Art. 13 UN-Sozialpakt):
• Anspruch auf Zugang zur Regelschule,
einschließlich der Gewährleistung
individuell angemessener Vorkehrungen
• Schrittweiser Aufbau und Unterhaltung
eines inklusiven Bildungssystems (von
Frühförderung bis Erwachsenenbildung)
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Recht auf Gesundheit
Menschen mit Behinderungen haben das
Recht (Artikel 25 UN-BRK iVm Artikel 12 UNSozialpakt),
•das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit
frei von Diskriminierung zu genießen;
•Gesundheitsleistungen so gemeindenah
wie möglich zu erhalten, auch in ländlichen
Gebieten
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Recht auf Arbeit
Das Recht auf Arbeit (Artikel 27 UN-BRK i.V.m.
Artikel 6 und 7 UN-Sozialpakt) beinhaltet die
Möglichkeit,
• den Lebensunterhalt durch selbst
gewählte oder akzeptierte Arbeit im
Rahmen eines für Menschen mit
Behinderungen zugänglichen
Arbeitsmarkts und Arbeitsumfelds zu
verdienen.
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Recht auf politische Partizipation
Freie Mitwirkung am politischen und
öffentlichen Leben (Artikel 29 UN-BRK):
•Aktives und passives Wahlrecht sowie die
barrierefreie Ausübung des Wahlrechts
•Zu fördern ist ein Umfeld, das die
Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten
durch Menschen mit Behinderungen
ermöglicht
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Recht auf Erholung, Freizeit und
Sport
Recht auf Partizipation in den Bereichen
Erholung, Freizeit und Sport gleichberechtigt
mit anderen (siehe Artikel 30 UN-BRK),
etwa
•Zugang zu Orten kultureller Darbietungen
und Sport-, Erholungs- und
Tourismusstätten und
•Zugang zu Freizeit- und Sportaktivitäten
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4 UN-Menschenrechtsverträge:
Stellung, Umsetzung, Monitoring
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Rechtliche Einordnung
• UN-Konventionen als völkerrechtlicher
Normenkomplex Teil dieser
Rechtsordnung
• Sie sind geltendes Recht und binden alle
staatliche Gewalt
• Normen haben den Rang eines
Bundesgesetzes (aber sie sind kein
Bundesgesetz)
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Verpflichtungsadressaten
• Staatliche Stellen: echte rechtliche
Verpflichtung (Behörden, Gerichte,
Körperschaften des öffentlichen Rechts
(Hochschulen, Kommunen, Kirchen etc.)
• Nichtstaatliche Stellen / Privatpersonen:
Menschenrechtliche Verantwortung
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Durchführung
Ansatz: Geeignete Maßnahmen auf zwei
Ebenen (siehe Artikel 2 UN-Zivilpakt, Artikel 2
UN-Sozialpakt, Artikel 4 UN-BRK)
– Makroebene: Gesetzgebung; allgemeine
politische Maßnahmen; Programme
– Mirkoebene: Behördliche und gerichtliche
Einzelfallentscheidungen (Anwendung)
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Bedeutung für nichtstaatliche
Organisationen
• Organisationsentwicklung
(Selbstverständnis, Zielsetzung)
• Fachpolitische Arbeit (Argumentation)
• Individuelle Beratung und Unterstützung
(Ausrichtung, Art und Qualität der Hilfe
und Dienstleistungsangebote)
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Partizipation
Staatliche Verpflichtung, Partizipation zu
ermöglichen und zu befördern (siehe etwa
Artikel 4 Abs. 3 UN-BRK):
• Menschen mit Behinderungen,
einschließlich Kindern mit Behinderungen
• bei der Ausarbeitung und Umsetzung von
Rechtsvorschriften und politischen
Konzepten
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Ressourcen
• Ressourcen – Menschenrechte unter
Vorbehalt? (“unter Ausschöpfung der
vorfügbaren Mittel”)
• Weites Verständnis (nicht nur Geld,
sondern viel mehr, auch Wertediskussion)
• Politische Priorität: Umschichtung,
Reorganisation von Ressourcen
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Monitoring:
Begriff und Akteure
• Begriff und Abgrenzung zu staatlichen
Kontrollformen
• Die dazu berufenen Akteure
– UN-Fachausschüsse
– Betroffene und organisierte Zivilgesellschaft
– Unabhängige Monitoring-Stelle
• Ansatzpunkte für auf „Monitoring“
bezogene Tätigkeiten
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5 Örtliche Teilhabeplanung
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Schlüsselstellung der Kommunen
• Städte, Landkreise und Gemeinden in
einer Schlüsselstellung
• Die Örtlichkeit als wahrhaftiger Lebensund Sozialraum / Aktionsräume
• Örtliche Faktoren entscheiden wesentlich
mit über Inklusion / Exklusion
• Ballung von Zuständigkeiten
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Herausforderungen
• Organisation eines gesellschaftlichen
Wandels (Gestaltung)
• Umgang mit Ressourcenknappheit
• Überwindung der Schnittstellenprobleme
und Kooperationsblockaden; zusätzliche
Aufgabe oder immanente Verantwortung?
• Orientierung an den Menschenrechten
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Fokus: Gruppen in besonders
vulnerablen Lebenslagen
Etwa
• Menschen mit Behinderungen (in ihrer
Vielfalt)
• Ältere Menschen mit Pflegebedarf
• Menschen mit Migrationshintergrund
• Menschen in Armut
Rechtliche Grundlagen
Im Rahmen des Rechts auf kommunale
Selbstverwaltung (Artikel 28
Grundgesetz):
• Grund- und Menschenrechte,
insbesondere die menschenrechtliche
Leitnorm „Inklusion“
• Mannigfaltige gesetzliche
Einzelvorschriften (etwa AGG, LGG, etc.)
Begriff der inklusiven Sozialplanung
• Integrierte Sozial- und Finanzplanung als
ressort- und verwaltungsübergreifender
Arbeitsprozess (Teilhabeplanung)
• Aktionspläne (und Inklusionspläne): als
längerfristig ausgerichtete, partizipative
Handlungsprogramme
• Individuelle Teilhabeplanung
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Weitere Konzepte
•
•
•
•
Sozialraumorientierung
„Mobilisierung des Dritten Sozialraums“
Quartiersmanagement
„Enabling Community“: Befähigendes und
befähigtes Gemeinwesen
• Kommunaler Index für Inklusion
• Planungszellen
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Akteure
• Bürgerschaft (etwa betroffene Menschen
und Gruppen, zivilgesellschaftliche
Organisationen, Beiräte, Wissenschaft,
Medien, professionelle Gruppen, Kirchen)
• Verwaltung
• Örtliches Parlament
• etwa auch „Regionale
Arbeitsgemeinschaften“ der Rehaträger
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Wichtige Elemente von Planung
•
•
•
•
•
•
•
Agenda-Setting
Schaffung von Arbeitsstrukturen
Partizipation
Bedarfsanalyse und Bestandsaufnahme
Verständigung / Prioritätensetzung
Verabschiedung / Implementierung
Evaluation / Fortentwicklung
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Zusammenfassung
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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• UN-Menschenrechtsübereinkommen
bindet die Kommunen
• Inklusion bietet als menschenrechtliche
Leitnorm Orientierung für eine kommunale
Sozialplanung
• Mit Inklusion verbindet sich ein
Handlungs- und Gestaltungsauftrag mit
großen Chancen für die örtliche
Gemeinschaft und die individuelle
Menschenrechtsverwirklichung
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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Ich danke Ihnen für
Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
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