Soziologische Hintergründe des „neuen Atheismus“

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Transcript Soziologische Hintergründe des „neuen Atheismus“

Wie neu ist der
„Neue Atheismus“?
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Schon gehört?
Agnostizismus und Atheismus
Rückblick auf den „alten“ Atheismus
Die Argumente des „neuen Atheismus“
Warum die Debatte mit dem N.A. schräg läuft
Warum sie mich doch interessiert
Zu Dawkins‘ einzelnen Argumenten
Unterrichtsziele
Prof. DDr. Winfried Löffler, Institut für Christliche Philosophie
http://www.uibk.ac.at/philtheol/loeffler
1. Schon gehört?
Richard Dawkins
(*1941)
Biologe
2006
Christopher Hitchens
(1949-2011)
Publizist
1995
2006
Sam Harris
(*1967)
Neurowissensch.
1996
2004
2007
Daniel Dennett
(*1942)
Philosoph
2006
2006
1. Schon gehört?
„Neue Atheisten“ – österreichische Phänomene
Gruppierungen
• www.konfessionsfrei.at
• www.religion-ist-privatsache.at
• www.giordano-bruno-stiftung.at
(sind z.T. dieselben Leute!)
• Die „Science Busters“
Anliegen
• Ethikunterricht statt Religion / und Religion?
(Enqueten & Podiumsdiskussionen, z.T. im www)
• Kirchenfinanzierung? Privilegien wie Religion?
• Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien (geplant 2013)
„Negative“ und „positive Identitäten“
• Kirchenkritik (gegen…) oder mehr („säkularer Humanismus“)?
1. Schon gehört?
Richard Dawkins
(*1941)
Biologe
2006
»New Atheism« − angelsächsische Protagonisten
Christopher Hitchens
(1949-2011)
Publizist
1995
2006
Sam Harris
(*1967)
Neurowissensch.
1996
2004
2007
Daniel Dennett
(*1942)
Philosoph
2006
2006
„Neue Atheisten“ – einige prominente kontinentaleuropäische Autoren
Michel Onfray
Michael Schmidt-Salomon
Piergiorgio Odifreddi
Soziologische Hintergründe des „neuen Atheismus“
USA:
- die „Christian Right“ (Bush, Santorum, Romney, …)
- Irrtum von Säkularisierungsthese und „Absterben der Religion“
- Evolutionsgegner in der Schulpolitik, www.discovery.org
- … also eine hochpolitische Sache! (Dawkins u.a. schreiben dafür!)
Soziologische Hintergründe des „neuen Atheismus“
Europa:
• Die US-Problematik besteht hier kaum, insgesamt weniger Resonanz
• Restbestände alter Freidenker-Vereine
• Missbrauchsaffären
• Islam-Gefahrenwahrnehmung (Sonderfall Großbritannien: islamische
Stadtviertel, Frage der Scharia-Duldung)
• politische Einschätzung in D/Ö: von weit links (KP, linke Flügel von SP
und Grünen) bis weit rechts (Euthanasiebefürworter, Anti-Islamisten,
rechte Antiklerikale)
2. Begriffsklärungen: “Agnostizismus” und “Atheismus”
„Agnostizismus“
starker A.: „es gibt überhaupt keine rationalen
Argumente pro/contra Gottes Existenz“
schwacher A.: „es gibt keine starken rationalen
Argumente pro/contra Gottes Existenz“
„Atheismus“
„praktischer“: Behauptung, dass Gott nicht
existiert, und danach leben
„doktrinärer“: wie praktischer, plus: ausgearbeitete
Begründungen/Argumente dafür
3. Rückblick auf den »alten« Atheismus (19.Jh.)
L. Feuerbach
S. Freud
(1) Unwissenschaftlichkeitsargument: Es
gibt keine stichhaltigen Argumente für Gottes
Existenz, und der Gottesglaube erklärt auch
nichts; ist wie eine unnötige Hypothese
K. Marx
(2) Argument der natürlichen
Erklärbarkeit: Die Entstehung und
Verbreitung des Gottesglaubens (bzw. der
Religion) lassen sich natürlich erklären
F. Nietzsche
(3) Schädlichkeitsargument: Die praktischen
Auswirkungen des Gottesglaubens (bzw. der
Religion) sind schädlich (für den Einzelnen / für
die Gesellschaft)
4. Die Argumente des neuen Atheismus
4.1 Unwissenschaftlichkeitsargument:
• Die klassischen Gottesbeweise sind
gescheitert, d.h. der Gottesglaube (bzw. die
Religion) erklären nichts.
• Heutige Argumente würden auch scheitern,
Gott wäre keine gute Erklärung
• Religiöse Wirklichkeitsdeutungen sind in
intellektueller Hinsicht nicht nur überflüssig und
überholt −
• … sie sind unbegründet, irrational, widerlegt,
naiv, unreif, dumm, verrückt usw.
• gilt besonders für „Seitenbereiche“ der
Frömmigkeit (Wunderglaube, Marienerscheinungen, naive Vorstellungen der
Auferstehung etc.)
Beispiele zum Unwissenschaftlichkeitsargument: Ein Potpourri
verbreiteter religiöser Überzeugungen
Gott verfasst
Heilige Schriften.
Jesus wurde von
einer Jungfrau
geboren.
Jesus wird in den
nächsten 50 Jahren
auf die Erde
zurückkommen.
Die Welt wurde vor
ca. 6.000 Jahren mit
allen Arten
erschaffen.
Mohammed flog auf
einem Pferd gen
Himmel.
Wer den eigenen
Glauben nicht teilt,
Wer Ungläubige
kommt in die Hölle.
 kritikimmun
tötet, kommt in den
Himmel.
Die Seele wird der  akzeptiert
Zygote bei der
 toleriert
Befruchtung
eingehaucht.
Unwissenschaftlichkeitsargument
„Wir wissen, als was wir einen Menschen bezeichnen
sollen, der an vieles glaubt, für das es keine rationale
Berechtigung gibt. Sind die Inhalte eines solchen
Glaubens ungewöhnlich weit verbreitet, bezeichnen wir
solche Menschen als 'religiös'; ansonsten sprechen wir
vermutlich von 'Verrückten', 'Psychotikern' oder 'an
Wahnvorstellungen Leidenden'.“ (S. 72)
„The time has come for people
of reason to say: enough is enough.
Religious faith... discourages
independent thought, it's divisive,
and it's dangerous.“ (R. Dawkins)
„Glaube ist genau deshalb bösartig, weil er keine Rechtfertigung braucht
und keine Diskussion duldet.“ (R. Dawkins, Der Gotteswahn, S. 429)
4.2 Argument der natürlichen Erklärbarkeit
»Genetische« Kritik (von griech. genesis = Entstehung):
Die Entstehung und Verbreitung des Gottesglaubens
(bzw. der Religion) lassen sich natürlich erklären.
Diverse Spielarten davon, z.B.:
-„Neurotheologie“: Religiöse Zustände sind mit
bestimmten Hirnaktivitäten gekoppelt
- HADD (Dennett u.a.): hyperactive agent
detecting device: „animistisches“ Denken
(agent detection) war auf bestimmten
Stufen der Evolution nützlich, ist heute aber
unreif/leichtgläubig; Projektion in „Himmel“ etc.
Gene
- Religion ist evolutionär stabile Strategie: stabilisiert
Gruppe, kontrolliert Abweichler/Trittbrettfahrer, …
- Wie Religionen entstehen: „Cargo-Kulte“ auf Vanuatu
u.a. (Botschaft: … und alle Religionen entstehen so!)
4.3. Das Schädlichkeitsargument
Die praktischen Auswirkungen des
Gottesglaubens sind für die Menschheit schädlich.
Individuell ebenso wie politisch.
Enough is
enough!!!!!
 Freudlosigkeit
 Verdummung
 Fanatismus
 Sündenangst
 Intoleranz
 Wahnideen
 Gewalt
 Indoktrination
 Terrorismus
Imagine
Imagine there's no heaven
It's easy if you try
No hell below us
Above us only sky
Imagine there's no countries
It isn't hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion too
You may say I am a dreamer
But I'm not the only one
I hope someday you'll join us
And the world will live as one
5. Warum die Debatte mit dem “neuen Atheismus” schräg läuft
Fazit bisher:
Grundsätzlich neu ist keines der Argumente,
Manche gehen noch weiter zurück als ins 19.Jh.
Im Detail neu könnte das Evolutionäre Argument sein
(Dawkins’ Version ist aber schon biologisch fragwürdig!)
Reaktion vieler TheologInnen, PhilosophInnen: “Einfach zu seicht.” - Warum?
Was die Debatte mühsam und schräg macht
 Neue Atheisten haben erstaunlich wenig Insider-Wissen über
Religionen, viele sachliche Fehler (z.B. Dawkins);
“Ferndiagnose”
 N.A. attackieren bloße Zerrbilder der Religion (Altes
Testament gilt wörtlich, Neues Testament ist alles historisch
wahr, Wunderglaube, Tötung Andersdenkender, Papst redet
dauernd unfehlbar, etc. etc.)
 N.A. errichten double binds (Zwickmühlen): Christen sind
entweder dumm (wenn sie diesen Unsinn glauben) oder eben
keine echten Christen (wenn sie ihn nicht glauben; wie
moderate, aufgeklärte Christen/Muslime/…)
Was die Debatte mühsam und schräg macht
 N.A. halten beharrlich (mutwillig?) an ganz simplen
Argumentationsfehlern fest:
- Generalisierung: Religion ist Wurzel allen Übels, z.B. aller
Kriege
- Beliebige Ausdehnung des “Religions-”Begriffes: “Aber
Hitler und Stalin waren doch nicht religiös??” - “Doch, weil
sie kritiklos dachten!”
- Was eine evolutionäre Geschichte oder einen begleitenden
Hirnprozess hat, hat, muss deshalb noch nicht falsch sein
 N.A. haben primär missionarisches Selbstverständnis;
Diffamierung und Polemik statt Argument und Diskurs? Will
man überhaupt debattieren?
6. Warum mich die Debatte trotzdem interessiert
 Christentum war immer auf Argumentation ausgerichtet
 Das evolutionäre Argument ist im Detail interessant (bessere Varianten
als Dawkins, z.B. Eckart Voland (Spektrum der Wissenschaft 1/2012)
 Glaube und Naturwissenschaft sind miteinander vereinbar. Warum
glauben die Neuen Atheisten, dass es nicht so ist?
 Selbstkritische Frage: Was haben wir Theologen falsch gemacht, dass
solche Zerrbilder der Religion für viele Menschen glaubwürdig sind?
 Wie schaut der Kirchenbetrieb faktisch aus, wie erscheinen wir nach
außen?
7. Zu Dawkins’ einzelnen Argumenten
4 Argumente:
 Die Existenz Gottes ist eine wissenschaftliche These, aber alle alten
Argumente für sie scheitern
 Das heute zentrale Argument wäre aus dem “design” auf einen
Weltenschöpfer. Ein Weltenschöpfer müsste mindestens gleich
kompliziert sein wie die Welt, hat also wenig Wahrscheinlichkeit.
Wahrscheinlicher ist die Evolution der Welt durch natürliche Selektion.
 Religion ist ein Nebenprodukt der Evolution, also natürlich erklärbar
 Religion ist insgesamt schädlich: Ihre Moral widerspricht dem
fortschrittlichen Zeitgeist, das Gottesbild des AT wie des NT ist inhuman
(Erbsünde, Kreuzesopfer) und spielt die Menschen gegeneinander aus.
Altruismus dagegen gäbe es auch ohne Religion.
7. Zu Dawkins’ einzelnen Argumenten
4 Argumente:
 Dawkins: “Die Existenz Gottes ist eine wissenschaftliche These,
aber alle üblichen Argumente für sie scheitern”
 ABER: Zur 1. Teilbehauptung: Nicht alles, was rational diskutierbar
ist, ist auch “wissenschaftlich”!
 Zur 2.Teilbehauptung: zum Teil tendenziöse, grob fehlerhafte
Darstellung (heute nicht mein Thema)
7. Zu Dawkins’ einzelnen Argumenten
4 Argumente:
 Dawkins: Das heute zentrale Argument wäre aus dem “design” auf
einen Weltenschöpfer. Ein Weltenschöpfer müsste mindestens
gleich kompliziert sein wie die Welt, hätte also wenig
Wahrscheinlichkeit (“Boeing 747-Argument”). Wahrscheinlicher ist
die Evolution der Welt durch natürliche Selektion
 ABER: 1. Teilbehauptung stimmt nicht. Es gibt salonfähige und bessere
Argumente, z.B. aus dem kosmologischen Standardmodelle.
 2. Teilbehauptung missversteht Gott als einen Faktor in der Welt, eine
innerweltliche Ursache. Die wäre in der Tat kompliziert. Die Tradition hat
aber anders gedacht: Gott als “Erstursache”, innerweltliche
“Zweitursachen”
7. Zu Dawkins’ einzelnen Argumenten
4 Argumente:
 Dawkins: Religion ist ein Nebenprodukt der Evolution, also natürlich
erklärbar. Heute ist Religion ein infantile, primitive Denkform.
 ABER: Dawkins erzählt eher spekulative Story, wie man es sich denken könnte.
Es gibt Seriöseres (E. Voland u.a.).
 Wenn R. nur ein Nebenprodukt und so schädlich ist, wieso ist sie evolutionär
nicht ausgemerzt worden? Wieso sind nicht alle Menschen religiös?
 Einerseits stabilisieren sich Religionen selber (Abweichler-Kontrolle),
andererseits entstehen sie ganz schnell (Cargo-Kult)?
 Zentraler Einwand: Evolutionäre Geschichte sagt nichts über die Wahrheit aus!
(Auch zB Mathematik hat eine evolutionäre Geschichte!)
7. Zu Dawkins’ einzelnen Argumenten
4 Argumente:
 Religion ist insgesamt schädlich: Ihre Moral widerspricht dem
fortschrittlichen Zeitgeist, das Gottesbild des AT wie des NT ist
inhuman (Erbsünde, Kreuzesopfer) und spielt die Menschen
gegeneinander aus. Altruismus dagegen gäbe es auch ohne
Religion.
 ABER: Was genau ist jeweils schädlich? (Bsp. Genitalverstümmelung,
Nordirlandkonflikt, Missbrauchsfälle)
 Was ist schädlich, die Hochform oder die Zerrform?
 Religion ist manchmal schädlich und nützlich, Bsp. Lateinamerikas
 Überhaupt: “imagine there’s no religion” ist nicht so leicht – die Welt
sähe ganz anders aus ohne Religion
8. Unterrichtsziele
• Vorbereitung, im www orientieren!
• Information oder Werbung?
• Unterrichtsziele (positive Wendung statt reiner Defensive?)
• Literaturhinweise aus der Diskussion
• A. McGrath / J. Collicutt-McGrath, Der Atheismus-Wahn (München
2007)
• http://www.weltanschauungsfragen.at