4. Einzelfragen

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Möglichkeiten und Grenzen des
Einsatzes privater Sicherheitsdienste
für Polizeiaufgaben
oder:
vom Gewaltmonopol zum
Gewaltmarkt?
VSPB Zentralvorstands-Sitzung vom 29. April 2010, Winterthur
Dr.iur. Markus H.F. Mohler,
Lehrbeauftragter für öffentliches, speziell Sicherheits- und
Polizeirecht an den Universitäten von Basel und St. Gallen
Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben
Inhaltsübersicht
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Das Problemgeflecht
Grundsätzliches
Vorgaben gemäss Bundesverfassung
Einzelfragen
Konkordatisierung ohne Ende?
Zusammenfassung
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1. Das Probelmegeflecht
1. Das Problemgeflecht
• EU/EFTA FZA (SR 0.142.112.681, Art. 2
•
•
•
•
[Nichtdiskriminierung]; Vorbehalt im Anhang 1, Art.
5 [betr. öff. Ordnung, Sicherheit])
Binnenmarktgesetz (SR 943.02), Art. 2 [Freier
Marktzugang], Art. 4 [Anerkennung
Fähigkeitszeugnisse])
Rechtliche Voraussetzungen
Qualitative Anforderungen an Dienstleistende
Kantonale Polizeihoheit
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Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben
Inhaltsübersicht
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Das Problemgeflecht
Grundsätzliches
Vorgaben gemäss Bundesverfassung
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Konkordatisierung ohne Ende?
Zusammenfassung
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2. Grundsätzliches
• Sicherheit hat der Freiheit zu dienen,
nicht umgekehrt
• Sicherheitsgewährleistung = Kernaufgabe des
Staates
• Gewaltmonopol = Fundament der
Rechtsstaatlichkeit; nicht delegierbar
– Umfasst mehr als bloss Anwendung unmittelbarer
physischen Zwangs:
• Grundsätzlich jede hoheitliche Beschränkung von GR
• Insbesondere auch Datenschutz
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2. Grundsätzliches
– Demokratisch legitimierte Kontrolle
• Bedingt ununterbrochene Verantwortungslinie
• Rechtsschutz (Rechtsweggarantie)
• Sicherheit heisst v.a. auch
Rechtssicherheit
• Rechtsetzung demokratisch legitimiert und notwendig
• Rechtslage bzw. Kompetenzen der Handelnden
müssen transparent sein (Vorhersehbarkeit und
Bestimmtheit von Normen)
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Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben
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Das Problemgeflecht
Grundsätzliches
Vorgaben gemäss Bundesverfassung
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Konkordatisierung ohne Ende?
Zusammenfassung
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3. Vorgaben gemäss Bundesverfassung
• Gewaltmonopol ist materielles
•
Bundesverfassungsrecht
Jegliche Einschränkungen von Grundrechten durch
den Staat sind an hohe Hürden (Voraussetzungen,
Bedingungen und Auflagen) gebunden
– Voraussetzungen: Gesetzmässigkeit, Fähigkeiten von
Organisation und Angehörigen
– Bedingungen: GR-Konformität, Verhältnismässigkeit (Überund Untermassverbot)
– Auflagen: absolut rechtskonforme Umsetzung (v.a.
Menschenwürde), Garantie wirksamen Rechtsschutzes
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3. Vorgaben gemäss Bundesverfassung
• Art. 5 BV (richtet sich primär an Gesetzgeber):
–
–
–
–
–
Recht als Grundlage und Schranke staatlichen Handelns
Öffentliches Interesse
Verhältnismässigkeit
Treu und Glauben
Völkerrechtskonformität
• Art. 35 BV
– Grundrechte müssen in der ganzen Rechtsordnung zur
Geltung kommen
– Wer staatliche aufgaben wahrnimmt (ob Verwaltung,
ausgelagerte Einheiten, öff. rechtl. Anstalten oder Private)
haben zur GR-Verwirklichung
beizutragen
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3. Vorgaben gemäss Bundesverfassung
• Art. 36 BV (Einschränkung von GR)
– Gesetzliche Grundlage (Gesetz oder VO) für alle GREinschränkungen
– Schwerwiegende Einschränkungen brauchen formelle
Gesetzesgrundlage (Gesetz!)
– Öffentliches Interesse oder GR-Schutz Dritter
– Verhältnismässigkeit
– Unantastbarkeit des Kerngehaltes
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Privatisierung
• Begriffswirrwarr, so u.a.
– „Privatisierung“, Auslagerung, Aufgabenübertragung,
Erfüllungsgehilfen
• „Ministerialaufgaben“ (Corp.Gov.Bericht I BR, BBl
2006 8234, 8260ff.):
– primär Landesverteidigung und Polizei
– „Grosser Bedarf an demokratischer Legitimation“
– „eignen sich grundsätzlich nicht zur Auslagerung“
(Umsetzungsbericht, 2)
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• „Privatisierung“, „Vollprivatisierung“:
– Nur noch Rechtsetzungsverpflichtung des Staates
– Aufgabenerfüllung ganz an Private übertragen, Bsp:
• Überwachung ruhender Verkehr/OB durch Private
• E I BGST (private Transportpolizei)
–  grundsätzlich unzulässig
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• Auslagerung
– Eine konkrete Aufgabe wird Privaten übertragen, diese
haben Entscheidungsbefugnisse, ob und wie in GR
eingegriffen wird, Bsp.:
• Private Sicherheitsdienste im halb-öffentlichen Raum bei
Sportveranstaltungen
–  grundsätzlich ungeeignet
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• Erfüllungsgehilfe
– Hilfsfunktion unter direkter Leitung und Aufsicht von
Polizeiangehörigen, keine Entscheidungsbefugnisse betr.
GR-Einschränkungen, Bsp.:
• Verkehrsregelung durch Kadetten mit Anleitung und unter
Aufsicht der Polizei (vgl. Art. 67 Abs. 3 SSV [SR 741.21])
• Ausnüchterungsgefängnis Zürich (1 Pol + 3 private
Hilfskräfte)
–  zulässig
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• Datenrecht
– In der Realität ungelöste Problematik (vgl. PBG [SR
745.1] Art. 54 Abs. 1)
• Unverhältnismässige Rechtsetzung
• Gesetzliche Grundlage für Datenbearbeitung durch Private
– E BGST I + II:
• Eingriff in die kant. Polizeihoheit betr. materielles
Datenrecht
• BV-widrige Regelung der Datenschutzkompetenzen
– Kantonal: Ohne konkrete Gesetzesgrundlage keine
Befugnis polizeirelevanter Datenbearbeitung durch Private
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Zulässigkeitsgrenzen privater Interventionen
• Öffentlicher Raum
– Keinerlei selbständige Befugnisse
– GR-Eingriffe nur im Auftrag, unter Leitung und Kontrolle der
Polizei
• Halb-öffentlicher Raum (z.B. Stadion, Zug, Tram)
– Entspricht weitestgehend den Anforderungen des
öffentlichen Raumes: minimal (vgl. unten: Wegweisungen)
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• Physischer Zwang
– Anwendung durch Private = Abweichung vom
Gewaltmonopol des Staates
• Enge Ausnahmen:
– Notwehr und Notwehrhilfe
– Strafprozessuales Jedermannsrecht (vorl. Festnahme unmittelbar
bei/nach Begehen eines Verbrechens oder Vergehens [Art. 218
CH-StPO ab 1.1.2011])
– Privatareal und halb-öffentlicher Raum; Besitzesstörung, Art. 926
ZGB (SR 210)
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• Fesselung
– Nach gerechtfertigter vorläufiger Festnahme
(strafprozessual, Jedermannsrecht) bloss, sofern sonst
Übergabe an Polizei unmöglich oder bei Gewaltanwendung
durch Festgenommenen
– Polizeirechtlich unzulässig (sofern nicht von Polizei
angeordnet)
• Wegweisungen
– Im öffentlichen Raum:
• Nicht individualisierte Wegweisungen im Auftrag der Polizei:
zulässig (Baustellen: Art. 67 SSV)
• Individualisierte Wegweisungen: unzulässig
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• Wegweisungen (Forts.)
– Im halb-öffentlichen Raum
• Sofern jedermann ohne Einschränkung zugänglich: wie öffentlicher
Raum, d.h. unzulässig
• Sofern Zugangsbeschränkung (Billet): zulässig
– Zwangsweise Durchsetzung: Polizei!
– Hausrecht (Ladendetektive)
• Massgebend: strafprozessuales Jedermannsrecht (konkret: bei
geringfügigem Diebesgut = Übertretung, keine Festnahmerecht!)
• Unflätiges Benehmen etc: zulässig
– Zwangsweise Durchsetzung: Polizei
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Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben
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Vorgaben gemäss Bundesverfassung
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Konkordatisierung ohne Ende?
Zusammenfassung
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5. Konkordatisierung ohne Ende?
Konkordate
• Jail-Train-Street (Rahmenvertrag betr.
Häftlingstransporte v. 14.4.2000/18.4.2005)
• Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich
von Sportveranstaltungen v. 15.11.2007, i.K. seit
1.1.2010
• Nun in Vorbereitung: Konkordat über private
Sicherheitsunternehmen
– Konkordate problematisch bezüglich
• Demokratieprinzip in den Kantonen und
• programmierten Widersprüchen zu bestehenden Gesetzen
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5. Konkordatisierung: Konkordatsentwurf v. 29.09.09
• Generelle Bemerkungen
– Vorgelegter Entwurf so verfassungswidrig
• Gesetzliche Ermächtigung an Private im Auftrag Privater GR-
Einschränkungen vorzunehmen (Art. 5, 35, 36 BV)
• Rechtswidrige Regelung von „Gewaltanwendungsbefugnissen“ (vgl.
Komm. zu Art. 10)
– und sinnlos
• Wenn nur 1 Kanton mit weniger strengen Anforderungen abseits
steht, gilt für eine so bewilligte Forma Konkordat auch in
Konkordatskantonen nicht
• Bemerkung im Komm., Kantone könnte strengere Anforderungen
aufstellen, rein theoretischer Natur.
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5. Konkoraditisierung: Konkordatsentwurf v. 29.09.09
• Verfassungswidrig:
– Eingriffe in GR-Positionen durch Private für Private
– Im Besonderen: Anwendung physischen Zwanges, falls
nicht Notwehr/Notstand, Jedermannsrechte oder
Besitzesschutz (926 ZGB)
– Häftlingstransporte
– „Ermittlungsdienste“, Observation: GR-Schranken
• Konflikte mit bestehenden kant. Polizeigesetzen
vorprogrammiert
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5. Konkordatisierung: Konkordatsentwurf v. 29.09.09
• Verschiedenes
– „Sicherheitsunternehmen“ ist nicht einfach natürliche
Person (Art. 3 Abs. 1 lit. c).
 zu fordern: Handelsregistereintrag
- Finanzielle Bonität? (Betreibungen, Verlustscheine,
Konkurs)
- Keine Übereinstimmung mit Art. 5 VES, wo dies sinnvoll
wäre
- Keine Schweigepflicht (gegenüber 1. E entfallen): z.B.
Einsatzzentralen
- Datenschutz wird nur behauptet, ist aber keineswegs
genügend geregelt
- Keinerlei Rechtsschutzregelungen
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5. Konkordatisierung ohne Ende?
• Rechtsgrundlagen
– Generelle Rahmenbedingungen: Art. 5, 35 und 36 BV
– Strafprozessual: ab 1.1.2011: CH-StPO (SR 312)
– Polizeirecht Bund: Art. 178 Abs. 3 BV + materielles Gesetz +
Art. 2 Abs. 1 lit. e ZAG (SR 364) – kumulativ!
– Kantonales Polizeirecht
• Sofern Private GR-relevante Handlungen vornehmen sollen: BV
verlangt Gesetz (VO genügt)
– Falls schwerwiegende Eingriffe vorgesehen: formelles
Gesetz
• Widerspricht aber dem Geist der BV bzw. dem Gewaltmonopol
• Kantonales Verfassungsrecht kann strengere Anforderungen
stellen
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Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben
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Das Problemgeflecht
Grundsätzliches
Vorgaben gemäss Bundesverfassung
Einzelfragen
Konkordatisierung ohne Ende?
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6. Zusammenfassung
• Bund widersprüchlich:
– Ministerialaufgaben wie Polizei grundsätzlich ungeeignet für
„Privatisierung“, da grosser Bedarf an demokratischer
Legitimation, dennoch:
– VES (SR 124), die auch in kant. Polizeihoheit eingreift
– ZAG
– PBG
– E PolAG (Art. 2 lit. d und e, 91ff.)
• Kantone
– Ähnlich wie Bund
• (Zweifelhafte) Sonderrolle der KKJPD
– Öffentliches Interesse?
• Rechtsstaatlichkeit, Rechtssicherheit
• Kostenfrage (Verhältnis von Qualität/Leistung und Kosten)
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6. Zusammenfassung
• Gemeinden:
– Erhebliche Einbrüche in Gewaltmonopol
– Tendenz: Rückzug auf „Gewährleistungsfunktion“ bzw.
Rechtsetzung
• Generell
– Sicherheitspolizeilich: typischerweise GR-relevant:
für Private ungeeignet bzw. unzulässig
(schwerwiegende GR-Eingriffe)
– Kriminalpolizeilich: ausgeschlossen
– Im Strassenverkehr: bedingt geeignet
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Danke!
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