Genealogie, Typologie und Sprachwandel - am Beispiel

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Genealogie, Typologie und Sprachwandel
- am Beispiel des Englischen -
Grundfragen und Methoden der älteren Sprachen und
Kulturen (VL, SoSe 2010)
Ulrike Krischke & Dr. Renate Bauer
4. Mai 2010
Gliederung
1) Begriffsklärung: Sprachgenealogie
2) Genealogie des Englischen
3) Begriffsklärung: Sprachtypologie
4) Typologische Entwicklung des Englischen
5) Ursachen und Auswirkungen von Sprachwandel
6) Sprachgeburt und Sprachtod: Pidgins und Kreols
Sprachgenealogie
Sprachfamilie
A group of languages which are assumed to
have arisen from a single source ... and are
considered to have descended from a
common ancestor. Common ancestry is
established by finding systematic
correspondences between languages.
(McArthur 1992, s.v. language familiy)
Sprachgenealogie
•
lexikalische Übereinstimmungen
•
phonologische Übereinstimmungen
•
morphologische Übereinstimmungen
Sprachgenealogie
• Comparative historical linguistics
• Rekonstruktion vs. Textzeugen
• Stammbaum:
Muttersprache – Tochtersprache(n)
Genealogie des Englischen
Indoeuropäisch (früher: Indogermanisch)
Keltisch Italisch Germanisch Balto-Slawisch Griechisch Indo-Iranisch Anatolisch
Ostgermanisch Nordgermanisch Westgermanisch
Niederdeutsch Hochdeutsch
kontinentalgermanischer Zweig
anglo-friesischer Zweig
Altenglisch
Genealogie des Englischen
This ... is rarely an accurate
presentation of how languages
develop, since it suggests clean cuts
between ‘generations’ and between
‘sister’ languages, and implies that
languages always become more
divergent.
(McArthur 1992, s.v. language familiy)
Periodisierung des Englischen
450-1066
Altenglisch/ Old English
Germanic Conquest
1066-1500
Mittelenglisch/ Middle English
Normannische Eroberung
1500-1700
Frühneuenglisch/ Early Modern English
Einführung des Buchdrucks, Entdeckung Amerikas
1700-
Neuenglisch/ Modern English
(18./19. Jahrhundert Late Modern English)
Sprachtypologie
•
•
•
Klassifiziert Sprachen nicht nach
Herkunft/ genetischen
Übereinstimmungen, sondern nach
formalen Kriterien:
syntaktische
phonologische
morphologische
Syntaktische & phonologische
Kriterien
SVO (Englisch) vs. VSO (Walisisch)
Syntaktische & phonologische
Kriterien
SVO (Englisch) vs. VSO (Walisisch)
syllable-timed vs. stress-timed languages
Syntaktische & phonologische
Kriterien
SVO (Englisch) vs. VSO (Walisisch)
syllable-timed vs. stress-timed languages
No cat caught a mouse.
No cat caught any mice.
tonal vs. intonation/ non-tonal languages
Mandarin ma mit ansteigendem Ton: ‘Hanf’
mit fallendem Ton: ‘schimpfen’
Morphologische Kriterien
Wie werden ‘grammatische Bausteine’
(Morpheme) miteinander verbunden?
1) analytische/ isolierende Sprachen
2) synthetische Sprachen
a) agglutinierende Sprachen
b) flektierende/ fusionale Sprachen
c) polysynthetische Sprachen
(nach Herbst et al. 1991, 24f)
Morphologische Kriterien
analytische/ isolierende Sprachen:
Wortstellung & Funktionswörter
(1)
The boy loves the girl. vs.
The girl loves the boy.
(2)
Der Bub liebt das Mädchen. vs.
Das Mädchen liebt der Bub.
(3)
Das Mädchen liebt den Buben. vs.
Den Buben liebt das Mädchen.
Morphologische Kriterien
flektierende Sprachen:
nhd.: der Mann (Nom.) – des Mannes
(Gen.) – dem Manne (Dat.) – den Mann
(Akk.)
Morphologische Kriterien
agglutinierende Sprachen:
z.B. Finnisch, Türkisch
Beziehungen im Satz werden durch
Flexionsendungen verdeutlicht.
Im Ggs. zu flektierenden Sprachen aber leicht zu
segmentieren, d.h. Wortstamm und Affix bzw.
Affixe haben klar erkennbare Formen und
Grenzen, und die Affixe tragen jeweils meist nur
eine grammatische Bedeutung.
z.B. Swahili ni-na-soma ‘ich’ – PRÄSENS –
‘lesen’ > 'ich lese‘; ni-li-soma ‘ich’ –
PRÄTERITUM – ‘lesen’ > ‘ich las’ (Glück 2000,
s.v. agglutinierend)
Morphologische Kriterien
polysynthetische Sprachen:
z.B. Eskimosprachen, amerikanische
Sprachen
Sprachen mit sehr langen, morphologisch
komplexen Wörtern, innerhalb des Verbes können
z.B. Subjekts- und Objektsverhältnisse ausgedrückt
werden.
z.B. Nahuatl nimitzitta ‘ich sehe dich’; tinechitta
‘du siehst mich’ (Glück 2000, s.v. polysynthetisch)
Periodisierung des Englischen
500-1100 Altenglisch
period of full inflection
1100-1500 Mittelenglisch
period of levelled inflection
1500-1700 Frühneuenglisch
period of levelled/lost inflection
1700-
Neuenglisch
period of lost inflection
synthetisch vs. analytisch
1.
Flexionsendungen vs. Wortverband
the reign of Herod
Eornustlīce þā sē Hǣlend ācenned wæs on
Iudeiscre Bethleem, on þæs cyninges dagum
Herodes, þā cōmon þā tungolwītegan fram
ēastdǣle tō Hierusalem, and cwǣdon, Hwǣr ys sē
the king of the
Iudea cyning þe ācenned ys? Sōðlīce wē gesāwon
Jews
hys steorran on ēastdǣle, and we cōmon ūs him tō
geēadmēdenne.
Endsilbenabschwächung:
Wortbeispiel ae. dæg
ae. dæg ‘Tag’
Sing.
Plural
Nom.
dæg
Gen.
dæges
Dat.
dæge
Akk.
dæg
Nom.
dagas
dages
Gen.
daga
dage
Dat.
dagum
Akk.
dagas
dagun > dagu > dage
dages
Folge: Zusammenfall der Kasus
Sing.
Plural
Nom.
dæg
Gen.
dæges
Dat.
dæge
Akk.
dæg
Nom.
dages
Gen.
dages
Dat.
dages
Akk.
dages
Sing
.
Pl.
common case
day
possessive case
day’s
common case
days
possessive case
days‘
split genitive
in the days of king
Herod
Eornustlīce þā sē Hǣlend ācenned wæs on
Iudeiscre Bethleem, on þæs cyninges
dagum Herodes, þā cōmon þā
tungolwītegan fram ēastdǣle tō Hierusalem,
and cwǣdon, Hwǣr ys sē Iudea cyning þe
ācenned ys? Sōðlīce wē gesāwon hys
steorran on ēastdǣle, and we cōmon ūs him
tō geēadmēdenne.*in the king‘s days‘ Herod
Mt 2.1-4
Der englische Einheitsartikel
Singular
Plural
Maskulinu
m
Femininu
m
Neutru
m
Alle
Nom.
sē
sēo
ðæt
ðā
Gen.
ðæs
ðǣre
ðāra
Dat.
ðǣm
the
ðæs
ðǣre
ðǣm
ðǣm
Akk.
ðone
ðā
ðæt
ðā
Jungen - liebt - das - den - Mädchen
Den Jungen liebt das Mädchen. OVS
Das Mädchen liebt den Jungen. SVO
boy – loves – girl – the
The boy loves the girl. SVO
The girl loves the boy. SVO
Genealogie vs. Typologie
Altenglisch
Neuenglisch
westgermanische Sprache
westgermanische
Sprache
synthetisch:
flektierend, ausgeprägte
Paradigmen
freie Satzgliedstellung:
OVS, SVO, etc.
analytisch:
Gebrauch von
Präpositionen
feste Satzgliedstellung:
SVO
Wie verändern sich Sprachen?
1) sprachtypologischer Wandel: Grammatik,
Syntax
2) semantischer Wandel: Bedeutung, Lexikon
 einzelne Wörter, z.B.
ae. sælig ‘selig’ > me. sely ‘kläglich, unbedeutend’ > ne.
silly ‘dumm’
ae. deor ‘Tier’ > me. de(e)r ‚Rotwild‘ > ne. deer
‚Rotwild‘
 ganze Wortfelder, z.B. ‚Gerichtsbarkeit, etc.‘
ae. dom ‘Urteil’, deman ‘(ver)urteilen’, demere ‘Richter’
 ne. judgement, to judge, a judge
Wie verändern sich Sprachen?
1) sprachtypologischer Wandel: Grammatik,
Syntax
2) semantischer Wandel: Bedeutung, Lexikon
3) lautlicher Wandel: Phonologie, z.B.
ae. hlæfdige wörtl. ‚Teigkneterin‘ > ne. lady
ae. hlaford wörtl. ‚Teigwächter‘> ne. lord
Ursachen für Sprachwandel:
1. Gesellschaft
1. Neues und Altes:
ne. gramophone
ne. magnetophone
ne. record player
ne. cassette recorder
ne. cd-player
ne. walkman
ne. mp3-player
ne. iPod
?
Ursachen für Sprachwandel:
1. Gesellschaft
2. Sozialprestige, z.B. you vs. arch. thou
ae. þu > me. thou, you > ne. you
3. Sprachkontakt:
–
Entlehnung
veal, mutton, pork; bungalow, wigwam, Zeitgeist,
kindergarden, balcony, ...
–
mangelhaftes Erlernen
Wikinger im 10. Jh. (Danelaw)
französischer Adel in England nach 1066
Ursachen für Sprachwandel:
2. Wesen der Sprache
1.
Ausspracheerleichterung
germ. *hlaibweard > ae. hlaford > me. laverd > ne. lord
Damn it! > Dammit!
2.
Analogien:
ae. steorfan – stearf – sturfon – gestorfen
ne. starve – starved – starved
3.
Lücken im System, z.B. balcony, bankruptcy,
/dз, з/
4.
Zufälle
Sprachgeburt und Sprachtod
• Problem:
Was ist Sprache? Sprache oder Dialekt?
– Deutsch – Englisch – Französisch – Italienisch – Chinesisch
– Norwegisch – Dänisch
– British English vs. American English
– Max Weinreich: „Eine Sprache ist nicht mehr als ein Dialekt mit
einer Armee und einer Flotte.“ (1945)
Sprachtod
• Prognose:
Heute: 6000 lebende Sprachen weltweit
Jahr 2100: zw. 3000 und 5000 Sprachen 
• tote Sprachen: z.B. Latein, Sabir (Lingua Franca),
Sumerisch, Gallisch, Krimgotisch
• Hebräisch
Sprachgeburt
• Pidgin- und Kreolsprachen
= neue Sprachen, die aus
der Mischung von zwei (oder mehr) Sprachen entstehen
Pidgin:
– L2 oder L3 einer Sprachgemeinschaft
– eingeschränkte Funktionalität, z.B. Handel, Verwaltung
• eingeschränktes Vokabular
• eingeschränkte Syntax: z.B. SVO, Parataxe
Kreolsprache:
– Pidginsprache, die zur Muttersprache (L1) der Sprachgemeinschaft
wird
Sprachbeispiele
1.
Jamaikanisches Kreol (Englisch-basierend, Atlantik)
“… di uol liedi sie, tan! A wa de go hapm? Wilyam sie,
wa de go hapm yu wi fain out” (Le Page & DeCamp
1960:141).
[The old lady said: “Wait, what is going to happen?”
William said: “You’ll find out what is going to
happen.”]
2.
Tok Pisin (Englisch-basierend, Pazifik)
“Papa bilong mipela yu stap long heven
Nem bilong yu i mas i stap holi
Kingdom bilong yu i mas i kam …”
Pidgin- und Kreolsprachen der
Welt
englisch-basiert
französisch-basiert
v.a. portugiesisch-basiert