Il giovane Thomas Mann

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Transcript Il giovane Thomas Mann

Il giovane Thomas Mann
XIX
Buddenbrooks (1901)
Thomas
Es hilft nichts: man muß vorwärts, will sagen Schritt
für Schritt weiter in der décadence (– dies meine
Definition des modernen »Fortschritts«...). Man kann
diese Entwicklung hemmen und, durch Hemmung, die
Entartung selber stauen, aufsammeln, vehementer
und plötzlicher machen: mehr kann man nicht.
[Fr. Nietzsche, Götzen-Dämmerung)
Thomas schritt den Fünfhausen hinunter, er durchquerte
die Beckergrube und gelangte durch eine schmale
Querstraße in die Fischergrube.
[…]
»Das weiß Gott, Anna, wie die Dinge gehen werden! Man
bleibt nicht immer jung... du bist ein kluges Mädchen, du
hast niemals etwas von Heiraten gesagt und
dergleichen...«
»Nein, behüte!... daß ich das von dir verlange... «
»Man wird getragen, siehst du... Wenn ich am Leben bin,
werde ich das Geschäft übernehmen, werde eine Partie
machen... ja, ich bin offen gegen dich, beim Abschied!...
Und auch du... das wird so gehen... Ich wünsche dir alles
Glück, meine liebe, gute, kleine Anna! Aber wirf dich
nicht weg, hörst du?... Denn bis jetzt hast du dich nicht
weggeworfen, das sage ich dir... !«
(III, 15)
Die Sehnsucht nach Tat, Sieg und Macht, die Begier, das
Glück auf die Kniee zu zwingen, flammte kurz und heftig
in seinen Augen auf. Er fühlte die Blicke aller Welt auf
sich gerichtet, erwartungsvoll, ob er das Prestige der
Firma, der alten Familie zu fördern und auch nur zu
wahren wissen werde.
(V, 1)
bald wurde bemerkbar, daß, seitdem Thomas
Buddenbrook die Zügel in Händen hielt, ein genialerer, ein
frischerer und unternehmenderer Geist den Betrieb
beherrschte. Hie und da ward etwas gewagt, hie und da
ward der Kredit des Hauses, der unter dem früheren
Regime eigentlich bloß ein Begriff, eine Theorie, ein Luxus
gewesen war, mit Selbstbewußtsein angespannt und
ausgenützt... Die Herren an der Börse nickten einander
zu.
(V, 3)
,Du hast es nicht sehr gut gehabt, Onkel Gotthold, dachte er. ,Du hast es
zu spät gelernt, Zugeständnisse zu machen, Rücksicht zu nehmen... Aber
das ist nötig... Wenn ich wäre wie du, hätte ich vor Jahr und Tag bereits
einen Laden geheiratet […]. Obgleich du trotzig warst und wohl glaubtest,
dieser Trotz sei etwas Idealistisches, besaß dein Geist wenig Schwungkraft,
wenig Phantasie, wenig von dem Idealismus, der jemanden befähigt, mit
einem stillen Enthusiasmus, süßer, beglückender, befriedigender als eine
heimliche Liebe, irgendein abstraktes Gut, einen alten Namen, ein
Firmenschild zu hegen, zu pflegen, zu verteidigen, zu Ehren und Macht
und Glanz zu bringen. Der Sinn für Poesie ging dir ab, obgleich du so
tapfer warst, trotz dem Befehl deines Vaters zu lieben und zu heiraten. Du
besaßest auch keinen Ehrgeiz, Onkel Gotthold. Freilich, der alte Name ist
bloß ein Bürgername, und man pflegt ihn, indem man einer
Getreidehandlung zum Flor verhilft, indem man seine eigene Person in
einem kleinen Stück Welt geehrt, beliebt und mächtig macht... Dachtest
du: ich heirate die Stüwing, die ich liebe, und schere mich um keine
praktischen Rücksichten, denn sie sind Kleinkram und Pfahlbürgertum?...
Oh, auch wir sind gerade gereist und gebildet genug, um recht gut zu
erkennen, daß die Grenzen, die unserem Ehrgeize gesteckt sind, von außen
und oben gesehen nur eng und kläglich sind. Aber alles ist bloß ein
Gleichnis auf Erden, Onkel Gotthold! Wußtest du nicht, daß man auch in
einer kleinen Stadt ein großer Mann sein kann?
(V, 4)
Das Prestige Thomas Buddenbrooks war anderer Art.
Er war nicht nur er selbst; man ehrte in ihm noch die
unvergessenen Persönlichkeiten seines Vaters,
Großvaters und Urgroßvaters, und abgesehen von
seinen eigenen geschäftlichen und öffentlichen
Erfolgen war er der Träger eines hundertjährigen
Bürgerruhmes. Die leichte, geschmackvolle und
bezwingend liebenswürdige Art freilich, in der er ihn
repräsentierte und verwertete, war wohl das
Wichtigste; und was ihn auszeichnete, war ein selbst
unter seinen gelehrten Mitbürgern ganz
ungewöhnlicher Grad formaler Bildung, der, wo er sich
äußerte, ebensoviel Befremdung wie Respekt
erregte...
(VIII, 3)
Seine Rastlosigkeit trieb ihn dazu, und seine Mitbürger
hatten dies Unternehmen seiner ,Eitelkeit‘ zurechnen
können, denn es gehörte dazu. Ein neues Haus, eine
radikale Veränderung des Lebens, Aufräumen, Umzug,
Neuinstallierung mit Ausscheidung alles Alten und
Überflüssigen, des ganzen Niederschlages vergangener
Jahre diese Vorstellungen gaben ihm ein Gefühl von
Sauberkeit, Neuheit, Erfrischung, Unberührtheit,
Stärkung und er mußte alles dessen wohl bedürftig sein,
denn er griff mit Eifer danach und hatte sein Augenmerk
schon auf eine bestimmte Stelle gerichtet.
Es war ein ziemlich umfangreiches Grundstuck in der
unteren Fischergrube - ein altersgraues, schlecht
unterhaltenes Haus stand dort zum Verkaufe.
(VII, 5)
»Oh, mein Lieber, das ist nichts!« rief der Senator. »Man hängt
dort nicht am Klavier und faltet die Hände auf dem Bauche...
Frei stehen! Frei sprechen! Das ist das erste. Hier stelle dich mal
zwischen die Portieren! Und nun den Kopf hoch... und die Arme
ruhig hängen lassen...«
Hanno stellte sich auf die Schwelle zum Wohnzimmer und ließ
die Arme hängen. Gehorsam erhob er den Kopf, aber die
Wimpern hielt er so tief gesenkt, daß nichts von seinen Augen zu
sehen war. Wahrscheinlich schwammen schon Tränen darin.
»Das ist der Tag des Herrn«, sagte er ganz leise, und desto
stärker klang die Stimme seines Vaters, die ihn unterbrach:
»Einen Vortrag beginnt man mit einer Verbeugung, mein Sohn!
Und dann viel lauter. Noch einmal, bitte! ,Schäfers
Sonntagslied‘...«
Das war grausam, und der Senator wußte wohl, daß er dem
Kinde damit den letzten Rest von Haltung und Widerstandskraft
raubte. Aber der Junge sollte ihn sich nicht rauben lassen! Er
sollte sich nicht beirren lassen! Er sollte Festigkeit und
Männlichkeit gewinnen… »Schäfers Sonntagslied...« wiederholte
er unerbittlich und aufmunternd...
(V, 2)
Das, was man in der Stadt seine ,Eitelkeit‘ nannte, hatte in einer
Weise zugenommen, deren er selbst längst begonnen hatte, sich
zu schämen […].
In diesem Kabinett verbrachte er nicht nur am Morgen eine lange
Zeit, sondern auch vor jedem Diner, jeder Senatssitzung, jeder
öffentlichen Versammlung […]. Und wenn er hinaustrat, so
verschaffte die frische Wäsche an seinem Körper, die tadellose
und diskrete Eleganz seines Anzuges, sein sorgfältig
gewaschenes Gesicht, der Geruch der Brillantine in seinem
Schnurrbart und der herb-kühle Geschmack des gebrauchten
Mundwassers ihm das Befriedigungs- und Bereitschaftsgefühl,
mit dem ein Schauspieler, der seine Maske in allen Einzelheiten
vollendet hergestellt hat, sich zur Bühne begibt. Wirklich!
Thomas Buddenbrooks Dasein war kein anderes mehr als das
eines Schauspielers, eines solchen aber, dessen ganzes Leben bis
auf die geringste und alltäglichste Kleinigkeit zu einer einzigen
Produktion geworden ist, einer Produktion, die mit Ausnahme
einiger weniger und kurzer Stunden des Alleinseins und der
Abspannung beständig alle Kräfte in Anspruch nimmt und
verzehrt.
(X, 1)
Ich werde leben! sagte Thomas Buddenbrook beinahe
laut und fühlte, wie seine Brust dabei vor innerlichem
Schluchzen erzitterte. Dies ist es, daß ich leben
werde! Es wird leben... und daß dieses Es nicht ich
bin, das ist nur eine Täuschung, das war nur ein
Irrtum, den der Tod berichtigen wird. So ist es, so ist
es! […]
Was war der Tod? […] Der Tod war ein Glück, so tief,
daß es nur in begnadeten Augenblicken, wie diesem,
ganz zu ermessen war. Er war die Rückkunft von
einem unsäglich peinlichen Irrgang, die Korrektur
eines schweren Fehlers, die Befreiung von den
widrigsten Banden und Schranken […]
(X, 5)
In meinem Sohne habe ich fortzuleben gehofft? In einer
noch ängstlicheren, schwächeren, schwankenderen
Persönlichkeit? Kindische, irregeführte Torheit! Was soll
mir ein Sohn? Ich brauche keinen Sohn!... Wo ich sein
werde, wenn ich tot bin? Aber es ist so leuchtend klar,
so überwältigend einfach! In allen denen werde ich sein,
die je und je Ich gesagt haben, sagen und sagen werden,
besonders aber in denen, die es voller, kräftiger,
fröhlicher sagen...
Irgendwo in der Welt wächst ein Knabe auf, gut
ausgerüstet und wohlgelungen, begabt, seine
Fähigkeiten zu entwickeln, gerade gewachsen und
ungetrübt, rein, grausam und munter, einer von diesen
Menschen, deren Anblick das Glück der Glücklichen
erhöht und die Unglücklichen zur Verzweiflung treibt –
(X, 5)