Transcript Forum 3

Pädagogische Herausforderungen im
Umgang mit stereotypen und
zwanghaften Verhaltensweisen bei
Menschen mit autistischer Störung
Herzlich Willkommen
Der Störungsmechanismus
 Die autistische Grundstörung besteht in
beeinträchtigten Funktionen der
Wahrnehmungsverarbeitung, die zwangsläufig zu
erheblichen Beziehungsbelastungen und
Beziehungsstörungen führt.
 Die sekundäre Beziehungsstörung hat selbst
wiederum entwicklungshemmende Auswirkungen.
Denn die Wahrnehmungsverarbeitungsfunktionen
können sich nicht weiterentwickeln, wenn die von
Menschen angebotenen Informationen nicht
aufgenommen und folglich nicht verarbeitet, sondern
abgewehrt werden.
B. Geyermann-Braun - 9.11.2010 Fachtag Caritas - Autistische Verhaltensweisen bei Menschen mit Behinderung
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Der Störungsmechanismus
 Beziehungsstress wirkt sich zudem ungünstig auf
biochemische Vorgänge aus, erhöht das
Erregungsniveau und motiviert angstmindernde
Zwangshandlungen.
 Menschen mit autistischen Störungen müssen auf
ritualisierte, stereotype Abläufe bestehen, da nur
diese ihnen das Gefühl von Sicherheit geben.
Soziale Regeln, Veränderungen und Anforderungen
erleben sie oft als Bedrohung, gegen die sie sich
zwanghaft, mit allen Mitteln wehren müssen.
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Der Störungsmechanismus
 Viele problematische Verhaltensweisen
können als Reaktion auf Ängste, Panik,
unverarbeitete Gefühle gedeutet werden.
Menschen mit autistischen Störungen haben
häufig nicht die Möglichkeit, diese Gefühle zu
äußern. Sie sind “gefangen in ihrer eigenen
Emotion”.
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Entschlüsselung der versteckten Botschaften des
Verhaltens
Das Problemverhalten wird als subjektiv
sinnvolles Verhalten und als Versuch der
Lebensbewältigung verstanden. Unter innerem
und/ oder äußeren isolierenden Bedingungen
versuchen die Betroffenen, ihr Leben zu
organisieren. Ungünstige Lebensbedingungen
und die Blockierung zentraler Bedürfnisse
können zu Problemverhalten führen, wenn weder
Bewältigungstechniken noch andere Menschen
oder Objekte verfügbar sind, um den
Empfindungen des Unbehagens Ausdruck zu
verleihen.
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Anforderungen
an pädagogisches Handeln
Hinweise auf den “subjektiven Sinn”
von stereotypem und /oder zwanghaftem Verhalten:
•
welche Botschaften werden vermittelt?
•
an wen richtet sich das Verhalten?
•
wem nützt das Verhalten?
•
was wird erreicht durch das Verhalten?
•
welche gewohnten Muster werden aufrechterhalten?
•
welche Veränderungen werden verhindert?
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Positive Funktionen / Motivationen
bei Problemverhaltensweisen

Ausdruck von Bedürfnis und Befinden (auch im Sinne von
Selbstbestimmung)

aufgrund gestörter Selbstwahrnehmung und einer
gestörten Ausdrucksmöglichkeit ist der Ausdruck von
Problemverhalten oft die einzige Möglichkeit, sich
überhaupt zu verhalten

Durchsetzung eigener Bedürfnisse, Wünsche, d.h. das
Verhalten ist eine gelernte erfolgreiche
Durchsetzungsstrategie (Vermeidung von Anforderungen,
Stärke, Macht zeigen und erfahren, erfolgreiches Verhalten
ausprobieren)
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Positive Funktionen / Motivationen
bei Problemverhaltensweisen

Einfordern von Zuwendung und Kontakt (auch negativer
Kontakt durch Bestrafung, Aufmerksamkeit erfahren,
Nichtbeachtung beenden)

Abbau eines erhöhten Erregungsniveaus, Regulierung von
Stress (z.B. können erlebte Hilflosigkeit und Angst nicht
sprachlich verarbeitet werden, der Gefühlsstau muss durch
stereotypes Verhalten abgebaut werden, um die
Überforderung zur regulieren)

Bestimmung von ICH - Grenzen /Trennung des Selbst von
der äußeren Realität (z.B. sich selbst verletzen bei
Reizüberflutung, als Signal in Ruhe gelassen zu werden,
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Positive Funktionen / Motivationen
bei Problemverhaltensweisen

Selbststimulation, Körperrealität erfahrbar machen, um
eine Solidisierung des Körperschemas zu erreichen (sich
schlagen, um sich selbst zu spüren, weil
Wahrnehmungsreize nicht ankommen)

Fortführung bzw. Inszenierung frühkindlich gestörter
Bezugsmuster

Problemverhaltensweisen als aktiv gesetzte Signale für
aktuelle gestörte Interaktions- und Kommunikationsabläufe
(z.B. Beziehungsstörungen, Teamkonflikte)
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Positive Funktionen / Motivationen
bei Problemverhaltensweisen

Abwehr von aktuell als bedrohlich erlebten Gefühlen (z.B.
bei Veränderungen des sozialen Umfeldes, Veränderungen
der emotionalen Bezugspersonen, Wechsel von dem
gewohnten Rahmen, Verlust, Tod, Reaktion auf Stress

Auflehnung gegen eine behindernde, isolierende
Lebenswelt, als vorläufige Problemlösung

mittelbare oder unmittelbare Folge von organischen
Faktoren (z.B. Schmerzen)
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Signalverhalten
•
Es gibt kein sinnloses Verhalten! Die Störungen oder Symptome
gehören zum Verhaltensrepertoire des behinderten Menschen. Sie
sind Ausdruck einer spezifischen Bedürfnislage und dienen der
Aufrechterhaltung psychischer Stabilität und persönlicher Integrität.
•
Für jedes Verhalten lassen sich positive, subjektiv sinnvolle
Funktionen erschließen. Sie sind vor dem Hintergrund der
individuellen Lebensgeschichte entwicklungslogisch und das
Ergebnis optimaler Anpassungsleistungen.
•
Das Verhalten hat Folgen für den Menschen mit Behinderung und
für sein gesamtes soziales Umfeld. Durch das Verhalten werden
Möglichkeiten reduziert, sich mit veränderten Anforderungen,
Situationen, Menschen auseinander zusetzen, wodurch
Lebendigkeit wesentlich eingeschränkt sein kann.
•
Jedes auffällige Verhalten ist solange notwendig, solange seine
Funktion nicht durch ein anderes Verhalten ersetzt werden kann
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Entwicklungsförderliche Beziehung
Das personenzentrierte Alltagskonzept
(M. Pörtner)
• AKZEPTANZ und EMOTIONALE WÄRME, ERNSTNEHMEN
und ZUTRAUEN
• Einfühlung und Verständnis (EMPATHIE), VERSTEHEN
• Echtheit und Klarheit im Verhalten (SELBSTKONGRUENZ)
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Entwicklungsförderliche Beziehung
Anforderungen an die Bezugspersonen
• Nicht selber machen, sondern Erfahrungen ermöglichen
• Auf das Erleben eingehen (nicht was wird erlebt, sondern wie
wird erlebt)
• Gleichgewicht herstellen zwischen Rahmen und Spielraum,
Schaffen von Freiräumen zur Erprobung eigener Initiative
/Bereitstellen eines eigenen Entscheidungs - und
Handlungsspielraumes, um Erfahrungen sammeln zu können
• Klarheit im Kontakt, verlässliche, gefestigte Umgangsformen
(ruhiges, ausgeglichenes Verhalten auch in belastenden,
konfliktgeladenen Situationen)
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Entwicklungsförderliche Beziehung
Anforderungen an die Bezugspersonen
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Nicht was fehlt ist entscheidend, sondern was da ist
(Ressourcenorientierung)
Prinzip der kleinen Schritte wählen
Der Weg ist ebenso wichtig wie das Ziel
Wahrnehmen und Ernstnehmen der Verhaltensweisen und der damit
signalisierten Bedürfnisse
Unterlassen von strafendem Verhaltens (verurteilen, schimpfen,
anschreien)
Zuhören/ auch nonverbal
Selbstverantwortung zugestehen und zutrauen
dem anderen Verantwortung zutrauen heißt, selbst Verantwortung
abgeben
in Entwicklungsmöglichkeiten vertrauen (auch Stillstand kann in einer
Phase ein wichtiger Entwicklungsschritt sein)
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Entwicklungsförderliche Beziehung
Anforderungen an die Bezugspersonen
• Von der Normalsituation ausgehen und beim Nahe liegenden
bleiben (keine Symptomatisierung des Verhaltens)
• Vertrauen in eigene Wahrnehmung und eigenes Fühlen stärken
• Eigenständigkeit unterstützen / überschaubare
Wahlmöglichkeiten anbieten
• Wahlen akzeptieren, die man selber nicht treffen würde
• Situation aussprechen
• Anerkennung der schwierigen Situation des Gruppenlebens
• bewusster Umgang mit eigenen Grenzen und Schwächen
(Thema Gewalt)
• aktive Auseinandersetzung mit eigenen Urteilen, Deutungen,
Erwartungen und Standpunkten
• Unterstützung beim Aufbau lebendiger sozialer Kontakte
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Entwicklungsförderliche Beziehung
Anforderungen an die Bezugspersonen
Die personenzentrierte Haltung unterstützt
die Selbstwahrnehmung, ersetzt zunächst die
Selbstregulationsmöglichkeiten und stärkt
diese, bis ein höheres Maß an Selbstkontrolle
zurückerlangt werden kann!
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Anforderungen an pädagogisches Handeln
Ziel pädagogischen Handelns:
• nicht in erster Linie die Beseitigung des Problemverhaltens
sondern:
 ein Ernstnehmen als sinnvolle Lebensäußerung
 die Suche nach Bedeutung im jeweiligen Lebenskontext
 das Beachten der persönlichen Ressourcen
 die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten
 die Begleitung eines Menschen, der viele Verletzungen erlebt
hat
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Leitprinzipien
für Pädagogik und Therapie
• erwachsenengemäße Orientierung
• Subjektzentrierung
• Individualisierung
• Ich – Du – Bezug/ Kommunikatives Verhältnis
• Autonomie und Empowerment
• Assistenz und Kooperation
• Ganzheitlich – integratives Prinzip
• Prinzip der Entwicklungsgemäßheit
• Lebensnähe und handelndes Lernen
• Sein – lassen und Vertrauen in Ressourcen
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