Wut und Abwehr bei Demenz - Caritas Bildungswerk Ahaus

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Transcript Wut und Abwehr bei Demenz - Caritas Bildungswerk Ahaus

….ist die Bereitschaft,
die Wirklichkeitssicht
eines Menschen mit Demenz
anzunehmen, zu verstehen
und zu bestätigen
Verständigung zwischen zwei Welten, die nicht
kompatibel ist?
„Wenn mein Vater nicht mehr über
die Brücke zu mir gehen kann,
muss ich bereit sein,
zu ihm zu kommen.“
(Arno Geiger in seinem Buch: „Der alte König in seinem Exil“)
Demenz ist ein
Herausfallen aus
der Zeit
 Schon früh in der Demenz wird das
Zeitgitter gestört, das uns Auskunft über
zeitgebundene Erinnerungen gibt.
 Die Zeitbindung wird aufgehoben und so
kann jeder erinnerte Augenblick zur
Gegenwart werden.
 Ebenso verkürzt sich permanent der
Lebensfaden in umgekehrter Reihenfolge,
wie er entstanden ist.
 Das führt zu einem Leben in der Vergan-
genheit, die erneut mit ihren Rollen und
Gefühlen wieder aufgeführt wird.
Gefühle werden nicht vergessen
 MmD vergessen ihre Geschichten. Ihre Gefühle
bleiben aber trotz der Demenz vollständig erhalten.
 Je mehr die Kognition abbaut, umso verschärfter
nehmen MmD die Umwelt über ihre Sinne und
Emotionen wahr.
 Stimmungen, Atmosphäre und Kontaktmomente
werden bis zuletzt gespürt und entscheiden mit über
Stress oder Geborgenheit.
Menschen mit Demenz entfallen die Spielregeln
unserer Kultur
 MmD leben jenseits unserer moralischen und sozialen Übereinkünfte
 Sie haben schlicht vergessen:
 was Mein oder Dein ist,
 was sich gehört und was nicht
 was richtig oder falsch ist
 was unschicklich, kränkend oder beschämend ist
 welche Folgen ihr Handeln haben könnte
 MmD haben ein gestörtes Urteilsvermögen und können für ihr
Verhalten nicht verantwortlich gemacht werden.
Menschen mit
Demenz sind sehr
„verletzlich“
Ein Ratschlag für „schutzbedürftige“ Menschen:
 Je heikler und emotionaler ein Thema ist, umso
empfindlicher wird ein Mensch.
 Er braucht nicht nur das Gefühl, dass der
andere zuhört, sondern auch die Gewissheit,
dass er nicht beurteilt oder gar verurteilt wird.
 Sobald ein Partner über etwas spricht, für dass
er sich schämen könnte, sollten Sie mehr tun,
als sich neutral und still zu verhalten.
 Machen Sie mit und auch ohne Worte klar:
Was immer du sagst, ich bin bei dir; was
immer dich bewegt, es trennt mich nicht
von dir!
Kommunikation mit
der „inneren Welt“
 Menschen mit Demenz müssen
Vertrauen spüren, um sich
überhaupt auf eine für sie nicht
mehr logische (pflegerische)
Maßnahme einzulassen.
 Das Gefühl des Wohlbefindens ist
Voraussetzung für die
Bereitschaft, einer Aufforderung
nachzukommen und nicht erst das
Ergebnis dieser Interaktion.
Integrative
Validation
•Eine wichtige Grundhaltung des Verstehens von
Menschen mit Demenz:
• Die Fähigkeit zum
Perspektivenwechsel
• Die „Brille des anderen“
aufsetzen
Integrative
Validation
• In den „Schuhen
des anderen“ gehen
bedeutet:
• sich einfühlen
(Empathie)
• echt sein
(Kongruenz)
• wertschätzend
bleiben
Integrative Validation
Gesprächsmuster in drei Schritten
Nach Nicole Richard
Integrative
Validation
Dieses Bestätigen der
„inneren
Bühne“ geschieht stets
 Wortbedeutung:
 Valide = gültig
 Validation = Gültigkeit
• zustimmend
 Kurzfassung:
•wertschätzend
 Das innere Erleben von
•nicht verurteilend
•akzeptierend
Menschen mit Demenz als für
sie wahr, bedeutsam und
gültig erklären
Integrative
Validation
 Erspüren Sie die Gefühle und Antriebe
Punkt I:
Punkt II:
der Person.
Antriebe sind die guten Eigenschaften und Werte einer Person.
 Bestätigen Sie diese mit kurzen,
prägnanten Aussagesätzen.
Umschreiben Sie also die Gefühle und
bestätigen die zur Szene passenden
guten Eigenschaften einer Person
Punkt III:
 Unterstreichen Sie das Ganze mit
passenden Sprichworten,
Redewendungen oder Floskeln.
Beispiele zu Gefühlen und Antrieben
 (Gefühl: Ärger)
Sie ärgern sich richtig über dieses Durcheinander
 (Antrieb: Ordnungsliebe)
 Dabei lieben Sie Ordnung um sich herum
 Bei Ihnen hat alles seinen Platz
 (Sprichwort:)
 Wie heißt es noch: „Ordnung ist das halbe Leben!“
Integrative Validation
Gefühle und Antriebe sind bei Menschen mit Demenz
immer echt
Wenn Gefühle nicht ernstgenommen
werden, bauen sie sich stärker auf!
Wenn Gefühle anerkannt, benannt und
gewürdigt werden, können sie „gehen“.
Paradoxer Effekt: Gefühle muss man einladen, spüren und anhören, damit
man sie loswerden kann.
Gefühle als Ressource bei Demenz
Gefühle bei Menschen mit Demenz sind:
 der direkte Ausdruck der momentanen Befindlichkeit
 Reaktion auf Personen und Umwelterfahrungen
 Empfindungen aus der inneren Erlebenswelt
 direkt, pur und echt geäußert
 ohne Kontrolle, Anstandsregeln und Normen
 der einzig verlässliche Kompass für sie
Antriebe als Ressource bei Demenz
Antriebe bei Menschen mit Demenz:
 sind aus der Erziehung angelegte Werte
 stammen aus den Normen einer Epoche/Generation
 sind oft lang ausgeübte „Tugenden“ der Person
 sind auch in der Demenz Triebfedern des Handelns
 funktionieren fast automatisch und unbewusst
 entwickeln bei Behinderung ein hohe Energie
Integrative Validation
Mit Antrieben sind die „Tugenden“ einer Person gemeint.
Heute hochaltrige Menschen haben z.B. folgende Antríebe:
 Fleiß
 Gehorsam
 Pflichtbewusstsein
 Durchhalten
 Sorgfalt
 Gründlichkeit
 Zuverlässigkeit
 Genauigkeit
 arbeitsam
 Mütterlichkeit
 Zucht und Ordnung
 Pünktlichkeit
 Sauberkeit
 Ehre und Anstand
 Sparsamkeit
 Strenge
 Frömmigkeit
 Anpassungsfähigkeit
Integrative
Validation
Frau Weber
wehrt sich
 Frau Weber läuft gegen 14.30 Uhr auf dem
Flur des Altenheimes St. Hedwig mit
Nachthemd, Hut und Handtasche umher
und ruft aufgeregt:
 „Komm Sie schnell, wir müssen los. Ich muss
zum Bahnhof. Meine Mutter wartet nicht
gern.“ (mit erhobenem Zeigefinger)
 Hektisch strebt sie den Ausgang an und wird
immer erregter. Auf Ihre Beruhigungsversuche stößt Sie sie weg und ruft
energisch: „Zu-spät-kommen gibt´s bei mir
nicht“. Und dann: „Oh Gott, oh Gott, wo
muss ich denn hin?“
 Von vorn versuchen Sie nun, Frau Weber an
die Schultern zu fassen, um sie zu
besänftigen, worauf die alte Dame energisch
mit dem Stock droht.
Frau Weber wehrt sich
Gefühle von Frau Weber
Antriebe von Frau Weber
 Eile
 Verlässlichkeit
 Nervosität
 Pünktlichkeit
 Aufregung
 Wünsche der Mutter erfüllen
 Hilflosigkeit
 Respekt vor den Eltern
 Wut/Ärger
Frau Weber will zum Bahnhof
 Gefühle
 Eile
 Nervosität
 Oh, dann haben Sie´s jetzt aber
richtig eilig.
 Sie haben gar keine Zeit mehr.
 „Die Uhr im Nacken!“ Da kann
man schon nervös werden.
 Aufregung
 Sie kennen sich gar nicht mehr
 Ratlosigkeit
 Da kann man schon mal zuviel
 Wut/Ärger
aus hier!
kriegen
 Richtig ärgerlich sind Sie.
 Es ist nicht schön, aufgehalten
zu werden
Frau Weber will zum Bahnhof
 Antriebe:
 Verlässlichkeit
 Pünktlichkeit
 Folgsamkeit der
Mutter gegenüber
 Respekt vor den
Eltern
 Sie lassen Ihre Mutter nicht gern





warten.
Wenn Sie etwas versprochen
haben, dann gilt das.
Sie sind eine, die ihr Wort hält.
Jeder weiß, dass Sie ein
pünktlicher Mensch sind.
Sie wollen Ihre Mutter nicht
enttäuschen.
Sie haben noch Respekt vor den
Eltern.
Frau Weber will zum Bahnhof
Sprichworte – Redewendungen – Floskeln
( Punkt III)
 Versprochen ist versprochen
 Fünf Minuten vor der Zeit, ist des Soldaten
Pünktlichkeit
 Man muss sein Wort halten
 Auf Menschen wie Sie ist Verlass
Frau Weber will zum Bahnhof
 Ausstieg:
 Sie waren ja die Älteste zu Hause.
 Sie haben immer auf die Kleinen
aufgepasst.
 Da waren Sie ganz zuverlässig.
 Überhaupt haben Sie viel gearbeitet
im Leben.
 Sie haben sich jetzt mal einen
ruhigen Abend verdient.
 Soll ich Ihnen einen schönen
warmen Kakao bringen? Da träumt
sich doch gleich besser!
Bedeutung der Sprichworte
 Sprichworte beinhalten die gesammelte Auffassung
des ganzen Volkes.
 Alte Menschen haben diese als Erziehungsbotschaft
und als Ratschläge für das Leben erhalten.
 Sie kennen sich mit den Aussagen sofort aus, weil
diese zu den Lebensregeln aller gehörten.
 Wenn wir die innere Erlebenswelt nicht so genau
verstehen, können wir mit Sprichworten das
Allgemeine sehr gut treffen.
Leben in der Gefühlszeit
Menschen mit Demenz leben eher in einer
„Gefühlszeit“ und weniger in der „Realzeit“.
Deshalb ist der logische Inhalt einer Szene eher
nachrangig,
das Verstandenwerden dagegen immens wichtig.
Opa Willi will zur Arbeit
(Enkel Tobias trifft Opa Willi, der mitten in der Nacht in die Werkstatt will)
 Jetzt wird es aber Zeit für Dich, Opa!
 Du willst nicht zu spät kommen.
 Schließlich bist du ein ganz pünktlicher Mensch.
 Du magst Deine Arbeit, stimmts?
 Für deine Werkstatt setzt du dich richtig ein.
 Da gibt es so viel zu tun.
 Und einer muss ja auch die Arbeit einteilen.
 Erzähl doch mal Opa, was da alles so gemacht werden muss…
(Ausstieg: Tobias setzt sich mit Opa an den Tisch und bietet ihm ein Glas
Milch an)
Tipp zum validierenden Gespräch
Man sollte immer nur das sagen,
was wahr ist.
Man muss aber nicht alles sagen,
was wahr ist
Validieren geschieht:
Verbal
durch Sprache, Schlüssel- und Zeitgeistwortschatz
Nonverbal
Durch Gestik, Mimik, Körperausdruck
Paraverbal
Durch Tonfall, Sprachrhythmus, Betonung
Wann ist Validieren
angezeigt?
• In entspannten
Situationen und im
Vorbeigehen
• auf der „inneren Lich-
tung“ und beim Ausüben früherer Rollen
• in Krise und Konflikt,
und bei allen starken
Emotionen
 können wir validieren
 sollen wir validieren
 müssen wir validieren
Methaphern als Ausdruck für
Gefühle
 Methaphern sind Bildworte, die die Aussage eines
Gefühls alltagssprachlich ausdrücken
 So könnte man für „Erleichterung“ auch sagen:
„Da fällt Ihnen ein Stein vom Herzen“
 Metaphern nimmt man lieber an, als wenn der andere
mir direkt sagt, was ich fühlen könnte
Achtung!
Einstieg in die
Validation:
 Frau Weber nicht den Weg
versperren!
 Sich an ihre Seite begeben
und mitgehen!
 Sie nicht an die Schultern
fassen, da sie dann festgehalten wird!
 Die Regie hat in der Valida-
tion der Mensch mit Demenz!
 Immer ergebnisoffen bleiben!
Regeln der
Integrativen
Validation
 Verzichten Sie beim Einstieg




auf Fragen
Validieren Sie denjenigen, der
am meisten leidet
Beginnen Sie immer mit dem
stärksten Gefühl
Bearbeiten Sie zunächst die
„emotionale Spitze“
Bauen Sie dann die Person mit
den kraftgebenden Antrieben
wieder auf
Regeln der
Integrativen
Validation
 Lassen Sie das Gespräch in ein
Lebensthema einmünden.
 Steigen Sie hier aus oder
binden Sie die Person in eine
biografische Handlung ein
 Arbeiten Sie nicht mit
negativen Gefühlen
 Formulieren Sie diese so um,
dass sie zu „Erlaubnissen“
werden
Regeln der
Integrativen
Validation
Krise
Emotionale
Spitze
Kraftgebende
Antriebe
Einbinden
In ein Lebensthema
In biografische
Handlung einbinden
Evt. anderen Zugang
wählen
„Kontakt vor Funktion“
 Auf Augenhöhe gehen und Blickkontakt aufnehmen
 Warten, bis der Blick erwidert wird
 Namentliche Ansprache: „Guten Morgen Hr. Weber“
 Gleichzeitig eine taktile Berührung machen
(z.B. die Hand nehmen)
 Eine vertrauenserweckende Bemerkung machen:
„ Sie haben ja wunderbar warme Hände. Die haben sicher
schon viel gearbeitet im Leben, nicht wahr?“
 „Ich habe mir etwas Zeit für Sie genommen……
Darf ich Ihnen mit Ihrer Lieblingsseife den Rücken
einseifen?“
Validieren geschieht:
Verbal
durch Sprache, Schlüssel- und Zeitgeistwortschatz
Nonverbal
Durch Gestik, Mimik, Körperausdruck
Paraverbal
Durch Tonfall, Sprachrhythmus, Betonung
Wann ist Validieren
angezeigt?
• In entspannten
Situationen und im
Vorbeigehen
• auf der „inneren Lich-
tung“ und beim Ausüben früherer Rollen
• in Krise und Konflikt,
und bei allen starken
Emotionen
 können wir validieren
 sollen wir validieren
 müssen wir validieren
Validation stößt an Grenzen bei:
 frontotemporalen Demenzformen (Morbus Pick)
 suchtbedingten Demenzformen (Korsakowsyndrom)
 biografischer Prägung in Richtung „Hardliner“
 destruktiven Bindungsmustern (Persönlichkeits-
störungen, schwierige Charaktere)
Validieren ist die Bereitschaft:
die Wirklichkeitssicht und Erlebniswelt
von Menschen mit Demenz
anzunehmen, zu akzeptieren, wertzuschätzen,
gelten zu lassen und zu bestätigen
(Nic0le Richard)
„Überraschend anders“handeln
 Eine beliebte Musik im Zimmer auflegen und
schunkeln
 Eine Tänzchen anbieten und ins Bad tanzen
 Mit einer Lieblingssüßigkeit kommen
 Den Besuchshund mitnehmen
 Einen beliebten Duft im Bad verbreiten
 Sich verschwören: „Das mache ich heute nur für Sie!“
 Einige Luftballons mitnehmen und damit „boxen“
Demenz ist ein Sterben in Raten
Menschen in ihrem „Rückwärtsgang“ zu begleiten, sie nicht
verändern und beurteilen zu wollen, kann eine sehr
beglückende Erfahrung sein.
Für Menschen mit Demenz, aber auch für ihre Begleiter geht
es nicht um Siegen oder Erfolge. Hier ein wichtiger
Grundsatz für beide:
„In der Ruhe liegt die Kraft!“
Vielen Dank für
Ihre Aufmerksamkeit!