Sehnsucht - Gestalttherapie Wolf Lindner

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Transcript Sehnsucht - Gestalttherapie Wolf Lindner

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Über die Sehnsucht nach
Verbundenheit aus der
Genderperspektive
Dr. Dieter Bongers
Juni 2011
Überblick
Männer und Sehnsucht
Männlichkeit und Autonom sein
Paradoxie: sich binden wollen und doch ganz
allein sein müssen : Männlichkeitsideologie
Männerbünde: wo man sich völlig ungeniert
geben kann.
Die Genderperspektive als notwendiges
Dauerthema
Dr. Dieter Bongers, CH 4410 Liestal
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Sehnsucht
Das deutsche Wort „Sehnsucht“ ist zusammengesetzt aus den zwei
Teilen „Sehne“ und „Sucht“. Das erinnert an die Sehne, die
gespannt ist, wenn der Mensch zum Sprung ansetzt, oder an die
Bogensehne, bevor der Pfeil abgeschossen wird. Sehnsucht hat
also mit einem inneren Gespannt- Sein zu tun.
Mit seiner ganzen Energie wartet der Mensch auf den Sprung, um
das zu greifen, worauf seine Sehnsucht zielt.
Der Duden sagt, dass das Wort „sich sehnen“ nur im deutschen
Sprachgebiet gebraucht werde. Er verbindet es mit dem
mittelhochdeutschen Wort „senen = liebend verlangen“.
Es klingt das Schmerzliche mit und erinnert an eine Liebe, die noch
nicht erfüllt ist.
Das Wort „Sucht“ kommt nicht von „suchen“, sondern von „siech
sein, krank sein“. Sucht meint also ein krankhaftes Verlangen, eine
Abhängigkeit. Sehnsucht ist aber keine Abhängigkeit von einem
Stoff wie Alkohol oder Drogen, auch nicht von Geltung und Ruhm.
Die Sehnsucht zielt auf Heimat, Geborgenheit, Glück, Liebe,
Schönheit, Erfüllung. Sie zielt auf die Vollendung.
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Sehnsucht im
deutschen Schlager
Freddy Quinn und der deutsche Nachkriegsschlager
Sehnsucht als permanente Figur auf dem Hintergrund des
verlorenen Krieges: es wird gewartet und gesehnt
Melancholie ist wenigstens ein Gefühl!
Sehnsucht kann ein Ersatzgefühl sein, eine klebrige Sosse
über schwierige Gefühle wie Scham und Schuld:
Sich wegsehnen!
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Martin Buber über
Sehnsucht
Die Sehnsucht geht nach der
welthaften Verbundenheit des zum
Geiste aufgebrochenen Wesens mit
dem wahren Du.
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Selige Sehnsucht
Johann Wolfgang von Goethe, West-Östlicher Divan
Sag es niemand, nur den
Weisen,
Weil die Menge gleich
verhöhnet,
Das Lebende will ich preisen,
Das nach Flammentod sich
sehnet.
Keine Ferne macht dich
schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling
verbrannt.
Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du
zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung
Wenn die stille Kerze
leuchtet.
Nicht mehr bleibest du
umfangen
In der Finsternis Beschattung.
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.
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Bindung
Die Sehnsucht nach Verbundenheit gehört zu unserer
Existenz: zu einer Familie zu gehören zu einer Stadt
oder Region, zu einer Glaubensgemeinschaft oder zu
einem Volk, all dies beschäftigt uns Menschen seit
Jahrhunderten
Da wir von Geburt an auf sozialen Support
angewiesen sind, gibt es unmittelbare
Zugehörigkeiten, zur Mutter , zur Familie zur Sippe,
aber auch zur Nation und zur Relgionsgemeinschaft
Soziale Eingebundenheit wird nicht erzogen, sie ist
von Anfang an da !
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Paul Goodman: Wunsch nach
Zugehörigkeit zu einer Nation
Der Anarchist und Pazifist Paul Goodman ist
übertriebener Heimatliebe unverdächtig – gerade
deswegen interessant was er in „Aufwachsen im
Widerspruch“ zum Patriotismus schreibt:
„Unsere Ablehnung von falschem Patriotismus ist
selbstredend ein ehrenvolles Kennzeichen. Was wir
jedoch an Positivem verlieren, ist tragisch und ich kann
mich nicht damit abfinden. Der Mensch hat nur ein
Leben und wenn er in ihm keine großartige Umwelt
und keine Gemeinschaft hat, wird ihm ein
unersetzliches menschliches Recht geraubt.“
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Paul Goodman : Growing up absurd:
Patriotismus hat seinen Platz im Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein. Wir müssen ihn sorgfältig eingrenzen oder wir spielen Narren und
Schuften in die Hände, die unserem Land schon genug Schaden zugefügt haben.
Worauf kann das Eigenschaftswort »amerikanisch« korrekt angewendet
werden? Das Familienleben ist weder hinsichtlich der Sinnlichkeit noch der
Sexualität noch der Ursprünglichkeit »amerikanisch«. ... Nur in einem
zweideutigen Sinn gibt es eine »amerikanische« Kunst: Das Thema mag
amerikanisch sein, die Kunst aber ist international und ihr Ziel universal.
Daneben aber gibt es tatsächlich eine »amerikanische« Landschaft, eine
»amerikanische« Grundschule und höhere Schule, eine »amerikanische«
Klassenlosigkeit, eine »amerikanische« Verfassung, eine anglo-amerikanische
Sprache und eine »amerikanische« Art von Unternehmertum.
Das heißt, gerade dort, wo sich ein Kind aus seiner Familie herauswagt und die
Adoleszenz durchlebt, wird die größere Umwelt seine Bühne und die ist
aufgrund ihrer charakteristischen Geografie, Geschichte und Gemeinschaft
amerikanisch. Gerade in der Zeit des Heranwachsens ist es wichtig, dass es
Gelegenheit für patriotische Gefühle gibt. Gerade diese Gelegenheit aber ist für
die einheimische Jugend verdorben. Und deswegen ist es schwer für sie,
heranzuwachsen.
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Aufgabe für die männliche Sozialisation:
Gebunden und
treu,
Vollständig
autonom
guter Kerl!
Der Starke ist
am mächtigsten
allein !
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 Ein System von Ideen und Werthaltungen , welches
ausserhalb der Individuen existiert und angeeignet
wird.( z.B.: Männliche Stärke, Ehre, Rache, Was ist
ein richtiger Mann ?)
 Als Selbst-Ideal übernommen haben diese
Werthaltungen grossen Einfluss als innere
Richtlinie (Introjekte) , z.B. "richtige" und "falsche"
Gewalttaten, was ist unehrenhaft?
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Autonomie
Abhängigkeit ist ein Zeichen von Schwäche
Abhängigkeit ist was für Muttersöhnchen
Gleichzeitig muss man irgendwo dazu gehören:
einem Club, einer Vereinigung, dem
Rotharyclub.
In der Schweiz immer noch gewichtig das
Militär
Männerbünde und Homosexualität
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Autonomieförderung bei
Jungen und Mädchen
Selbstständigkeitserwartungen, wann setzen
diese ein , wie werden sie unterstützt ?
Abstossung als Teil der Identitätsfindung :
Jungs mit ihrem Verhalten in der frühen
Adoleszenz
Bei Jungs : Wiederverschmelzungsangst
„No sissy stuff !“
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David Gilmore : Mythos Mann
In ganz verschiedenen Kulturen ist Männlichkeit
nicht etwas einfaches, was einem jungen Mann
zufällt – es muss mit Anstrengung und (zumeist) in
öffentlichen Wettstreit erworben werden.
Mit der Gefahr des Scheiterns („Abfall Männer“)
Kulturabhängige Riten, wie Bar-Mizwa und andere
Übergangsriten z.B. der Jagd:
Es stirbt der Junge , der Mann wird geboren !
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Psychodynamische
Deutung
Spezielle männliche Eigenschaften sind wichtig für
die Gemeinschaft
Die regressive Seite der Jungs („Passiv bleiben bei
der Mutter verharren“ , Muttersöhnchen) soll
zurückgedrängt werden
Waghalsigkeit und Angstunterdrückung werden
gefördert, Risiko ist männlich !
Verantwortung, Grosszügigkeit, sexuelle Aktivität
und damit Nachkommenschaft
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Bindungen in
Männerbünden
Die Autonomie wird eingeschränkt durch Bindungen
in Bünden
Ganz extrem im Nationalsozialismus: Der Wahlspruch
der SS lautete: „Unsere Ehre heisst Treue!“
Der Eid der SS Leute:
Wir schwören Dir, Adolf Hitler (…) Treue und
Tapferkeit. Wir geloben Dir und den von Dir bestimmten
Vorgesetzten Gehorsam bis in den Tod. (…) “
Heute noch sehr spürbar in den Zugehörigkeiten zu
Fusballmanschaften.
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Nähe
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Paul Goodman
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Verbundenheit
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Bindungsangst
Generell entstehen Bindungen in einem Dilemma – wer sich bindet
macht sich abhängig !
So durchzieht die ganze Adoleszenz bei jungen Männer der Wunsch nach
Bindung und die starke Gegentendenz, lieber Unabhängig zu bleiben.
Dazu Reiner Maria Rilke:
„Das ist die Sehnsucht: Wohnen im Gewoge und keine Heimat haben in der
Zeit.
Und das sind Wünsche: Leise Dialoge täglicher Stunden mit der
Ewigkeit. Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern die Einsamste von
allen Stunden steigt, die, anders lächelnd als die andern
Schwestern, dem Ewigen entgegenschweigt. “
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Bindungsangst bei
Männern
Alle kennen die Angst sich zu binden und enttäuscht
zu werden – Frauen wie Männer
Die Männlichkeitsideologie mit ihrem zentralen
Element der unbedingten Autonomie verstärkt diese
Angst: Sich Binden könnte heissen, sich zu verlieren !
Immer unterwegs zu sein, ist besser als ankommen:
der Playboy Modus
Die , die man nicht kriegen kann, ist immer besser, als
die, die man hat: Wegsehnen.
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Genderperspektive
Feministische Kolleginnen betonen das seit 40
Jahren: der Mensch hat ein Geschlecht:
Frauen sind anders, Männer auch !
Schon im Kindergarten und v.a. in der professionellen
Heimerziehung braucht es die Genderperspektive
Auch bei unseren Gründervätern lohnt sich der Blick:
Wo ist das Verhalten von einer ausgeprägten
Bindungsangst gekennzeichnet ?
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