19.Leistungsstörung.VIIa

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Transcript 19.Leistungsstörung.VIIa

Schuldrecht AT, 16.06.2014
PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)
§ 5: Leistungsstörungen
VIII.Rücktritt und Befreiung von der Gegenleistung
1. Allgemeines
Beispiel:
A hat am 10.12.2013 bei dem Händler H ein Buch über
die Geschichte des Plattdeutschen bestellt, das er
seinem Vater zu Weihnachten schenken will. H teilt ihm
indes schon am 12.12. mit, dass das Buch derzeit nicht
lieferbar sei. A sucht sich deshalb ein anderes Geschenk
und ist recht erstaunt, als ihm der H Ostern 2014 mitteilt, dass das bestellte Buch nun da sei und A es sich
abholen könne. A meint, dass die Bestellung nach so
langer Zeit doch wohl nicht mehr gültig sei. H besteht
auf der Durchführung des Geschäfts.
Wie ist die Rechtslage?
a. Grundideen
• Bei einem gegenseitigen Vertrag stellt sich bei
Leistungsstörungen stets die Frage der Auswirkungen
auf die Gegenleistungspflicht.
• Eine Befreiung von der Gegenleistungspflicht setzt
grundsätzlich einen Rücktritt des Gläubigers voraus.
• Der Rücktritt ist ein Gestaltungsrecht, das gemäß
§ 349 BGB durch Erklärung ausgeübt wird.
• Durch den Rücktritt wandelt sich das Schuldverhältnis
in ein Rückabwicklungsverhältnis: bereits ausgetauschte Leistungen sind zurückzugewähren (§§ 346ff. BGB).
• Eines Rücktritts bedarf es für den Wegfall der
Gegenleistungspflicht bei Unmöglichkeit der Leistung
nicht (§ 326 I 1 BGB), weil der Gläubiger hier keine
Durchführung erzwingen kann.
• Die Voraussetzungen des Rücktrittsrechts sind
parallel zum Schadensersatz geregelt:
Rücktrittsrechte
§ 323 I BGB
(Ť 281 BGB)
Rücktritt wegen
Nicht- oder
Schlechtleistung
§ 324 BGB
(Ť 282 BGB)
Rücktritt wegen
Schutzpflichtverletzung
§ 326 V BGB
(Ť 283 BGB)
Rücktritt wegen
Ausschlusses der
Leistungspflicht
nach § 275 BGB
• Ein Rücktrittsrecht kann auch vereinbart werden!
• Der Wegfall der Gegenleistungspflicht bei Unmöglichkeit der Leistung steht gesondert in § 326 I 1 BGB
• Wie beim Schadensersatz statt der Leistung möchte
der Gläubiger auch beim Rücktritt Abstand von der
Durchführung des Vertrags nehmen.
• Rücktritt und Schadensersatz statt der (ganzen)
Leistung führen beide zum Erlöschen des
eigentlichen vertraglichen Leistungsprogramms.
• Rücktritt und Schadensersatz statt der Leistung
haben deshalb grundsätzlich die gleichen
Voraussetzungen.
• Ein Rücktrittsrecht setzt aber kein Vertretenmüssen
der Pflichtverletzung durch den Schuldner voraus.
• Der Schuldner muss beim Rücktritt anders als beim
Schadensersatz statt der Leistung grds. nichts
zusätzliches leisten, sondern nur auf den Vertrag
verzichten.
b. Der Rücktritt in der Fallprüfung
Anspruch entstanden:
• Durch einen Rücktritt können Rückgewährsansprüche nach § 346ff. BGB entstehen.
Anspruch nicht untergegangen:
• Durch den Rücktritt erlöschen die primären
vertraglichen Leistungspflichten.
• Nach § 326 I 1 BGB entfällt die Gegenleistungspflicht
grundsätzlich bei Ausschluss der Leistungspflicht
nach § 275 BGB.
Anspruch durchsetzbar:
• Ansprüche aus Rücktritt sind Zug-um-Zug zu erfüllen
(Einrede des § 348 BGB).
c. Voraussetzungen eines wirksamen Rücktritts
• Rücktrittsrecht (vertraglich oder gesetzlich) und
• Rücktrittserklärung (§ 349 BGB); wenn eine Erklärung
(noch) fehlt, sollte regelmäßig geprüft werden, ob eine
entsprechende Erklärung noch möglich ist!
• Ein Vertretenmüssen ist hier nicht zu prüfen!
d. Rücktritt und Schadensersatz
§ 325 BGB. Schadensersatz und Rücktritt
Das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, wird durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen.
• Der Gläubiger muss nicht wählen und kann seine
Schadensersatzansprüche (statt und/oder neben der
Leistung usw.) mit einem Rücktritt kombinieren.
Beispiel:
K hat bei dem Antiquitätenhändler A einen Sekretär im
Empirestil für 3000 € in bar gekauft, den A zum Haus des
K liefern soll. Bevor es aber dazu kommt, entdeckt der X
den Sekretär im Geschäft des A. X bietet dem A sogleich
mit 4000 € eine höhere Summe, als sie K gezahlt hat. A
wird deshalb schwach und verkauft und übereignet den
Sekretär sogleich an X. Als K hiervon erfährt, ist er empört und tritt vom Vertrag mit A zurück. Er verlangt
Rückzahlung des Kaufpreises und zugleich Schadensersatz statt der Leistung, weil er den Sekretär selbst für
5000 € an den Y hätte weiterverkaufen können. Zurecht?
• Beachte: Bei der Kombination von Rücktritt und
Schadensersatz darf es nicht zu einer
Doppelkompensation kommen!
2. Das Rücktrittsrecht nach § 323 BGB
§ 323 BGB. Rücktritt wegen nicht oder nicht
vertragsgemäß erbrachter Leistung
(1) Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner
eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so
kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine
angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung
bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten. […]
a. Anwendungsbereich
• § 323 BGB entspricht § 281 BGB und regelt die Fälle der
Nicht- und Schlechtleistung.
• Bei der Nichtleistung genügt die Nichterfüllung einer
wirksamen, fälligen und einredefreien Leistungspflicht.
Weder müssen die Voraussetzungen des Verzugs, noch
ein Vertretenmüssen des Schuldners vorliegen.
Beispiel:
A hat sich bei dem Schneider S einen neuen Anzug bestellt, den der S maßanfertigen soll. Kurz nach der Annahme des Auftrags erkrankt S schwer. Auch nach einigen
Wochen ist nicht absehbar, wann er genesen wird. A
benötigt aber langsam dringend einen neuen Anzug. Er
erklärt deshalb dem S, dass er unter diesen Umständen
von ihrem Vertrag Abstand nehme und einen anderen
Schneider beauftragen werde. S entgegnet entrüstet,
dass er für seine Krankheit nichts könne und den Anzug
wohl noch schneidern wolle. Wie ist die Rechtslage?
• Bei Schlechtleistungen greift häufig ein spezielles
Gewährleistungsrecht (u.a. §§ 434ff., 633ff. BGB) ein,
das aber weitgehend auf § 323 BGB verweist.
• Bei irreparablen Schlechtleistungen gilt § 326 V BGB!
b. Erfolgloser Ablauf einer angemessenen Nachfrist
• Hat der Schuldner seine Leistung (noch) nicht oder
schlecht erbracht, kann der Vertrag grundsätzlich noch
durchgeführt werden.
• Um den Vorrang der Vertragserfüllung zu sichern,
setzt ein Rücktrittsrecht nach § 323 I BGB voraus, dass
der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine Frist zur
Leistung gesetzt hat.
• Die Frist muss angemessen sein, dh. sie muss dem
Schuldner Zeit lassen, eine bereits weitgehend
vorbereitete Leistung noch zu erbringen.
• Im Übrigen gilt für die Fristsetzung nach § 323 I BGB
das für § 281 BGB Gesagte entsprechend.
• Wäre eine Fristsetzung wegen der Art der Pflichtverletzung sinnlos, so tritt eine Abmahnung an ihre Stelle.
c. Entbehrlichkeit der Fristsetzung
• Wie bei § 281 BGB ist auch bei § 323 BGB eine
Fristsetzung in manchen Fällen entbehrlich.
• § 323 II Nr. 1 und 3 BGB enthalten § 281 II BGB
entsprechende Ausnahmen, wenn
– der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig
verweigert (§ 323 II Nr. 1 BGB).
– besondere Gründe vorliegen, die unter Abwägung
der beiderseitigen Interessen den sofortigen
Rücktritt rechtfertigen (§ 323 II Nr. 3 BGB).
Beispiel:
Bauer B hat für die Frühjahrssaat bei dem H Dünger
bestellt. H liefert nach einigen Ausflüchten erst Anfang
April. Der Dünger stellt sich überdies als unbrauchbar
heraus. B will nun fristlos zurücktreten. Zurecht?
• § 323 II Nr. 2 BGB enthält eine weitere Ausnahme,
wenn „der Schuldner die Leistung zu einem im Vertrag
bestimmten Termin oder innerhalb einer bestimmten
Frist nicht bewirkt und der Gläubiger im Vertrag den
Fortbestand seines Leistungsinteresses an die
Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden hat“.
Unterscheide:
• „relative Fixgeschäfte“ nach § 323 II Nr. 2 BGB.
• „absolute Fixgeschäfte“, die mit Ablauf des vertraglich
bestimmten Datums unmöglich (§ 275 BGB) werden
und für die § 326 V BGB gilt.
Beispiel:
Die Kleiderboutique K hat bei M Mode für die Wintersaison bestellt, die „spätestens“ zum 20.8. geliefert werden soll. M liefert erst am 23.8. an. Kann K zurücktreten?
d. Rücktritt vor Eintritt der Fälligkeit
§ 323 BGB […] (4) Der Gläubiger kann bereits vor dem
Eintritt der Fälligkeit der Leistung zurücktreten, wenn
offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des
Rücktritts eintreten werden.
Beispiel:
Der Händler H hat beim Fabrikanten F zehn Neuwagen
bestellt, die F Ende Juli liefern soll, und die H bereits an
Kunden weiterveräußert hat. F meldet sich allerdings
am 1.5. und kündigt dem H an, das er die Neuwagen
nicht liefern werde, weil er die Produktlinie einstellen
werde. H will vom Vertrag mit F zurücktreten und
außerdem Schadensersatz verlangen. Zurecht?
• § 323 IV BGB soll nach h.M. bei § 281 BGB analog
anwendbar sein.
e. Sonderregelungen bei Teil- und Schlechtleistung
i. Teilleistung
• Wenn der Schuldner nur einen Teil der Leistung nicht
erbringt, kann der Gläubiger hinsichtlich dieses Teils
des Vertrags unter den allgemeinen Voraussetzungen
zurücktreten.
• Von dem ganzen Vertrag kann der Gläubiger nur
zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat (§ 323 V 1 BGB; entspricht § 281 I 2 BGB).
Beispiel (nach BGH NJW 2010, 146):
V hat K mit notariellem Vertrag eine Wohnung verkauft.
K sollte den Kaufpreis z.T. durch Werkleistungen an dem
Haus erbringen. K zahlte den Preis, aber erbrachte nur
einen Teil der Leistungen. Nach Ablauf einer angemessenen Frist erklärt V den Rücktritt. Zurecht?
ii. Schlechtleistung
• Die Schlechtleistung ist ein Fall der qualitativen
Teilunmöglichkeit.
• Ein teilweiser Rücktritt wäre hier in der Weise
denkbar, dass die Gegenleistung verhältnismäßig
gemindert würde.
• Ein allgemeines Minderungsrecht kennt das BGB
aber nicht, es gibt nur spezielle Vorschriften bei den
einzelnen Verträgen: § 441 BGB (Kaufvertrag); § 536
BGB (Mietvertrag); § 651d BGB (Reisevertrag).
• Bei einer Schlechtleistung kann der Gläubiger vom
Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist (§ 323 V 2 BGB; entspricht
§ 281 I 3 BGB).
• Beweislast liegt beim Schuldner.
f. Ausschluss des Rücktritts
§ 323 BGB. (6) Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn
der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt
berechtigen würde, allein oder weit überwiegend
verantwortlich ist oder wenn der vom Schuldner nicht
zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu
welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist.
• Wenn die Nicht- oder Schlechtleistung dem
Gläubiger zuzurechnen ist oder in seine Risikosphäre
fällt, müssen seine Rechte eingeschränkt werden.
• Beim Schadensersatz lässt sich eine Mitverantwortlichkeit des Gläubigers über § 254 BGB
anteilsmäßig berücksichtigen.
• Beim Rücktritt ist eine solche flexible Lösung nicht
möglich: Entweder Rücktritt oder nicht.
Beispiel:
A hat für die neue Ballsaison die Schneiderin S mit dem
Nähen eines neuen Kleides beauftragt. Den ersten
Termin zum Maßnehmen versäumt A, beim zweiten ist
S krank, dann kommt A wieder etwas dazwischen.
Schließlich steht der erste Ball vor der Tür, und das
Kleid ist noch nicht fertig. A will jetzt vom Vertrag mit S
zurücktreten. Zurecht?
§ 323 VI BGB enthält zwei Fallgruppen:
• Der Gläubiger ist für den Rücktrittsgrund allein oder
weit überwiegend verantwortlich. § 276 BGB ist nur
auf den Schuldner zugeschnitten und deshalb nicht
unmittelbar, sondern bloß entsprechend anwendbar.
• Der nicht vom Schuldner zu vertretene Rücktrittsgrund tritt während des Annahmeverzugs ein.
3. Das Rücktrittsrecht nach § 324 BGB
§ 324 BGB. Rücktritt wegen Verletzung einer Pflicht
nach § 241 Abs. 2
Verletzt der Schuldner bei einem gegenseitigen Vertrag
eine Pflicht nach § 241 Abs. 2, so kann der Gläubiger
zurücktreten, wenn ihm ein Festhalten am Vertrag nicht
mehr zuzumuten ist.
• § 324 BGB entspricht § 282 BGB. Das Rücktrittsrecht
des Gläubigers hängt davon ab, ob die Durchführung
des Vertrags noch zumutbar für ihn ist.
• Das Rücktrittsrecht nach § 324 BGB setzt kein
Vertretenmüssen des Schuldners voraus.
• Ob ein Verschulden des Schuldners vorliegt, kann
aber im Rahmen der Zumutbarkeit berücksichtigt
werden.
• § 324 BGB ist entsprechend anwendbar, wenn der
Schuldner bereits eine vorvertragliche Schutz- oder
Rücksichtnahmepflicht verletzt hat.
Beispiel:
A hat von dem B einen Gebrauchtwagen gekauft. Dabei
hat B dem A versichert, dass es sich nicht um einen
Unfallwagen handelt, obwohl er sich daran hätte
erinnern müssen, dass sein Sohn einmal einen kleinen
Zusammenstoß mit dem Auto hatte. Als A einige
Monate später die entsprechenden Spuren entdeckt, ist
er empört und will zurücktreten. Zurecht?
• Ein etwaiges Mitverschulden des Gläubigers ist im
Rahmen der Zumutbarkeit zu berücksichtigen.
Literaturhinweise:
• Coester-Waltjen, Rücktritt und Widerruf Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Jura
2009, 820-823
• Skamel, Die angemessene Frist zur Leistung
oder Nacherfüllung, JuS 2010, 671-675