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CHRISTOPH RIEDWEG
Orphisches bei Empedokles
Von der schillernden Gestalt des sizilianischen Naturphilosophen Empedokles geht seit
jeher eine starke Faszination aus. Es gen gt, auf Lukrez1 oder die Empedokles-Dichtungen
H lderlins2 und des Engl nders M tthew Arnold3 zu verweisen4. Die Faszination gr ndet
sich au er auf das geheimnisumwitterte Lebensende5 und die eigent mliche Naturlehre
mit Liebe und Streit als treibenden Kr ften wohl nicht zuletzt auch auf das aufsehenerregende, den Bereich des Normal-Menschlichen sprengende Bild, welches dieser Dichterphilosoph zu Beginn seiner «Reinigungen» (Καθαρμοί) von sich selbst zeichnet (B 112 D.K.6):
ώ φίλοι, οι μέγα άστυ κατά ξανθού 'AKpayavrros
ναίετ' αν' άκρα ττόλεο$, αγαθών μελεδή μόνες έργων,
(ξείνων αιδρΐρι λιμένε$, κακότητο$ άπειροι,)7
χαίρετ'· εγώ δ' υμΐν θεό$ άμβροτο$ ουκέτι θνητός
ττωλέΰμαι μετά πασι τετιμένο$ ώσπερ εοικα8
ταινίας τε περίστεπτρς στέφεσίν τε θαλείοι$·
<ττασι δέ> 9 τόΐ$ αν ΐκωμαι ες άστεα τηλεθάοντα
άνδράσιν ήδέ γυναιξί σεβίζομαι* οι δ' άμ* έπονται
μύριοι έξερέοντε$ δπη προς κερδρ$ άταρπό^,
οι μεν μαντοσυνέων κεχρήμένοι, οι δ1 επί νούσων
παντοίων έπυθοντο κλυεΐν έυηκέα βάξιν,
δηρόν10 δη χαλεπησι πεπαρμένοι <άμφ* όδύνησιν)11.
5
ίο
\ Cf. jetzt Sedley D., The Proems of Empedocles and Lucretius. GRBS 30 (1989) 269 ff., der Empedokles*
Einflu m. E. aber bersch tzt, ferner Edwards M. J., Lucretius, Empedc^les and Epicurean Polernics.
A&A 35 (1989) 104ff. und W hrle G., Carrhina divini pectoris oder prodesse und dfltctare bei Lukrez
und Empedokles. WS 104 (1991) 119 ff. (alle Artikel mit weiteren Literaturangaben).
2
«Tod des Empedokles»; cf. dazu Kranz W, Empedokles — Antike Gestalt und romantische Neusch pfung, Z rich 1949, i57 ff. und K lscher U., Empedokles und H lderlin, Frankfurt am Main 1965.
3
«Empedocles on Etna» (dramatisches Gedicht in zwei Akten, 1852 anonym erschienen).
4
Cf. allgemein zum Nachleben Kranz (wie Arirn. 2) 72 ff.
5
Cf. Kirk G. S.-Raven J. E.-Schofield M;, The Presocratic Philosophers. A Crirical History wich a
Selection of Texts, Cambridge 19832, 281 «the tale of his leap. into the crater of Etna (Diog. L. VTII,
67—72, DK 31 AI) is what has always captured the Imagination».
6
= Katharmoi fr. l Zuntz = fr. 100 Gall votti = fr. 102 Wright = fr. l Inwood (die von Diels H.Kranz W [Hgg.], Die Fragmente der Vorsokr tiker I, Berlin 195l6 abweichende Z hlung der modernen
Ausgaben wird im folgenden nur bei den f r unsere Frage besonders wichtigen Empedpklesfragmenten
angegeben).
7
versum e Diod. XIII,83,1 ins. Sturz.
8
codd.; εοικεν ΑΡ.
9
suppl. Wilamowitz; τοΤσιν αμ* αν qodd; <ττασι'δ*> δμ' (ευτ*) (Ρ2) αν Wright; τοϊσιν <δ' αλλά γ'>
vei τοΐσιν <δ' αν άλλα y*> R sler.
10
corr. Sylburg; σιδηράν cod. Clem.
11
suppl. Bergk; <άμφι φόβοιο^ν) GaUavbtti.
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Orphisches bei Empedokles
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«Freunde, die ihr die gro e Stadt des gelblichen Akragas-Flusses
oben auf12 der H he der Zitadelle bewohnt, auf gute Werke bedacht,
<ihr Zufluchtsst tten voller Ehrfurcht f r die Fremden13, mit Unheil nicht vertraut,)14
seid gegr t. Ich gehe euch15 als unsterblicher Gott, nicht mehr als
Sterblicher, umher, bei allen geehrt, wie man sieht16,
mit Binden und Blumengeflechten rings umkr nzt.
<Von allen), M nnern und Frauen, in deren bl hende St dte ich
komme, werde ich verehrt. Sie folgen mir nach,
unz hlige, und fragen, wohin der Weg zum Vorteil geht,
wobei die einen der Orakelspr che bed rfen, andere sich bei
mannigfaltigen Krankheiten nach einem heilenden Wort erkundigen,
lange schon von schlimmen <Schmerzen ringsum) durchbohrt.»
Ein merkw rdiger Aufzug — eine Geb rde, wie sie Bhagwan, Uriella17 und anderen modernen wie auch antiken Wunderheilern und Sektenf hrern eher anzustehen scheint als
12
13
14
15
16
17
Anders R sler W., Der Anfang der <Katharmoi> des Erapedokles. Hermes 111 (1983) 171 «bis zur
Akropolis hinau6> (nach seiner Ansicht hat Empedokles hier «die gesamte, zur Burg hin ansteigende
Stadt» im Blick und l dt nicht nur vornehme Freunde, die auf der Akropolis wohnten, sondern «potentiell
jeden Akragantiner ein, sich angesprochen zu f hlen» [172]; deutet die Anrede der φίλοι als αγαθών
μελεδήμονες έργων nicht doch eher auf eine politische Elite? Cf. Pindar L 11,93 ber Theron von
Akragas ... τεκεΐν μη τιν' εκατόν γε ετέων ττόλιν φίλοις άνδρα μάλλον | εύεργΈταν ττραπίσιν άφθονέστερόν τε χέρα | θήρωνο$).
Cf. wiederum Pindar l. 11,5 Θήρωνα ... | γεγωνητέον, δττι δίκαιον ξένων κτλ., ferner XII,17.
Gegen die traditionelle Eingliederung dieses von Diodor XIII,83,1 berlieferten Verses in unser Fragment pl diert Zuntz G., Persephone. Three Essays on Religion and Thought in Magna Graecia, Oxford
1971, 187 ff. (diesem zustimmend R sler [wie Anm. 12] 172 Anm. 7); doch cf. Wright M. R. (Hg.),
Empedocles: The Extant Fragments. Edited, with an Introduction, Commentary, and Concordance, New
Haven-London 1981, 265 f.
Dativus ethicus, c£ Zuntz (wie Anm. 14) 190, Wright (wie Anm. 14) 266. Anders R sler (wie Anm. 12)
173, der υμΐν zu μετά (dies die nach seiner Ansicht richtige Akzentuierung) zieht.
Die Deutung von ώσττερ εοικα (Wright [wie Anm. 14] 266 bevorzugt die kctio facilior der AP εοικεν und
bersetzt « s it seems») ist umstritten: Reinhardt K., Empedokles, Orphiker und Physiker. In: Gadamer
H.-G. (Hg.), Um die Begriffswelt der Vorsokratiker (WdF 9), Darmstadt 1968, 499 ff. (= Reinhardt K.,
Verm chtnis der Antike. Gesammelte Essays zur Philosophie und Geschichtsschreibung [hg. von Becker
C], G ttingen 1960, 102 ff. = CPh 45 [1950] 171 £) und Zuntz (wie Anm. 14) 189 f. verstehen das
Syntagma in Anlehnung an Diels im Sinn von «wie es mir zusteht»; doch f r den pers nlichen Gebrauch
des Verbums in dieser (sekund ren) Bedeutung gibt es - im Unterschied zum Kompositum (Reinhardt
a. O., 499 verweist auf Ilias 9,392 ό$ τι$ οι τ' έπέοικε) — keine wirkliche Parallele, c£ Rpsler (wie Anm.
12) 174. R slers eigene Deutung «so jedenfalls [meine Hervorhebung] ist der Anblick, welchen ich biete
...» (a.O., 172) erscheint ebenfalls fragw rdig; denn dagegen, da ώσττερ εοικα ein «relativierender
Zusatz» zur Selbstbezeichnung als θεό$ άμβροτος w re, spricht u. a. B 113 D.-K. αλλά τί τοΐσδ* έπίκειμ'
ώσεί μέγα χρήμα τι ττράσσων, | ει θνητών περίειμι ττολυφθερέων ανθρώπων (R sler a. Ο., 175 h lt
dieses Fragment f r «irritierend»). Der Nebensatz' ώσττερ εοικα dient m. E. vielmehr zur Bekr ftigung
der vorhergehenden Aussage μετά πασι τετιμένο$ («wie man sieht», «offenkundig»; cf. u. a. Soph. El.
516 άνειμίνη μεν, ώ$ εοικα$, ου στρέφ-η); vielleicht wird damit auf die uns unbekannte konkrete Situation, den festlichen Rahmen der Rezitation, angespielt
Schweizerische Geistheilerin und Leiterin der Sekte «Rat Lux» (eigentlicher Name: Erika Bertschinger),
die von sich behauptet, Sprachrohr Gottes zu sein, und in Schwellbrunn (AR) eine «mediale natur rztliche» Praxis f hrt (cf. NZZ 251, 28.10.92, 11; NZZ Fernausgabe 14, 19.1.94, 5 und 63, 17.3.94, 11;
ferner Mainzer AZ 28.1.94, 5; ber ihr Wirken wurde mehrfach in deutschen und schweizerischen
Fernsehsendungen berichtet).
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Christoph Riedweg
einem der entscheidenden Vertreter jener frühgriechischen Naturphilosophie, der zuweilen
vereinfachend der Durchbruch vom Mythos zum Logos nachgesagt wird18.
In der Tat sind bei Empedokles religiöse Traditionen und rationale, gewissermaßen
naturwissenschaftliche Welterklärung eine besonders enge, uns z.T. befremdlich anmutende Verbindung eingegangen19. Die geographische Herkunft -=· Empedokles stammte
bekanntlich aus Akragas auf Sizilien - dürfte dabei eine nicht unerhebliche Rolle gespielt
haben. Es ist bezeichnend, daß Pindar in der zweiten olympischen Ode, die er auf einen
Sieg Therons, des Tyrannen von Akragas, im Wagenrennen verfaßte, Gedanken über das
Leben nach dem Tod äußert, die, wie Hugh LJoycLJones vor wenigen Jahren erneut gezeigt
hat, deutlich orphisch geprägt sind^°. Die Ode wurde 476 v. Chr. aufgeführt., Offensichtlich
hatten orphische Vorstellungen spätestens in der Jugendzeit des wohl um 495 v. Chr. geborenen Empedokles21 in seiner Vaterstadt bereits Fuß gefaßt22.
Daß verschiedene Lehren der Orphiker diesem Vorsokratiker nicht fremd waren, sondern im Gegenteil sein Denken wenigstens teilweise geprägt haben^ ist schon längst vermu-
18
19
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21
22
Cf. den Titel des berühmten Buches von Nesde W, Vom Mythos zürn Logos. Die Selbstentfaltung des
griechischen Denkens von Homer bis auf die Söphistik und Sokrates. Stuttgart 1940; ferner z.B. Kirk—
Raven—Schofield (wie Anm. 5) 73; im Zusammenhang mit Empedokles Gallavotti C. (Hg-)> Empedöcle,
Poema fisico e lustrale, Verona 1975, ix etc.; siehe allgemein auch Gemelli Marciano in: Grünwald M.
(Hg.), Die Anfange der abendländischen Philosophie. Fragmente der Vorsokratiker. Übersetzt und erläutert von Grünwald M. Mit einer Einführung von Gemelli Marciano M. Laura, Zürich-München 1991,
7 f. «Wenn man heutzutage dazu neigt, die scharfe Trennung zwischen Mythos und Logos zu revidieren,
die aus einer Hegel verpflichteten Betrachtungsweise der Prulosophiegeschichte hervorgegangen ist, so
bleibt doch diese Zweiteilung bei der Beschäftigung mit den Vorsokratikern im Hintergrund stets gegenwärtig; sie wird zum Teil durch den Anschein bestätigt, zeigt aber zahlreiche Zwischentöne, wenn man
sie ernstlich^an Hand der direkten Zeugnisse von den ersten Vorsokratikern prüft und dem Urteil
der Autoren gegenüberstellt, die dieser Epoche viel näher gestanden haben, dem des Platon und des
Aristoteles».
Cf. u.a. Becker O., Das Bild des Weges und verwandte Vorstellungen im frühgriecnischen Denken
(Hermes Einzelschriften 4), Berlin 1937, 147 «Die konstruktive Kraft des empedokleischen Weltbildes
beruht auf einer merkwürdig innigen Vereinigung von mythischer Denkweise mit scharfer naturwissenschaftlicher Beobachtung»; Nestle (wie Anm. 18) 113; Lloyd G. E. R., Magic, Reason and Experience:
Studies in the Origin and Development of Greek Science, Cambridge 1979, 33 ff. etc.
LJoyd-Jones H., Pindar and the Afterlife. In: Greek Epic, Lyric, and Tragedy. The Academic Papers of
Sir H. Lloyd-Jones, Oxford 1990, 80f£ (= Entr. Fond. Hardt 17 [1985] 245-83 plus Addendum von
1989); cf. u.a. bereits Farnell L. R., The Works of Pindar. Transläted, with Literary and Critical Commentaries. Vol. i: Translation in Rhythmical Prose with Literary Comments, London 1930, 15; auch Schadewaldt W, Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen. Die Vorsokratiker und ihre Voraussetzungen
(Tübinger Vorlesungen Band 1), Frankfurt am Main 1978,.435 etc
Die genauen Lebensdaten sind nicht bekannt; die Besprechung der Zeugnisse durch Wright (wie Anm.
14) 3ff, fuhrt zum Ergebnis, daß «Empedocles* dates are approxiraately 494^-434 B.C.» (6); ähnlich
Guthrie W. K. C., A History of Greek Philosophy H: The Presocratic Tradition from Parmenides to
Democritus, Cambridge 1965,128; c f. auch Kirk - Raven-Schofield (wie Anm. 5) 281; Inwood B. (Hg.), (
The Poem of Empedoclcs. A Text and Translation with an Introduction (Phoenix Suppl. 29), Toronto—
Buffalo-London 1992, 6 ff. etc.
,
Cf. schon Bignonc E., Empedöcle. Studio critico. Traduzione, commento dolle testimonianze e dei frammenti (Studia philologica 1), Rom 1916 (Repr. 1963), 44 ff.; Corriford E M., From Religion to Philosophy.
A Study in the Origins of Western Speculation, New York 1957 (= Cambridge 1911), 228 f.; dens.,
Mystery Religions and Pre-Socratic Philosophy. GAH 4 (1953) 566; Jaeger W., The Theology of the Early
Greek Philosophers (The Gifford Lectures 1936), Oxford 1947,132 ( = ders., Die Theologie der frühen
griechischen Denker, Stuttgart 1953 [Repr. 1964], 151 f.) etc.
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Orphisches bei Empedokles
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tet worden23. Wenn im folgenden die angesichts der fragmentarischen berlieferung nicht
nur der Empedokleischen, sondern auch der orphischen Dichtung ohne Zweifel recht
heikle Frage mit der gebotenen Behutsamkeit neu aufgerollt werden soll, so scheint ein
solches Unterfangen vor allem deshalb gerechtfertigt, weil unser Wissen ber die Orphik
in den letzten Jahrzehnten durch einige sensationelle Funde betr chtlich erweitert worden
ist. So kann es heute etwa anders als noch zu Otto Kerns oder Walter Kranz* Zeiten
dank des Dervenipapyrus24 als gesichert gelten, da schon um 500 v.Chr. eine orphische
Theogonie in Umlauf war25. Die 1978 erstmals publizierten, aus dem 5.Jh. v.Chr. stammenden Graffiti auf Knochen-Pl ttchen aus Olbia am Schwarzen Meer bezeugen ferner
nicht nur die Existenz von Orphikern in fr hklassischer Zeit (das Wort 'Ορφικοί war zur
berraschung vieler auf einem der Pl ttchen zu lesen); sie lassen vor allem auch die lange
Zeit umstrittene und insbesondere von Wilamowitz geleugnete26 innere Zusammengeh rigkeit von Orphik und bakchisch-dionysischen Initiationen27 unzweifelhaft erken23
24
25
26
27
Cf. bes. Kern O., Empedokles und die Orphiker. AGPH l (1888) 498 ff. und Rathmann W., Quaestiones
Pythagoreae Orphicae Empedocleae. Diss. phil., Halle 1933, deren Arbeiten freilich von bertreibungen
nicht frei sind; ferner Kranz W., Vorsokratisches III: Die Katharmoi und die Physika des Empedokles.
In: ders., Studien zur antiken Literatur und ihrem Fortwirken. Kleine Schriften (hg. von E. Vogt), Heidelberg 1967, 106 ff. (= Hermes 70 [1935] 111 ff.); auch dens. (wie Anm. 2) 28 f.; Nestle W, Griechische
Studien. Untersuchungen zur Religion, Dichtung und Philosophie der Griechen, Stuttgart 1948 (Repr.
Aalen 1968), 153 ff.; Guthrie W. K C, Orpheus and Greek Religion. A Study of the Orphic Movement,
London 19522, 231 f.; Armstrong A. H., An Introducrion to Ancient Philosophy, London 19573, 15
«Empedocles of Acragas is a magnificent figure in the f ll Orphic tradition of South Italy and Sicily»;
Guthrie (wie Anm. 21) 245 «Empedocles ... is in the Orphic ambience» etc.
Obwohl bereits 1962 entdeckt, ist dieser Papyrus noch immer nicht wissenschaftlich ediert (eine nicht
autorisierte, vorl ufige Ausgabe in ZPE 47, 1982, l*-12*).
C£ u. a. Burkert W, Orphism and Bacchic Mysteries: New Evidence and Old Problems of Interpretation
(Center for Hermeneutical Studies in Hellenis c and Modern Culture, Protocol of the Twenty-Eighth
Colloquy), Berkeley 1977, 2 f. und dens. (wie Anm. 28) 31; West M. L., The Orphic Poems, Oxford
1983, 108.
Wilamowitz-Moellendorff U v., Der Glaube der Hellenen II, Berlin 1932, 193 «Orpheus hat mit ihnen
(sc. den Dionysosmysterien) nichts zu tun»; cf. auch 199 «Wei irgendwer von orphischen Mysterien?
Die Modernen reden so entsetzlich viel von Orphikern».
Die enge Beziehung des Orpheus zu Dionysos und bakchischen Weihen geht an sich auch aus verschiedenen l ngst bekannten, aber nicht immer ausreichend beachteten antiken Zeugnissen deutlich genug
hervor. 1) Orpheus - Dionysos/Bakchos allgemein: Aisch. Bassar. TrGF 3, p. 138 Radt (= Ps.-Eratosthenes Catast 24 = OF test. 113) δια δε την γυναίκα εις "Αιδου καταβάς και ίδών τα εκεί οία ην,
τον μεν Διόνυσον ουκέτι έτίμα (sc. Orpheus), υφ' ου ην δεδοξασμένο$ κτλ. (dazu West M. L., Tragica
VI. BICS 30, 1983, 66 ff.); Paus. 9,30,9 (= OF test. 129) (im Zusammenhang mit το του Όρφέως
μνήμα erging an die Bewohner von Leibethra παρά του Διονύσου μάντευμα εκ Θράκης); Aristeides
Or. 41,2 Keil τους μεν ουν τελέους ύμνους τε και λόγους περί Διονύσου ΌρφεΤ και Μουσαίω παρώμεν κτλ.; 2) Orpheus/orphische Weihen - bakchische Initiationen: Plat. R. 364e3 ff. (= OF test. 90)
(unten bei Anm. 32; zwar sind die τελεταί hier nicht n her bezeichnet, doch die bereinstimmung mit
Phdr. 244d5 f£ [unten Anm. 38] zeigt, da es sich um dionysische Weihen handeln mu ); Damagetos
Epigr. (AP VII,9),5 (= OF<test. 126) (Orpheus) ός ττοτε και τελετάς μυστηρίδας ευρετο Βάκχου-,
Diodor 1,23,2 (= OF test. 95) Όρφέα γαρ εις Αίγυπτον (sc φασί) παραβαλόντα και μετάσχοντα
της τελετής και των Διονυσιακών μυστηρίων μεταλαβεΤν κτλ.; ders. 1,96,4 (= OF test. 96) Όρφέα
μεν γαρ των μυστικών τελετών τα πλείστα και τα περί την εαυτού πλάνην όργιαζόμενα και την
των εν Άιδου μυθοποιΐαν παρ* Αιγυπτίων άπενέγκασθαι. την μεν γαρ Όσίριδος τελετην τη Διονύσου την αυτήν είναι κτλ.; ders. IU,65,6 (= OF test. 23) (Orpheus lernte die dionysischen Mysterienweihen vom Vater und nderte πολλά των εν τοΤς όργίοις) διό και τάς υπό του Διονύσου γενομένας
τελετάς Όρφικάς προσαγορευθηναι; ders. V/75,4 τούτον δε τον θεόν (sc. Διόνυσον} γεγονέναι φασιν
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Christoph Riedweg
nen28. ber die Bedeutung und den geistigen Gehalt solcher bakchischer Weihen wiederum geben die ber hmten Goldbl ttchen, von denen 1985 im thessalischen Pelinna
zwei weitere Exemplare gefunden worden sind29, willkommenen Aufschlu 30. Kurzum,
die Voraussetzungen, um den Einflu der Orphik auf Empedokles ermessen zu k nnen,
sind heute auf jeden Fall entschieden g nstiger als noch vor wenigen Jahren.
Um den berblick zu erleichtern, sei vorausgeschickt, da die folgenden Ausf hrungen
in zwei Teile gegliedert sind. Im ersten soll z.T. im Anschlu an ltere Arbeiten den
inhaltlichen Ber hrungspunkten mit der Orphik nachgegangen werden, w hrend im Zentrum des zweiten eine formale Anlehnung steht: Es gibt bisher kaum beachtete Indizien
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29
30
εκ Διός και Φερσεφόνης κατά την Κρήτην, δν Όρφευς κατά τάς τελετάς παρέδωκε διασπωμενον
υπό των Τιτάνων; Cic. ND ΪΠ,58 (= OF test. 94) quarlum (sc. Dionysum habemus) love etLuna, CM sacra
Orpbica putantur con ci; Strabon 10,3,23 το φιλότεχνο v ... το περί τάς Διονυσιακός τέχνάς και τάς
Όρφικάς; Ovid Met. 11,68 amissoque dolens (sc. Lyaeus) sacrorum vate suorum (cf. auch 92 f.); Apollodor
Bibl. 1,15 (= OF test. 94) εύρε δε Όρφευς και τα Διονύσου μυστήρια; Pomponius Mela 2,17 montes
... Haemon et Rhodopen et Orbe/on, sacris Liberi palm et coetu Maenadum, Orpbeo pnmum initiante, celebrator,
Pl t. Alex. 2 (= OF test. 206) αί τήδε γυναίκες ένοχοι τοις 'Ορφικοί* ουσαι και τοις περί τον Διόννσον όργιασμοΐς κτλ.; Lact. Div. inst. 1,22,15 (= OF test. 99) Sacra Liberi pairisprimus Orpheus induxlt in
Graecia primusque celebravit in monte Boeotiae Tbebis ubi ber natus estproximo\ Theodoret Gr. ff. cur. 1,114
(= OF test, 100) (Isis- und Osirismysterien) ταύτα εκ της Αιγύπτου τα οργιά μαθών ό Όδρύσης
Όρφευς εις την Ελλάδα μετήνέγκε και την των Διονυσίων έορτήν διεσκεύασεν; Hdt. 11,81,2 (= OF
test. 216) in der l ngeren Fassung (unten Anm. 62); cf. auch E r. Hipp. 953 (= OF test. 213) Όρφέα
τ' άνακτ' έχων | βάκχευε κτλ.; Lukian Adv. indoct. 11 (= OF test. 118) κάκείνους (sc. τους Λεσβίους
φασίν) άνελομένους την μεν κεφαλήν (sc. Όρφέως) καταθάψαι ΐνάπερ νυν το Βακχεΐον αυτοΐς εστί;
3) Orpheus - nicht n her bezeichnete τελεταί: Ar. Ra. 1032 (== OF test. 90) Όρφεύς μεν γαρ τελετάς
θ' ήμΐν κατέδειξε κτλ.; Ps.-Eur. Rhes. 943 (= OF test. 91) μυστηρίων τε των απορρήτων φανά$ |
εδειξεν Όρφεύ$; Plat. Protag. 316d7 (= OF test. 92) (3 εγώ δε την σοφιστικήν τέχνήν φημι μεν είναι
πάλαιαν, του$ δε μεταχειριζομενον/s αυτήν των παλαιών ανδρών, φοβούμενους το επαχθές αυτής,
πρόσχημα ποιεΐσθαι και προκαλυπτεσθαι, τους μεν ποίησιν, οίον Όμηρόν τε και Ήσίοδον και
Σιμωνίδην) τοΟς δε ου τελετάς τε και χρησμωδίας, τους άμφί τε Όρφέα και Μρυσαΐον; Diodor
IV,25,3 (= OF test. 97) κάκεΐ (sc. in gypten) πολλά προσεπιμαθων μέγιστος έγένετο των Ελλήνων
εν τε ταΤς Θέολογίαις και ταΐς τελεταΐςκοίί ποιήμασι και μελωδίαις; Paus. 9,30,4 (= OF test. 93) Όρφεΐ
δε τω Θρακι πεποίηται μεν παρεστώσα ούτω Τελετή ... ό δε Όρφευς Ιμοι δοκεΤν υπερεβάλετο επών
κοσμώ τους προ αυτού και επί μέγα ήλθεν ισχύος οΐά πιστευόμενος εύρηκέναι τελετάς θεών και
i-ργων ανοσιών καθαρμούς νόσων τε ιάματα και <άπο>τροπάς μηνιμάτων θείων; Eus. ΡΕ 1,6,4 (=
OF test. 98) und X,4,4 (= OF test. 99a).
Auf allen drei Pl ttchen ist'der Name des Dionysos in Abk rzung eingeritzt; cf. Burkert W, Neue Funde
zur Orphik. Informationen zum Altsprachlichen Unterricht 2,2 (1980) 36 f., West M. L., The Orphics of
Olbia. ZPE 45 (1982) 17 ff., dehs. (wie Anm. 25) 17 f. und jetzt vor allem Vinogradov J. G., Zur sachlichen und geschichtlichen Deutung der Orphiker-Pl ttchen von Olbia. In: Borgeaud Ph. (Hg.), Orphisme
et Orphee, en Thonneur de Jean Rudhardt (Recherches et Rencontres 3), Genf 1991, 77 ff., ferner
Bottini A., Archeologia della salvezza. Uescatologia greca nelle testimoni nze.archeologiche (Biblioteca
di archeologia 17), Maiknd 1992,151 ff. und Zhmud* L, Orphism and Grafied from Olbia. Hermes 120
(1992) 159 ff, (da auch zur Lesart Όρφικόί).
Publiziert von Tsantsanoglou K.-Parassoglou G. M., Two Gold Lamellae from Thessaly. Hellenika (Thes- .
saloriike) 38 (1987) 3ff.;,cf. dazu u.a. Lioyd-Jones (wie Anm. 20) 105f£; Segal Ch-, Dionysus and the
Gold Tablets from Pelinna. GRBS 31 (1990) 441 ££; Graf F., Textes orphiques et rituel bacchique. A
propos des lamelies de Pelinna. In: Borgeaud Ph. (Hg.), Orphisme et Orphee, en Thonneur de Jean* '
Rudhardt (Recherches et Rencontres 3), Genf 1991, 87 ff. und dens. (wie Anm. 50) 239ff.
Da die Goldbl ttchen nicht pythagoreisch sind, wie noch Zuntz (wie Anm. 14) zu beweisen versuchte
(cf. 343. 385. 392 f.), sondern mit bakchisch-dionysischen Weihen in Zusammenhang stehen, ging bereits
aus dem 1974 ver ffentlichten Bl ttchen von Hipponion klar hervor (V. 16 μύσται καΐ βάκχοι; cf.
Burkert [wie Anm. 28] 35) und wird jetzt durch die Pelinna-Bl ttchen erneut best tigt (cf. V. 2 ειπείν
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Orphisches bei Empedokles
39
daf r, da sich Empedokles in der literarischen Form seines Naturgedichtes orphische
Mysterienlogoi zum Vorbild genommen hat.
Versucht man als erstes, Empedokles' guruartiges Erscheinungsbild, von dem wir ausgegangen sind (B 112 D.-K.), in das sozio-kulturelle Umfeld seiner Zeit einzuordnen, so
ist auf bemerkenswerte hnlichkeiten mit Platons Schilderung orphischer Wanderpriester
hinzuweisen31. Diese werden im zweiten Buch des «Staates» (364b5ff.) zur Illustration f r
die popul re, von Platon kritisierte Anschauung angef hrt, wonach ungerechtes Handeln
n tzlicher und eintr glicher ist als gerechtes und sogar die G tter vielen guten Menschen
Ungl ck und ein schlimmes Leben, den b sen aber Gl ck und Reichtum zuteilen:
άγύρται δε και μάντεις έτη πλουσίων θύρας ίόντες ττείθουσιν ως εστί παρά σφίσι
δύναμις εκ θεών ττοριζομένη θνσίαις τε και έπωδαΐς, είτε τι αδίκημα του γέγονεν
αύτοϋ ή προγόνων, άκεΐσθαι μεθ' ηδονών τε και εορτών εάν τε τίνα έχθρόν πημήναι
έθέλτ), μετά σμικρών δαπανών ομοίως δίκαιον άδίκω βλάψει32, έπαγωγαΐ$ τισιν και
καταδέσμοις τους θεούς, ως φασιν, πείθοντες σφισιν υπηρετεΐν ... (e3) βίβλων δε
ομαδόν παρέχονται Μουσαίου και Όρφέως, Σελήνης τε και Μουσών εκγόνων, ως
φασι, καθ' ας θυηπολουσιν, πείθοντες ου μόνον ιδιώτας άλλα και πόλεις, ως άρα
λύσεις τε και καθαρμοί αδικημάτων δια θυσιών και παιδιας ηδονών εισι μεν έτι
ζώσιν, εισι δε και τελευτήσασιν, ας δη τελετάς καλουσιν, αϊ των εκεί κακών άπολύουσιν ημάς, μη θύσαντας δε δεινά περιμένει.
«Bettelpriester und Seher aber gehen zu den T ren der Reichen und reden ihnen ein, sie
h tten das von den G ttern durch Opfer und Zauberspr che erlangte Verm gen33, wenn
einer selbst oder ein Vorfahre irgendein Unrecht begangen habe, es mit Lustbarkeiten und
Festen zu heilen; und wenn einer einen Feind sch digen m chte, so wird er mit geringem
Aufwand einem Gerechten gleicherma en wie einem Ungerechten Schaden zuf gen; durch
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Φερσεφόναι σ* ότι Βάκχιος αυτός έλυσε). - Dem Vernehmen nach sind inzwischen auf Lesbos (cf.
AR 35 [1988/9] 93) und in Pherai weitere Bl ttchen gefunden worden.
Der Zusammenhang wird angedeutet bei Kern (wie Anm. 23) 505 «Und macht der sic ische Gaukler
und Wundermann, der seine Fertigkeiten so gerne anpreist, nicht denselben Eindruck auf uns, wie ihn
Orpheus Musaios und die anderen G tters hne auf Plato ausge bt haben? Er wird nicht nur aus den
Gedichten der Orphiker Anregung gesch pft haben, sondern auch in den Aeu erlichkeiten des Lebens
sich an die Gebr uche dieser Sekte angeschlossen haben, wie denn das Verbot des Fleischgenusses und
Aehnliches geradezu von ihm berliefert wird»; cf. ferner Rathmann (wie Anm. 23) 94; Kranz (wie Anm.
23) 108 £ und dens. (wie Anm. 2) 28. 36; Guthrie (wie Anm. 23) 231 «There was much in him of the
OrpbeoteksUs»\ R sler (wie Anm. 12) 179. - Burkert (wie Anm. 35) 6 und ders. (wie Anm. 40) 35 £
verzichtet auf einen direkten Vergleich mit den orphischen Wanderpriestern; er fuhrt Empedokles zusammen mit Thaletas und Epiroenides von Kreta lediglich als Beispiel eines einzelnen praktizierenden, wandernden Charismatikers auf. Die fr her verbreitete Deutung des Empedokles als eines Schamanen (u. a.
Dodds E. R., The Greeks and the Irrational, Berkeley-Los Angeles-London 1951, 145 f.; Burkert W,
ΓΟΗΣ Zum griechischen Schamanismus. Hermes 105 [1962] 48) wird heute zu Recht kaum mehr
vertreten; kritisch schon Kahn.Ch. H., Religion and Natural Philosoph}' in Empedocles' Doctrine of the
SouL AGPh 42 (1960) 30 f£; zur Problematik des Begriffs Schamanismus im Zusammenhang mit der
griechischen Religion allgemein cf. u. a. Bremmer J. N., The Early Greek Concept of the Soul, Princeton
1983, 48 mn Anm. 95 und Zhmud' (wie Anm. 28) 165 f.
ADM; βλάψη F; βλάψειν scr. Mon.
Da θυσίαις τε και έπωδαΐς zu ώ$ εστί τταρά σφίσι δύναμις εκ θεών ποριζομένη und nicht zu ακεΐσθαι
μεθ' ηδονών τε και εορτών (cf. Burkert [wie Anm. 28) 27) geh rt, ist vorn Zusammenhang her deutlich:
Platon wendet sich gegen die Vorstellung, da die Menschen ber die G tter gleichsam eine magische Verf Unauthenticated
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Christoph Riedweg
irgendwelche Zauberformeln und Bannfl che berzeugen sie, wie sie behaupten, die G tter, ihnen zu Diensten zu sein ... (e3) Einen Stapel von B chern des Musaios und des Orpheus (Nachkommen des Mondes und der Musen, wie sie sagen) weisen sie vor, nach denen
sie Opfer verrichten. Nicht nur Privatleute, sondern auch St dte berzeugen sie davon, da
es L sung und Reinigung von Unrecht durch Opfer und lustvolle Erg tzungen sowohl f r
die noch Lebenden wie auch f r Verstorbene gibt. Diese nennen sie Weihen. Sie erl sen uns
von Ungl ck im Jenseits. Wer aber nicht opfert [sc. sagen sie], den erwartet Schlimmes.»
Sieht man von der kontextbedingten negativen F rbung der platonischen Darstellung ab34,
so sind die zahlreichen ph nomenologischen bereinstimmungen mit Empedokles' Selbstvorstellung nicht zu verkennen. Wie die Όρφεοτελεσταί, die orphischen Weihepriester35,
zieht Empedokles umher, von Stadt zu Stadt: B 112,5 D.-K. πωλέυμάι36; 7 <πασι δέ>
τοις αν ΐκωμαι έ$ άστεσ... - gem Pkton berzeugen die orphischen Priester ου μόνον
ιδιώτας αλλά και πόλεις37 von ihrem Verm gen. Wenn Empedokles diese St dte als
«bl hend» bezeichnet, so erinnert das an Platons Aussage, die Bettelpriester und Seher
gingen zu den T ren der «Reichen». Empedokles' Gefolgschaft verlangt weiter teils nach
Orakeln (10 oi μεν μάντοσυνέων κεχρημένοι - Pkton spricht von άγύρται δε και μάνTE/C), teils «nach einem heilenden Wort» f r Kr nkheitep (10 επί νούσων | παντοίων
επύθοντο κλυεΐν εύηκέα βάξιν). Von Heilen ist aber genauso im «Staat» die Rede: Die
umherziehenden Priester versprechen Heilung (πείθόυσιν ώ$ εστί παρά σφίσι δύναμις
... άκεΐσθαι), falls von einer Person oder ihren Vorfahren ein Unrecht begangen w rde.
Ein solches vergangenes und unges hntes Unrecht pflegt sich gern Platons Phaidros
in «Krankheiten und schlimmsten Qualen» in gewissen Familien zu manifestieren
(244d5f£); Fl che dieser Art k nnten, hei t es da, durch «Reinigungen und Weihen»
(καθαρμοί τε και τελεταί) f r die Gegenwart sowie f r die Zeit danach geheilt werden38.
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gungsgewalt h tten und sie f r ihre Zwecke mi brauchen k nnten, cf. d3 oi δε της των θεών υπ* άνθρώττων παραγωγής τον Όμηρον μαρτύρονται, ότι και έκεΐνο$ εΐπεν (Π. 9,497)· «... στρεπτοϊ δε τε
και θεοί αυτοί, | και τους μεν θυσίαισιν και ευχωλαΐς άγαναΐσιν | λοιβη τε κνίση τε παρατρωπώσ'
άνθρωποι | λισσόμενοι, οτεκέντιςύπερβήτ) και άμάρτη», ferner 365e3 οι δε αυτοί ουτο'ι (sc. die Dichter)
λέγουσιν ως εισίν οίοι θυσίαις τε και ευχωλαΐς άγαντ|σιν και άναθήμασιν παραγεσθαι άναπειθόμενοι.
Auch in 364c3 ff. d rfte επαγωγαΐς τισιν και καταδέσμοις kaum zu βλάψει (so Adam J. [Hg.], The Republic of Plato. Edited with Critical Notes, Commentary and Appendices. Volume I, Cambridge 19632, 81),
sondern vielmehr zu τους θεούς, ως φασιν, πείθοντες σφισιν ύπηρετεΐν zu ziehen sein.
Eine positivere Haltung zu orphisch-bakchischen Weihen kommt in Phdr. 244d/e (siehe unten Anm.
38) zum Ausdruck.
Das Wort ist in der erhaltenen Literatur dreimal bezeugt: Theophr. Char. 16,2 (= OF test 207); Philodem
Poem. fr. 41 Hausrath (= OF test. 208); Plut. Apophthegm. Lac. 224e (= OF test. 203); cf. ferner
Achill. Tat Intr. in Arat. Phaen. 6, p. 37 Maass (= OF70 p. 150) ο! τα Όρφικά μυστήρια τελοοντες
und Pap. Derv. col. XV1,3 f. ZPB mit den Bemerkungen von Burkert W, Craft Versus Sect: The Problem
of Orphics and Pythagoreans. In: Meyer B. F.-Sanders E, P. (Hgg.), Jewish and Christian Self-Definition
III: Sclf-Definition in the Graeco-Roman World, London 1982, 5 und 10. Der Terminus wird von Platon
an der zitierten Stelle nicht verwendet; der Zusammenhang mit Orpheus ist jedoch durch 364e3 βίβλων
δε ομαδόν παρέχονται Μουσαίου και Όρφέως κτλ. gegeben; cf. auch Burkert a. O., 4.
Spielt vielleicht auch die Selbstbezeichnung αλήτης in B 115,13 D.-K. auf .sein Wanderleben an?
Cf. auch K 366a7 f. (unten Anm. 40).
άλλα μην νόσων γε και πόνων των μεγίστων, α δη παλαιών εκ μηνιμάτων πόθεν εν τισι των
γενών ην (Hermann, ή codd.), μανία εγγενομένη και προφητευσασα οΐ$ έδει άπαλλαγήν ηυρετο,
καταφυγουσα προ? θεών ευχά$ τε και λατρείας, όθεν δη καθαρμών τε και τελετών τυχούσα έξάντη
έποίησε τον εαυτής έχοντα προς τε τον παρόντα και τον έπειτα χρόνον, λυσιν τω ορθώς μανέντι
τε και κατασχομένω των παρόντων κακών ευρομένη (zu dieser Stelle Burkert [wie Anm. 35] 5); cf.
auch Paus. 9,30,4 (oben Anm. 27).
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Orphisches bei Empedokles
41
Da Platon an orphisch-bakchische Weihen denkt39, zeigt die fast w rtliche bereinstimmung dieser Phaidrosstelle mit dem «Staat»: Gem R. 364e5 ff. stellen die Weihepriester
«L sungen und Reinigungen von Unrecht» (λύσεις τε και καθαρμοί αδικημάτων) f r
Diesseits und Jenseits40 in Aussicht. Es ist gewi kein Zufall, da eben jenes Werk, in
dessen Einleitung Empedokles sich selbst nach Art eines wandernden Όρφεοτελεστή$
zeichnet41, mit «Reinigungen» (καθαρμοί) berschrieben ist42.
In einem Punkt geht Empedokles ber das im «Staat» Gesagte deutlich hinaus. Die
Bettelpriester und Seher beanspruchen zwar gem Platon eine geradezu magische Verf gungsgewalt ber das G ttliche f r sich43. Die Grenze zwischen Menschlichem und G ttlichem bleibt gleichwohl grunds tzlich gewahrt. Anders Empedokles: Er stellt die, zumindest isoliert betrachtet, unerh rte Behauptung44 auf, als θεός αμβροτος und nicht mehr
als Sterblicher umherzuziehen (4)45. Wie ist das zu verstehen? Bricht an dieser Stelle etwa
39
Als dionysisch werden die τελεταί innerhalb des Dialogs durch Phdr. 265B3 Διονύσου δε τελεστικήν
(sc μανίαν θέντες) erwiesen; cf. auch Verf., Mysterienterminologie bei Platon, Philon und Klemens von
Alexandrien (UaLG 26), Berlin-New York 1987, 35 £
40
Cf. auch 366a4 «'Αλλά γαρ εν Άιδου δίκην δώσομεν ων αν ένθάδε άδικήσωμεν, ή αυτοί ή παίδες
παίδων.» Αλλ', ώ φίλε, φήσει λογιζόμενος, αϊ τελεται ου μέγα δύνανται και οι λύσιοι θεοί, ως αϊ
μέγιοται πόλεις λέγουσι και οι θεών παίδες ποιηται και προφήται των θεών γενόμενοι, ο'ί ταύτα
ούτως εχειν μηνύουσιν; f r die Jenseitshoffnung orphisch-bakchischer Mysten cf. au er den Goldbl ttchen und Pindar fr. 133 Sn.-M. (unten Anm. 65) auch noch Plat. Phd. 69c3f£ (= OF 5); Plut. Apophthegm. Lac. 224e (= OF test. 203) ... Φίλιππον τον Όρφεοτελεστήν ... λέγοντα ... ότι l παρ'
'· αυτω μυηθέντες μετά την του βίου τελευτήν ευδαιμονουσι; Pindar fr. 131 a Sn.-M. όλβιοι δ' άπαντες
αίσα λυσιπόνων τελεταν d rfte ebenfalls auf orphisch-bakchische Weihen zielen (cf. auch Burkert W,
Antike Mysterien, Funktionen und Gehalt, M nchen 1990, 122 Anm. 130).
41
Im Anschlu an Beloch K.J., Griechische Geschichte 11,1. Strassburg 1914?, 238 vermutet Kern O.
(Hg.), Orphicorum Fragmenta, Berlin 1922, 53 (= OF test. 181) unter Hinweis auf Athen. Deipn. I, 3e
(= 31 A 11 D.-JC), da Empedokles' Gro vater Όρφεοτελεστής war (da ihn Athenaios als Πυθαγορικός bezeichnet, steht einer solchen Deutung an sich nicht im Wege, sind doch die Grenzen zwischen
Orphischem und Pythagoreischem vielfach flie end, cf. unten Anm. 62). Sollte die Vermutung zutreffen,
so w rde sich bei Empedokles best tigen, was Burkert (wie Anm. 28) 40 f. (cf. dens. [wie Anm. 40] 37 f.
und dens., The Orientalizing Revolution. Near Eastern Influence on Greek Culture in the Early Archaic
Age, Cambridge/Mass.—London 1992, 41 ff.) allgemein als Merkmal der charismatischen Wanderpriester
herausgearbeitet hat: die Familientradition in der Vermittlung des Heiligen. Freilich ist nicht auszuschlieen, da bei Athenaios eine Verwechslung des Gro vaters mit dem Philosophen vorliegt (c£ D. L.
Vin,53 = 31 A l D.-K.).
42
Zu diesem Titel, dessen Echtheit u.a. von Gallavotti (wie Anm, 18) xviiif. und Wright (wie Anm. 14)
85 f. in Zweifel gezogen wird (m. E. ohne zwingende Gr nde; die antiken Zeugnisse jetzt bei Mansfeld
J^ A Lost Manuscript of Empedocles' Katbtrwoi. Mnemosyne 47 [1994] 79), cf. Guthrie (wie Anm. 21)
244 £ und allgemein Parker R., Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion, Oxford 1983,
299 ff. Auch Musaios soll laut Philochoros FGtHist 328 F 208 (= 2 A 6 D.-K.) καθαρμοί verfa t haben;
c£ ferner Epimenides 3 A 2 f . D.-K. (Oinomaos fr. 11 C Hammerstaedt = Eus. PE V,31,3 erw hnt
Όρφικαυς τινας ή Έτπμενιδείους καθαρμούς); Ps.-Pyth. Carmen aureum 67 £ αλλ' εϊργου βρωτών
ων εϊίΓομεν εν τε Καθαρμοΐς | εν τε Λύσει ψυχής κτλ.; Sedley (wie Anm. 1) 273.
43
364b7 δυναμις εκ θεών ττοριζομένη θυσίαις τε και επωδαΐς κτλ. und c3 Ιτταγωγαΐς τισιν και καταδέσμοις τους θεούς, ως φασιν, πείθοντες σφισιν ύττηρετεΐν (c£ oben Anm. 33).
44
Timaios FGrHist 566 F 2 (= D. L. VUI,6<> = A l D.-K.) bezeichnete EmpedokJes deswegen als αλαζόνα
και φίλαντον (c£ auch S. E. Adv. math. 1,302).
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Sie wird durch den Zusatz ώσττερ εοικα nicht relativiert, cf. oben Anm. 16. Der Versuch von van
Groningen B., Le fragraem 111 d'Empedode. C&M 17 (1956) 50f£ (c£ auch Ben N. van der, The
Proem of Empedocles' Peri Physios. Towards a New Edition of All the Fragments, Amsterdam 1975,
22 f£; dagegen Panagiotou S., Empedocles on His Own Drvinity. Mnemosyne 36 [1983] 276 ff.), die
Aussage ironisch zu deuten, ist verfehlt (c£ auch unten Anm. 112).
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Christoph Riedweg
die Hybris des Naturforsehers hervor, der glaubt, Aufbau und Funktionieren des Kosmos
zu durchschauen, und sich deshalb go«gleich w hnt? Eine solche, u.a. bei H lderlin anklingende Deutung46 hat wenig Wahrscheinlichkeit. Denn einerseits ist zu bedenken, da
gerade innerhalb von Empedokles' Naturlehre die Grenze zwischen sterblich und unsterbr
lieh letzdich durchl ssig ist47. Andererseits darf man auch bei dieser Aussage den stark
orphisch'gepr gten religi sen Kontext des Fragmentes nicht au er acht lassen. Wie besonders deutlich aus den ber hmten, arn Anfang erw hnten Goldbl ttchen hervorgeht48, vermittelten die orphisch-dionysischen Weihen den Bakchen und Mysten die Gewi heit, aus
sterblichen Menschen dereinst zu G ttern zu werden. Auf einem im unteritalischen Thurioi
gefundenen Bl ttchen wird der Tote folgenderma en angesprochen (A 4,3 Zuntz): «Freue
dich! Dir ist etwas widerfahren, was dir noch nie zuvor widerfahren ist: Ein Gott bist du
geworden aus einem Menschen» (χαίρε παθών το πάθημα το 6' ουπω πρόσθε επεπόνθει$* | θεό$ εγένου εξ ανθρώπου); hnlich hei t es in A 1,8 Zuntz (ebenfalls aus Thurioi):
«Gl ckseliger, du wirst ein Gott sein statt eines Sterblichen» (όλβιε και μακαριστέ, θεός
δ' εση αντί βροτοΐο)49.
Was auf diesen «Unterweltsp ssen» f r den Augenblick des - sei es rituellen, sei es
wirklichen50 — Todes verhei en wird51, nimmt Empedokles bereits im Diesseits f r sich
in Anspruch: Schon jetzt geht er* der verehrte «Lebensberater», Seher und Arzt, als unsterblicher Gott unter den Menschen einher52.
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Tod des Empedokles, erste Fassung, u.a. 366 (S. 17 der Gro en Stuttgarter Ausg. = S. 240 Kranz [wie
Anm. 2]) «Es war des Mannes Stimme, der sich mehr / Denn Sterbliche ger hmt, weil ihn zu viel /
Begl kt die g tige Natup> etc.; cf. auch Kranz (wie Anm. 2) 172 ff.; H lscher (wie Anm. 2) 34 ff.; Schadewaldt (wie Anm. 20) 439.
Cf. B 35,14 D.-K. αΤψα δε θνήτ' έφύοντο, τα πριν μάθόν άθάνατ' είναι κτλ.; nicht anders als B ume,
Manner und Frauen, Tiere, V gel und Fische sind auch die G tter, die θεοί δρλιχαίωνες τιμήσι φέριστοι, geworden und z hlen insofern zu den θνητά (B 21,9 ff. D.-K.; cf. B 23,6 ff. D.-K.). Zum bergang
sterblich -* unsterblich cf. B 146 f. D.-K. (unten).
Qf. f r die orphisch-bakchische Jenseitshoffnung au erdem auch Anm. 40.
Cf. auch Vers l der Pelinna-Bl ttchen νυν εθάνες και νυν εγένου, τρισόλβιε, άματι τώιδε. Beinahe
dieselbe Formulierung wie A 1,8 Zuntz verwendet Philostrat V. Apoll. 8,7 (= 31 A 18 D.-K.) im Zusammenhang mit Empedokles: στρόφιον των αλουργοτάτων ττερι αυτήν (sc. την κόμην) άρμόσας έσόβει
περί τάς των Ελλήνων άγυιά$ ύμνους ξυντιθείς, ως θεός εξ άνθρωπου εσοιτο.
Schwankend im Zusammenhang mit den Pelinna-Bl ttchen Graf: cf. dens. (wie Anm. 29) 98 «H me
parait bien probable que le texte P n'est rien d'autre que le macarisme actuel prononce lors de rinitiation
bacchique de la femme defunte» neben dems., Dionysian and Orphic Eschatology: New Texts and Old
Questions. In: Carpenter Th. H. - Faraone Ch. A. (Hgg.), Masks of Dionysus. Ithaca- London 1993,
249 f. «As it Stands, the sequence of assertion of death and new life, then the libations, and fmally the
makarismos over the grave all fit slightly better into the context of a funeral» (cf. auch Segal [wie Anm.
29) 413 f.). Ich halte es ebenfalls f r wahrscheinlicher, da der Text am Grab der Toten gesprochen
wurde, wobei aber mit den unmetrischen S tzen ταύρος είς γάλα Ιθορες, αΤψα είς γάλα εθορες, κριός
εις γάλα έπεσες (3 f£) wohl an das Initiationsritual erinnert wird, auf das sich die Hoffnung der Eingeweihten auf ein besseres Los im Jenseits gr ndete.
Die Vergottung bedeutet im Grunde nichts anderes als die R ckkehr der ψυχαί (cf. Goldbl ttchen von ,
Hipponion 4; auch A 4,*1 Zuntz) in ihren urspr nglichen Zustand. Zur g ttlichen Herkunft cf. bereits
Pindar fr. 131b,l Sn.-M. σώμα μεν πάντων έπεται θανάτω περισθενεΐ, | ζωόν δ' έτι λείπεται αιώνος
είδωλον το γαρ εστί μόνον | εκ θεών; Goldbl ttchen Α 1-3,3 Zuntz και γαρ έγών υμών γένος* *
δλβιον εύχομαι εΐμεν bzw. είναι, ferner Β 1-2,6 Zuntz ... Γης παΤς ειμί και ΟΟρανοΟ άστερόεντος
( hnlich Β 3-8,4 Zuntz, Hipponion 10 und Getty-Museum 4) und B 1,7 Zuntz (auch Getty-Museum
5) αυτάρ έμοι γένος ούράνιον (dazu Lloyd-Jones [wie Anm. 20] 97 f. 100)..
Auf den Zusammenhang mit den Goldbl ttchen weisen u. a. bereits hin: Bignone (wie Anm. 22) 36
Anm. 1. 94 Anm. 4. 484 ad loc.; Rostagni A., U poema sacro di Empedocle. RF1C N. S. l (1923) 18 f.;
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Orphisches bei Empedokles
43
Die k hne Zuversicht, da er diesen Sonderstatus hat und ber die anderen Sterblichen
hinausragt53, sch pft Empedokles zweifellos aus der Reinkarnationslehre, die in den erhaltenen Fragmenten gut bezeugt ist54. Wichtig sind in unserem Zusammenhang vor allem B 146
und 147 D.-K.55 — zwei zusammengeh rige Fragmente, welche nach Ansicht von Zuntz
wohl am Ende von Buch l der Katharmoi standen und daher dazu angetan waren, gleichsam
in einer Art Ringkomposition nachtr glich auf die Einleitungsverse mit dem Selbstportr t
Licht zu werfen56. Am Ende des Kreislaufs der Wiedergeburten, lesen wir da, werden die
sterblichen Wesen zu Sehern, Dichtern, rzten und Anfuhrern f r die auf Erden lebenden
Menschen; daraus wachsen dann G tter hervor, die in h chsten Ehren stehen:
εΙ$ δε τέλος μάντεις τε και ύμνοττόλοι και ιητροι
και ττρόμοι άνθρώττοισιν εττιχθονίοισι ττέλονταΓ
ένθεν άναβλαστοϋσι θεοί τιμησι φέριστοι,
(Β 147) άθανάτοις άλλοισιν όμέστιοι, αυτοτράττεζόί57
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ανδρείων άχέοον απόκληροι, άτειρεΐς.
Empedokles, der ausdr cklich seine fr heren Inkarnationen als Knabe, M dchen, Strauch,
Vogel und Fisch erw hnt59, glaubt offenkundig, diese h chste Stufe der Wiedergeburt hie et
nunc bereits erreicht zu haben: Er ist in der Tat Dichter, Seher, Arzt und F hrer der Menschen
in einem60; er steht somit am bergang zur Gottwerdung, ja ist, wenn man sieht, wie er «von
allen geehrt wird» (B 1 12,5 ff. D.-K. μετά ττασι τετιμένος ... <ττασι δε) ... άνδράσιν ήδέ
γυναιξί σεβίζομαι), eigentlich bereits einer der θεοί τιμήσι φέριστοι61.
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Rathmann (wie Anm. 23) 134 f.; Guthrie (wie Anm. 23) 175; Zuntz (wie Anm. 14) 252; Kirk-RavenSchofield (wie Anm. 5) 314. Da die Goldbl ttchen der Gruppen A, B und P (= Pelinna), deren enge
Zusammengeh rigkeit Graf (wie Anm. 29) 96 f. hervorhebt (cf. auch Segal [wie Anm. 29] 412), von
Empedokles angeregt w ren, ist unwahrscheinlich (cf. auch Kahn [wie Anm. 31] 25 Anm. 67); zumindest
der Archetyp der B-Bl ttchen geht bis ins 5.Jh. v. Chr. zur ck (cf. Burkert [wie Anm. 28] 34).
Cf. B 113,2 D.-K. ... θνητών περίειμι πολνφθερέων ανθρώπων.
Zum vielverhandelten Problem, da Empedokles dabei von δαίμονες und nicht von «Seelen» spricht, cf.
u. a. Barnes J., The Presocratic Philosophers (The Arguments of the Philosophers). London—New York
19822,488. 497 ff.
= Katharmoi fr. 17 Zuntz = fr. 107 Gallavotti = fr. 132 f. Wright = fr. 136 f. Inwood.
Cf. Zuntz (wie Anm. 14) 257.
Eus.; εν τε τραπέζαις Qem.
codd^ post απόκληροι transpos. Wright probante Inwood; «an leg. ευφρονες?» Zuntz.
B 117 D.-K. ήδη γαρ ποτ' εγώ γενόμην κοϋρός τε κόρη τε | θάμνος τ* οιωνός τε και εξαλος ελλοπος
ϊχθύς (der Zusammenhang mit den vier Elementen liegt auf der Hand). Da sich Empedokles an diese
Inkarnationen zu erinnern vermag, zeichnet ihn vor anderen Menschen aus. Ein Vergleich mit den zur
Gruppe B geh rigen Goldbl ttchen drangt sich au£ wo die Mysten und Bakchen angewiesen werden,
in der Unterwelt ja nicht von der Quelle des Vergessens zu trinken, sondern nur das aus dem Hain der
Mnemosyne hervorfliessende k hle Wasser zu genie en (cf. LJoyd-Jones [wie Anm. 20] 97 «If it drinks
of this fountain [sc the fountain of Lethe], the soul will forget the knowledge gathered in its previous
existence; it was the mark of the superior soul, such s that of Pythagoras or later Empedocles, that it
was able to remember its formet lives«).
Wright (wie Anm. 14) 291 «It is probable that E. supposed all four types of life to be united in himseli»;
cf. auch Kranz (wie Anm. 2) 27; Cornford E M., Principium sapiendae. The Origins of Greek Philosophical Thought, Cambridge 1952, 124; H lscher (wie Anm. 2) 23.
Die Wendung au er in B 146,3 auch in B 21,12 und 23,8 D.-K. Cf. auch Nestle (wie Anm. 18) 114;
Kahn (wie Anm. 31) 24; Zuntz (wie Anm. 14) 232 «the reader or hearer realizes that Empedokles has
reachcd the final stage of this long journey; he is thus given the solution of the riddle entailccl in the
apparcnt hybris of Empedokles* claim to divinity combincd with his descrip on of hiraself s an <errant
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Christoph Riedweg
Man mag an dieser Stelle einwenden, die Reinkarnation sei zwar zur Erkl rung von
Empedokles' Selbsteinsch tzung gewi unerl lich, doch handle es sich um eine pythagoreische und nicht um eine orphische Lehre. Abgesehen davon, da die Grenzen zwischen
Orphischem und Pythagoreischem vielfach flie end sind und es durchaus Interferenzen
gibt62: Der italienische Religionswissenschaftler Casadio hat vor kurzem wieder nachdr cklich auf die nicht wenigen antiken Zeugnisse hingewiesen, in denen die Seelenwanderung
zumindest implizit f r die Orphik vorausgesetzt wird63. Besonders der Vergleich mit einem
von Platon im Menon zitierten Pindarfragment64 l t darauf schlie en, da Empedokles
in diesem Punkt wohl tats chlich prim r von der Orphik angeregt war.
In fr. 133,3 ff. Sn.-M. nennt Pindar «erlauchte K nige, kraftschnelle und weisheitsm chtige M nner» als h chste Stufe der Metempsychose65. Den zuerst genannten βασιλήε$
άγαυοί entsprechen Empedokles' πρόμοι (B 146,2 D.-K.); da Seher, Dichter und rzte
(B 146,1 D.-K.) zu der von Pindar erw hnten Kategorie der σοφία μέγιστοι άνδρες z hlen,
liegt auf der Hand. Mit Empedokles vergleichbar spricht Pindar von einer Art Apotheose
dieser H chstformen des Daseins (5): «Insk nftig werden sie von den Menschen heilige
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fugitivo at the beginning of the poem» und 257 «Reader and hearer comprehend the truth of what had
seemed hybris and paradox: Empedokles, the man, the healer and prophet, is <an exile and a vagranb —
and a god»; Inwood (wie Anm. 21) 55.
Die beiden Bereiche gehen schon in der Antike teilweise ineinander ber; cf. Hdt 11,81,2 im Zusammenhang mit dem religi sen Verbot bei den gyptern, in wollenen Kleidern Tempel zu betreten oder begraben zu werden: όμόλογέουσι δε ταύτα τοΐσιν Όρφικοϊσι καλεομένοισι και Πυθαγορείοισι (bzw. in
der ausf hrlicheren Fassung der R mer Handschriften: ομολογεί δε ταύτα τοΐσι Όρφικοϊσι καλεομένοισι και ΒακχικοΤσι, έοϋσι δε Αίγυτττίοισι και Πυθαγορείοισι; dazu Burkert W., Lore and Science in
Ancient Pythagoreariism, Cambridge/Mass.-1972, 126 ff.; Casadio G., La metempsicosi tra Orfeo e Pitagora. In: Borgeaud Ph. [Hg.], Orphisme et Orphee, en l'honneur de Jean Rudhardt [Recherches et
Rencontres 3], Genf 1991,128 Anm. 23). Gem Ion von Chios (36 B 2 D.-K.) soll Pythagoras einiges,
was er gedichtet hat, Orpheus zugeschrieben haben (cf. dazu auch Riedweg [wie Anrn,. 150] 54 Anm.
146), und ein gewisser Epigenes (bei Gem. AI. Strom. 1,131,5 = OF test. 222) wei zu berichten, da
mehrere unter Orpheus' Namen bekannte Gedichte in Wirklichkeit von den Pythagoieern Kerkops und
Brontinos stammen (West [wie Anm. 25] 9 f.); sollten diese Angaben in irgendeiner Weise zutreffen,
so ist die bereits f r die antiken Menschen bestehende Schwierigkeit, Orphisches und Pythagoreisches
voneinander abzugrenzen, nicht verwunderlich. Cf. allgemein Ziegler K., Artikel «Orphische Dichtung.
B. Verlorene Gedichte». RE XVIII,2 (1942) 1383 ff.; Guthrie (wie Anm. 23) 216f£; Burkert (wie Anm.
67) 445; dens. (wie Anm. 25) 6 f.; dens. (wie Anm. 35) 2 «There are obvious overlaps in what is called
by the sources Bacchic or Orphic, Orphic or Pythagorean»; Uoyd-Jones (wie Anrn. .20) 93 f.
Casadio (wie Anm. 62) 123 ff. Vielleicht deutet auch die Wortfolge βίο$-θάνοπΓθ$-βίο$-άλήθεια auf
den orphischen Knochenpl ttchen von Olbia auf die Wiedergeburtslehre, cf. Vinogradov (wie Anm. 28)
80 (vorsichtig West [wie Anm. 28] 18 f.; ablehnend Graf [wie Anm. 29] 88 f. und ders. [wie Anm. 50]
242).
Auf die Parallele weisen u. a. hin: Bignone (wie Anm. 22) 281; WUamowitz-Moellendorff U von, Die
ΚΑΘΑΡΜΟΙ des Empedokles. In: ders., Kleine Schriften I, Berlin 1935, 519 (;= SB der preu . Akad.
der Wiss., PhiL-hist. Kl. 27 [1929] 660); Rathm nn (wie Anm. 23) 103. 133 f.; Kranz (wie Anm. 2) 32; ,
Kahn (wie Anm. 41) 10 Anm. 22; Schadew ldt (wie-Anm. 20) 446 f.; Z ntz (wie Anm? 14) 232. 234.
257; Kirk-Raven-Schofield (wie Anm. 5) 317; siehe auch Lloyd-Jones (wie Anm. 20) 94.
οΤσι δε Φερσεφόνα ποιναν παλάιοο ττέ»θέο$
δεξεται, έ$ τον ύπερθεν άλιον κείνων ενάτω ετεϊ
άνδιδοΤ ψυχά$ πάλιν, εκ ταν βασιλήε$ άγαυοί
και σθένει κραιπνοι σοφία τε μέγιστοι
δνδρε$ αΟξοντ'· έ$ δε τον λοιπόν χρόνον ήροε$ ά5
yvoi irpos ανθρώπων.καλέοντάι.
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Orphisches bei Empedokles
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Heroen genannt»66. Der Bezug zur Orphik ist in diesem Fragment implizit dadurch gegeben, da im ersten Vers von einem alten Leid die Rede ist, f r welches Persephone den
Seelen Bu e abnimmt (οΐσι δε Φερσεφόνα ττοινάν παλαιού ττένθεος | δέξεται). Es
herrscht heute weitgehend bereinstimmung67, da hier eine fr he Anspielung auf den
ber hmten orphischen Mythos von der Zerrei ung des Dionysos durch die Titanen, ihrer
Bestrafung durch Zeus und der daraus resultierenden Entstehung der Menschen vorliegt68.
Wie auch immer es damit stehen mag, f r wichtige Z ge von Empedokles' fesselndem
Selbstportr t in B 112 D.-K. lassen sich jedenfalls beachtlich enge Parallelen aus dem orphischen Bereich beibringen, mehr noch: sein Erscheinungsbild wird auf diesem Hintergrund
berhaupt erst einigerma en begreiflich.
In den erhaltenen Fragmenten sind noch einige weitere inhaltliche Ber hrungen mit orphischem Gedankengut festzustellen, die im folgenden lediglich summarisch angedeutet werden sollen.
Empedokles sieht das Erdendasein grunds tzlich negativ69, betrachtet es gleichsam als
lammarum vallis. In seinen Versen ist u. a. von den «qualvollen Pfaden des Lebens» die Rede
(B 115,8 D.-K. άργαλέας βιότοιο μεταλλάσσοντα κελεύθους70), vom Herausgefallensein
aus gro em Gl ck (B 119 D.-K. εξ οΐη$ τιμής τε και δσσου μήκεος όλβου ...; cf. B 158
D.-K. ... αιώνος άμερθεις | ολβίου71), auch vom «elenden Geschlecht der Sterblichen,
dem schlimm unseligen» (B 124,1 D.-K. ώ ΤΓΟΉΌΙ, ώ δειλόν θνητών γένος, ώ δυσάνολβον)72. Nimmt man ein weiteres Fragment hinzu, wo der fleischliche K rper als «fremdar66
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Da bei Pindar von einer Heroisierung, bei Empedokles jedoch von einer Verg ttlichung die Rede ist,
wird u.a. von Babut D., Sur Tunke de la pensee d'Empedocle. Philologus 120 (1976) 159 als «difference
capitale entre ces textes» betrachtet; doch anders als in der Polisreligion scheint im orphisch-bakchischen
Bereich der Unterschied zwischen G ttern und Heroen kaum von Bedeutung; cf. Goldbl ttchen B 1,11
Zuntz και τότ' εττειτ' α[λλοισι μεθ'] ήρώεσσιν άνάξει[$ neben A 1,8 und 4,3 Zuntz (oben), ferner
Anm. 51 (g ttliche Herkunft der Seele; zur grunds tzlichen Zusammengeh rigkeit der verschiedenen
Gruppen von Goldbl ttchen cf. Anm. 52).
C£ u. a. Graf E, Eleusis und die orphische Dichtung Athens in vorhellenistischer Zeit (RGW 33),
Berlin-New York 1974, 74 Anm. 53; dens. (wie Anm. 50) 244; Burkert W., Griechische Religion der
archaischen und klassischen Epoche (Religionen der Menschheit 15), Stuttgart—Berlin-K ln—Mainz
1977,443; Lloyd-Jones (wie Anm. 20) 90 ff.; Segal (wie Anm. 29) 412. Skeptisch u. a. noch immer Brisson
L., Le corps «dionysiaque»: L'anthropogonie decrite dans le Commentaire sur le Phedon de Platon (l, par.
3-6) attribue a Olympiodore est-elle orphique? In: G ulet-Caze M.-O.-Madec G.-O'Brien D. (Hgg.)>
ΣΟΦΓΗΣ ΜΑΙΗΤΌΡΕΣ «Chercheurs de sagesse»: Hommage a Jean Pepin (Collection des Etudes Augustiniennes, Serie Antiquite 131), Paris 1992, 497 Anm. 71; cf. auch Seaford R., Immortality, Salvation,
and the Elements. HSPh 90 (1986) 7 £
Cf. allgemein zu diesem Mythos, dessen Alter weiterhin sehr kontrovers ist (Brisson [wie Anm. 67] 497
h lt die Anthropogonie f r eine Erfindung der orphischen Rhapsodien), Burkert (wie Anm. 67) 442 f.
und dens. (wie Anm. 40) 62 mit Anm. 38. Ders. (wie Anm. 35) 8 sowie ders. (wie Anm. 41) 116 f. weist,
auf mesopotamische Parallelen hin (kritisch diesbez glich freilich Bottero J., Uanthropogonie mesopotaraienne et Pelement divin en Thomme. In: Borgeaud Ph. [Hg.], Orphisme et Orphee, en l'honneur de
Jean Rudhardt (Recherches et Rencontres 3], Genf 1991, 211 ff.).
Pessimistische u erungen ber das Leben finden sich auch in Orakeln und fr hgriechischer Dichtung
allgemein nicht selten; Empedokles' Sicht unterscheidet sich vor allem wegen des theoretischen Unterhaus wesentlich von diesem toposartigen Lebenspessimismus.
Cf. Goldbl ttchen A 1,5 Zuntz κύκλου δ' έξέπταν βαρυττενθέος άργαλέοιο.
Zur Echtheit dieses Fragments cf. Zuntz (wie Anm. 14) 235, dessen Lesart ich bernehme.
Auf die umstrittene Pr ge, ob Empedokles' Katharmoi eine Untcrwcltsbeschreibung enthielten, mit dem
freudlosen Ort» (cf. B 121,1 D.-IC; B 118 D.-K. etc.) also nicht die hiesige Welt (so die antiken ZeugUnauthenticated
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Christoph Riedweg
tiges Gewand» bezeichnet wird (B 126 D.-K. σαρκών άλλογνώτι ττεριστέλλουσα
χιτώνι73), so kann man sich trotz der u.a. von Babut ge u erten Einw nde74 des Eindrucks nicht erwehren, da der Empedokleischen Philosophie im Kern eine hnliche Sicht
des Lebens zugrunde liegt, wie sie sich in der aus Platon vertrauten Gleichsetzung des
K rpers mit einem Grabmal u ert75. Ob diese ber hmte σώμα-σήμα-Formel tats chlich
als orphisch bezeichnet werden darf, ist in der Forschung umstritten und h ngt ganz davon
ab, ob das Philolaosfragment 44 B 14 D.-K., in dem diese Lehre mit «alten Theologen und
Sehern» in Verbindung gebracht wird76, echt ist oder nicht77. Die vergleichbare, das irdische Leben ebenfalls negativ wertende Vorstellung, wonach die Seele im K rper wie in
einem Gef ngnis (φρουρά78 bzw. δεσμώτηριον79) eingekerkert ist80, wird jedenfalls von
Platon ausdr cklich auf die Orphiker (οι άμφι Όρφέα) zur ckgef hrt91. Und da dies
nicht ohne Grund geschieht, lassen jetzt die orphischen Knochenpl ttchen von Olbia
zumindest erahnen, wenn darauf nicht nur «Leib» und «Seele» als Gegens tze eingeritzt
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nisse; cf. u.a. Kranz [wie Anm. 23] 108; Wright [wie Anm. 14] 278 etc.), sondern eben die Unterwelt
gemeint ist, kann hier nicht eingegangen werden (cf. u. a. Burkert W., Rez von: Zuntz G., Persephone
[1971]. Gnomon 46 [1974] 325; Kirk-Raven-Schofield [wie Anm. 5] 316).
Siehe auch B 148 D.-K. άμφιβρότην χθόνα (nach unserem Gew hrsmann Plutarch eine Bezeichnung
f r το τη ψυχή ττερικείμενον σώμα). Cf. allgemein Casadio G., Adversaria Orphica et Qrientalia. SMSR
52 (N. S. 10) (1986) 294.
Babut (wie Anm. 66) 152 ff.
Cf. Grg. 493a; Cratyl. 400c; Anspielung darauf wohl auch in Phdr. 250c5 (cf. Ferwerda R., Tbe Meaning
of the Word σώμα in Plato's Cratylus 400C Hermes 113. [1985] 269).
μαρτυρέονται δε και οι παλαιοί θεολόγοι τε και μαντιε$, ώ$ δια τινα$ τιμωρία? ά ψυχά τω σώματι
συνέζευκται και καθάπέρ εν σάματι τούτω τέθαπτάι. Zur Frage, wer mit den παλαιοί θεολόγοι τε
και μάντιε$ gemeint sein d rfte, cf. Casadio G, Adversaria Orphica. A proposito di un libro recente
sull'Orfismo. Orpheus N. S. 8 (l 987) 390 f.
Das Problem wird von Huffmann G A.> Philolaus of Crotoh: Pythagorean and Presocratic. A Corhmentary on the Fragments and Testimonia with Interpretative Essays, Cambridge 1993,404ff. neu aufgerollt:
Er lehnt zwar alle fr her gegen die Echtheit des Fragments vorgebrachten Argumente als untauglich ab,
kommt aber gleichwohl zu einem negativen Ergebnis, weil ψυχά bereits im Sinn Platons, n mlich « s a
comprehensive term embracing all the psychological faculties», gebraucht sei (405); dies stehe im Widerspruch zu fr. 13, wo das Wort eine engere Bedeutung habe («something like <life>»: 406). Doch mu
Philolaos das Wort immer im selben Sinn gebraucht haben? Da ψυχή jedenfalls bereits im 5. Jh. v.Chr.
im umfassenden Sinn gebraucht werden konnte, zeigen die orphischen Knochenpl ttchen (unten).
Phd. 62b4 (der orphische Hintergrund der φρουρά geht schon aus der Bemerkung des Xenokrates
fr. 219 Isnardi Τιτανική εστίν και εί$ Διόνυσον άττοκορυφοϋται hervor); siehe dazu Boyance P., La
«doctrine d'Euthyphron» dans le Cratyle. REG 54 (1941) 162; dens., Note sur l ΦΡΟΥΡΑ pl tonicienne.
RPh 37 (1963) 7 ff.; Courcelle P., Tradition pl tonicienne et traditions chretiennes du corps-pmson (Pbedon
62 b; Cratyle 400 c.). REL 43 (1965) 406 ff.; Loriaux R., Notes sur la ΦΡΟΥΡΑ pl tonicienne (Phedon, 62
b-c). LEC 36 (1968) 28ff.; cf. auch de Vogel C J., The S MA-SEMA fprmula: Its Function in Plato
and Plotinus Compared to Christian Writers. In: Neoplatonism and Early Christian Thought. Essays in
Honour of A. H. Armstrong, London 1981, 83 ff.; problematisch Ferwerda (wie Anm. 75) 275.
Cratyl. 400c7.
Da sich die σώμα-σή μα-Lehre und diejenige vom K rper als Gef ngnis nicht widersprechen, betont
Casadio (wie Anm. 76) 390: «La figura della prigione implica un'idca di punizione, quelta della tomba,
un'idea di morte. Ma Tergastolo e U patibolo sono dal punto di vista giudiziario concetti equivalenti: if
fme di entrambi έ infliggere una punizione, fare scontare una colpa, Chi ha visitato i.-resti di qualche
carcere dell'antichit s ehe in esso i prigionjeri erano veramente stpolti»,
Cfatyl. 400c (= OF 8); dazu Boyance (wie Anm. 78) 160 f.; Rehrenb ck G,, Die orphische Seelenlehre
in Platons Kratylos. WS 88 (1975) 17 ff; Casadio (wie Anm. 76) 389 f.; cf. auch Burkert (wie Anm. 40)
74.
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Orphisches bei Empedokles
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sind, sondern das Verh ltnis der beiden zueinander offenbar demjenigen von «L ge» und
«Wahrheit» gleichgesetzt wird82.
Im orphischen Mythos wird die Reinkarnation als Strafe f r eine alte Schuld verstanden83:
f r die bereits erw hnte Zerst ckelung des Dionysos durch die Titanen, aus deren Ru die
Menschen geworden sind84. Damit nicht un hnlich sieht Empedokles, der bekanntlich —
auch diesbez glich mit Orphikern und Pythagoreern bereinstimmend — strengen Vegetarismus predigte85, im Blutvergie en die Ursache f r den Verlust der Gl ckseligkeit und den Eintritt in den leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten (u. a. B 115 D.-K.). Da es sich bei ihm
um eine Ableitung aus dem lteren orphischen Mythos handelt, sagt ausdr cklich Plutarch in
einem von den modernen Empedokles-Herausgebern bergangenen Passus der Moralia86.
Bisher sind ausschlie lich Texte aus dem Reinigungsgedicht des Empedokles87 zur Sprache gekommen. Es gibt aber auch im naturphilosophischen Werk88 Gedanken, die sich
an orphische Vorstellungen ankn pfen lassen. Soweit die fragmentarische berlieferung
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[ψευδός] — αλήθεια | σώμα — ψυχή; cf. Vinogradov (wie1Anm. 28) 79. Siehe dazu auch Casadio (wie
Anm. 62) 125. Cf. allgemein Diels H., ber ein Fragment des Empedokles. In: ders., Kleine Schriften
zur Geschichte der antiken Philosophie (hg. von W Burkert), Darmstadt 1969, 156 (= SB der Kgl. Pr.
Akad. d. Wiss. zu Berlin 1897, 1071) «Die Erde selbst, aufweiche die gefallenen Geister herabfallen, um
im Menschenleib ihre B erlaufbahn weiter zu verfolgen, erscheint dem pessimistischen Dichter wie
den Orphikern als Jammertal»; Rathmann (wie Anm. 23) 102; Nesde (wie Anm. 18) 64 und 116; siehe
auch Armstrong (wie Anm. 23) 15 f. «With this cosmology Empedocles combined the f ll traditional
Orphic doctrine of the soul, its divine origin, its fall, its successive reincarnations, and its final return to
the Company of the gods».
Cf. Goldbl ttchen A 2,4 und 3,4 Zuntz ττοινάν δ' άνταττέτεισ' έργων ενεκ' ούτι δικαίων (dazu Burkert
W., Le laminette auree: da Orfeo a Lampone. In: Orfismo in Magna Grecia. Atti del quattordicesimo
convegno di studi sulla Magna Grecia flaranto, 6-10 ottobre 1974], Neapel 1975, 94 f.); ferner Plat.
Cratyl. 400c5 (= OF 8) cos δίκην διδούση$ τή$ ψυχή$ ων δη ένεκα δίδωσιν; Pindar fr. 133,1 Sn.-M.
(oben Anm. 65) und l. 11,57 θανόντων μεν ένθάδ' αυτίκ* άττάλαμνοι φρένες | ττοινάς ετεισαν (dazu
Lloyd-Jones [wie Anm. 20] 89 f£); Arist. Προτρεπτικό* fr. lOb ROSS.
Cf. oben Anm. 68.
Cf. Kranz (wie Anm. 2) 30; Haussleiter J., Der Vegetarismus in der Antike (RGW 24). Berlin 1935,
79 ff.; Sfameni Gasparro G., Critica del sacrificio cruento e antropologia in Grecia: Da Pitagora a Porfirio
1: La tradizione pitagorica, Empedocle e TOrfismo. In: Vattioni F. (Hg.), Sangue e antropologia. Riti e
culti l (Centro Studi Sanguis Christi 5), Rom 1987, 107f£
De esu carn. 996b ... ου χείρον δ* ίσως και ττροανακρούσασθαι και ττροαναφωνήσαι τα τοο Έμπεδοκλέου$· ***. αλληγορεί γαρ ένταοθα τά$ ψυχά$, δτι φόνων και βρώσεω$ σαρκών και άλληλοφαγία$ δίκην τίνουσαι σώμασι θνητοΐ$ ένδέδενται. (c) καίτοι δοκεΐ παλαιότερος ouros ό λόγο$ είναι·
τα γαρ δη ττερι τον Διόνυσον μεμυθευμένα πάθη τοο διαμελισμοΟ και τα Τιτάνων έπ' αυτόν τολμήματα γευσαμένων τε του φόνου κολάσεις {τε τούτων] καΐ κεραυνώσει$, ήνιγμένος εστί μϋθο$ εις την
παλιγγενεσίαν κτλ.; c£ Casadio (wie Anm. 62) 132 (die Stelle wird auch von Brisson [wie Anm. 67]
495 f£ er rtert, allerdings mit fragw rdiger Gesamttendenz, cf. oben Anm. 67).
Aus diesem stammt vielleicht auch B 144 D.-K. νηστεΟσαι κακότητο$ (cf. Zuntz [wie Anm. 14] 232)
- eine Wendung, die sich auff llig mit OF 229 κύκλου τε λήξαι και άναπνευσαι κακότητο* ber hrt;
ob Empedokles dabei von orphischer Dichtung abh ngig ist oder umgekehrt, l t sich nicht entscheiden
(f r Priorit t des Empedokles Wilamowitz-MoeUendorff U v., Lesefr chte CCLXIX. In: ders., Kleine
Schriften IV: Lesefr chte und Verwandtes, Berlin 1962, 518 [= Hermes 65, 1930, 249f.]; umgekehrt
Kern [wie Anm. 23] 505; Rathmann [wie Anm. 23] 106 Anm. 89; Kranz [wie Anm. 23] 109). Gemeinsam
scheint der orphischen und der empedokleischen Eschatologie im brigen auch die Vorstellung eines
Banketts der Seligen im Jenseits zu sein; cf. B 147,1 D.-K. άθανάτοι$ άλλοισιν όμέστιοι, αυτοτράττεζοι
neben OF 4 (dazu Gtaf [wie Anm. 67] 98 ff.). Zu einer weiteren Parallele zwischen den Katharmoi und
der orphischen Dichtung c£ Zuntz (wie Anm. 14) 404 £
Zu Osbornes Hypothese, wonach dieses und die Katharmoi tan einziges Werk sind, siehe unten Anm.
100. In den antiken Tesdmonien werden Empedokles im brigen noch andere Werke zugeschrieben (ή
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Christoph Riedweg
berhaupt ein Urteil 2ul tj sind die inhaltlichen Ber hrungen mit der Orphik in diesem
Werk allerdings weniger 2ahkeich als in den KatharmoL
Immerhin, die f r Empedokles' Kosmogonie charakteristische Konzeption eines runden
Ur-Sphairos89, aus dem heraus unter Einwirkung des Streites die ganze Welt entsteht
(B 27 ff. D.-K.), scheint eng verwandt mit dem orphischen Weltei, dessen Auseinanderbrechen die Entstehung der Welt einleitet (OF 55 ff., cf? auch OF l Vers 695)90.
Wenn weiter der Dichter der Dervenitheogonie, wie West vermutet91, der Aphrodite
tats chlich eine kosmische Rolle zugewiesen hat, dann w re ein Vergleich mit der zuweilen
auch Aphrodite genannten Liebe (Φιλία), deren Wichtigkeit f r Empedokles' Naturerkl rung nicht weiter ausgef hrt zu werden braucht, vielleicht angebracht. Allerdings gilt es zu
bedenken, da Eros in verschiedenen Theo- und Kosmogonien, u. a. auch in derjenigen
seines philosophischen Vorl ufers Parmenides92, ebenfalls eine herausragende Bedeutung
zukommt93. Au erdem erinnert Empedokles' Gegen berstellung von Liebe und Zank
noch st rker an Iranisches als an Orphisches (der gute Geist Ahura Mazda vs. Ahriman94).
Erw hnung verdient schlie lich noch eine sprachliche hnlichkeit: Nach Auskunft eines
gewissen Epigenes95 wurde der Regen in der orphischen Dichtung metaphorisch als Tr nen des Zeus bezeichnet (OF 33). Diese Ausdrucksweise findet bei Empedokles in Fragment B 6,3 D.-K. ihre Entsprechung, wo von Nestis, der Wasserg ttin, gesagt wird, sie
benetze mit ihren Tranen den sterblichen Quellstrom (Νήστί$ θ', ή δακρύοις τέγγει
κρούνωμα βρότειον)96.
Lenkt man die Aufmerksamkeit als n chstes auf die literarische Foffl der beiden Gedichte,
so springt ein Unterschied sogleich in die Augen: W hrend sich Empedokles im Pro mjum
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Ξέρξου διάβασι$, προοίμιον εϊ$ Απόλλωνα, τραγωδίαι, πολιτικοί und Ιατρικός λόγος gem D. L.
¥111,57 f. 77 = 31 A l D.-K); c£ dazu Wright (wie Anm. 14) 17 ff.
In der Beschreibung desselben als κυκλοτερή* und πάντοθεν ϊσο$ <εοΐ> (Β 28 D.-K.; cf. B 29,3) ist
Empedoldes ohne Zweifel von Parmenides 28 B 8,42 D.-K. ff. beeinflu t. Da Simplikjos Vers 43 des
Parmenidesfragrnents εύκύκλου σφαίρη$ εναλίγκιον δγκω mit dem orphischen Weltei vergleicht [28 A
20 D.-K.], verdient in unserem Zusammenhang Beachtung.
Cf. Bignone (wie Anm. 22) 210; Armstrong (wie Anm. 23) 15. Zum orientalischen Hintergrund des
orphischen Welteis West (wie Anm. 25) 103 ff. — Zum angeblichen Vergleich des Kosmos mit einem Ei
bei Empedokles A 50 D.-K. cf. Bicknell P.J., The Shape of the Cosmos in Empedocies. PP 23 (1968)
118f.
West (wie Anm. 25) 92.
Cf. 28 B 13 D.-K.
Cf. West M. L. (Hg.), Hesiod, Theogony. Edited with Prolegomen and Commentary, Oxford 1966,195
zu Hes. Th. 120; siehe auch Calame Cl., Eros initiatique et la cosmogonie orphique. In: Borgeaud Ph.
(Hg.), Orphisrhc et Orphee, en l'honneur de Jean Rudhardt (Recherches et Recontres 3), Genf 1991,
227 ff.
Zum iranischen Einflu auf die fr hgriechische Philosophie allgemein cf. West M, L., Eady Greek Philosophy and the Orient, Oxford 1971, 213 f£
West (wie Anm. 25) 9 datiert ihn in die erste H lfte des 4. Jahrhunderts v. Chr.; cf. auch Burkert (wie ,
Anm. 62) 129 Anm. 50.
Cf. Bremer D., -Aristoteles, Empedokles und die Erkenntnisleistung der Metapher. Poetica 12 (1980)
364 f. Dieselbe Metapher scheint Pythagoras f r das Meer verwendet zu haben, cf. Arist. Περί των'
Πυθαγορείων fr. 6 ROSS (= 159 Gigon = Porph. V. Pythag. 41) Έλεγε δε τίνα. και μυστικφ τρόπω
συμβολικώ$, ά δη επί πλέον Αριστοτέλης άνέγραψεν· οΤον δτι την θάλατταν μεν έκάλει tεΐvαιt
(codd.; Κρόνου Stanley) δόχρυον κτλ. (cf. aem. AI. Strom. V£0,l Κρόνου ;δέ δάκρυον την θάλασσαν
άλληγοροΟντε$). ^- Nicht von Orphikern abh ngig ist pace Bignone (wie Anm. 22) 569 und Kern (wie
Anm. 41) 95 (OF 26) EmpedokJes B 57 D.-K, cf. Wilamowjtz (wie Anm. 87) 518.
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Orpfeisches bei Empedokles
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der «Reinigungen» an Mitb rger von Akragas wendet (B 112,1 ff. D.-K.) und auch sonst in
diesem Werk stets eine Mehrzahl von Zuh rern vorauszusetzen scheint97, richtet er die in
der Antike gew hnlich als Περί φύσεως bzw. Φυσικά zitierte naturphilosophische Schrift98
an eine ganz bestimmte Einzelperson: an Pausanias, den Sohn des Anchites". Dieser
grundlegende formale Unterschied scheint mir trotz der von Catherine Osborne ge u erten, wenig stichhaltigen Einw nde100 hinreichend zu zeigen, da die erhaltenen Fragmente
nicht aus einem einzigen Gedicht stammen k nnen, sondern da — in bereinstimmung
mit dem Zeugnis des Diogenes Laertios VIII,77 (= A l D.-K.) — von zwei verschiedenen
Werken auszugehen ist101, wobei sich diese gedanklich in mancher Hinsicht eng ber hren.
Zuntz spricht zu Recht von einer «over-all unity of the dominating conception»102. Gerade
wegen dieser auch von vielen anderen Forschern beobachteten inneren Einheitlichkeit103
97
98
99
100
101
lf<2
103
Cf. B 114 D.-K. ω φίλοι, οΐδα μεν οονεκ' άληθείη πάρα μύθοις, | ους εγώ έξερέω· μάλα 5' άργαλέη
γε τέτυκται | άνδράσι και δυσζηλος έττι φρένα ττίστιος ορμή. 136 ου τταύσεσθε φόνοιο δυσηχέος;
ουκ εσορατε | αλλήλους δάτττοντες άκηδείησι νόοιο; 141 δειλοί, ττάνδειλοι, κυάμων από χείρας
εχεσθαι. 145 τοιγάρτοι χαλεπτ|σιν άλύοντες κακότησιν | ουποτε δειλαίων άχέων λωφήσετε θυμόν
(die letzten drei Fragmente k nnten an sich auch an die Menschen allgemein gerichtet sein, c£ 124 ώ
πόποι, ώ δειλόν θνητών γένος, ώ δυσάνολβον, | τοίων εκ τ' ερίδων εκ τε στοναχών έγένεσθε).
Cf. zur Frage des Titels Schmalzriedt E., Peri Physeos. Zur Fr hgeschichte der Buchtitel, M nchen
1970, 123 f.; Wright (wie Anm. 14) 85 f.; Osborne G, Empedocles Recycled. CQ 37 (1987) 26 Anm. 13.
C£ u.a. auch Nestle (wie Anm. 18) 114 «w hrend der Dichterphilosoph seine.Seelenmystik als neue
Offenbarung, von Stadt zu Stadt ziehend, jedermann verk ndigt, um den Verirrten den <Pfad zum Heil>
zu weisen, und er das Gedicht aus der Ferne, vielleicht aus der Verbannung, seinen Freunden in Akragas
sendet (gegen die traditionelle Auffassung, Empedokles schreibe aus der Fremde, allerdings Kahn [wie
Anm. 31] 5 Anm. 6 und R sler [wie Anm. 12] 172 ff.), richtet er das Lied ber die Natur, wie eine
Geheimlehre, nur an einen einzigen, namentlich genannten Freund, Pausanias, bei dem er einen <reinen
Sinn> voraussetze usw.; Guthrie (wie Anm. 21) 137; Kirk^-Raven-Schofield (wie Anm. 5) 313.
Osborne (wie Anm. 99) 31 £ Osbornes Versuch, die Identit t von Περί φύσεως und Καθαρμοί zu
erweisen, gr ndet sich insgesamt auf ein Geflecht vager Vermutungen (geradezu als petitio pnncip mutet
es an, wenn sie ihre Argumentation mit den Worten einleitet: «It is not clear who ftrst invented p] the
notion that Empedocles wrote two poems» [24]; aus den widerspr chlichen Angaben des Diogenes
Laertios und der Suda zur Verszahl der Empedokleischen Werke schlie t sie, «that both are suspect s
evidence for Empedocles' books» [29]; doch der Widerspruch l t sich mit Zuntz [wie Anm. 14] 236 ff.
m. E, plausibel berlieferungsgeschichdich erkl ren [cf. auch die Diskussion des Problems bei O'Brien
D., Pour Interpreter Empedocle, Paris-Leiden 1981, 9 ff.]); ablehnend gegen ber Osborne ebenfalls
Mansfeld J., Heresiography in Contexfc Hippolytus' Ekncbos s a Source for Greek Philosophy (Philosophia Antiqua 56), Leiden-New York-K ln 1992, 227ff. (cf. dens. [wie Anm. 42] 79); Inwood (wie
Anm. 21) 8 f£ hingegen bernimmt, wenn auch unter Vorbehalten, ihre Hypothese und spielt daher
den formalen Unterschied herunter (13 Anm. 29 «... I do not think that the argument from the
adressees of various quotations actually helps us to establish anything about the poems»).
Der communis epinio gem sind die Katharmoi nach Περί φύσεως verfa t worden, cf. u. a. Reinhardt
(wie Anm. 16) 501 f£; Zuntz (wie Anm. 14) 184; Kahn (wie Anm. 31) 5. 11 Anm. 23; Lambridis H.,
Empedocles. With a Prefatory Essay «Empedocles and T. S. Eliott» by McLuhan M. (Studies in the
Humanities 15), University of Alabama 1976, 130f.; Wright (wie Anm. 14) 63. 81 Anm. 23; KirkRaven—Schofield (wie Anm. 5) 314 «there is 'general agreement that Pttrijications is the latcr poem».
Durchschlagende Gr nde f r diese Annahme lassen sich allerdings nicht vorbringen; eine mehr oder
weniger gleichzeitige Entstehung vermutet Nestle (wie Anm. 23) 152f£; f r Priorit t der Katharmoi
dagegen Kranz (wie Anm. 23) 109 f£ und ders. (wie Anm. 2) 26 mit Anm. 13.
Zuntz (wie Anm. 14) 184; cf. 269 «The Pbysika and Kalharmoi, thus interconnected, make one whole
covering the Empedoklean concept of the world, his <ph osophy> (to use the later term), in its totality.»
Cf. die Angaben bei Osborne (wie Anm. 99) 31 Anm. 39; au erdem Guthrie (wie Anm. 21) 124 ff;
Wright (wie Anm, 14) 57 f£ 298; Babut (wie Anm. 66) 144 f£ (148 «la doctrine du poeme religieux ne
paralt pas separable de celle du poeme physique>>); Barnes (wie Anm. 54) 495 ff.; Kirk-Raven-SchoUnauthenticated
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Christoph Riedweg
ist die Anrede f r uns heute oftmals das einzige Kriterium, um ein ohne Herkunftsangabe
zitiertes Fragment der einen oder anderen Schrift zuweisen zu k nnen.
Die antike berlieferung hat zwischen Dichter und Adressat, zwischen Lehrer und
Sch ler, ein Liebesverh ltnis konstruiert. Das ist topisch; hnliches h rt man von Parmenides und Zenon104 bzw. Parmenides und Empedokles105. Bei Diogenes Laertios VIIIjoO
lesen wir jedenfalls (A l D.-K., gefolgt von B l D.-K.106):
ή v 5J ό Παυσανίας, ώ$ φησιν Αρίστιππος και Σάτυρρς, ερωμένος αυτού, ω δη και
τα Περί φύσεως προσπεφώνηκεν ούτως·
Παυσανίη, συ δε κλοθι, δαΐφρονος Άγχίτεώ10^ υιέ.
«Pausanias aber war, wie Aristippos und Satyros sagen, sein Geliebter. An ihn hat er auch
die Schrift ( ber die Natur> gerichtet, [und zwar] folgenderma en:
<Pausanias, du aber h re, Sohn des klugen Anchites>».
Wir werden auf diesen Vers — brigens der einzige in den erhaltenen Fragmenten, in dem
der Name des Adressaten erw hnt wird108 - noch zur ckkommen.
In einem anderen Fragment, welches Bollack im Gefolge von Kahn109 mit guten Gr nden gegen die (noch immer vorherrschende) communis opiftiolw dem Anfang des Gedichtes
zugewiesen hat111, verspricht Empedokles dem Pausanias als Folge der Unterweisung Groes, ja geradezu Unerh rtes (Bill D.-K.)11?:
field (wie Anm. 5) 314 «It (sc. das Reinigungsgedicht) c nt ins numerous references to themes and
concepts (e. g. Love, Strife, the four elements, the oath) which assurae in it a key function fully expiicable
only within the theoretic l Framework f On Nafure» etc.
104
28 A 5 D.-K. ό δη Ζήνων διακήκοε Παρμενίδου και γέγρνεν αυτού παιδικά.
105
31 Α 2 D.-K. ήκροάσατο δε πρώτου Παρμενίδου, ουτινο$, ώ$ φησι Πορφυριοξ εν τη Φιλοσοφώ
ιστορία (fr. 208 Smith), και έγένετο παιδικά.
106
= fr. 3 Bollack = ff. 1,27 Gallavotti = fr, 4 Wright = fr. 13 Inwood.
107
Άγχίτεω AP YH,508,1 (B 156 D.-K.); Άγχίτου codd.
108
Zu den antiken Nachrichten ber Pausanias ς£ Wright (wie Anm. 14) 160.
109
Kahn (wie Anm. 31) 8 Anm. 13 «The use of the future tense in this fragment ( s in Parmenides B 10)
suggests that it appeared early in the poem, not at the end where Diels has placed it».
110
Die Verse stehen bei D.-K. (wie Anm. 6), Gallavotd (wie Anm. 18) (bei diesem folgt nachher noch B 5
D.-K., cf. unten Anm. 177) und Wright (wie Anm. 14) ganz am Schlu von Περί φύσεως, bei Mansfeld
J. (Hg.), Die Vorsokratiker II: Zenon, Empedokles, Anaxagoras, Leukipp, Demokrit. Auswahl der Fragmente, bersetzung und Erl uterungen, Stuttgart 1986 am Ende von Buch 2 (fr. 145); cf. auch Bignone
(wie Anm. 22) 63 Anm. 4; Kranz (wie Anm. 2) 67 («Schlu prophezeiung») etc. Bollacks Plazierung
bernehmen Kirk-^Raven—Schofield (wie Anm. 5) 285 f.; auch Inwood (wie Anm. 21), der von Osbornes fragw rdiger Hypothese ausgeht, da Περί φύσεως und Katharmoi ein einziges Gedicht darstellten
(oben Anm. 100), plaziert die Verse am Anfang (fr. 15).
111
Cf. Bollack J., Empedocle, Paris 1965-9 (Repr. 1992), 111,6 «tout, l forme et le fond, recommande de
placer ces vers au debut du poeme» etc. und 22 u. a. «Les futurs ... ont un sens au debut du poeme;
ne peut y avoir de revelation plus secrete que celle qui touche les elements ... πεύση du vers 2 m'a
fait penser a πεύσεαι de 10,9; de meme, μουνω σοι εγώ κρανέω a συ δ' oyv, έπει ... (10,8) ... La
fin de 10 fait miroiter les richesses incomparables de la science (ου πλεΐόν γε). 12 entrait alors dans
un passage o Empedocle en tracait Tetendue seductrice. Le proeme est le lieu le plus apte a contenir
ces declarations» (weniger berzeugend ist Bollacks Verkn pfung von B 111 D.-K. mit B 3 D.-K., cf.
Flashar H., Eidola. Ausgew hlte Kleine Schriften [h^., mit einem Vorwort und einer Bibliographie
versehen von M. Kraus], Amsterdam 1989, 224 f.). Cf. bereits Schadewaldt (wie Anm. 20) 448 «So
k nnte man gleich fragen, ob nicht das letzte Fragment, 111, sogar in das Prooimion geh rt».
112
= fr. 12 Bollack = fr. 98 Gallavotti == fr. 101 Wright = fr, 15 Inwood. VanrGroningen (wie Anm. 45)
h lt das Fragment f r unecht, doch cf. Bollack (wie Anm. 111) 111,19 f£ und Fiashar (wie Anm. 111)
225.
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Orphisches bei Empedokles
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φάρμακα δ' δσσα γεγασι κακών και γήραο$ άλκαρ
ττευση, έττεί μούνω σοι εγώ κρανέω τάδε ιτάντα.
παύσεις δ' ακαμάτων ανέμων μένος οι τ' έττί γαΐαν
όρνύμενοι πνοιαΤσι κοπταφθινυθουσιν άρόύρα$·
και πάλιν, ην εθέλτ|σθα, παλίντιτα πνεύματ' επάξει$·
θήσει$ δ* εξ δμβροιο κελαινοΰ καίριον αυχμόν
άνθρώττοις, θήσει$ δε και εξ αυχμοΐο θερείου
ρεύματα δενδρεόθρεπτα, τα τ* αιθέρι ναιετάουσι113·
άξει$ δ' εξ Άίδαο καταφθιμένου μένος ανδρός.
s
«Heilmittel, soviele es gibt gegen Unheil, und Schutz gegen das Alter
wirst du kennenlernen, da ich einzig f r dich dies alles vollbringen werde.
Ein Ende wirst du der Gewalt der unerm dlichen Winde bereiten,
die ber die Erde fegen und mit ihren St en die cker zugrunde richten.
Und umgekehrt wirst du, wenn du m chtest, im Ausgleich [sc. zur Windstille]m Winde
herbeif hren.
Nach dunklem Regen wirst du rechtzeitig Trockenheit f r die
Menschen bewirken, Du wirst aber auch nach der sommerlichen Trockenheit
b ume-n hrende Str me bewirken, die im ther wohnen.
Du wirst aus dem Hades die Kraft eines verblichenen Menschen [wieder] herfuhren».
W re hier nicht die Anrede an die zweite Person, moderne Kritiker h tten kaum gez gert,
das Fragment den Katharmoi zuzuweisen115: so sehr gemahnen die bermenschlich-thaumaturgischen F higkeiten, die dem Pausanias hier in Aussicht gestellt werden und die dieser
zugunsten der Menschen einsetzen wird, an Empedokles' eigenes heilbringendes Wirken,
wie er es im eingangs besprochenen Fragment B 112 D.-K. umschreibt116.
Auff llig ist die Exklusivit t der Unterweisung: «einzig f r dich werde ich dies alles
vollbringen» (2 έττεί μούνω σοι εγώ κρανέω τάδε ττάντα). Dieser Exklusivit t entspricht
auf der Seite des Sch lers Pausanias eine — vielleicht zugleich w rtlich und bertragen zu
verstehende — Absonderung von den brigen Sterblichen, die gem Fragment B 2 D.KL in ihren Leben nur einen geringen Teil des Ganzen sehen117 und wegen mangelnder
Verkn pfung der verschiedenen Sinneseindr cke einen sehr beschr nkten Erfahrungshorizont haben: Pausanias wird das, was den Augen und Ohren und dem Verstand der anderen
verborgen bleibt118, erfahren, weil er sich «hierher abgesondert» hat (B 2,8 f. D.-K. συ
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117
118
corr. Bollack (c£ B 76,3 D.-K.); ναιήσοντοΛ vel sim. codd; άίσσονται Wilamowitz.
Zu τταλίντιτα c£ Bollack (wie Anm. 111) 111,24.
Dies tut jetzt in einem in mancher Hinsicht problematischen Aufsatz Sedley (wie Anm. 1) 273 (unter
Berufung auf Osborne [wie Anm. 99] in Anm. 17: «The second person Singular in B 111 cannot be
used, s traditionally it has been, to settle the quesdon of its provenance in favour oi" On Nature. on
the impotence of this criterion see Osborne 31 £»),
Die innere Zusammengeh rigkeit der beiden Fragmente hat schon Clemens von Alexandrien empfunden, wenn er in Strom. VI,30,2f. B 112,10. 12 D.-K. unmittelbar nach B 111,3-5 D.-K anfuhrt; cf.
auch Uoyd (wie Anm. 19) 34 £; Barnes (wie Anm. 54) 496. Zu den Anekdoten ber Empedokles'
Wimdert tigkeit (Bannung sch dlicher Winde mit Eselsfellen; Wiederbelebung einer seit drei ig Tagen
leblosen Frau) und ihrem Verh ltnis zu B 111 D.-K cf. Wrigbt (wie Anm. 14) 261 £
3 τταΟρον δε ζωήσι όλου (scr. Mansfeld [cf. Vers 6 und B 39,3 D.-KJ; βίου codd.) μέρο$ άθρήσαντε$
(corr. Scaliger; άθρήσαντο$ bzw. άθροίσαντος codd.; άθροίσαντες Bollack).
C£ B 2,7 D.-K oCnrcos OUT* έπιδερκτά τάδ' άνδράσιν οοτ' έπακουστά | ούτε νόω περιληπτά.
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Christoph Riedweg
<5'>119 ουν, έτπτει ώδ* έλιάσθη$, | πεύσεαι)120. Diese Absonderung ist offensichtlich Voraussetzung f r Empedokles' Belehrung, die das H chste, wozu der menschliche Scharfsinn
f hig ist, bieten wird (ου ττλεΐόν ye βροτέίη μητι$ ρροορεν — Vers 9 in der Lesart der
Hss.121).
Im Laufe des Gedichtes wendet sich der Autor wiederholt direkt an seinen Adressaten:
B 3,9 D.-K.122 «Doch wohlan, betrachte jedes einzelne Ding mit jedem Sinneswerkzeug,
auf welchem Weg es sich [dir] dartut» usw.;
B 4,2 D.-K. «wie die Beglaubigungen von unserer Muse [dich] hei en, so erkenne [die
Wahrheit], wenn die Ausf hrungen in deinem Innern verteilt sind123»;
B 6,1 D.-K. «Vernimm als erstes die vier Wurzeln von allem»;
B 8,1 D.-K. «Etwas anderes will ich dir sagen: Bei keinem sterblichen Ding gibt es
Entstehung noch irgendein Ende, einen verw nschten Tod, sondern nur Mischung und
Trennung des Vermischten gibt es; <Entstehung> aber wird es bei den Menschen genannt»;
B 17,14 D.-K. «Doch wohlan, h re meine Worte, denn Lernen wird dir den Verstand
mehren. Wie ich n mlich schon zuvor beim Aufzeigen des Wesentlichen meiner Worte
gesagt habe, werde ich Doppeltes erz hlen: Bald mehrt es sich n mlich zu einem Einzigen aus mehreren Dingen zusammen, bald w chst es aus einem zu mehreren Dingen
auseinander, Feuer und Wasser und Erde und die unerme liche H he der Luft» etc.
Man gewinnt den Eindruck, als ob Empedokles immer da, wo es sich um f r ihn zentrale
Lehraussagen handelt — das Zusammenwirken der Sinne, die Elemente, Deutung von
Geburt und Tod als deren Verbindung und Trennung usw. —, seinen Worten durch direkte
Anrede des Pausanias Nachdruck verleihen m chte124.
An der sozialen Rangordnung wird dabei kein Zweifel gelassen: In der Fortsetzung des
eben zitierten Fragmentes herrscht Empedokles, nachdem er die beiden kosmischen Kr fte
Liebe und Streit (φιλία und νέϊκος) erw hnt hat, seinen Adressaten an, mit dem Verstand
auf die Liebe zu blicken und nicht einfach mit verdutztem Gesicht dazusitzen (B 17,21 D.K.125: την συ νόω δέρκευ126, μηδ' δμμασιν ήσο τεθηπώ$). Es geh rt augenscheinlich
zur literarischen Fiktion, da Pausanias w hrend des Vortrags neben Empedokles sitzt und
119
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126
add. Bergk.
Zuntz (wie Anm. 14) 406 f. bernimmt Rohdes Deutung von ώδε als «hierher» im Sinne von «auf diese
Erde» (cf. auch Nestle [wie Anm. 18] 113 Anm. 43); diese setzt jedoch die fragw rdige Emendation
des letzten Verses ου πλέον ήέ βροτείη μήτι$ δρωρεν (siehe folgende Anm.) voraus (c£ Zuntz a. O.,
407 «Since you are man, you will -hear no more than human understanding can Stretch to») und ist
deshalb abzulehnen.
Die Emendation oO πλέον (vel πλέον') ήέ (Karsten, Stein, Diels) wird von Bollack (wie Anm. 111)
111,17 f. zu Recht verworfen («Pausanias .a suivi le maitre; il connaitra la venteijamais du moins pensee
humaine nc s'est baussέe davantage» usw.).
Nach Ansicht verschiedener Forscher (u.a. Reinhardt [wie Anm. 16] 502ff; Wright [wie Aom. 14] 157.
161; Erren M., Die Anredestruktur im archaischen Lehrgedicht. In: Kullrnann W—Reichel M. [Hgg.],.
Der bergang von der'M ndlichkeit zur Literatur bei den Griechen [ScriptOralia 30], T bingen 1990,
195) richtet sich Empedokles bereits ab Vers 6 an Pausanias; anders u.a. JCranz (wie Anm. 2) 39; Kahn
(wie Anm. 31) 6f.; Bollack (wie Anm. 111) 111,31 f.; Mansfeld (wie Anm. 110) 72, der με statt des·
berlieferten σε schreibt.
διατμηθέντος cod.; διασοτ|θέντο$ Diels; διατμισθέντο$ Wilamowitz.
Cf. au er den im folgenden zus tzlich genannten Stellen auch noch B 2^1 und B 38 D.-K.
= fr. 31,20 Bollack = fr. 4,20 Gall votti = fr. 8,21 Wright = fr. 25,21 Inwood.
Cf. Parmenides 28 B 4,1 D.-K. λεοσσε δ' 6μω$ άπεόντα νόω παρεόντα βεβαίως
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Oiphisches bei Empedokles
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den Worten seines Meisters mehr oder weniger verst ndnisvoll lauscht. Dieser betont im
brigen mehrmals die Wahrheit seiner Rede und warnt Pausanias vor tr gerischen Meinungen127.
Soweit unterscheidet sich Empedokles5 Naturgedicht typologisch kaum von anderen Lehrepen, und man hat denn auch nicht gez gert, Περί φύσεω$ dieser literarischen Gattung
zuzuordnen128, ohne auf die verschiedenen Signale in den erhaltenen Versen zu achten,
die deutlich in eine andere Richtung weisen. Beginnen wir mit Fragment B 110 D.-K.129.
Da dieses Fragment aus der Schlu partie von Περί φύσεως stammt, wird allgemein anerkannt. Zusammenfassend ermahnt der Autor Pausanias, die Wurzelkr fte des Alls — Inbegriff von Empedokles' Lehre — in reinem Bestreben zu beschauen (l ει γαρ κεν σφ'
άδινησιν130 υπό πραττίδεσσιν έρείσα$ | εύμενέως καθαρησιν εποπτευτώ131 μελέτησιν, |
ταΰτά τέ132 σοι μάλα πάντα δι* oucovos τταρέσονται κτλ.) und nicht nach anderen
Dingen zu verlangen, welche die Gedankensch rfe stumpf machen133.
Es ist kaum Zufall, da Empedokles zur Bezeichnung der von Pausanias geforderten
geistig-sinnlichen Aktivit t in Vers 2 Vokabeln verwendet, die unverkennbar kultisch-religi se Konnotationen aufweisen: (ει γαρ κεν ...) καθαρησιν έποτττεύτ)$ μελέτησιν. Das
Verb έττοπτευειν weckt Assoziationen an Mysterienweihen, die zumindest in Eleusis, vielleicht aber auch anderswo in der έτΓΟτττεία, der Schau, gipfelten134. Diese H chststufe der
Initiation setzt nach den antiken Zeugnissen kultische Reinheit voraus'135; «rein» werden
hier in bertragenem Sinn entsprechend die geistig-sinnlichen bungen genannt.
W re dies die einzige Stelle in Περί φύσεω$, wo intertextuelle Bez ge zur Kultwirklichkeit festzustellen sind, so w rde man Jean Bollack und Rosemary Wright, denen die Herkunft des Vokabulars aus den Mysterien nicht entgangen ist, vielleicht zustimmen, wenn sie
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B 17,26 D.-K. ... συ 5' άκουε λόγου στόλον ουκ άπατηλόν; Β 23,9 D.-K. ούτω μη σ' απάτη φρένα
καινύτω άλλοθεν είναι | θνητών, δσσα γΈ δήλα γεγάκασιν άσπετα, ττηγήν, | άλλα τορώς ταϋτ'
Τσθι, οεοΟ πάρα μυθον άκουσας; cf. auch Β 62,1 D.-K. νυν δ' ay' ... | ... | τώνδε κλύ'· ου γαρ μύθο*
άπόσκοπο* ουδ' άδαήμων.
C£ etwa Kranz W., Das Verh ltnis des Sch pfers zu seinem Werk in der althellenischen Literatur. Ein
Versuch. In: ders., Studien zur antiken Literatur und ihrem Fortwirken. Kleine Schriften (hg. von E.
Vogt), Heidelberg 1967, 19 (= Neue Jahrb cher 53 [1924] 78 f.); dens. (wie Anm. 2) 38 «Es hat die
Form der alten Hypothekaigedichte, das hei t jener bis ins hohe griechische Altertum zur ckreichenden
Lehr- und Mahngedichte, in denen ein Meister zum Sch ler spricht. So hat zum Beispiel einst in einem
noch anonymen Epos der Kentaur Chiron seinem Z gling Achill Lebensregeln gespendet; so hat
Hesiod seinen Bruder bekehrt, und auch die Empedokleischen <Katharmoi> geh ren in weiterem Sinne
in diese Reihe, die <Physika> aber in ganz besonderem Sinne» usw.; P hlmann E., Charakteristika des
r mischen Lehrgedichts. ANRW 1,3 (1973) 841 ff.; Schadewaldt (wie Anm. 20) 438 «... Pausanias ...,
den er anredet als seinen Sch ler, wie es im Lehrgedicht blich war»; Erren (wie Anm. 122) 185 ff. etc.
= fr. 699 Bollack = fr. 1,37 f£ Gallavotti = fr. 100 Wright = fr. 16 Inwood.
corr. Schneidewin; και εν σφαδίνησιν cod.
scc. Riedweg; εποπτεύει* cod., Bollack; επόπτευση* Schneidewin, D.-K.; εποπτεύσει* Wright.
corr. Schneidewin; δε cod. .
C£ allgemein zu diesem Fragment und bes. auch zur Deutung von σφ* Schwabl H., Empedokles fr. B
110. WS 69 (1956) 49 f£; Long A. A., Thinking and Sense-Percepdon in Empedocles: Mysticism or
Materiaiism? CQ RS. 16 (1966) 269 f£; Bollack (wie Anm. 111) 111,577 ff.; Wright (wie Anm. 14) 258 £
Cf. Verf, (wie Anm. 39) 5 ff. 40 £ 128£; Burkert (wie Anm. 40) 58 f.
C£ Vcr£ (wie Anm. 39) 5f£ 55 f. 124£; «Reinigungen» im Zusammenhang mit orphisch-bakchischen
Weihen bei Plat. R. 364e6 und Phdr. 244e2 (oben Anm. 38); cf. ferner Demosth. Or. 18,259 (= OF
test. 205).
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in Vers 2 gleichwohl keine Anspielung auf Initiationsriten sehen wollen, sondern glauben,
Empedokles habe mit seiner Wortwahl blo stilistische Feierlichkeit beabsichtigt136. Da
eine solche Deutung indessen zu kurz greift, legt der Vergleich mit dem Pro mium nahe.
Pro mium und Epilog, aus dem Fragment 110 stammt, sind nicht nur durch die Wiederholung einer Versh lfte ringkompositorisch aufeinander bezogen137. Der in B 110 D.-K.
vorgefundene Reinheitsgedanke spielt bereits in Fragment B 3 D.-K. eine prominente Rolle;
Empedokles bittet in den ersten beiden Versen die G tter darum, den Wahn anderer138
von seiner Zunge abzuwenden und aus heiligen M ndern reines Quellwasser flie en zu
lassen (2 εκ δ' οσίων στομάτων καθαρή ν όχετεύσατε πηγή ν).
Das mit ritueller Sprache durchsetzte Fragment B 3 D.-K., dessen Zugeh rigkeit zum
Pro mium durch den Musenanruf gesichert scheint, ist berhaupt das wichtigste Zeugnis
daf r, da es sich, wie schon Charles Kahn in einem Aufsatz von 1960 dargelegt hat, bei
der Schrift « ber die Natur» insgesamt nicht etwa um einen «tract of scientific rationalism»
im Gegensatz zu den Katharmoi handelt, sondern, mindestens was die Einkleidung, die
literarische Form betrifft, ebenfalls um ein religi ses Werk139; Wie recht Kahn in der Tat
mit seiner Feststellung hat, da das Pro mium und besonders Fragment 3 «the spirit of
mysterious, half-suppressed revelation» atme (6)140, zeigt der erw hnte Musenanruf in
Vers 3 f.: «und dich, vielumworbene, wei armige Jungfrau Muse, flehe ich um das an, was
die Eintagsgesch pfe zu h ren befugt sind» (άντομαι, ων θέμι$ εστίν εφημερίοισιν ακούει ν141). Vers 4 klingt un berh rbar an eine orphische Mysterienformel an (OF 245,1):
Φθέγξομαι οΐ$ θέμι$ εστίν θύρας δ' έττίθεσθε βέβηλοι | πάντες όμως - «Ich werde zu,
jenen sprechen, die befugt sind (sc. zu h ren)142. Die T ren aber schlie t, ihr Uneingeweihten, alle zugleich!»143
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143
Bollack (wie Anm. 111) 111,578 f. «Le vocabulaire parait emprunte au langage des mysteres. U faut se
garder cependant d'y voir une allusion a des pratiques etablies (pythagoriciennes par exemple). Les
exercices contemplatifs s'expliquent parfaitement par la doctrine exposee dans les Ongmes ... καθαραι
μελέται ne sont pas.les exercices purifiants par lesquels on prepare son 4me a rinitiatipn. L'ascese est
toute active, sensorielle et uverte s r l'univers; eile se pratique a chaque instarit de la vie ...»; Wright
(wie Anm. 14) 259 «the Initiation vocabulary of the line expresses Pausanias* rheditation on E."s words
in terms of bis being granted the final revelation after purificatory rituals, but this is to add solemnity
to the poem's epilogue rather than to indicate <Orphio or Pythagorean filiations on E.'s part». Auf den
mysterienkultischen Hintergrund der Ausdr cke weist im brigen schon Bignone (wie Anm. 22) 480
ad loc. hin.
B 2,2 und 110,7 D.-K. ..'. δειλ(ά) ... τα τ' bzw. ά τ1 άμβλύνουσι μεριμνάς; cf. SchwabI (wie Anm.
133) 51 f.; Long (wie Anm. 133) 271.
Die Deutung von των (Vers 1) ist -umstritten; cf. die Diskussion bei Bollack .(wie Anm. 111) 111,276 f.
und Wright (wie Anm. 14) 157 f.
Kahn (wie Anm. 31) 6 ff.
Zustimmend Zuntz (wie Anm. 14) 218. Cf. auch Wright (wie Anm. 14) 159 «The ritualistic language
of this fragment makes it more than the stock poetic request for divine assistance; its general tone
seems more suited to the Katharm i and shows how the edges of a division between the two poems s
religious versus scientific are blurred».
Zur Konstruktion von άντομαι cf. Bollack (wie Anm. 111) 111,29.
Zur Erg nzung cf. Verf. (wie Anm. 150) 28.
·
Cf. schon Kern (wie Anm. 23) 504 f. und dens. (wie Anm. 41) 258 «Omnium primus versum Orphicum*'
de silentio mystico imitari videtur Empedodes»; Rathmann (wie Anm. 23) 126 «sententiam Orphicam
respiciens verecundia deorum adductus Camenam orat, ne plus aperiat, quam hominibus miseris audire
fas sit»; Kranz (wie Anm. 23) 112. Zwar verwendet auch Parmenides in religi sem Kontext den Begriff
Θέμις (28 B 1,28 D.-K.), jedoch nicht in Verbindung mit άκούειν (zum grunds tzlichen formalen Unterschied zwischen Parmenides' und Empedokles' <Offenbarungf siehe unten am Schlu ).
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Orphisches bei Empedokles
55
Da diese in der Antike h ufig zitierte Formel alt ist und aus orphischer Dichtung
stammt, daf r liefert jetzt der Dervenipapyrus eine willkommene Best tigung144. Da sie
berdies wohl im orphisch-bakchischen Initiationen Verwendung fand, darauf deutet eine
ber hmte Stelle in Platons Symposion hin, wo Alkibiades seine intimeren Enth llungen
ber Sokrates' erotisches Verh ltnis zu ihm nur denjenigen, die an der philosophischen
μανία και βακχεία Teil gehabt haben, erz hlen will, die Sklaven aber, und wenn sonst
noch einer uneingeweiht und ungebildet sei, unter offenkundiger Anspielung auf die orphische Formel dazu auffordert, «ganz gro e T ren vor ihre Ohren zu schieben» (218b =
OF 13).
In fr. 245 der Kernschen Sammlung der Orpheus zugeschriebenen Dichtung leitet diese
Mysterienformel eine von Orpheus an Musaios gerichtete theologische Offenbarung ein,
die formal auff llige bereinstimmungen mit Empedokles' naturphilosophischer Offenbarung an Pausanias aufweist145, welche bekanntlich ja stets auch Rede von den G ttern,
θεολογία, ist — man denke nur an die Gleichsetzung der ungewordenen Elemente mit
bestimmten G ttern146 oder an die Verg ttlichung der beiden kosmischen Kr fte Φιλία
und NetKos147, des Sphairos148 usw.149
Auf dieses unter verschiedenen Aspekten sehr interessante und vieldiskutierte ps.-orphische Gedicht ist deshalb kurz etwas n her einzugehen. Es wirft an sich eine ganze Reihe
von z. T. recht diffizilen Problemen auf, etwa was die nicht leicht zu berschauende berlieferungsgeschichte oder auch die literarische Form betrifft, die m. E. fr her nicht richtig
erfa t wurde. Eine eigene Untersuchung dieser Fragen ist vor kurzem erschienen150, so
da hier eine thesenartige Zusammenfassung der f r unser Thema relevanten Ergebnisse
gen gen kann.
Dieses Orpheus zugeschriebene Gedicht ist anders, als man meist annimmt, lediglich in
zwei Versionen berliefert: in einer Urfassung und in einer erweiterten berarbeitung151.
(Die Kompilation der beiden Versionen in der fr hbyzantinischen T binger Theosophie
kann an dieser Stelle au er Betracht bleiben.) Die berarbeitung erweist sich wegen deutlicher Anspielungen auf Abraham und Moses unzweifelhaft als j disch152. Auch die f r uns
wichtige Urfassung d rfte m. E. von einem j dischen Autor stammen, doch geht dies aus
144
145
146
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148
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150
151
152
col. iii,8 ZPE; cf. Verf. (wie Anm. 150) 47 Anm. 118.
Auf die hnlichkeit macht auch Walter N., Pseudepigraphische j disch-hellenistische Dichtung: PseudoPhokylides, Pseudo-Orpheus, Gef lschte Verse auf Namen griechischer Dichter. In: K mmel W. G.
(Hg.), J dische Schriften aus hdlenistisch-r mischer Zeit IV, G tersloh 1983,227 Anm. 56 aufmerksam,
dessen Gesamtinterpretation der literarischen Form von OF 245 allerdings verfehlt ist (cf. Verf. [wie
Anm. 150] 48 mit Anm. 119).
B 6 D.-KL; cf. auch B 59,1 (mit den Erl uterungen von Bollack [wie Anm. 111] 111,417 f.; Wright [wie
Anm. 14] 212).
Cf. B 16 D.-K.; auch B 86 D.-K. δΤ Αφροδίτη etc
B 31 D.-K.; cf. B 27-9 D.-K.
C£ auch die theologischen Ausf hrungen in B 134 D.-K. (durch Tzetzes f r das 3. Buch der φυσικά
gesichert), ferner B 131,3 D.-K. ενχομένφ v v ούτε παρίστασο, Καλλιόπίΐα, | άμφι θεών μακάρων
αγαθόν λόγον έμφαίνοντι (das Fragment wird heute gew hnlich den Φυσικά zugewiesen; cf. Kahn
[wie Anm. 31] 6 Anm. 8; Wright [wie Anm. 14] 159). Siehe allgemein auch Wright (wie Anm. 14) 254.
Verf., J disch-hellenistische Imitation eines orphischen Hicros Logos - Beobachtungen zu OF 245
und 247 (sog. Testament des Orpheus) (Classica Monaccnsia 7), T bingen 1993.
Cf. Ver£ (wie Anm. 150) 6f£
OF 247,23 ff. und 36 f.
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56
Christoph Riedweg
den Versen, die u. a. echt-orphisches und stoisches Gedankengut enthalten, weniger eindeutig hervor, und es fehlt in der modernen Literatur nicht an Stimmen, die f r paganen
Ursprung pl dieren (u. a. E. R. Goodeno gh und E. Bickerman)153.
In Kerns Fragmentsammlung sind die Verse unter der berschrift Διαθήκαι («Testamente») aufgef hrt154. Als «ps.-orphisches Testament» werden sie heute in der Regel auch
zitiert, meist ohne da man sich dabei Rechenschaft dar ber ablegen w rde, da es sich
nur um einen von zwei in den antiken Texten erw hnten Titeln handelt, und zwar sogar um
den schlechter bezeugten. Unser ltester Gew hrsmann, der j dische Religionsphilosoph
Aristobulos von Alexandrien, der im 2.Jh. v.Chr. gelebt hat, karinte die Verse wie sp ter
noch Klemens von Alexandrien unter der Bezeichnung Hieros Logos, Mysterienrede155.
Tats chlich weist das in der Urfassung wohl gegen Ende des 3.Jh. v.Chr. entstandene
Gedicht156 keines der f r ein Testament charakteristischen Merkmale auf, w hrend umgekehrt alles darauf hindeutet, da sich der unbekannte Autor inhaltlich und formal sehr eng
an einen orphischen Hieros Logos angelehnt hat. Ich beschr nke mich im folgenden auf
die Form157 und z hle die evidenten mysterienartigen Elemente kurz auf158.
Da ist zun chst die Einleiturigsformel, auch πρόρρησι$ («Vorrede») genannt, die bereits
erw hnt wurde (l φθέγξομαι οΐ$ θέμις εστί usw.). Sie ist einzig.in diesem ps.-orphischen
Gedicht in Versform vollst ndig erhalten. Ihr hohes Alter ist aber, wie erw hnt, au er
durch die Paraphrase im Dervenipapyrus auch durch Platons wie eben durch Empedokles'
Anspielung gesichert159. Daran anschlie end spricht Orpheus seinen Initianden Musaios
namentlich an (2 f.) — darauf kommen wir noch zur ck. In einer Art «Reinigung» (καθαρτ
μό$), zu der die Aufforderung, sich von falschen fr heren Meinungen zu l sen, geh rt,
bereitet er ihn auf die παράδοση, die « bergabe» des heiligen Logos, vor (3-7) - auch
dies ein Bestandteil kultischer Initiationen. Diese Par dosis gliedert sich in zwei Teile. Der
erste besteht aus Lehraussagen ber Gott (8 — 16); Belehrung hat — und das ist f r Empedokles zu beachten - nicht nur im eigentlichen Lehrgedicht ihren Platz, sondern ist genauso f r παραδόσεις von Mysterienweihen kennzeichnend. Im zweiten Teil wird ein Bild
des g ttlichen Weltenherrschers entworfen, das durchaus als Gottesschau, als εποπτεία,
gedeutet werden kann (17-21).
Die Urfassung des ps.-orphischen Gedichtes bricht nach dieser theologischen Offenbarung ab. In der berarbeitung folgt noch ein Schlu teil, der eine Aufforderung zur Geheimhaltung des anvertrauten Logos enth lt160. Diese Aufforderung stellt das Gegenst ck
zur Aussonderung der Uneingeweihten in der einleitenden Mysterienformel dar und d rfte
daher wohl auch in der Urfassung, die ohnehin nicht vollst ndig berliefert ist, vorgekommen sein161. Soviel <- wie gesagt in grober Verk rzung - zur Form von OF 245.
153
Cf. Verf. (wie Anm. 150) 55 ff.
Kern (wie Anm. 41) 255 ff.
155
Cf. Verf. (wie Anm. 150) 44 ff.
156
Cf. Verf. (wie Anm. 150) 102 f.
157
Zu inhaltlichen Anlehnungen c£ Verf. (wie Anm. 150) 49 f.
158
Ausf hrlicher mit Belegen Verf. (wie Anm. 150) 50ff.
159
Auf die (sicher sekund re) Abwandlung OF 334 άείσω ξυνετόΐσι· θύρα$ δ' έπίθεσθε βέβηλοι (cf. West
[wie Anm. 25] 83, der vermutet, da dies die dem Derveniautor bekannte Fassung war) scheint immerhin bereits Pindar l. 11,85 anzuspielen, siehe Lloyd-Jones (wie Anm. 20) B8.
160 Qp 247,41 ... ευ μάλ* έττικρατέοον (sc. γλώσσης?), στερνοισι δε ενθεο φήμην.
161
Cf. Verf. (wie Anm. 150) 51 ff.
154
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Orphisches bei Empedokles
57
Vergleicht man nun diese bisher kaum als solche erkannte und f r unsere Kenntnis der
orphischen Literatur beraus wichtige Imitation eines Hieros Logos162 mit Empedokles'
religi sem Gedicht « ber die Natur», so liegt die hnlichkeit der fiktiven Situation auf der
Hand163. Wie Orpheus in der Rolle eines Mysterienpriesters den Musaios in die wahre
Gotteslehre einf hrt, so weiht Empedokles Pausanias in die Geheimnisse der als g ttlich
betrachteten Natur, in den wahren Aufbau und das Funktionieren des Kosmos sowie —
sachlich im Anschlu an Xenophanes — in das eigentliche Wesen alles G ttlichen ein164.
Beide, Orpheus und Empedokles, sprechen ihre Initianden mit sehr hnlichen Worten an:
«Du aber h re, Spro der lichtbringenden Mondg ttin, Musaios» hei t es im ps.-orphischen Gedicht (OF 245,2f. ... συ δ' άκουε, φαεσφόρου εκγονε Μήνης, | ΜουσαΓ ...) ein Vers, der echt orphisch sein d rfte, weist doch Platon im «Staat» ausdr cklich darauf
hin, da die orphischen Weihepriester Musaios als Sohn der Mondg ttin bezeichneten165;
«Pausanias, du aber h re, Sohn des klugen Anchites» schreibt Empedokles (B l D.-K.
ΓΤαυσανίη, συ δε κλϋθι, δαΐφρονος Άγχίτεω υιέ). F r sich allein genommen mag diese
Parallele nicht besonders aussagekr ftig sein166. Im Zusammenhang mit den bereits festgestellten Anspielungen auf Mysterienkultisches (Reinheit—Schau—ττρόρρησιs) scheint jedoch auch sie zumindest bemerkenswert167.
Au er der Mysterienformel, der Anrede des Initianden, seiner Zurechtweisung und der
Betonung der Wahrheit der religi sen Lehre168 ber hrt sich Περί φύσεως im brigen noch
in einem weiteren Punkt mit dem ps.-orphischen Gedicht: In Fragment-B 5 D.-K.169 fordert Empedokles seinen Sch ler — hnlich wie Orpheus den Musaios170 — dazu auf, die
Lehre «in seinem stummen Sinn drinnen171 zu verbergen» (... στεγάσαι172 φρενό$ ελλοTros173 ε!σω174). Zwar waren auch die Pythagoreer zur Geheimhaltung gewisser Lehren
162
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174
Cf. Verf. (wie Anm. 150) 103 £
Nichts deutet pace Bignone (wie Anm. 22) 406 darauf hin, da der unbekannte Autor der Urfassung
in irgendeiner Form von Empedokles abh ngig w re; die von Bignone nicht erw hnte altorphische
Mysterienfloskel kann in OF 245,1 unm glich von Empedokles' Anspielung darauf in B 3,4 D.-K.
abgeleitet sein; OF 245,2 f. ist vermutlich echt orphisch (siehe unten); OF 245,4 φίλη$ cdcovos άμέρστ)
stammt direkt aus 1L 22,58 und nicht aus Empedokles, der in B 158 = Katharmoi fr. 4 Zuntz αϊώνο$
άμερθεί$ | ολβίου wohl seinerseits von der Hiasstelle beeinflu t ist; OF 245,5 εις δε λόγον Θείον βλέψα$
τούτω ττροσέδρευε | ιθύνων κραδίη$ νοερόν κύτο$ ist eher von Platon Ti. 44a6 und Parmenides 28
B 6,5 £ D.-K. (cf. Verf. [wie Anm. 150] 28) und 28 B 4,1 D.-K. (oben Anm. 126) als von Emp. B 17,21
D.-K. angeregt; zum kultischen Hintergrund von OF 247,41 c£ Verf. (wie Anm. 150) 53 f.
C£ B 29 und 134 D.-K. Empedokles vermag den αγαθόν λόγον ber die gl ckseligen G tter zu
offenbaren (B 131,4 D.-K.) - im Unterschied zur σκοτόεσσα θεών ττέρι δόξα (Β 132,2 D.-K.).
C£ Ver£ (wie Anm. 150) 49 Anm. 123,
.
Die Anrede ist auch f r das Lehrgedicht charakteristisch (c£ Hes. Op. 27 *6ύ Πέρση, συ δε ταΟτα τεω
ενικάτθεο θυμω; 213 Τί0 Πέρση, συ δ* άκουε δίκης κτλ.; 274 r(0 Πέρση, συ δε ταΟτα.μετά φρεσί
βάλλεο crrjcn etc.); allerdings wird der Belehrte kaum je so f rmlich angesprochen (Ausnahme: Op.
299 έργάζευ Πέρση, δΤον γένο$).
Das feierliche Anreden ist bei einer religi sen Zeremonie wohl besonders angebracht.
C£ OF 245,3 ... εξερέω γαρ άληθέα κτλ; Emp. B 17,26 D.-K. συ δ* άκουε λόγου στόλον ουκ
άττατηλόν und 23,9 —μη σ* απάτη φρένα καινύτω.
= fr. 25 Bo ack = fr. 99 Gallavotti = frl 134 Wright = CTXT-107 Inwood.
Cf. oben Anm. 160.
Da ελλοπο$ bei Empedokles auch Nominativ sein kann (B 117,2 D.-K.), w re, wie schon D.-K. im
Apparat ad loc. festhalten, auch die bersetzung «in seinem Sinn drinnen stumm» m glich.
corr. Diels; στέγουσαι codd.
corc. Wytienbach; φρενός αλλ' όπερ codd.
corr. Diels; ελάσσω codd.; άσσον Bollack.
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58
Christoph Ried weg
verpflichtet175, und Plutarch, dem wir das Fragment verdanken, qualifiziert Empedokles'
Aufforderung in der Tat als pythagoreisch. Doch wiederum ist der Gesamtzusammenhang
wichtig: Die brigen mysterienhaften Komponenten, ganz besonders die Anspielung auf
die ττρόρρησις, deuten m. E. darauf hin, da auch dieses Element bei Empedokles mehr
orphisch als pythagoreisch gepr gt ist176.
Die formale hnlichkeit mit dem Orphikerfragment 245 legt im brigen die Vermutung
nahe, da Empedokles' Appell zur Geheimhaltung entgegen der g ngigen Meinung177
kaum ins Pro mium von Περί φύσεως geh rt, sondern urspr nglich wohl am Schlu der
lehrhaften Initiation* vielleicht noch hinter Fragment B 110 D.-K., seinen Platz hatte.
Wie auch immer es damit stehen mag, eine sorgfaltige Analyse der erhaltenen Fragmente
f rdert jedenfalls eine ansehnliche Zahl von bisher wenig beachteten Indizien zutage, die
darauf hinweisen, da sich Empedokles, was die Form seiner Physika betrifft, wohl recht
eng an die Struktur rphischer Hieroi Logoi angelehnt hat. Es scheint, da er Pausanias in
Analogie zu einer Mysterienparadosis in seine, wie gesagt, stark theologische Z ge tragende
Naturlehre eingef hrt hat178.
Streng beweisbar ist diese Beobachtung angesichts des fragmentarischen Zustandes der
berlieferung nat rlich nicht. Doch f gen sich bei einer solchen Hypothese zahlreiche
Einzelheiten zu einem, wie ich meine, in sich stimmigen Gesamtbild zusammen. Nicht nur
die besprochenen Ankl nge an kultisches Vokabular, sondern auch Pausanias* Absonderung von den brigen Menschen wird auf diesem Hintergrund erst richtig verst ndlich.
«Du also, nachdem du dich hierher abgesondert hast, wirst es erfahren», hei t es, wie
gesehen, in B 2,8 D.-K.: Die bergabe (Ttapa5ocri$) des heiligen Logos, die Unterweisung
des Initi nden durch den Mysterienpriester, die u. a. in Naturallegoresen von Mythen bestehen konnte179, setzt immer Abgeschiedenheit, Ausschlu der ffentlichkeit (d.h. der
Nichteingeweihten) voraus. Nur so ist die vom Initi nden abschlie end geforderte Geheimhaltung gew hrleistet.
175
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178
179
Cf. u.a. Burkert (wie Anm. 62) 178f. 454f.
Wenn Pythagor s und die Pythagoreer, wie verschiedene antike Testimonien vermuten lassen, sich tats chlich orphische Literaturformen angeeignet und auch selbst Hieroi Logoi verfa t haben (cf. Verf. [wie Anm.
150] 54 mit Anm. 146, West [wie Anm. 28] 27, ferner oben Anm. 62), .so wird die Unterscheidung letztlich
bedeutungslos. Empedokles h tte dann die f r einen orphischen Hieros Logos charakteristischen Strukturelemente sehr wohl auch aus pythagoreischer Orpheus-Dichtung rezipiert haben k nnen. — Empedokles wird in der Antike im brigen seit Alkidamas gerne mit Pythagor s in Verbindung gebracht (D. L.
VIII,56 Άλκιδάμας δ' εν τω Φυσικω φησι ... Έμττέδοκλέα ... Άναξαγόρου διακοΟσαι και Πυθαγόρου; cf. Burkert [wie Anm. 62] 215 f. «very doubtful s a historical Statement»); man sagte auch, Empedokles habe Pythagoras plagiiert und pythagoreische Geheimnisse verraten (D. L. VIII.54 f. unter Berufung
auf Timaios FGrHist 566 F14 und Neanthes FGrHist 84 F 26; die Nachricht wird von Rostagni [wie Anm.
52] 10 ff. und Kahn [wie Anm. 31] 29 f. aufgegriffen); auf Pythagoras zu beziehen ist m glicherweise Emp.
B 129 D.-K., cf. Burkert (wie Anm. 62) 137 f.; Wright (wie Anm. 14) 256 f.
Ans Ende von Περί φύσεω$ setzen das Fragment'einzig Bignone (wie Anm. 22) 62 f. Anm. 4 und
Gallavotti (wie Anm. 18) 68 (fr. 99), der den stark korrumpierten Text jedoch v llig anders emendiert
(... (εστεγε φρήν] αλλ' ο^υ^ττερ έλάσσω «[ora Tanimo mio trattiene dentro anche] altri insegnamenti'
e non minpri»).
Ans tze zu einer solchen Deutung bereits bei Kr nz (wie Anm. 23) 112: «Das ganze ist eine Geheimlehre, nur f r den Sch ler Pausanias bestimmt .*., ja Empedokles spricht zu dem J ngling wie ein
Mystagoge zum Neophyten» (es folgt B 110,2 D.-K.) usw.
Cf. Burkert (wie Anm. 40) 61 ff.
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Orphisches bei Empedokles
59
Man kann sich fragen, was Empedokles zur Anlehnung an diese Literaturform veranlaßt
haben mag. So wichtig Parmenides auch allgemein für Empedokles' Philosophie war: bezüglich der literarischen Form dürfte er kaum das eigentliche Vorbild unseres Autors gewesen sein. Zwar handelt es sich bei Parmenides ebenfalls um eine Art Offenbarung180,
doch ist die situative Einbettung wesentlich verschieden. Der Offenbarung voraus geht
bekanntlich eine mythische Wagenfahrt mit den Heliaden an den Rand der Welt. Dort wird
Parmenides von einer Göttin (vielleicht der Nyx?) freundlich begrüßt. Von ihr, nicht von
einem Menschen, empfangt er die Offenbarung. Man wird also im Unterschied zu Empedokles eher von einem Orakel als von einer Initiation zu sprechen haben181.
Vielleicht liefert der Dervenipapyrus einen Anhaltspunkt. In ihm tritt uns ein vorsokratischer Autor entgegen, der nur wenige Jahrzehnte jünger ist als Empedokles und der einen
theogonisch-kosmogonischen Logos des Orpheus zum Anlaß genommen hat, um, diesen
auslegend, seine eigenen naturphilosophisch-theologischen Ansichten zu entwickeln182.
Mag sein, daß sich Empedokles, Bürger von Akragas, ebenfalls von einem orphischen
Logos zu seiner Naturphilosophie hat anregen lassen und dabei in durchaus kreativer
Aneignung wesentliche Formelemente übernomen hat.
Sollte die hier vorgelegte Hypothese zutreffen, so erweist sich das Orphische jedenfalls
als ein weiteres Bindeglied zwischen den beiden Werken
und Katharmoi, die
im Kern wohl überhaupt mehr Gemeinsames als Trennendes aufweisen183. Empedokles
hätte dann nicht allein in den faszinierenden Eröffnungsversen der Katharmoi die Rolle
eines orphischen Weihepriesters für sich beansprucht, sondern auch im naturphilosophischen Gedicht Pausanias gegenüber in gewisser Weise diese Funktion wahrgenommen.184
180
181
182
183
1 4
Zu den Berührungen zwischen Parmenides* und Empedokles' Proömium cf. BoIIack (wie Anm. 111)
111,18, der auch den Unterschied nicht übersieht: «Chez Parmenide, la deesse parle; eile est le moi et le
poete le toi\ il est initie, alors quTimpedocle initde et se trouve, a considerer cette transposition, a la
place de la deesse» (was so freilich nicht zutrifft).
Auf die Ähnlichkeit mit dem aus der orphischen Theogonie bekannten Orakel der Nacht, welches Zeus
aufsucht, um sich Rat für die Neuschaffung der Welt und allgemein für die Ausübung seines Herrscheramts zu holen (cf. außer OF 105-7 und 164f£ jetzt auch Dervenipapyrus col. Vif. ZFE; West [wie
Anm. 25] 72 f. 86 f£) hat überzeugend Burkert W, Das Proömium des Parmenides und die Katabasis
des Pythagoras. Phronesis 14 (1969) 13. 17 hingewiesen.
Zur Art der Auslegung und zu ihrem philosophischen Gepräge cf. u. a. Burkert W, Orpheus und die
Vbrsokratiker. Bemerkungen zum Derveni-Papyrus und zur pythagoreischen Zahlenlehre. A&A 14
(1968) 96 f£ (99 «ein Eklektiker, der Diogenes von Apollbnia und Leukipp-Demokrit gelesen hat»);
dens., La genese des choses et des mots. Le papyrus de Derveni entre Anaxagore et Cratyle. EPh
(1970) 443 f£; West (wie Anm. 25) 77 f£; die Entstehung des Prosatextes wird gewöhnlich in die Jahre
zwischen 420 und 380 v.Chr. datiert, cf. West a. O., 77. 82; Burkert (wie Anm. 28) 30 f.; dens., Der
Autor von Derveni: Stesimbrotos
?
62 (1986) 4 etc.
Cf. oben b« Anm. 103.
Der Aufsatz stellt die überarbeitete und um Anmerkungen erweiterte Fassung eines erstmals am
28.10.92 in Wien und danach noch in Mainz, Trier, Innsbruck, München, Konstanz und Tübingen
gehaltenen Vortrags dar. Für Anregungen und Kritik danke ich den Teilnehmern an den jeweils anschließenden, lebhaften Diskussionen, außerdem W. Burkert (Zürich), W. Nicolai (Mainz) und R. Schlesicr
(Paderborn).
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