Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Stress am Arbeitsplatz Dr. Jürgen Reusch Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“ Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2.
Download ReportTranscript Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Stress am Arbeitsplatz Dr. Jürgen Reusch Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“ Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2.
Slide 1
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 2
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 3
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 4
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 5
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 6
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 7
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 8
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 9
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 10
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 11
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 12
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 13
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 14
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 15
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 16
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 17
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 18
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 19
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 20
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 21
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 22
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 23
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 24
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 25
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 26
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 27
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 28
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 29
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 30
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 31
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 32
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 33
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 34
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 35
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 36
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 37
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 38
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 39
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 40
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 41
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 42
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 43
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 44
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 45
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 46
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 47
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 48
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 49
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 50
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 51
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 2
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 3
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 4
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 5
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 6
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 7
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 8
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 9
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 10
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 11
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 12
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 13
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 14
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 15
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 16
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 17
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 18
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 19
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 20
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 21
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 22
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 23
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 24
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 25
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 26
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 27
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 28
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 29
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 30
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 31
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 32
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 33
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 34
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 35
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 36
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 37
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 38
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 39
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 40
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 41
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 42
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 43
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 44
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 45
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 46
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 47
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 48
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 49
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 50
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)
Slide 51
Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu
Stress am Arbeitsplatz
Dr. Jürgen Reusch
Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit
Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014
Inhalt
1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU
2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick –
Deutschland
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer
Belastungen
4. Den Stress managen – Die Diskussion in
Deutschland
5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU
Dr. Jürgen Reusch
1. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - EU
Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet:
„Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit
emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer
Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch
starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des
Überfordertseins charakterisiert.“
Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und
die Auswirkungen psychischer Belastung am
Arbeitsplatz.
Dr. Jürgen Reusch
Kerngedanke der europaweiten Kampagne
„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“
„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europa
ist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische
Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der
Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeitsbedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig.
Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an,
die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an
ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“
Dr. Jürgen Reusch
Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)
16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern
Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die
es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen?
Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in
Deutschland 8%.
Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden?
Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich
ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen
69%).
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Sehr häufig
17
Eher häufig
35
Eher selten
32
Sehr selten
13
Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress
2
Weiß nicht
2
0
10
20
30
40
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
16
Sehr häufig
35
Eher häufig
28
Eher selten
17
Sehr selten
51
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtem
Stress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
8
Sehr häufig
37
Eher häufig
31
Eher selten
21
Sehr selten
45
Eher und sehr häufig zusammen
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
Frage: „Welches sind die häufigsten Gründe
für arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)
Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013
Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher
Arbeitsplatzverlust
79
Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing
oder Belästigung ausgesetzt sein
78
76
Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung
Fehlende Unterstützung von Kollegen oder
Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen
66
Fehlende Klarheit der Aufgabe und
Verantwortlichkeit
56
Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der
eigenen Tätigkeit
54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Dr. Jürgen Reusch
5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den
Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)
Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre
Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.
18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben.
„Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren
auf hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm
usw.).
Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am
Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche
Zwangshaltungen sind weit verbreitet.
Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60%
Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).
Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre
gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z.
B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch
qualifizierten Arbeiter)
Dr. Jürgen Reusch
2. Wissenschaftliche Befunde:
ein Überblick - Deutschland
„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte
gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung
nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten
fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale
‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,
‚starker Termin- und Leistungsdruck’,
‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,
‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie
‚sehr schnell arbeiten müssen’
sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu,
in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen,
zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.
Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker
Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in
der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Belastungen
am Arbeitsplatz sind sehr hoch …
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
42
Verschiedene Arbeiten gleichzeitig
58
50
52
Starker Termin-/Leistungsdruck
45
Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
50
Störungen / Unterbrechungen
34
Konfrontation mit neuen Aufgaben
34
44
39
26
Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben
30
23
Verfahren verbessern / neue ausprobieren
26
31
Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben
26
0
10
20
1998/99
30
40
50
60
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Aber physische Belastungen
bleiben auch auf hohem Niveau
Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12
18
19
21
22
21
Öl, Fett, Schmutz, Dreck
Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft
Lärm
27
27
23
19
18
Heben und Tragen schwerer Lasten
Zwangshaltungen
61
Arbeit im Stehen
54
0
20
1998/99
40
60
80
2011/12
Dr. Jürgen Reusch
Häufig genannte Arbeitsbelastungen
18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sind
Quelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt,
Ausgabe 5/2011
35.9
Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck
44.1
27.5
Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege
40.5
25.2
Lärm, Hitze, Kälte usw.
41.7
23.3
Heben oder Tragen von schweren Lasten
30.7
23.6
Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung
28
20.1
21.5
Schichtarbeit
0
10
20
Frauen
30
40
50
Männer
Dr. Jürgen Reusch
»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:
»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz
belastet?« Quelle: WIdO 2010
Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration
30.1
Termin- oder Leistungsdruck
29.8
Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit
25
Hohes Arbeitstempo
24.4
Lärm
23.8
Hohe Verantwortung
23.8
Zu große Arbeitsmengen
22
Ständiges Sitzen
22
Das Risiko, arbeitslos zu werden
21.6
Schlechte Belüftung, Klimaanlage
21.2
0
5
10
15
20
25
30
35
Dr. Jürgen Reusch
Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck im
Unternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?
Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte
60
50
48
40
30
27
20
20
10
0
5
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten
(Angaben in Prozent)
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013
Sehr
häufig
Oft
Selten
Nie
Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt
oder stehen unter Zeitdruck?
23
33
33
11
Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit
gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch
technische Probleme, Telefonate oder
Kolleg/innen?
23
31
34
12
Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene
Anforderungen an Sie gestellt, die schwer
miteinander zu vereinbaren sind?
11
21
46
22
Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie
nicht alle Informationen erhalten, die Sie
brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?
9
23
49
19
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei
der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr
Arbeitspensum zu schaffen?
6
15
42
37
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,
Entgrenzung – die Kerndaten
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011
52
Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten
63
Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche
Belange erreichbar zu sein
27
Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb
arbeiten
15
34
Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten
37
Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken
20
Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten
Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen,
wenn sie sich richtig krank fühlen
49
0
10
20
30
40
50
60
70
Dr. Jürgen Reusch
Missverhältnis von Anforderung
und Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an
sich« schon ein ernstes Problem.
Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen
Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch
zunehmende Unsicherheit.
Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und
sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr
Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer
weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die
Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven
werden schlechter usw. usf.
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen
hoher psychischer Belastungen
„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung
besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung
an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann
gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“
„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für
zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen
aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und
tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein
Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und
psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.
(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin)
Dr. Jürgen Reusch
3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen
Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral –
Belastungen können sich positiv und negativ auswirken.
Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als
Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz
können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des
Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen,
längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen
Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der
Arbeitsfähigkeit.
Dr. Jürgen Reusch
Psychische Fehlbelastungen machen krank …
hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen
Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck,
Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung
und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche
Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des
Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.
Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer
Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den
psychischen Störungen ablesbar.
Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren
dramatisch zugenommen.
Dr. Jürgen Reusch
Gesundheitsrisiko Arbeitsstress
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte
Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:
– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit
eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen,
kurzzyklischen Arbeiten)
– Lange und ungünstige Arbeitszeiten
– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde
Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit
– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete
Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale
Isolation
– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten
(monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher
Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)
Dr. Jürgen Reusch
Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen
(Prof. Dr. Johannes Siegrist)
Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen
Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte
Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:
– Depressionen
– Koronare Herzerkrankungen
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von
Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen.
(»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das
Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA
Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)
Dr. Jürgen Reusch
Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen
von Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)
Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien
haben Siegrist und Dragano den Anteil der
Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in
Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei
– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%
– Koronaren Herzerkrankungen 29%
– Depressiven Störungen 39%
Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf
Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der
Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte
tatsächlich höher sein.
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen,
AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012
190
176.9
180
170
162 169.7
160
152.6
150
145.6
141.5 140.7 141.6
140
136.2
130
118.9
153.1
135.1 135.8 146.2
134
120
160.2
133.7 134
128.6
124.2
124.3
115.2
110
100
100
100
90
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Tage
Fälle
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre
aufgrund psychischer Störungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013
7
250
149.5
140.2
130.2
4.2
121.7
4.1
169.6
4.5
125.4
115.9
96.3
88.6
2.5
76.7
50
3
110
2.8
3.8
125.6
3.6
123.8
150
4
124.6
4.1
4.3
5
195.6
4.8
203.5
5.5
200
100
6.1
6.2
212.8
6
6
5
4
3
2
1
0
0
AU-Tage je 100 VJ
AU-Fälle je 100 VJ
Dr. Jürgen Reusch
AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000
Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012
Dr. Jürgen Reusch
Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010
Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,
AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011
80
3.95
4
70
72.3
3.5
3.07
60
3
2.46
50
2.5
51.2
1.92
40
2
39.8
1.37
30
20
10
0
28.9
0.96
0.64
1.5
1
19.9
0.5
13.9
8.1
2004
0
2005
2006
AU-Tage je 1000 Mitglieder
2007
2008
2009
2010
AU-Fälle je 1000 Mitglieder
Dr. Jürgen Reusch
Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,
totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?
Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012
50%
45%
46%
40%
35%
33%
30%
25%
20%
15%
10%
14%
5%
7%
0%
Nein
Etwas
Stark
Sehr stark
Dr. Jürgen Reusch
Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundesweiten Repräsentativumfrage unter den Beschäftigten
Quelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012
42%
47%
11%
Nein, wahrscheinlich nicht
Weiß nicht
Ja, wahrscheinlich
Dr. Jürgen Reusch
Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach
den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013
Jahr
MSE
HerzKreislauf
Stoffwechsel/
Verdauung
Neubildungen
Psychische
Störungen
1996
27,6
17,6
4,9
10,8
20,1
2000
25,4
13,3
4,9
13,5
24,2
2005
18,1
11,0
4,3
14,5
32,3
2010
14,7
10,0
3,9
13,3
39,3
2011
14,2
9,7
3,9
12,7
41,0
2012
13,7
9,6
3,8
12,7
42,0
Dr. Jürgen Reusch
Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):
»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das
gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«
10%
11%
46%
33%
Eher nicht
Nahezu nie
Überwiegend
Ja, in der Regel
Dr. Jürgen Reusch
4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland
2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und
Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die
Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen
Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der
arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten
Innovationsdruck und damit verbundene schnelle
Technologiewechsel«.
GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress
reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet
ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken.
Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der
Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
Dr. Jürgen Reusch
Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress
„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“
Die damalige Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU):
„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten
Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und
Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen
Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.
Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie
sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können.
Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass
die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den
Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit,
dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen.
Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas
erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das
wollen wir erreichen.“
Dr. Jürgen Reusch
Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz
Beschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von folgenden
allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
(1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das
Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst
vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird; ….
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch …
6. psychische Belastungen bei der Arbeit.
Dr. Jürgen Reusch
Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt
September 2013
Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich
Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten
ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen
Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der
Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung
beziehen.“
Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften
setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der
Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende Regelungslücke
bei psychischer Belastung zu schließen.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser
Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“
Dr. Jürgen Reusch
Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit
Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die
Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.
Keine amtlichen Daten!
DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine
Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die
Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe,
Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz
gefragt.
Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine
Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine
Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste
Folie)
Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der
DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite
Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte
berücksichtigt.
Dr. Jürgen Reusch
Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereiche
in betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen
Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011
39
Psychische Belastungen durch schwierige Kunden
44
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
48
Arbeitszeitgestaltung
55
Arbeitsorganisation
Arbeitsumgebung
89
Arbeitsplatzgestaltung
89
95
Arbeitsmittel
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Dr. Jürgen Reusch
Gefährdungsbeurteilungen
(Angaben in Prozent)
WSI/Pargema-Befragung
2008/2009
60
50
BAuA-Befragung von
Kleinbetrieben 2010
60
56
50
40
40
30
30
20
20
20
10
0
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.
38
10
0
6
Insgesamt
GB einschl. psychischer
Belastungen
Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49
Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben.
Antworten: „Ja“.
Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre Wirkungen
Beispiel für erfolgreiches Agenda-Setting
Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-StressVerordnung
Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen
Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor
Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-StressVerordnung
Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung
Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu
psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz
Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft
September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel
Dr. Jürgen Reusch
Anti-Stress-Verordnung:
Die Regelungs- und Schutzlücke schließen
ArbSchG
EU-Richtlinien
…
SGB VII
Lärm
Anti-StressArbStättV GefStoffV BetrSichV
Vibrations ArbMedVV
Verordnung
ArbSchV
???
…
BG
ASTA
AGS
ASR
TRGS
ABS
Anti-StressRegeln
???
TRBS
TRLV
AfAmed
Selbstverwaltung
AMR
UVV
Dr. Jürgen Reusch
»Anti-Stress-Verordnung« –
Wesentliche Inhalte
§ 1 Ziel und
Anwendungsbereich
§2
Begriffsbestimmungen
§ 3 Grundpflichten
§4
Gefährdungsbeurteilung
§ 5 Unterweisung
§ 6 Arbeitsaufgabe
§ 7 Arbeitsorganisation
§ 8 Soziale Beziehungen
§9
Umgebungsbedingungen
§ 10
Arbeitszeitgestaltung
§ 11 Ausschuss
Psychische Belastung
§ 12 Straftaten,
Ordnungswidrigkeiten
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitgeber in Deutschland
sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert.
„Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen
Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen
ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere
Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die
Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren
psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDASprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche
Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen
psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des
beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)
Dr. Jürgen Reusch
Die Haltung der großen Koalition
Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche
Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte
psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die
Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur
psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im
Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen
werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)
„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch
gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit
weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 21. 9. 2014
Dr. Jürgen Reusch
5. Den Stress managen –
die Diskussion in der EU
EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte
EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete
Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die
Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.
Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den
Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU.
Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden.
Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.
Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B.
keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-SkelettErkrankungen.
Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur
Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission
usw.)
Dr. Jürgen Reusch
Arbeitsbedingter Stress –
Kampagne der EU-OSHA
Sehr positiv einzuschätzen
Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den
Widerstand der Arbeitgeber beschlossen.
OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich
auf, die Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am
Arbeitsplatz anzuerkennen.
Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
bekämpft werden.
Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am
Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit
anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.
Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen
Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.
Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann
auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen
zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der
Gewerkschaften in Deutschland.
Dr. Jürgen Reusch
Motive für das Management aus deutschen Betrieben im
Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit –
in %, Mehrfachnennungen
Quelle: ESENER 2009
90
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
80
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
77
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
64
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
62
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
59
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
20
40
60
80
100
Dr. Jürgen Reusch
Gründe für das Management, sich im Betrieb mit
psychosozialen Risiken zu befassen (in %)
Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009
55
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
48
Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
20
Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht
19
Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation
18
Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität
16
Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement
0
10
20
30
40
50
60
Dr. Jürgen Reusch
EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz
2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011
Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU
zugenommen.
50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung.
Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder
Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des
Arbeitsplatzes.
Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den
Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen
u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.
In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser
Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).
Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der
Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den
Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine
verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.
Dr. Jürgen Reusch
„Politik bedeutet ein
starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit
Leidenschaft und
Augenmaß zugleich.“
(Max Weber, Politik als Beruf.
Vortrag 1919)