Kriminalprävention. Projekt/Programm/Studie NN

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Transcript Kriminalprävention. Projekt/Programm/Studie NN

Prof. Dr. Rüdiger Wulf
Institut für Kriminologie
„Schwierige“ Schüler
Früherkennung krimineller Gefährdung
Zusammenleben in der Schule
Bedrohungsmanagement
Jugendarrest und Jugendstrafe
Fachtag am 4. Juni 2013
Karlshöher Kirche, Ostsaal
Gliederung/Ablauf
Uhrzeit
Thema
09:00-09:30
09.30-10.30
Vorstellungsrunde/Vorbemerkungen
Früherkennung krimineller Gefährdung
10.30-10:50
Kaffeepause
10:50-12:00
Programme zum
Zusammenleben in der Schule
12:00-13:30
Mittagspause/Führung durch die Einrichtung
13:30-14:30
Bedrohungsmanagement in der Schule
14.30-14:50
Kaffeepause
14:50-16:00
16:00-16:15
Jugendarrest/Jugendstrafe
Abschlussbesprechung
Vorstellungsrunde
• Name
• Herkunftsort
• Tätigkeit
• Assoziation „Schwierige Schüler“
• Problemanzeige aus der Praxis
• Erwartungen an den Workshop
„Die Jugend von heute
liebt den Luxus,
hat schlechte Manieren
und verachtet die Autorität.
Sie widersprechen ihren Eltern,
legen die Beine übereinander
und tyrannisieren ihre Lehrer.“
Sokrates
„Ich wollte es gäbe kein Alter
zwischen 10 und 23,
oder die jungen Leute
verschliefen die ganze Zeit,
denn dazwischen ist nichts,
als den Dirnen Kinder schaffen,
die Alten ärgern, stehlen und balgen.“
William Shakespeare (1564-1616):
Ein Wintermärchen,
3. Akt 2. Szene/Ein Hirte
Jugend heute
• Interesse an Politik steigt wieder an.
• Mehr soziales Engagement und Verständnis für Ältere
• Globalisierung zumeist positiv bewertet
• Optimismus nimmt zu
• Bildung als Erfolgsfaktor für die Zukunft
• Alle sind im Internet
• Klimawandel als großes Problem
• Religion weiterhin im Abseits
• Werte: Pragmatisch, aber nicht angepasst
• „Nicht ohne meine Familie“
Thema 1
Früherkennung krimineller Gefährdung
Syndrome zur Früherkennung
Quelle: Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung
(TJVU, 1965-1995):
Experimentalgruppe: 200 männliche Gefangene
zwischen 20 und 30 Jahre in der JVA Rottenburg
Kontrollgruppe: 200 Männer in Freiheit in den
Landgerichtsbezirken Tübingen/Hechingen/Rottweil/Stuttgart
(nicht: nicht vorbestraft)
• Syndrom familiärer Belastungen: Verhältnisbezogen
• Schulsyndrom: Verhaltensbezogen
• Leistungssyndrom: Verhaltensbezogen
• Freizeitsyndrom: Verhaltensbezogen
• Kontaktsyndrom: Verhaltensbezogen
Verhaltenssyndrom I
Schulsyndrom/Sozio-scolares Syndrom:
• Hartnäckiges Schwänzen +
• Fälschungen +
• Herumstreunen +
• Deliktische Handlungen im Kindesalter.
(TJVU: 15 % H, 0 % V)
Verhaltenssyndrom II
Leistungssyndrom:
• Rascher Arbeitsplatzwechsel +
• Unregelmäßige Berufstätigkeit +
• Schlechtes/Wechselndes
Arbeitsverhalten
(TJVU: 43 % H, 0,5 % V)
Verhaltenssyndrom IV
Kontaktsyndrom:
• Vorherrschen loser Kontakte,
insbesondere Milieukontakte +
• Frühes Alter bei erstem GV +
• Häufige Wechsel der Sexualpartner.
(TJVU: 60 % H, 1,5 % V)
Verhaltenssyndrom III
Freizeitsyndrom:
• Ständige Ausweitung der Freizeit
zulasten des Leistungsbereichs +
• Überwiegend Freizeitgestaltung
• mit völlig offenen Abläufen.
(TJVU: 75 % H, 0,5 % V)
Verhältnissyndrom
Syndrom familiärer Belastung:
• Lange Unterkunft in unzureichender Wohnung +
• Längere Zeit selbstverschuldet
von Sozialhilfe lebend +
• Auffälligkeit einer Erziehungsperson +
• Keine ausreichende Kontrolle des Pb.
(TJVU: 20 % H, 1 % V)
Dissoziale Persönlichkeitsstörung I
ICD-10:
Die ICD-10-Kriterien beschreiben neben sozialer Abweichung charakterologische
Besonderheiten, insbesondere Egozentrik, mangelndes Einfühlungsvermögen
und defizitäre Gewissensbildung. Kriminelle Handlungen sind also nicht
zwingend erforderlich. Mindestens drei der in der ICD-10 genannten Merkmale
müssen erfüllt sein. Hierzu gehören:
• Mangelnde Empathie und Gefühlskälte gegenüber anderen
• Missachtung sozialer Normen
• Beziehungsschwäche und Bindungsstörung
• Geringe Frustrationstoleranz und impulsiv-aggressives Verhalten
• Mangelndes Schulderleben und Unfähigkeit zu sozialem Lernen
• Vordergründige Erklärung für das eigene Verhalten und unberechtigte
Beschuldigung anderer
• Anhaltende Reizbarkeit
Dissoziale Persönlichkeitsstörung I
ICD-10:
Die ICD-10-Kriterien beschreiben neben sozialer Abweichung charakterologische
Besonderheiten, insbesondere Egozentrik, mangelndes Einfühlungsvermögen
und defizitäre Gewissensbildung. Kriminelle Handlungen sind also nicht
zwingend erforderlich. Mindestens drei der in der ICD-10 genannten Merkmale
müssen erfüllt sein. Hierzu gehören:
• Mangelnde Empathie und Gefühlskälte gegenüber anderen
• Missachtung sozialer Normen
• Beziehungsschwäche und Bindungsstörung
• Geringe Frustrationstoleranz und impulsiv-aggressives Verhalten
• Mangelndes Schulderleben und Unfähigkeit zu sozialem Lernen
• Vordergründige Erklärung für das eigene Verhalten und unberechtigte
Beschuldigung anderer
• Anhaltende Reizbarkeit
Dissoziale Persönlichkeitsstörung II
DMS-IV:
Es besteht ein tiefgreifendes Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer, das seit
dem 15. Lebensjahr auftritt. Mindestens drei der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:
• Versagen, sich in Bezug auf gesetzmäßiges Verhalten gesellschaftlichen Normen anzupassen, was
sich in wiederholtem Begehen von Handlungen äußert, die einen Grund für eine Festnahme
darstellen
• Falschheit, die sich in wiederholtem Lügen, dem Gebrauch von Decknamen oder dem Betrügen
anderer zum persönlichen Vorteil oder Vergnügen äußert
• Impulsivität oder Versagen, vorausschauend zu planen
• Reizbarkeit und Aggressivität, die sich in wiederholten Schlägereien oder Überfällen äußert
• Rücksichtslose Missachtung der eigenen Sicherheit bzw. der Sicherheit anderer
• Durchgängige Verantwortungslosigkeit, die sich im wiederholten Versagen zeigt, eine dauerhafte
Tätigkeit auszuüben oder finanziellen Verpflichtungen nachzukommen
• Fehlende Reue, die sich in Gleichgültigkeit oder Rationalisierungen äußert, wenn die Person
andere Menschen gekränkt, misshandelt oder bestohlen hat.
• b) Die Person ist mindestens 18 Jahre alt.
c) Eine Störung des Sozialverhaltens war bereits vor Vollendung des 15. Lebensjahres erkennbar.
d) Das antisoziale Verhalten tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Schizophrenie oder einer
manischen Episode auf.
Merkmale von Intensivtätern
Syndrom sozialer Beziehungslosigkeit:
• Belastung: schwieriges Temperament, ADHS
• Familie: Straffälligkeit/Persönlichkeitsstörungen eines
Elternteils, strukturelle Unvollständigkeit der Familie,
Heimaufenthalte des Kindes
• Erziehung: inkonsequent, unzureichende Beaufsichtigung,
Gewaltanwendung, wenig Wertschätzung
• Schule: Unbeliebtheit bei Mitschülern, Lernschwierigkeiten,
störendes und auffälliges Verhalten, Fernbleiben vom
Unterricht
• Freizeit: unstrukturiertes Freizeitverhalten, Einbindung in
Gruppen mit antisozialen Einstellungen und Begehung von
Straftaten
Störung des Sozialverhaltens
ICD-10: F.91: Um eine Diagnose nach dem ICD-10 stellen zu
können, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt. Das
heißt, das Kind oder der Jugendliche muss über einen
Zeitraum von sechs Monaten aufsässiges oder aggressives
Verhalten zeigen.
Leitsymptome der Störung sind:
• Deutliches Maß an Ungehorsam, Streiten oder Tyrannisieren
• Ungewöhnlich häufige oder schwere Wutausbrüche
• Grausamkeit gegenüber anderen Menschen oder Tieren
• Erhebliche Destruktivität gegenüber Eigentum
• Zündeln; Stehlen
• Häufiges Lügen
• Schuleschwänzen
• Weglaufen von zu Hause
18 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Kriminovalente Konstellation
• Vernachlässigung des Leistungsbereichs,
familiärer und sonstiger sozialer Pflichten +
• Fehlendes Verhältnis zu Geld und Eigentum +
• Unstrukturiertes Freizeitverhalten +
• Fehlende Lebensplanung
(TJVU: 60,5 % H, 0 % V)
Sonstige K-Kriterien
• Inadäquat hohes Anspruchsniveau
• Mangelnder Realitätsbezug
• Geringe Belastbarkeit
• Paradoxe Anpassungserwartung
• Forderung nach Ungebundenheit
• Unkontrollierter, übermäßiger Alkoholkonsum
Kriminoresistente Konstellation
• Erfüllung der sozialen Pflichten +
• Adäquates Anspruchsniveau +
• Gebundenheit an Häuslichkeit und
Familienleben +
• Reales Verhältnis zu Geld und Eigentum
(TJVU: 3 % H, 79,5 % V)
21
Sonstige D-Kriterien
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Arbeitseinsatz und Befriedigung im Beruf
Produktive Freizeitgestaltung
Engagement für personale und Sachinteressen
Anpassungsbereitschaft
Tragende menschliche Bindungen
Belastbarkeit und Ausdauer
(Eigen)Verantwortung
Realitätskontrolle
Lebensplanung/Zielstrebigkeit
22
Stellung der Tat(en)
im Lebenslängsschnitt
• Kontinuierliche Hinentwicklung
zur Straffälligkeit
- Beginn ab früher Jugend
- Beginn ab Erwachsenenalte
• Kriminalität im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung
• Krimineller Übersprung
• Kriminalität bei sonstiger sozialer Unauffälligkeit
• Kriminalität aus psychischer Auffälligkeit
23
Kontinuierliche Hinentwicklung
mit Beginn in der Jugend
• K-typisches Verhalten im Lebenslängsschnitt
• Mehrere Lebensbereiche auffällig
• Kriminovalente Konstellation und K-Fakten im
Lebensquerschnitt
• Charakteristische Relevanzbezüge,
Orientierungslosigkeit, zweifelhafte Werte
• Soziale Auffälligkeiten führen „folgerichtig“ zu Delikten
• Kein Ansprechen auf Sanktionen
• Kriminalprognose ungünstig, Out-aging möglich
• Spezialpräventive Reaktionen erforderlich
(Sozialtherapie, soziales Training)
24
Kriminalität im Rahmen
der Persönlichkeitsreifung
• Freizeit und Kontakte auffällig, Drogenkonsum
feststellbar, Leistungsbereich nicht tangiert
• Straftaten: entwicklungsbedingte Episode,
nicht Symptom für Persönlichkeitsstörung
• Kriminalprognose tendenziell günstig
• Aber: Erzieherische Maßnahmen geboten
• ambulant (Weisungen, Auflagen)
• teilstationär (Jugendarrest)
• stationär (Jugendstrafe)
25
Risiko- und Schutzfaktoren
„Wer an einem Abend 30 Autos knacken kann,
kann auch etwas.“
Ressourcen und Schutzfaktoren erkennen.
Fähigkeiten und Ressourcen positiv umleiten
„Pure Bosheit gibt es nicht.“
(Ernst Kretschmer, Psychiater)
26 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Thema 2
Programme zum
Zusammenleben in der Schule
Appell eines „Problemschülers“
an seine Lehrkräfte
1. Seht in mir nicht nur den Schüler! (Geschöpf Gottes)
2. Schule ist für mich Teil meines Lebensraums.
(Prevention at schools)
3. Sprecht regelmäßig mit mir
über meinen Leistungsstand und meine Bildungsziele!
4. Gebt mir Möglichkeiten zu Eigenverantwortung!
5. Lasst mich den Anschluss nicht verpassen!
6. Nehmt mich ernst, überfordert mich nicht!
7. Stellt mich nicht bloß und kritisiert mich nicht vor anderen!
8. Verliert nicht den Glauben, dass ich am Schulabschluss
interessiert bin und mein Leben in die Hand nehmen will!
9. Sprecht nicht zu mir von der „letzten Chance“!
10. Zeigt mir,
dass Ihr an mir als Teil der Gesellschaft interessiert seid!
28 |Prof.
Dr. Rüdiger Wulf
Nach:
www.flex-fernschule.de
© 2012 Universität Tübingen
Bedingungen („Ursachen“)
von Gewalt in der Schule
•
•
•
•
•
•
•
Frühkindliche Verletzungen, z.B.
Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung, Ablehnung
Aktuelle Entwicklungsprobleme, z.B.
Misserfolg, Partnerproblem, Gruppen-/Subkultureinflüsse
Familiäre Erziehungsfehler, z.B.
permissiv, inkonsequent, uneinig, kaltherzig, abstinent
Familienprobleme, z.B.
„Rosenkrieg“,Trennungskonflikte, Alleinerziehung, Patchwork
Schulische Fehler, z.B.
Kränkungen, fehlende Regeln, schlechter Unterricht
Medieneinflüsse, z.B.
Horror/Gewaltverherrlichung im Internet/Video/PC
Gesellschaftliche Faktoren, z.B.
Armut, Perspektivlosigkeit, Mangel an Hilfen, keine Werte
Im Einzelnen Bertet/Keller 20011, S. 26 f.
29 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Programme zum Zusammenleben
in der Schule (Übersicht/Systematik)
(Eher) Verhältnisbezogen:
• Schulvereinbarung, Schulversammlung
• Klassenrat, Friedenszirkel (Restorative Justice)
• Prosoziale Schulphilosophie, sozialer Verhaltenskodex
(Eher) Verhaltensbezogen:
• Konfrontative Pädagogik
• Soziales Training, sozialer Trainingsraum
• Mediation, Streitschlichtung
• Anti-Gewalttraining
• Benimm-Training
• Deesklationstraining
• Umgang mit Medien, Kommunikationstraining
• Outdoor-Pädagogik, Sportprogramme
30 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Einzelne Programme zum
Zusammenleben in der Schule
31 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Schulvereinbarung
• Leitlinien: Gleichberechtigung und Toleranz,
Mitbestimmung und Kritikfähigkeit, Respekt und
Rücksicht, Hilfsbereitschaft, Zivilcourage,
Konfliktbewältigung, Vorbild sein,
Bürger- und Umweltbewusstsein,
Entdeckungslust, Kreativität, Fantasie
• Schulprogramm
• Mitglieder der Schulgemeinde: Schüler/innen,
Leher/innen, Eltern, weitere Mitarbeiter/innen in der Schule
• Schulordnung: Schuljahresbeginn und –verlauf,
Aufgaben und Ämter, Verhalten in der Schule,
Sauberkeit/Schuleigentum,Krankheit/Beurlaubung,
Rauchen/Alkohol/Drogen,Konflikte/Verstöße gegen
die Schulordnung, Auszeichnungen
32 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf Aushang
Unterschrift,
© 2012 Universität Tübingen
Schulversammlung
Schulversammlung:
Zentraler Baustein und Steuerungsinstrument der
Werteerziehung
Teilnehmer: Leitung, Schüler/innen, Lehrer/innen
Formen: Rede und Gegenrede, Diskussion, Protokoll
Frequenz: einmal im Monat
Ziele:
• Erfahrung von Anerkennung
• Auseinandersetzung mit Problemen und Regeln
• Respekt
• Rhetorik
• Sachgemäße Kritik
• Verbesserung des Schulklimas
• Demokratieverständnis
Evaluation: fehlt
33 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Klassenrat
Form: Das gemeinsame Gremium einer Klasse. In wöchentlichen Sitzungen
beraten, diskutieren und entscheiden die Schüler über selbst gewählte
Themen.
Gemeinschaft fördern: Im Klassenrat gestalten sie das Zusammenleben
der Klasse: Sie diskutieren/entscheiden, planen Projekte und setzen sie um,
streiten und vertragen sich. So fördert der Klassenrat die Gemeinschaft und
hilft, besser gemeinsam lernen und leben zu können.
Kompetenzen bilden: Im Klassenrat lernen die Schüler für ihr ganzes
Leben: Zuhören. Frei sprechen. Demokratische Entscheidungen mittragen.
Fair diskutieren. Verantwortung übernehmen. Eine Meinung vertreten.
Demokratie lernen: Im Klassenrat üben die Schüler von klein auf,
demokratisch zu handeln: In der Gruppe verhandeln sie ihre Anliegen und
lösen Probleme, achten Minderheiten und akzeptieren Mehrheitsmeinungen.
So lernt man im Klassenrat, selbst Demokratie zu gestalten: Er wird zur
Basis der Demokratie in der Schule.
34 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Restorative Justice
Die Theorie der Restorative Justice (RJ) bzw. wiederherstellenden
Gerechtigkeit hat historische Wurzeln und geht auf kommunale
Traditionen der Konfliktschlichtung aus aller Welt zurück. In der
Praxis umfasst RJ eine breite Palette von Modellen wie z.B. unter
anderem den Täter-Opfer Ausgleich, (TOA), Familien- und
Gemeinschaftskonferenzen, sowie auch Friedenszirkel. Kriminalität
wird im Rahmen dieser Theorie primär als eine Verletzung der
Gemeinschaft, ihrer Mitglieder bzw. ihrer Beziehungen zueinander
betrachtet und nur sekundär als Verstoß gegen das Gesetz oder
den Staat. Demzufolge setzt sich RJ zum Ziel eben diese
Beziehungen wiederherzustellen, indem der entstandene Schaden
für das Opfer, den Täter und die Gemeinschaft über
Wiedergutmachung so gut es geht „repariert“ wird. Zwar können
auch Sanktionen zur Anwendung kommen, diese stehen jedoch
nicht im Vordergrund.
35 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Mediation
Konzepte:
• Harvard-Konzept als Verhandlungstechnik
• Konsens-Findung als durchgehendes Prinzip
• Konflikteskalation nach Friedrich Glasl
Voraussetzungen:
• Freiwilligkeit
• Verschwiegenheit
• Ergebnisoffenheit
• Allparteilichkeit des Mediators
Ziele:
• Berücksichtigung der Interessenlagen
• Reduzierung von Verfahrenskosten
• Flexibles und unbürokratisches Verfahren
• Schonung personeller Ressourcen
• Keine Öffentlichkeit
36 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Streitschlichtung, Teen-Courts
Konzepte:
• Streitschlichtung in der Schule
• Teen-Courts
Voraussetzungen beim Streitschlichter:
• Interesse an an sozialem Engagement
• Akzeptanz in der Altersgruppe
• Positives soziales Verhalten
• Sprachkompetenz
Ziele:
• Konfliktlösung in der Peer-Group
• Hilfe zur Selbsthilfe
• Mehr Akzeptanz der Entscheidung
Gefahren:
• Selbstjustiz
• Ungerechte Entscheidungen
37 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Konfrontative Pädagogik
Prinzipien:
• Verhalten ernst nehmen, insb. Gewalt und
Angriffe auf die Menschenwürde anderer
• Selbstreflexion durch Feedback fördern
• Verantwortungsübernahme einfordern
• Konsequenz im Handeln
Pädagogische Elemente:
• Sofortige Reaktion: Lob und Tadel
• Wertschätzung der Person, Fehlverhalten angreifen
Möglichkeit zur Selbstkorrektur ohne Gesichtsverlust
• Förderung sozialer Kompetenzen
(Wissen, Verhalten, Einstellungen
Gefahren:
• Verletzung der Menschenwürde,
• Stigmatisierung
38•
|Prof. Demotivation
Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Beobachtungsbogen in der
konfrontativen Pädagogik
Merkmal
Momentan
Tendenz
Anwesenheit
Sehr gut
↑
Pünktlichkeit
Gut
→
Umgang mit Werkzeugen u.a.
Wechselhaft
↓
Mitarbeit/Ausdauer
Nicht gut
Anweisungen/Hinweise befolgen
Umgang mit anderen Schüler/innen
Umgang mit Lehrer/innen
Mitbringen von Schulsachen
Besonderheiten, Vorfälle
39 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Soziales Training
Steigerung der Lebenskompetenz:
• Soziales Wissen,
• Soziale Einstellungen
• Soziales Verhalten „Am Verhalten sollt ihr sie erkennen“
Methoden:
• Rollenspiele, Exkursionen
• Unterricht, Praktisches Üben
• Projekt(tage)
Trainingsbereiche (offen)
• Verhalten in der Arbeitswelt
• Geld und Schulden
• Gesundheit und Sucht
• Rund ums Wohnen
• Freizeit und Kontakte
• Mediennutzung
40 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Anti-Gewalttraining
Ziele:
Eigenständige Entwicklung zur Vermeidung von
Stresssituationen entwickeln
Impulskontrolle und Verhaltenssteuerung
Einstellungs- und Verhaltensänderung bezüglich Gewalt
Inhalte:
• Auslöser von Gewalt
• Selbst- und Fremdbild
• Rechtfertigungsstrategien/
• Neutralisiationstechniken
• Opferperspektive, -empathie, -kommunikation
• Provokation: „Der heiße Stuhl“
Methode:
• Gruppentraining mit Trainer und Ko-Trainer/in
• Konfrontation mit dem Opfer bzw. anderen Opfern
41 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Deeskalationstraining
Vorbilder: Polizei, Vollzug, Psychiatrische Einrichtungen
Inhalte:
• Gewalt wahrnehmen und analysieren
• Eigenes Konfliktverhalten verstehen
• Einstellungen zur Gewalt reflektieren
• Kommunikationstechniken einüben
• Stressymptome erkennen und bewältigen
• Körpersprache verstehen
• Mit Stimme und Gestik arbeiten
• Individuell handeln und reagieren
• Paradox intervenieren
Akteure: Freie Profis, Polizei, Lehrkräfte als Mulitplikatoren
42 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Benimm-Training
Ziele („Benehmen keine Glückssache“):
• Mehr Sicherheit im Auftreten der Schülern
• Wirkungselemente moderner Umgangsformen,
Ausstrahlung und Kleidung,
• Einfühlungsvermögen
Leitung: Externer, professioneller Trainer
Trainingsbereiche:
• Bewerbung und Vorstellungsgespräch
• Verhalten am Arbeitsplatz: Chef, Kollegen, Kunden
• Telefon, Internet, E-Mail/Brief,
• Flirt
• Restaurant, Tischsitten, Kantine
• Verhalten im ÖVPN, Auto
• Verhalten gegenüber alten, ausländischen und
Menschen mit Behinderungen
43 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Mehrebenen-Prävention nach Olweus
Mehrebenenprogramm zu Bullying/Mobbing:
• Schüler: Gespräche mit Tätern und Opfern
(Mikroebene)
• Klasse: Regeln (Mesoebene)
• Schule: Rahmenbedingungen (Makroebene)
Gute Evaluation
44 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Andere Ansätze
Einzelne Ansätze:
• Outdoorpädagogik
(„Geh Wald statt Gewalt“)
• Erlebnispädagogik
• Musik-Pädagogik
(„Trommel-Projekte“)
• Tanzpädagogik (Capoeira)
• Sportpädagogik (Jonglage)
Vorteile:
• Nicht sprachgebunden
• Machen Spaß, motivieren
Nachteile: Effektivitat und Effizienz fraglich
• Akzeptanz fraglich
• Übergang zur Therapie fließend
45 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Prävention und Lebensqualität
Elemente:
• Lebensqualität/kompetenz
• Mehrebenenmodelle
• Interne/Externe
Beteiligte
• Evaluation (?!)
46 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Thema 3
Bedrohungsmanagement
in der Schule
Bedrohung an Orten der Kränkung
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Familie
Schulen und Hochschulen
Arbeitsplatz
Arbeitsagenturen
Sozialämter
Jugendämter
Finanzämter
Polizei
Staatsanwaltschaften
Gerichte, insb. Familiengerichte u. Strafgerichte
Selten: Öffentlicher Raum
48 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Bedrohungsarten
• Direkte Drohung:
• Mit/Ohne Waffen
• Erpressung
• Cyberdrohung
• Mobbing (horizontal, vertikal)
• Stalking
• Nötigung
• Sexuell motivierte Drohung
• Scheinbare Drohungen, Beleidigungen
49 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Nachahmungstäter/Trittbrettfahrer
Nachahmungstäter nehmen sich eine schwere
zielgerichtete Gewalttat an Schulen oder eine
andere Straftat zum Vorbild, insb. aus dem
Internet und ahmen sie in der Wirklichkeit nach.
Trittbrettfahrer drohen „nur“ mit einer solchen
Tat.
Untersucht man Trittbrettfahrer, weiß man über
Täter schwerer zielgerichteter Gewalt noch
wenig.
50 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Risikomanagement im Alltag
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Gesundheit
Finanzen, Bonität („Personales Risikomanagement“)
Freizeit (Sportwetten)
Kontakte, z.B.
• mit jemanden eine Partnerschaft eingehen
• mit jemandem mitfahren
• jemandem Geld anvertrauen
Lebensplanung insgesamt
Fluchtgefahr
Suizidalität
Rückfall/Bewährung (Kriminalprognose)
Kindeswohlgefährdung (Täter/Opfer)
Opferwerden
Umgang mit Risiken
1. Nicht wahrnehmen („Kopf in den Sand“)
2. Auf Nichteintritt oder Eintritt anderswo hoffen
3. Hinnehmen
4. Auf anderen umlenken
5. Sich vorbereiten
6. Prävention/Vermeidung/Verhütung
7. Intervention
7. Nachsorge/Versicherung
52 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Definition: Kriminologische Prognose
• Die Vorhersage des künftigen Verhaltens eines
bestimmten Menschen hinsichtlich
Rückfall/Bewährung, Flucht, Suizid oder
Kindeswohlgefährdung im Rahmen des
Strafverfahrens, des Justiz- und
Maßregelvollzuges oder im familiengerichtlichen
Verfahren.
• Nicht:
• Vorhersage von Kriminalität insgesamt;
• Vorhersage von Fluchtraten
im Justiz- und Maßregelvollzug;
• Vorhersage der Suizidsterblichkeit
im Justiz- und Maßregelvollzug.
Elemente und Methoden
einer Kriminalprognose
Risiko
= Bedrohtes Rechtsgut * Eintrittswahrscheinlichkeit
Das Risiko einer künftigen Straftat ist das Produkt
aus dem bedrohten Rechtsgut und der Eintrittswahrscheinlichkeit. Das bedrohte Rechtsgut steht
meist fest, fraglich ist die Eintrittswahrscheinlichkeit.
Methoden:
• Intuitive Prognose („aus dem Bauch“)
• Klinische Prognose („aus Erfahrung“)
• Statistische Prognose („mit Berechnung“)
• Kriterienorientierte Prognose
(anhand von bewährten Kriterien“)
54 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Prognoseentscheidungen,
z.B. Bedrohung
Bedrohung=
positiv
Richtig-positiv:
Richtig Bedrohung
= true prognostiziert;
Pb. würde
tatsächlich
bedrohen
Falsch-positiv:
Falsch Bedrohung
= false prognostiziert;
Pb. würde aber
nicht bedrohen
Bedrohung = negativ
Richtig-negativ:
Bedrohung
ausgeschlossen
prognostiziert;
Pb. bedroht nicht
Falsch-negativ:
Bedrohung
ausgeschlossen;
Pb. bedroht.
Dimensionen für
Risiko- und Schutzfaktoren
• Vergangenheit = Lebensgeschichte
• Frühere Taten dieser Art
• Persönlichkeitsstörung
• Ständig in einschlägigen Konflikten
• Gegenwart = Aktuelle Situation
• Sucht Arbeitslosigkeit
• Einsicht in die Störung
• In Therapie
• Zukunft = Künftige Entwicklung
• Künftiger Schulabschluss
• Sozialer Empfangsraum
• Altersfaktor
56 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Tübinger Inventar in Bedrohungsfällen
Lebensgeschichte
Die aktuelle Situation
betrifft die letzten sechs
Monate, die Lebensgeschichte die Zeit davor.
Die Zukunft betrifft die
nächsten sechs Monate.
Pro Item können bis zu 2
Punkte vergeben werden.
0 Punkte bedeutet, dass
das Item nicht vorliegt
bzw. dazu nichts bekannt
ist. Das Höchstmaß der
Punkte liegt also bei 42.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
Gewalterfahrung oder Missbrauch in der Kindheit
Selbstschädigendes Verhalten, insb. Suizidversuche
Drohung, Stalking
Gewalttätigkeit, Tötungsgedanken
Bullying
Psychische Störung oder Krankheit (ICD10)
Soziale Inkompetenz
Aktuelle Situation
Erfahrung mit Waffen, Waffenbesitz
(Kampf)Hundehaltung
Sucht (Alkohol, illegale Drogen, Medikamente, Nikotin)
Probleme am Arbeitsplatz/in der Hochschule
Wohnungsprobleme
Geldsorgen
Probleme im Kontaktbereich, insbesondere Partnerschaft
Kritisches Lebensereignis
Zukunft
Keine Lebensplanung
Hoffnungslosigkeit
Drohende ausländerrechtliche Maßnahmen
Drohende Haft
Weitere individuelle Risikofaktoren
20
21
Gesamtscore
57 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
DYRIAS Schule I
DyRiAS-Schule analysiert das Verhalten
von SchülerInnen (auch ehemaligen)
hinsichtlich des Risikopotentials. Dabei
geht es ausschließlich um auffällige
Personen, die beispielsweise durch
Gewaltdrohungen oder Amokfantasien
aufgefallen sind.
Voraussetzung für die Nutzung des
Systems ist der Erwerb einer Lizenz sowie
die Teilnahme an einem zweitägigen (bzw.
eintägigen) Ausbildungsseminar. Die
Schulung wird regelmäßig von I:P:Bm
angeboten und kann darüber hinaus auch
als Inhouse-Veranstaltung gebucht
werden.
58 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
DYRIAS Schule II
„Wir sind von unserer Ausbildung, von unserem Beruf her Lehrer. Wir haben keine
Erfahrung mit Einschätzung von Bedrohungssituationen und das System ist einfach
empirisch von Leuten gemacht worden, die sich damit deutlich besser auskennen
als wir und wir müssen uns da einfach Hilfe von Außen holen, um solche
Situationen sinnvoll einschätzen zu können.“
Beratungslehrer
"Solche Programme/Anti-Amok-Modelle können „lauter Amokläufer identifizieren
und so an den Schulen ein Klima des Misstrauens schaffen. [...] Was wir dringend
brauchen, ist eine Kultur des Hinhörens und Hinsehens.“
Vorsitzender des Philologenverbandes
„DyRiAS ist sicherlich ein geeignetes Instrument, welches den Schulen zur
Früherkennung von gefährdeten Schülern hilft. Besonders die innerhalb des
Systems angelegte Bibliothek könnte hilfreich sein, da der Verbraucher hier
spezielle Informationen zu einer der zweiunddreißig vorhandenen Variablen
bekommen kann. Es wird hier also nicht bloß eine Auswertung vorgenommen,
sondern dem Verbraucher werden auch Möglichkeiten zur weiteren
Vorgehensweise aufgezeigt.“
Projektbericht
59 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Projekt NETWASS
Programm: Prävention schwerer zielgerichteter Schulgewalt
Ziel: Verbesserung des Umgangs mit Bedrohungen an Schulen
Verfahren: Sensibilisierung, Informationsbündelung,
Gemeinsame Bewertung/Bearbeitung, Begleitung
Fortbildung:
Online-Modul mit PITT-Modell
Organisation: Kriseninterventionsteam
Verbreitung: 108 Schulen (BE, BB, Baden-Württemberg)
Evaluation: mit Vergleichsgruppen,
1prä T2post T3Followup7M,, Kurz- und Langzeiteffekte:
Fachwissen, obj. und subj. Handlungskompetenz,
Handlungssicherheit, Vertrauen in Schulverantwortliche,
Klarheit von Ansprechpartnern
60 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Exkurs: Kommission
„Gewaltprävention Universität Tübingen“
Aufgaben:
• Deeskalation von konkreten Bedrohungsfällen
(Studierende/Mitarbeiter, horizontal/vertikal)
• Prävention von Diskriminierung und Hassdelikten
• Beitrag zu gewaltfreien Strukturen an der Universität
Zusammensetzung (8 Personen):
• Zentrale Verwaltung: Arbeitssicherheit, Abteilung für
Studierende bzw. Personal, Presssprecherin
• Experten: Kriminologie, Psychologie,
Psychiatrie, Sozialarbeit
Arbeitsweise: Verschwiegen, vertraulich, kompetent,
datenschützend, kooperativ, allparteilich
Partner: Psychosoziale Beratungsstellen,
Personalvertretungen, Polizei, Universitätsleitung
61 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Thema 4
Jugendarrest/Jugendstrafe
zur Integration
schwieriger junger Menschen
Jugendarrrest(projekt)
Jugendarrest als stationäre Jugendhilfemaßnahme
oder kurze Jugendstrafe?
Jugendarrest(vollzug)
§§ 16, 16a, 90 JGG
(Ambulante)
Erziehungsmaßregeln
§§ 10, 11 JGG
Jugendstrafe: § 17 JGG;
Jugendstrafvollzug
Rechtsgrundlagen
• Erkenntnisverfahren:
§ 16 JGG: Freizeit-, Kurz-, Dauerarrest, § 11 III JGG
(„Beugearrest“)
§ 16a JGG: Jugendarrest neben Jugendstrafe (3 Formen)
• Vollstreckung: § 87 Abs. 3 JGG
• Vollzug: § 90 JGG
• Unmittelbarer Zwang: § 178 Abs. 1 und 3 StVollzG,
aber: kein Schusswaffengebrauch im Jugendarrest
• Jugendarrestvollzugsordnung (JAVollzO)
• Richtlinien zum JGG (Die Justiz 1994, 202)
• Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 2006
zur Verfassungswidrigkeit des Jugendstrafvollzugs;
• Landesrechtliches Jugendarrestvollzugsgesetz: in Planung
Jugendarrest neben Jugendstrafe
• Verdeutlichungsarrest: „dies unter Berücksichtigung der Belehrung
über die Bedeutung der Aussetzung zur Bewährung und unter
Berücksichtigung der Möglichkeit von Weisungen und Auflagen
geboten ist, um dem Jugendlichen seine Verantwortlichkeit für das
begangene Unrecht und die Folgen weiterer Straftaten zu
verdeutlichen“
• Herausnahmearrest: „dies geboten ist, um den Jugendlichen
zunächst für eine begrenzte Zeit aus einem Lebensumfeld mit
schädlichen Einflüssen herauszunehmen und durch die Behandlung
im Vollzug des Jugendarrests auf die Bewährungszeit vorzubereiten“
• Einwirkungsarrest: „dies geboten ist, um im Vollzug des Jugendarrests eine nachdrücklichere erzieherische Einwirkung auf den
Jugendlichen zu erreichen oder um dadurch bessere Erfolgsaussichten für eine erzieherische Einwirkung in der Bewährungszeit
zu schaffen.
Jugendarrest in BW 2012
Geschlecht:
Alter:
Plätze:
Arrestarten:
Vorverbüßungen:
§ 87 III JGG:
Männlich: 1.543; Weiblich: 304,
Insgesamt: 1.820
Bis 16 J: 153
bis 18 J.: 581
über 18 J.: 1.113 (!!!)
93 in Jugendarrestanstalten: Rastatt/Göppingen
1 (9) Freizeitarrestraum: Adelsheim
316 Freizeitarreste, 223 Kurzarreste
1.308 Dauerarreste
517 hatten zuvor Jugendarrest verbüßt
123 zuvor zu Jugendstrafe verurteilt
Bei 642 wurde von (weiterer) Vollstreckung
abgesehen
Jugendarrestanstalten in BW
Jugendarrestanstalt Göppingen
(max. 31 Plätze)
Marstallstraße 2, 73033 Göppingen
Leitung: DAG Wolfgang Rometsch
Sozialdienst/AVD: Frau Oswald, Herr Zauner
Jugendarrestanstalt Rastatt (51 Plätze)
Ottersdorfer Straße 17, 76437 Rastatt
Leitung: Richter am AG Stephan Höll
Sozialdienst: Amtsrat Leonhard Christ
Beteiligte Vereine
• G-recht e.V., Heidenheim
Christianstraße 15, 89522 Heidenheim
Ansprechpartner im Vorstand:
Dieter Muckenhaupt
Sozialarbeit: Norbert Möller
• Verein für Jugendhilfe Karlsruhe e.V.
Thomas-Mann-Str. 3, 76189 Karlsruhe
Zuständig im Vorstand: Reinhold Buhr
Sozialarbeit: Hans Kowatsch
Soziales Training I
• Ziele (Reihenfolge ohne Rangfolge):
• Soziales Wissen
• Soziale Einstellungen
• Soziales Verhalten
• Trainingsbereiche (ohne Rangfolge):
• Bildung, Ausbildung, Arbeit
• Geld und Schulden
• Sucht und Gesundheit
• Verhältnis zum Opfer (Entschuldigung, TOA)
• Freizeitgestaltung
Soziales Training II
• Methoden:
• Gruppenarbeit
• Einzelcoaching
• Exkursionen
(z.B. örtliche Einrichtungen der Diakonie)
• Trainer/Organisation:
• Mitarbeiter aus den Vereinen
• Mitarbeiter aus den JAAen
• Ehrenamtliche Mitarbeiter
• Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen
Nachsorge
• Bereiche:
• Leistungsbereich und Schulden
• Wohnen
• Freizeit und Kontakte
• Gesundheit, insb. Sucht
• Dauer: 3 bis max. 6 Monate
• Organisation:
• Bewährungshilfe
• Vereine, Projekt Chance e. V.
• Jugendämter/JGH
Reformbedarf eines
Jugendarrestvollzugsgesetzes
• Schaffung einer ausreichenden gesetzlichen
Grundlage
• Verankerung der Menschen- und Kinderrechte
• Gender-Aspekte
• Aufgabe repressiver Elemente
• Integration und Prävention als Leitideen
• Einführung von Jugendarrest neben Jugendstrafe
• Soziales Training als Maßnahme der Wahl
• Nachsorge als Aufgabe
Jugendstrafvollzug in BW I
• Jugendstrafanstalt Adelsheim: 446 Plätze (1974)
Sozialtherapeutische Abteilung für Gewalt- und Sexualstraftäter: 20 Plätze;
Folie 73,
Bedeutung des Themas
• Jugend
• Strafe
• Strafvollzug
------------------• Jugend-straf-vollzug
Aber demographischer Wandel:
Weniger Jugendliche
Jugendstrafvollzug in BW I
• Jugendstrafanstalt Adelsheim: 446 Plätze (1974)
Sozialtherapeutische Abteilung für Gewalt- und Sexualstraftäter: 20 Plätze;
Folie 75,
Jugendstrafvollzug in BW II
• Jugendstrafanstalt Pforzheim: 108 Plätze (1996)
Außenstelle der JVA Heimsheim (2006)
• Jugendstrafanstalt Crailsheim: 24 Plätze (1981)
Außenstelle der Sozialtherapeutischen Anstalt Baden-Württemberg
(2001)
Folie 76,
Jugendstrafvollzug in BW III
• Jugendstrafvollzug in freien Formen
• Kloster Creglingen-Frauental: 18 + 7 Plätze (2003)
• Gutshof Seehaus/Leonberg: 21 Plätze (2003)
Folie 77,
Die jungen Gefangenen I
• 542 junge Gefangene (30.4.2013);
• Gefangenenrate: 43,0 auf 100.000 (14-25 Jahre);
• Ca. 700-800 Zugänge im Jahr (2011: 665);
• Ca. 12,0 Monate durchschnittliche Verweildauer;
• 40 % D/D, 12% + 19 % D/A, 14 % ND/D, 14 % ND/A;
• Ca. 50 Prozent suchtgefährdet;
• Altersspektrum von 14 bis 24 Jahre (30.6.2012):
-
Folie 78,
17 Prozent unter 18 Jahre (Jugendliche);
60 Prozent 18 bis 21 Jahre (Heranwachsende);
23 Prozent älter als 21 Jahre (Jungerwachsene).
Die jungen Gefangenen II
Auslese- bzw. Selektionsprozess:
• „Schädliche Neigungen“(§ 17 JGG), besser: Störungen:
- Entwicklungsstörungen;
- Persönlichkeitsstörungen;
- Verhaltensstörungen.
• Ungünstige Sozial- und Legalprognose (§ 21JGG)
Folie 79,
Kriminalpräventive Aufgabe
und Erziehungsauftrag/-ziel
 Die kriminalpräventive Aufgabe des Jugendstrafvollzuges
für die Allgemeinheit liegt im Schutz der Bürgerinnen und
Bürger vor Straftaten junger Menschen
(§ 2 Abs. 1 S. 1 JVollzGB I)
 Der Jugendstrafvollzug leistet einen Beitrag für die innere
Sicherheit in Baden-Württemberg, für den Rechtsfrieden im
Land und für die Eingliederung junger Menschen in Staat
und Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 S. 2 JVollzGB I).
 Im Vollzug der Jugendstrafe sollen die jungen Gefangenen
dazu erzogen werden, künftig in sozialer Verantwortung ein
Leben ohne Straftaten zu führen (§ 1 JVollzGB IV).
Folie 80,
Behandlungskonzept und
Erziehungsgrundlagen
• Menschenwürdige Behandlung (§ 2 Abs. 1 JVollzGB IV);
• Erziehung nach der Landesverfassung
(§ 2 Abs. 2 JVollzGB IV);
• Angleichung an das Leben in Freiheit
(§ 2 Abs. 3 VollzGB IV);
• Gegensteuerung/Schutz vor Übergriffen
(§ 2 Abs. 4 JVollzGB IV);
• Opferbezogene Vollzugsgestaltung
(§ 2 Abs. 5 JVollzGB IV);
• Lernen von und mit Gleichaltrigen(§ 2 Abs. 6 JVollzGB IV);
• Anreiz und Belohnung (§ 2 Abs. 7 JVollzGB IV).
Folie 81,
Achtung der Menschenrechte
 Die jungen Gefangenen sind unter Achtung
ihrer Menschenrechte zu behandeln.
- Europäische Strafvollzugsgrundsätze
Rec(2006)2, Teil I, 1  Niemand darf unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung unterworfen werden.
- Art. 5 AEMR bzw. Art. 3 EMRK –
(§ 2 Abs. 1 JVollzGB IV)
Folie 82,
Erziehung nach der
Landesverfassung
Die jungen Gefangenen sind in der Ehrfurcht vor Gott,
im Geiste der christlichen Nächstenliebe,
zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe,
in der Liebe zu Volk und Heimat,
zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit,
zu beruflicher und sozialer Bewährung und
zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen.
(Art. 12 I LV, § 2 Abs. 2 JVollzGB IV)
Gleiche Erziehungsmaßstäbe
wie in Kindergärten, Schulen und Hochschulen.
Folie 83,
Angleichung, Gegensteuerung,
Schutz vor subkultureller Gewalt
 Das Leben im Jugendstrafvollzug soll
den Lebensverhältnissen junger Menschen in Freiheit
soweit als möglich angeglichen werden.
(§ 2 Abs. 3 JVollGB IV)
 Schädlichen Folgen des Jugendstrafvollzuges
ist entgegen zu wirken. (§ 2 Abs. 4 S. 1 JVollzGB IV)
 Die jungen Gefangenen sind vor Übergriffen zu schützen.
(§ 2 Abs. 4 S. 2 JVollGB IV)
Folie 84,
Opferbezug
Zur Erreichung des Erziehungsziels sollen die Einsicht
in die dem Opfer zugefügten Tatfolgen geweckt und
geeignete Maßnahmen zum Ausgleich angestrebt
werden. (§ 2 Abs. 5 JVollzGB IV)
Folie 85,
Lernen von und mit Gleichaltrigen
Den jungen Gefangenen soll ermöglicht werden,
von und mit Gleichaltrigen zu lernen und
Verantwortung für Angelegenheiten von gemeinsamem
Interesse zu übernehmen, die sich nach ihrer Eigenart und
Aufgabe der Jugendstrafanstalt für ihre Mitwirkung eignen.
(§ 2 Abs. 6 JVollzGB IV)
Folie 86,
Anreiz und Belohnung
Bereitschaft, Mitwirkung und Fortschritte der jungen
Gefangenen sollen im Leistungsbereich, bei der
Freizeitgestaltung, in den Kontaktmöglichkeiten,
durch Öffnung des Vollzuges und
andere geeignete Maßnahmen anerkannt und belohnt
werden, soweit die gesetzlichen und tatsächlichen
Voraussetzungen dies zulassen.
(§ 2 Abs. 7 JVollZGB IV)
Folie 87,
Evaluation des (Jugend)Strafvollzugs
•Wirksamkeit:
• Wirkung(en) überhaupt?;
• Positive Wirkungen;
• Positive Generalprävention: • Negative Generalprävention: • Negative Spezialprävention – („falsch-positive Prognosen“)
• Positive Spezialprävention + (?)
• Negative Nebenwirkungen;
• Verdrängungseffekte.
• Wirtschaftlichkeit;
• Ethische Verantwortbarkeit:
• Achtung der Grund- und Menschenrechte;
• Vereinbarkeit mit dem Sozialdatenschutz;
• Kriminalpolitische Akzeptanz.
Rückfall als Erfolgskriterium ???
Ohne Kontrollgruppendesign ist der Rückfall
als Erfolgskriterium problematisch:
• Bei Wirkungsforschung kommt es auf den wirklichen
Rückfall (auch im Dunkelfeld) an und nicht auf den
justiziell festgestellten Rückfall („Erwischtenquote“).
• In den BZR-Auszügen fehlen oft Verurteilungen.
• Nicht jeder Rückfall ist der kriminalpräventiven
Intervention zuzurechnen.
• Rückfall und Bewährung entscheiden sich oft nach der
kriminalpräventiven Intervention.
Kontrollgruppendesign
• 100 Probanden (Pbn), die für eine Behandlungsmaßnahme
geeignet sind, werden ausgewählt.
• Die Pbn werden - am besten nach den Zufallsprinzip d
Experimentalgruppe bzw. der Kontrollgruppe zugeteilt.
• Die Pbn der Experimentalgruppe erhalten die Behandlung.
• Die Pbn der Kontrollgruppe erhalten die Behandlung nicht.
• Stellt sich die Experimentalgruppe nach dem Rückfallkriterium
günstiger dar, gilt die Maßnahme als erfolgreich: „It works“.
Kontrollgruppendesign und Ethik
• „Totschlagsargument“:
Kontrollgruppenuntersuchungen (im Strafvollzug) sind ethisch
nicht vertretbar, weil den Probanden Behandlungsmaßnahmen
nicht versagt werden dürfen.
• 1. Gegenargument:
Solange die Maßnahme nicht evaluiert und anerkannt ist,
kann die Versagung nicht unethisch sein.
• 2. Gegenargument:
Unethisch ist es (auch), wenn man Probanden,
insb. Gefangenen, nicht evaluierten Behandlungsmaßnahmen
aussetzt (vgl. Arzneimittelforschung).
Evaluation des Jugendstrafvollzugs in BW
• T 1: Eingangsuntersuchung;
• K 1: Schutz vor Übergriffen;
• K 2: Leistungsbereich (Bildung, Ausbildung):
• K 3: Sucht/Körperliche und psychische Gesundheit;
• K 4: Finanzen/Schulden;
• K 5: Aggressivität/Gewalttätigkeit;
• K 6: Kontakte im sozialen Nahbereich;
• K 7: Individuell wichtiges Kriterium;
• T 2: Abgangsuntersuchung (K 1 bis K 6);
• T 3: Integration in die Gesellschaft nach 6/12 Monaten
(K 1 bis K 7);
• T 4: Rückfall nach 3 Jahren (Vorsicht!);
• T 5: Rückfall nach 5 Jahren.
Abschlussgespräch
• Was war gut?
• Was war weniger gut?
• Was hat gefehlt?
• Wie fühle ich mich jetzt?
• Was nehme ich mit?
• Was nehme ich mir vor?
• Was erwarte ich jetzt von der Schule
(Schüler, KollegInnen, Schulleitung)?
• Was erwarte ich jetzt von der Politik?
„Die Arbeit des Erziehers gleicht der eines Gärtners,
der verschiedene Pflanzen pflegt.
Eine Pflanze liebt den strahlenden Sonnenschein,
die andere den kühlen Schatten,
die eine liebt das Bachufer,
die andere die dürre Bergspitze.
Die eine gedeiht am besten auf sandigem Boden,
die andere im fetten Lehm.
Jede muss die ihrer Art angemessene Pflege haben,
andernfalls bleibt ihre Vollendung unbefriedigend.
Abdul-Baha (Abbas Effendi) 1844-1921 *
* zitiert nach Bertet/Keller 2011, S. 103
94 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Literatur (kleine Auswahl)
Bannenberg, B.; Rössner, D. (2006): Erfolgreich gegen Gewalt in
Kindergarten und Schule. Ein Ratgeber, Beck
Bertet, R.; Keller, G. (2011): Gewaltprävention in der Schule.
Wege zu prosozialem Verhalten; Huber
Gugel, Günter (2006): Gewalt und Gewaltprävention. Institut für
Friedenspädagogik
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2008):
Aktiv für soziales Lernen. Gewaltprävention an Schulen, 3. Aufl.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg u.a. (2009):
Roter Faden-Prävention. Modelle zur Förderung sozialer Kompetenzen
und zur Gewalt- und Suchtprävention
Olweus, D. (2010): Mobbing an Schulen. Fakten und Intervention;
Kriminalistik S. 351 ff.
Scheithauer, H.; Bondü, R. (2008): Amoklauf. Wissen was stimmt. Herder
Scholl, J. u.a. (2013): Das Projekt NETWASS. Ein Programm zur
Prävention schwerer zielgerichteter Schulgewalt; forum
kriminalprävention S. 8-14
95 |Prof. Dr. Rüdiger Wulf
© 2012 Universität Tübingen
Danke.
Prof. Dr. Rüdiger Wulf
Institut für Kriminologie
Sand 7, D-72076 Tübingen
Telefon Uni: +49 (0)7071/29-7-2021
Telefon JuM: 0711/279-2340
E-Mail Uni: [email protected]
E-Mail JuM: [email protected]
Internet: www.jura.uni-tuebingen.de/wulf
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