Informationsethik – Ethik in und für elektronische/n Räume/n

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Informationsethik Ethik in und für elektronische/n Räume/n

Rainer Kuhlen FB Informatik und Informationswissenschaft - Universität Konstanz www.kuhlen.name

Zentrale Aussagen

(1) Informationsethik ist die Reflexion über moralisches Verhalten in den elektronischen Räumen des Internet (2) Im Sinne der Interdependenzen von Ethik, Ökonomie und Politik besteht die Herausforderung an die Informationswissenschaft, den elektronischen Räumen angemessene Organisationsmodelle für den Umgang mit Wissen und Information zu entwerfen (3) Ohne eine ökologische Perspektive auf Wissen und Information werden sich keine nachhaltigen Wissensgesellschaften entwickeln können.

(4) Jedermann soll gleiches Recht auf Zugang zum System von Informationen und Wissen haben.

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Was ist Informationsethik?

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Ort des Wohnens Gewohnheit Sitte Brauch

Das Ethos der Schweine ist der Stall

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Das Ethos der Schweine ist der Stall

Das Ethos der Informationsgesellschaft ist das Internet

Ort des Wohnens Gewohnheit Sitte Brauch

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Das Ethos der Schweine ist der Stall

Ort des Wohnens Gewohnheit Sitte Brauch

moral behaviour

Das Ethos der Informationsgesellschaft ist das Internet

in elektronischen Räumen

 neue Verhaltensformen  neue Normen, neue Werte  neue Moral

neue Ethik?

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Zusammenhang von Ethik und Moral l Ethos ἔθος Gewohnheit Sitte Brauch Ethos ἦθος sittliche Tugenden moralisches Verhalten Ethik Reflexion über moralisches Verhalten

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Informationsethik in sich verändernden Umwelten

Informationsethik analysiert, welche über Raum und Zeit variierende Annahmen, Regeln und Werte das Verhalten der Menschen steuern, wenn sie Wissen und Information erstellen, austauschen, teilen und nutzen, aber auch regulieren.

Diese können weder naturrechtlich noch aus irgendeiner Metaphysik geschweige denn von einer Religion begründet werden.

Vielmehr hängen sie, in der Aristotelischen Tradition, von den Umgebungen ab, in denen Menschen wohnen (ethos). Umgebungen, dieses “Ethos”, wandeln sich in Raum und Zeit.

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neue Ethik?

Klassische Ethiken in elektronischen Räumen weiter anwendbar?

in der aristotelischen Verbindung von Ethik, Ökonomie und Politik im Rationalitäts-/Autonomieanspruch der Aufklärung Utilitarismus angelsächsische Tradition Vertrags theorien Deontologien Verantwortungsethik (Jonas) – Nachhaltigkeit Gerechtigkeitstheorie Intergenerationelle Gerechtigkeit (Rawl, Sen) zentraleuropäische Tradition

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Mehrdimensionale Beziehungen für Ethik Ethik Wirtschaft Politik

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Mehrdimensionale Beziehungen für Ethik Ethik Informationsethik Wissen und Information Wirtschaft Politik Informationsmärkte IPR-Regulierung Urheberrecht Patentrecht

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in den elektronischen Räumen des Internet Ensemble der intellektuellen Lebenswelten Ethik von und für Menschen

Reflexion mit Blick auf das moralische Verhalten beim Umgang mit Wissen und Information

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Informationsautonomie Neues normative Verhalten neue Ethik?

wohl eher neues normatives Verhalten Umgang mit Wissen – freier Austausch vs. kommerzielle Verwertung Verlust/Aufgabe/Stärkung von Privatheit vs Dominanz von Sicherheit/Überwachung/Datenverwertung (Intergenerationelle) Gerechtigkeit/Verantwortung/Nachhaltigkeit Rückbesinnung auf die Commons – individuelles vs öffentliches Eigentum

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Verantwortung Nachhaltigkeit

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Verantwortung

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Verantwortung – in welcher Form ein ethisches Prinzip?

In Philosophie und Ethik eingebracht durch die Arbeit von Hans Jonas aus dem Jahr 1979 Begründung einer Ethik für die technologische Zivilisation über das Prinzip Verantwortung individuelle, direkte Anrechenbarkeit der Folgen des eigenen Handelns aber universal erweitert Verantwortung gegenüber der Natur und gegenüber

zukünftigen Generationen Informationsethik – Ethik in und für elektronische/n Räume/n

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Verantwortung und Nachhaltigkeit Handeln

unter den Prinzipien von Verantwortung und Nachhaltigkeit kann nicht mehr aus einer individualistischen Ethik begründet werden.

hier verstanden als Umgang mit Wissen

und Information

Positive und negative Publikationsfreiheit (als Teil von Wissenschaftsfreiheit) weiterhin zunächst ein (individuelles) Recht der

AutorInnen

aber zunehmend durch die Perspektive bestimmt, dass

dieses Recht nach den Prinzipien von Verantwortung und

Nachhaltigkeit für das Gemeinwohl wahrgenommen werden soll

nicht entindividualisiert

aber Verantwortung in Ziel und Zuständigkeit

institutionalisiert

auch entsprechend dem Prinzip der Sozialpflichtigkeit von Eigentum (Art 14,2 GG in D)

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Verantwortung und Nachhaltigkeit für Wissenschaftsfreiheit

Ist Wissenschaftsfreiheit nicht in erster Linie das Recht, sich aus öffentlichen Quellen frei informieren zu können und, als informationeller Imperativ, dazu beizutragen, dass jeder dieses Recht wahrnehmen kann?

Handle so, dass dein individueller Anspruch auf freien Zugang zu Wissen und Information zugleich Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sei kann!

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Ethik als Verantwortungsethik

Das Nachhaltigkeitsprinzip – Handeln nicht nur auf das Hier und Jetzt bezogen, sondern auf die Erde insgesamt und unter verantwortlicher Einbeziehung der Folgen für zukünftige Generationen – kann ja gerade deshalb universalistischen Anspruch erheben, weil es nicht auf eine bestimme Kulturtradition festgelegt werden kann.

Dass Menschen nicht die Bedingungen für das (gute, richtige und gerechte) Leben oder gar das Überleben zukünftiger Menschen zerstören dürfen, wird als gültige Maxime in allen Kulturen und Gesellschaften akzeptiert, auch wenn sie nicht als solche explizit formuliert und in vielerlei Hinsicht auch in vielen Kulturen nicht eingehalten wird.

Handeln unter den Prinzipien von Verantwortung und Nachhaltigkeit kann nicht mehr aus einer individualistischen Ethik begründet werden.

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Nachhaltigkeit

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Nachhaltigkeit in der Ökologie

Nachhaltigkeit (als Übersetzung des englischen „sustainable development“, später von „sustainability“) ist erst seit knapp 15 Jahren in der öffentlichen Diskussion präsent.

Der Nachhaltigkeitsbegriff stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft, schon aus dem 18. Jahrhundert, mit dem Prinzip, nicht mehr Holz zu schlagen, als nachwachsen kann.

Mit dem sogenannten Brundtland-Report wurde “Nachhaltigkeit” definiert und damit breiter bekannt wurde als “a process of change in which the exploitation of resources, the direction of investments, the orientation of technological development, and institutional change are all in harmony and enhance both current and future potential to meet human needs and aspirations”. Brundtland-Report. World Commission on Environment and Development WCED, Oxford (Oxford University Press) 1987, S. 46

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Dimensionen der Nachhaltigkeit

Seit dem Brundtland-Report unterscheidet man unter dem Prinzip der Nachhaltigkeit systematisch zwischen den ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten gesellschaftlicher Entwicklung. Entsprechend wird auch von ökologisch nachhaltiger, sozial nachhaltiger, ökonomisch nachhaltiger und immer mehr auch von kulturell nachhaltigen Gesellschaften gesprochen.

Wissensökologie (als Theorie der Nachhaltigkeit von Wissen und Information) eröffnet eine fünfte Dimension im Nachhaltigkeitsbegriff:

ökologisch, ökonomisch, sozial, kulturell, informationell Informationsethik – Ethik in und für elektronische/n Räume/n

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Nachhaltigkeit in der Ökologie

Nachhaltigkeit ist in der Verallgemeinerung – und in der Anwendung des Jonas´schen Prinzip der Verantwortung - eine moralische Norm in Sinne der Generationenverantwortlichkeit geworden. In erster Linie auf die natürliche Umwelt und physische Güter bezogen, was die Übertragung auf Nachhaltigkeit von Wissen und Information immer noch erschwert.

Wissensökologie unternimmt jedoch diese Übertragung des Nachhaltigkeitskonzept auf Wissen und Information

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Nachhaltigkeit in elektronischen Räumen

Eine Gesellschaft, die mit die Ressource „Wissen und Information“ nicht nachhaltig umgeht, verbaut sich die Entwicklung in die Zukunft.

Die Art und Weise, wie der Umgang mit Wissen und Information organisiert wird, entscheidet genauso, wie wir den Umgang mit den natürlichen Ressourcen organisieren, über unsere gegenwärtigen Chancen, uns kreativ weiterzuentwickeln, erst recht über die Chancen zukünftiger Generationen, das Wissen der Vergangenheit zur Kenntnis nehmen und daraus Nutzen ziehen zu können.

Ohne eine ökologische Perspektive auf Wissen und Information werden sich keine nachhaltigen Wissensgesellschaften entwickeln können.

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Nachhaltigkeit in elektronischen Räumen

Eine Gesellschaft, die mit die Ressource „Wissen und Information“ nicht nachhaltig umgeht, verbaut sich die Entwicklung in die Zukunft.

Nachhaltigkeit setzt damit einen Akzent gegen die derzeit dominierende Kommodifizierung von Wissen und Information, die eher auf kurzfristige Verwertung und künstliche Verknappung des an sich freien Gutes des Wissens abhebt als auf langfristige Absicherung der Freizügigkeit beim Umgang mit Wissen und und Information.

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Gerechtigkeit

John Rawl Fairness als Grundprinzip von Gerechtigkeit

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John Rawl „Nach Rawls hat eine Gesellschaft zwei Grundfunktionen: Die Förderung der Interessenharmonie und die Bewältigung von Konflikten. Um diese Aufgaben zu lösen, bedarf es der Gerechtigkeit” Wikipedia : Gerechtigkeitstheorien Rawl: „Der Gerechtigkeitsbegriff ist also für mich definiert durch seine Grundsätze für die Zuweisung von Rechten und Pflichten und die richtige Verteilung gesellschaftlicher Güter. Eine Gerechtigkeitsvorstellung ist eine Ausdeutung dieser Funktion.“ (Eine Theorie der Gerechtigkeit 1975, 26)

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John Rawl in einem simulierten Urzustand - Modell der Vertragstheorien Schleier der Unwissenheit – veil of ignorance – als Bedingung für Fairness Eine Situation der vollkommenen Unwissenheit über die eigene und die Rolle aller anderen, die er/sie in der Gesellschaft spielen (werden).

Alle beteiligten Personen wissen,, dass sie Interessen haben, dass sie gewisse Positionen in der Gesellschaft wahrnehmen, dass ihnen Ressourcen zur Befriedigung von Grundbedürfnisse zur Verfügung stehen, wissen aber nicht welche.

Niemand wird sich zugunsten von Partikularinteressen entscheiden, da er/sie nicht, ob er/sie Begünstigter oder Benachteiligter der Regelungen zugunsten von Partikulargruppen ist.

A Theory of Justice, by John Rawls, The Belknap Press of Harvard University Press, 1971

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John Rawl Gerechtigkeitsgrundsätze 1. Jede Person hat das gleiche Recht auf ein völlig adäquates System gleicher Grundfreiheiten, das mit einem gleichartigen System von Freiheiten für alle vereinbart ist.

Each person is to have an equal right to the most extensive total system of equal basic liberties compatible with a similar system of liberty for all.

2. Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen genügen: a) erstens müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen unter Bedingungen fairer Chancengleicheit offen stehen; b) und zweitens müssen sie den größten Vorteil für die am wenigstens begünstigten Mitglieder der Gesellschaft bringen (Differenzprinzip).

Social and economic inequalities are to be arranged so that they are both: (a) attached to offices and positions open to all under conditions of fair equality of opportunity.and

(b) to the greatest benefit of the least advantaged, consistent with the just savings principle A Theory of Justice, by John Rawls, The Belknap Press of Harvard University Press, 1971

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John Rawl Gerechtigkeitsgrundsätze Nebenbedingungen 1. Vorrang der Freiheit: Die Gerechtigkeitsprinzipien stehen in lexikalischer Ordnung (gelten der Reihe nach), das heißt dass die Freiheit nur eingeschränkt werden kann, wenn diese Einschränkung die Freiheit im Gesamtsystem stärkt und alle dieser Einschränkung zustimmen können 2. Vorrang der Gerechtigkeit: Die Chancengleichheit hat einen Vorrang gegenüber dem Differenzprinzip, solange die Chancenungleichheit nicht die Situation der Schlechtergestellten verbessert.

A Theory of Justice, by John Rawls, The Belknap Press of Harvard University Press, 1971

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Rawls-Zitat: „Wer von der Natur begünstigt ist, sei es, wer es wolle, der darf sich der Früchte nur so weit erfreuen, wie das auch die Lage der Benachteiligten verbessert. Die von der Natur Bevorzugten dürfen keine Vorteile haben, bloß weil sie begabter sind, sondern nur zur Deckung der Kosten ihrer Ausbildung und zu solcher Verwendung ihrer Gaben, dass auch den weniger Begünstigten geholfen wird. Niemand hat seine besseren natürlichen Fähigkeiten oder einen besseren Startplatz in der Gesellschaft verdient.“ (Eine Theorie der Gerechtigkeit 1975, 122) „Ungleichheiten sind nach Rawls nur dann gerechtfertigt, wenn sie auch zum Nutzen der am schlechtesten Gestellten in der Gesellschaft dienen.“ ( http://de.wikipedia.org/wiki/Egalit%C3%A4rer_Liberalismus)

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Karsten Weber Reformulierung der Rawl´schen Gerichtigkeitsprizipien als Prinzipien informationeller Gerechtigkeit 1. Jedermann soll gleiches Recht auf Zugang zum umfangreichsten System von Informationen und Wissen haben, das mit dem gleichen System für alle anderen vereinbar ist.

2. Informationelle Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass a) vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen, und b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen, Karsten Weber: Informationelle Gerechtigkeit. In: Hermut. F. Spinner; Michael Nagenborg, Karsten Weber: Bausteine zu einer neuen Informationsethik. Philo Verlag: Berlin, Wien 2001, S. 168

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Fazit

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Wie kann aus informationsethischer dem Charakter von Wissen und Information als Commons Rechnung tragen werden? Neue Antworten auf Fragen wie

    Kann Wissen jemand gehören? In welchem Ausmaß trägt das Konzept von geistigem Eigentum weiter in elektronischen Umgebungen?

Wie kann der Zugriff auf Information für jedermann (inklusiv) voj jedem Ort, zu jeder Zeit und fairen Bedingungen gesichert werden ? Wie kann die Nachhaltigkeit auch von digitaler Information gesichert werden? Was sind gerechte Informationsgesellschaften

Dies sind zentrale Herausforderungen an die Informationswissenschaft Informationsethik – Ethik in und für elektronische/n Räume/n

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Weitere Informationen - unter einer CC-Lizenz (share-alike) www.kuhlen.name

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CC als Möglichkeit, informationelle Autonomie/ Selbstbestimmung von Autoren zurückzugewinnen im Rahmen des Urheberrechts, aber mit Verzicht auf exklusive Verwertungsrechte 36