Ursachen des Bedeutungswandels

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Transcript Ursachen des Bedeutungswandels

Sprachwandel in der deutschen Gegenwartssprache
Semantischer Wandel (I):
Differenzierung und Metaphorischer Wandel
Universität Bielefeld
Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft
Stephan Lange
Stephan
StephanLange
Lange(Universität
(UniversitätBielefeld)
Bielefeld)
Wintersemester
10. November 2008/09
2011
Bedeutungswandel
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•
Unter der Bedeutung eines Wortes wird die Regel seines Gebrauchs in der
Sprache verstanden.
•
Daraus folgt: Bedeutungswandel ist ein Wandel von Gebrauchsregeln.
•
Alle Sprachen unterliegen, so langen sie in aktivem Gebrauch sind, einem
kontinuierlichen Wandel, alle Teilbereiche können diesen durchlaufen.
•
Frage: Wie ist eine Aussage wie „Latein oder Althochdeutsch ist eine tote
Sprache“ vor diesem Hintergrund zu bewerten?
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Bedeutungswandel
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•
Allen Wandelerscheinungen gemein ist, dass sie zu Beginn als systematisch
fehlerhafter Sprachgebrauch angesehen werden.
•
„Die systematischen Fehler von heute sind die Regeln von morgen.“
•
Eine der Hauptgründe für die Angst des so genannten Sprachverfalls.
Natürlich gilt: Nicht jeder Fehler oder jede Neuerung ist ein Fall von Sprachbzw. Bedeutungswandel.
•
Innovationen – ob fehlerhaft oder nicht – werden erst dann zum
Sprachwandel, wenn sie sich in der Sprachgemeinschaft als Konvention
etablieren.
 Fazit 1: Sprachwandel wird von den Sprechern im Allgemeinen weder
beabsichtigt noch als Wandel bemerkt. Wenn sie etwas bemerken, dann
meist nur die systematische Fehlerhaftigkeit und sie schließen daraus auf
einen vermeintlich drohenden Sprachverfall.
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Bedeutungswandel
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Erste Frage: Wie kommt Sprach- oder speziell Bedeutungswandel überhaupt
zustande, wenn er von den Sprechern einer Sprache nicht gewollt ist?
•
Dadurch, dass eine Vielzahl an Sprechern bzw. Hörern in vielen
Situationen auf systematische Weise vom bis dato unüblichen
Sprachgebrauch abweichen.
•
Zweite Frage: Warum sollten Sprecher das tun? Wonach wird gestrebt?
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Bedeutungswandel
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1.
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2.
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Streben nach Energieersparnis
haben  /ham/, möglicherweise in ein paar hundert Jahren auch als
ham geschrieben(?); (vgl. auch lat. habent  spa. han)
Von daher gesehen, finde ich das ganz gut 
Von daher finde ich das ganz gut
Streben nach Höflichkeit
mhd. frowe bezeichnete nur adlige, mhd. wÎp ausschließlich nichtadelige Damen.
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Bedeutungswandel
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3.
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4.
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Streben bzw. Wunsch zu imponieren
geil als Ausdrucksmöglichkeit dafür, sich besonders farbig und
expressiv auszudrücken (vgl. auch: Der hat das nicht richtig gepeilt vs.
Der hat das nicht richtig begriffen)
Streben nach kognitiver Energieersparnis
Wer eine Alternative hat, meint eigentlich, er verfüge über zwei
Möglichkeiten; heute jedoch oft: „Ich sehe da zwei Alternativen.“
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Bedeutungswandel
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In allen Fällen ist das Grundprinzip das Gleiche:
•
Die einzelnen Sprecher beabsichtigen nicht die Bedeutung zu ändern, ihr
Ziel ist z.B. (kognitive) Energieersparnis, Höflichkeit, Imponieren etc.
•
Nicht das „Schicksal der Sprache“ also, sondern kommunikative Ziele
stehen im Fokus.
•
Wenn dieser Sprachgebrauch von vielen praktiziert wird , wird er zum
Defaultfall und damit zur neuen Konvention  Bedeutungswandel
•
Fazit 2: Bedeutungswandel ist ein nicht beabsichtigter Nebeneffekt
unseres alltäglichen Kommunizierens. Menschen sind bestrebt, ihre
alltägliche kommunikativen Ziele möglichst optimal zu verwirklichen.
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Arten von Bedeutungswandel
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Arten von Bedeutungswandel
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Bedeutungsverengung
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Bedeutungsverengung (Differenzierung)
•
Der Bedeutungsumfang eines Lexems verkleinert sich, weil zu den
ursprünglichen semantischen Merkmalen noch weitere hinzukommen, die
die Bedeutung einschränken. Die Extension des Lexems verengt sich.
Beispiel: Hochzeit
•
früher: (hôch(ge)zît): kirchliches oder weltliches Fest oder einfach Freude
[+Fest] [+weltlich] [+kirchlich] [+Freude] [+Stimmung]
•
heute: kirchliches oder weltliches (Standesamt) Fest der Eheschließung
[+Fest] [+weltlich] [+kirchlich] [+Freude] [+Stimmung] [+Eheschließung]
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Bedeutungserweiterung
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Bedeutungserweiterung (Ausweitung)
•
Der Bedeutungsumfang eines Lexems wird erweitert, weil einige der
ursprünglichen semantischen Merkmale – und somit auch Bedeutungseinschränkungen – wegfallen. Die Extension des Lexems erweitert sich.
Beispiel: Horn
•
früher: tier. Stirnauswuchs
[+Körperteil] [+Tier] [+organisch]
•
heute: tier. Stirnauswuchs, Trinkgefäß, Blasinstrument
[±Körperteil] [±Tier] [±organisch]
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Bedeutungsverschiebung
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Bedeutungsverschiebung
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Bei dieser Form des Bedeutungswandels kann man die eigentliche
Wortbedeutung nicht mehr feststellen bzw. nur noch erahnen.
•
•
In diese Gruppe gehören besonders Wörter, die durch metaphorischen
Sprachgebrauch ihre Bedeutung geändert haben.
Hier wird ein Wort im übertragenen Sinne gebraucht bzw. in eine
'uneigentliche' Bedeutung übertragen.
•
Die Metapher beruht meist auf Ähnlichkeit in Gestalt, Eigenschaften
und/oder Funktion.
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Bedeutungsverschiebung: Metapher
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Metaphern als Bedeutungsverschiebungen
Beispiele: Fleischwolf und Wasserhahn
•
Das Gerät zum Zermahlen von Fleisch wird z.B. Fleischwolf genannt, da es
das Fleisch wie ein hungriger Wolf zerkleinert.
•
Beim Wasserhahn oder -kran ist es die Form, die an das Tier bzw. die Maschine
erinnert.
•
Viele der Bezeichnungen für kognitive Vorgänge sind metaphorischer Natur,
obwohl wir das heute nicht mehr vermuten würden.
•
erfahren bedeutete ursprüngl. reisen, durchfahren, -ziehen, erreichen,
einholen.
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Bedeutungsverbesserung
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Bedeutungsverbesserung (Meliorisierung)
•
Die Bedeutungsverbesserung kommt nach Nübling (2006) viel seltener vor als
Bedeutungsverschlechterung.
•
•
Hierbei nimmt ein Ausdruck eine Bedeutung an, die in der jeweiligen
Gesellschaft als nützlicher/wertvoller gilt.
Für diese Form des Bedeutungswandels sind oft soziologische Faktoren
ausschlaggebend. Zwei Beispiele:
•
So war der Marschall zunächst Pferdeknecht, dann Stallmeister, danach
Hofbeamter, später der oberste Befehlshaber der Reiterei und seit dem
16./17. Jahrhundert ein sehr hoher militärischer Rang.
•
Mordskerl: Mord ist bis heute negativ konnotiert, und Kerl kann sowohl
positiv ("Ein toller Kerl") als auch negativ sein. Nur im Kompositum
Mordskerl erfahren die beiden Wörter eine Bedeutungsverbesserung.
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Bedeutungsverschlechterung
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Bedeutungsverschlechterung (Pejorisierung)
•
Zur Gruppe der Bedeutungsverschlechterungen zählen Wörter, deren
Bedeutung im Laufe der Zeit sozial, moralisch oder auch rein stilistisch
'schlechter' bzw. weniger anerkannt wurden.
•
Ein klassisches Beispiel für Pejorisierung ist Dirne:
•
junges Mädchen > dienendes junges Mädchen > Hure, Prostituierte
•
In diesem Fall handelt es sich um ein Zusammenspiel von Pejorisierung
und Bedeutungsverengung.
•
Auch albern hat einen Bedeutungswechsel durchlaufen:
•
von: ganz, wahr, wahrhaftig, gütig und freundlich >
•
bis gegenwärtig: lustig ohne rechte Ursache, lächerlich
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Referate…
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Nun ein paar nähere Gedanken in den Referaten
•
zur Differenzierung,
•
zum metaphorischem Wandel und
•
zur Sprachwandeltheorie von Rudi Keller
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Ursachen des Bedeutungswandels
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Ursachen des Bedeutungswandels
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Neben den gerade präsentierten Verfahren von Bedeutungswandel steht
natürlich auch die Frage im Raum, aus welchem Grund sich Wortbedeutungen verändern.
•
Sind die Änderungen völlig willkürlich oder gibt es Tendenzen und
Gesetzmäßigkeiten?
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Ursachen des Bedeutungswandels
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Veränderung der Sache
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Oft tragen Wörter zwar noch ihre eigentliche Bezeichnung, ihre Bedeutung
aber wurde z.B. durch technische Innovationen, kulturelle oder
gesellschaftliche Entwicklungen verändert.
•
Beispiel 1: Eisbein
•
Eisbein meint ursprüngl. den Röhren- oder Schienbeinknochen größerer Tiere, der sich zur Herstellung von
Schlittschuhkufen eignete.
•
Zwar werden Schlittschuhkufen mittlerweile aus Metall
hergestellt, die Bezeichnung für diesen speziellen
Knochen aber hat sich erhalten.
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•
Fräulein war bis zum 18./19. Jahrhundert die Bezeichnung für eine
unverheiratete adelige Dame. So etwa in Goethes Faust:
F a u s t:
Mein schönes Fräulein, darf ichs wagen,
Mein Arm und Geleit ihr anzutragen?
M a r g a r e t h e:
Binn weder Fräulein weder schön,
Kann ohngeleit nach Hause gehn.
•
Heute hat sich die Gesellschaftsstruktur verändert, und die
Standesunterschiede werden in dem Maße nicht mehr ausgedrückt.
•
Trotzdem hat sich die Bezeichnung Fräulein erhalten.
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Bedarf an stärkeren Ausdrücken (Hyperbel und Litotes)
•
Manche Wörter werden so oft benutzt, dass sie uns nicht mehr 'ausreichen',
um uns auszudrücken, es kommt zu Übersteigerungen und Untertreibungen.
•
Übersteigerung (Hyperbel)
Vor allem verstärkende Adverbien wie sehr scheinen uns nicht mehr stark
genug und werden durch Hyperbeln wie unglaublich, phänomenal,
furchtbar oder ungeheuer ersetzt.
•
•
•
Besonders in der Jugendsprache gibt es immer wieder neue verstärkende
Adverbien wie z.B. voll ("voll cool").
Untertreibung (Litotes)
Manchmal übertreiben wir, indem wir untertreiben:
•
•
Wenn man z.B. nicht schlecht sagt, so kann das - abhängig von der
jeweiligen Situation - hohe Anerkennung bedeuten.
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Tendenz zu Beschönigungen (Euphemismus und soziale Aufwertung)
•
Unsere Gesellschaft ist voller Tabus. Aus diesem Grund müssen wir Wege
finden, die Dinge, Sachverhalte oder Gefühle zu beschreiben, über die man
nicht sprechen darf oder soll.
•
Hierbei fallen insbesondere der Euphemismus und die soziale
Aufwertung ins Gewicht.
•
Euphemismen bezeichnen "Hüllwörter", die uns ermöglichen, über Tabus zu
reden.
•
Viele Euphemismen gehen auf abergläubische Vorstellungen zurück, die
besagen, dass man etwas Schlimmes oder Böses herbei schwört, wenn man
dessen Namen ausspricht.
•
Wenn man etwa "zum Kuckuck" (statt „zum Teufel“) sagt, meinte man
ursprünglich, das Böse überlistet zu haben.
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Aktuelle Beispiele euphemistischer Ausdrücke
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Euphemismus
Nicht-euphemistische Alternative
Vorstoß in den rückwärtigen Sektor
Stirn bis zum Nacken
Brettl-Rutschn (früher wurden Bretter
benutzt, um den Leichnam ins Grab
rutschen zu lassen)
Kartoffelfriedhof
kognitiv herausgefordert
bargeldloser Einkauf
(vgl. http://euphemismen.de)
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Soziale Aufwertung
•
Früher wurden unattraktive Berufe auch sprachlich abwertend bezeichnet.
Heute gibt es Bestrebungen, solche Berufe sprachlich aufzuwerten. Es gibt
keine Putzfrau mehr, sondern die Raumpflegerin.
•
Analog gelten etwa:
•
Bauer -> Landwirt
•
Friseurin -> Hair-Stylistin
•
Hausmeister -> Gebäudemanager (> der Facility Manager?)
•
Klempner -> Sanitärinstallateur
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Tendenz zum bildhaften Ausdruck
•
Sprecher haben das Bedürfnis, sich in bildhafter Sprache und Vergleichen
auszudrücken.
•
•
Diesen kreativen Umgang mit Sprache findet man besonders in den
Sondersprachen, den Mundarten, der Umgangssprache und den
Fachsprachen.
Dazu nur kurz, da bereits erwähnt: die Metapher
•
Das Gerät zum Zermahlen von Fleisch wird z.B. Fleischwolf genannt, weil
es das Fleisch wie ein hungriger Wolf zerkleinert.
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Metonymie
•
Metonymie beruht nicht – wie die Metapher – auf 'äußerer' Ähnlichkeit,
sondern auf einem Zusammenhang, der räumlich, zeitlich oder ursächlich
sein kann.
•
Beispiele:
1.
Wir lesen „Goethe“ – statt seiner Werke
2.
Wir kaufen einen „Opel“ – statt ein Auto von der Firma Opel
3.
Wir trinken ein „Gläschen“, statt dessen Inhalt
4.
Wir verlängern ein „Buch“ – statt dessen Leihfrist
5.
Wir tragen „Jeans“ – statt eine Hose aus Jeans
6.
Wir fragen nach einem „Tempo“ – statt eines Papiertaschentuchs
7.
Wir putzen mit „Ajax“ das Bad, sind ein „Judas“, wenn wir jmd. verraten haben
(Beispiele 6 und 7 gelten als Unterformen von Metonymie, die Literatur spricht von Antonomasie)
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•
Ein einzelnes Ding, ein Gebäude etc. kann zur Bezeichnung einer Institution
werden:
•
Kirche steht für das Gebäude und die Glaubensgemeinschaft.
•
Bahn bezeichnet eine Eisenbahn, aber auch die Institution Bahn.
•
Bank war ursprünglich nur der Geldwechseltisch.
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Exkurs: Bedeutungswandel b. Verwandtschaftsbezeichnungen
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Wandel von Verwandtschaftsbezeichnungen
•
Bezeichnungen für die Angehörige der Kernfamilie blieben im Laufe der Zeit
formal aber vor allem auch semantisch absolut stabil.
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Exkurs: Bedeutungswandel b. Verwandtschaftsbezeichnungen
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•
Ganz anders verhält es sich bei Bezeichnungen für weitere Verwandtschaft
(wir beschränken uns der Übersicht halber auf Blutsverwandtschaft)
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Exkurs: Bedeutungswandel b. Verwandtschaftsbezeichnungen
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Exkurs: Bedeutungswandel b. Verwandtschaftsbezeichnungen
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Ende! 
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