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Kompetenzorientierter
Geschichtsunterricht –
Die Bedeutung von Lernaufgaben
Peter Gautschi – 29.9.11 in Graz
Historisches Lernen
unter Legitimationsdruck
- gravierende Defizite
Jugendlicher im
Umgang mit
Geschichte
- kaum Kenntnisse über
Vergangenes
Bankrotterklärung methodenorientierten – und
quellenorientierten Geschichtslernens (Borries 2004)
- Chancenungleichheit in der Schweiz: Die kantonalen
Angebote unterscheiden sich in ihrem Umfang
(Stundendotation), in ihrer Angebotsstruktur (Fach
oder Fächerverbund), in ihren Zielen und Themen
-
Bildungsstandards als
Ausweg
Einen Ausweg aus der
schwierigen Situation
sollen die Bildungsstandards mit den darin
definierten Kompetenzen weisen.
-
potentes Instrument der Schulreform (Herzog)
die Qualität schulischer Arbeit verbessern
die Kerne der einzelnen Fächer identifizieren
Blick auf Schüler/-innen und ihre Leistungen
wenden
- den Outcome statt den Input fokussieren
verschiedene Modelle für
Geschichtslernen
Geschichtsdidaktik hat die
Herausforderungen
angenommen und viele
verschiedene Modelle
entwickelt.
Die Vielfalt weist auf Reichtum hin, ist aber für
die Unterrichtspraxis ein Problem.
Es gibt viele Gemeinsamkeiten und
Unterschiede zwischen den Modellen.
Grundlegende Definition
“A competence is defined as the ability to successfully
meet complex demands in a particular context.
Competent performance or effective action implies the
mobilization of knowledge, cognitive and practical skills,
as well as social and behavior components such as
attitudes, emotions, and values and motivations“
(DeSeCo 2003).
Inhaltsverzeichnis
1. Stefan Keller, ein historisch gebildeter Mensch
2. Kompetenter Umgang mit Vergangenheit und
Geschichte
3. Kompetenzorientierter Geschichtsunterricht
4. Aktuelle Entwicklungen in der Schweiz
5. Die Bedeutung von Aufgaben für
kompetenzorientierten Geschichtsunterricht
Das Ziel: historisch
gebildete Menschen
Historisch gebildete Menschen können sich Geschichte
so vergegenwärtigen, dass sie Vergangenheit und
Gegenwart besser verstehen und Zukunftsperspektiven
aufbauen. Dies geschieht mit der Entwicklung einer
eigenen sinnstiftenden Erzählung (Narration).
Stefan Keller ist ein historisch gebildeter Mensch und
wird deshalb nachgefragt, zum Beispiel von Joseph
Spring.
Stefan Keller und Joseph
Spring
Stefan Keller, Historiker,
Autor und Journalist,
erzählt die Geschichte von
Joseph Spring.
Er tut dies auf Einladung von Joseph Spring. Dem in
Australien lebenden Spring glauben die Schweizer
Behörden nicht, was er zur Zeit des Zweiten Weltkriegs
erlebt hat. Nun soll der Historiker Stefan Keller die
Geschichte von Joseph Spring nachrecherchieren und
belegen. Dazu reist Keller durch halb Europa und
schreibt schliesslich nach über zweijähriger Arbeit das
Buch „Die Rückkehr – Joseph Springs Geschichte“.
ein Höhepunkt: Das
Auffinden der Fotografie
Wahrnehmung von
Veränderungen in der Zeit:
- ältere Fotografie
- drei junge Männer
- grösseres Gebäude
- Winterlandschaft
Erschliessung einer
historischen Quelle (z.B.
Foto):
- November 1943
- Joseph Spring u. 2 Cousins
- Jugendherberge
- La Cure, Waadtland
Geld statt Gerechtigkeit
Interpretation
von Geschichte:
- 16-jähriger jüdischer Flüchtling
- festgenommen
- nach Auschwitz spediert
- Spring überlebt u. wandert aus
- verlangt Schadenersatz
- Bundesrat lehnt ab
- Bundesgericht weist Klage ab
- spricht hohe Entschädigung
Orientierung für Gegenwart
und Zukunft:
- Entschädigungsanspruch
für vergangenes Unrecht
Geschichte erzählen
Historisch gebildete Menschen
entwickeln und erzählen Geschichten.
Inhaltsverzeichnis
1. Stefan Keller, ein historisch gebildeter Mensch
2. Kompetenter Umgang mit Vergangenheit und
Geschichte
3. Kompetenzorientierter Geschichtsunterricht
4. Aktuelle Entwicklungen in der Schweiz
5. Die Bedeutung von Aufgaben für
kompetenzorientierten Geschichtsunterricht
Geschichte erzählen
Historisch gebildete Menschen können sich Geschichte so
vergegenwärtigen, dass sie Vergangenheit und Gegenwart
besser verstehen und Zukunftsperspektiven aufbauen.
Dies geschieht mit der Entwicklung einer eigenen
sinnstiftenden Erzählung (Narration).
Triftigkeitskriterien
Narrationen müssen den Triftigkeitskriterien standhalten: empirische, narrative, normative Triftigkeit.
sinnstiftende
Erzählungen
Um eine eigene sinnstiftenden Erzählung zu entwickeln,
- müssen Menschen an Vergangenheit interessiert und
motiviert sein, sich mit Geschichte
auseinanderzusetzen: sie brauchen
geschichtsbezogene Einstellungen und Haltungen;
- benötigen Menschen Fähigkeiten, um Geschichte
wahrnehmen, erschliessen und interpretieren sowie
um daraus für sich Sinn bilden zu können.
- müssen Menschen über Wissen (Begriffe und
Konzepte) verfügen, um die einzelnen
Erzählbausteine zu finden und triftig zu einer
sinnbildenden Erzählung zusammenzufügen.
Verständnis von
Kompetenzen
Dieses umfassende Bündel von Wissen und
Verständnis, von Fähigkeiten und Fertigkeiten, von
Einstellungen und Haltungen, über das historisch
gebildete Menschen verfügen, um Narrationen zu
entwickeln, wird als "narrative Kompetenz"
bezeichnet.
Narrative Kompetenz wird im Prozess des historischen
Lernens ausgebildet und ausdifferenziert. Der
Prozess kann in einem Modell abgebildet und
visualisiert werden.
Was ist „Historisches Lernen“?
Peter Gautschi
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Wie kann „Historisches Lernen“ verlaufen?
Peter Gautschi
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Herausforderungen
historischen Lernens
Wer historisch lernt, ist mit 4 Problemen konfrontiert:
1. Wie finde und erkenne ich historische Zeugnisse und
Menschen, die mir über Vergangenes berichten
können?
2. Wie erschliesse ich Quellen und Darstellungen, die
über das Universum des Historischen erzählen?
3. Was passiert vorher, was nachher, was ist Ursache
und was ist Wirkung des Dargestellten? Welche
Veränderungen in der Zeit werden sichtbar?
4. Wie hängt das Vergangene mit dem Gegenwärtigen
zusammen, und was bedeutet dies für mich und die
Zukunft?
Kompetenzbereiche
historischen Lernens
Inhaltsverzeichnis
1. Stefan Keller, ein historisch gebildeter Mensch
2. Kompetenter Umgang mit Vergangenheit und
Geschichte
3. Kompetenzorientierter Geschichtsunterricht
4. Aktuelle Entwicklungen in der Schweiz
5. Die Bedeutung von Aufgaben für
kompetenzorientierten Geschichtsunterricht
Didaktisches Dreieck als
Strukturmodell
Unterschiedliche
Akzentuierungen
problemorientiert
wissensorientiert
aufgabenorientiert
schülerorientiert
handlungsorientiert
kompetenzorientiert
inhaltsorientiert
lebensweltorientiert
zielorientiert
zukunftsorientiert
gegenwartsorientiert
gesellschaftsorientiert
wertorientier
t
Unterschiedliche
Akzentuierungen
problemorientiert
wissensorientiert
Wissensorientierter
Geschichtsunterricht
aufgabenorientiert
Unterrichtsorientierter
Geschichtsunterricht
handlungsorientiert
schülerorientiert
Kompetenzorientierter
Geschichtsunterricht
kompetenzorientiert
inhaltsorientiert
lebensweltorientiert
zielorientiert
zukunftsorientiert
Gesellschaftsorientiertgegenwartsorientiert
er Geschichtsunterricht
gesellschaftsorientiert
wertorientier
t
Kompetenzorientierter
Geschichtsunterricht
- aktiviert die Schüler/-innen kognitiv
- bietet Aufgaben zur selbständigen
Auseinandersetzung mit Geschichte an
- konfrontiert die Lernenden mit Problemstellungen, die
zentrale Fragen der Gegenwart aufnehmen
- basiert auf Diagnosen des Lernstandes (Wissen,
Können, Einstellungen) der Schüler/-innen
- individualisiert Ziele und differenziert Inszenierungen
- ist reich an Materialien aus der / über die
Vergangenheit
- lädt Schüler/-innen zum historischen Erzählen ein
Inhaltsverzeichnis
1. Stefan Keller, ein historisch gebildeter Mensch
2. Kompetenter Umgang mit Vergangenheit und
Geschichte
3. Kompetenzorientierter Geschichtsunterricht
4. Aktuelle Entwicklungen in der Schweiz
5. Die Bedeutung von Aufgaben für
kompetenzorientierten Geschichtsunterricht
HarmoS
Einheitliche
Strukturen
Schulkonkordat zur
Harmonisierung der
obligatorischen Volksschule
Einheitliche Ziele mit
Bildungsstandards in
Schul- und
Fremdsprache,
Mathematik und
Naturwissenschaften
Bildungsmonitoring
Blockzeiten und
Tagesstrukturen
Lehrplan 21
Plan d‘ études romand
Lehrplan 21
21 Deutschschweizer Kantone harmonisieren
Schule fürs 21. Jahrhundert
Fachbereiche im
Lehrplan 21
Architektur von
Kompetenzen
Themenbereiche
Kompetenzbereiche
- Schweizer Geschichte
- Weltgeschichte
- Geschichtskultur
- Politische Bildung
Kompetenzen als Kombination von einzelnen Themen und
von Fähigkeiten aus den Kompetenzbereichen
Architektur von
Kompetenzen
4 Bereiche
- Schweiz im Wandel wahrnehmen und erschliessen
- Weltgeschichtliche Kontinuitäten und Umbrüche
verstehen
- Geschichtskultur: Geschichten und Geschichte
erzählen
- sich für Demokratie und Menschenrechte engagieren
Kompetenzformulierungen
- „Can do“- (können-“) Formulierung
- Weiteres Verb mit Umschreibungen, die auf einen
fachspezifischen Kompetenzbereich hinweisen
- Etikette, die sich auf einen fachspezifischen
Themenbereich bezieht. Fachspezifisch wird ein Inhalt,
wenn menschliches Handeln in gesellschaftlicher Praxis
sowie Veränderungen in der Zeit und
Entwicklungszusammenhänge thematisiert werden.
- Beschreibung eines (allgemeines, lebensbedeutsames,
bildungsrelevantes) Problems.
- Die beschriebene Kompetenz lässt sich stufen.
- Zur Kompetenz müssen viele verschiedene
Aufgabenstellungen möglich sein.
Jeder Bereich mit 4
Kompetenzen
Bereich:
Schweiz im Wandel wahrnehmen u. erschliessen
Kompetenzen: Schüler/-innen können
… zu einem politischen Schlüsselphänomen der Schweizer
Geschichte Materialien finden und den Verlauf des Phänomens
sowie dessen Ursachen und Folgen darlegen
… die kulturelle Vielfalt der Schweiz im Wandel der Zeit
erläutern
… aufzeigen, wie Menschen in der Schweiz durch
gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen geprägt
werden und wie sie sie gestalten
… den Alltag von Menschen in der Schweiz in verschiedenen
Jahrhunderten vergleichen
Jede Kompetenz mit 4
Stufen
Kompetenz:
… zu einem politischen Schlüsselphänomen der Schweizer Geschichte
Materialien finden und den Verlauf des Phänomens sowie dessen Ursachen und
Folgen darlegen
Kompetenzstufen:
… Ursachen und Folgen einer bedeutsamen eidgenössischen Abstimmung (z.B.
Stopp dem Atomkraftwerkbau, UNO-Beitritt, Frauenstimmrecht) aufzeigen und zu
den unterschiedlichen Positionen selber Stellung nehmen
… die Entstehung des modernen Bundesstaates Schweiz erzählen und dabei
insbesondere die Unterschiede zur Alten Eidgenossenschaft, den Föderalismus
sowie das Stadt-Land-Verhältnis erörtern
… zu ausgewählten strukturellen Veränderungen in der Schweiz der letzten 200
Jahre (insbesondere Gleichstellung, Strukturwandel, Religionsfragen,
Ausländerdiskussion, Migration) selber Materialien finden, damit die
Veränderungen veranschaulichen und erklären und mit Situationen in andern
Ländern (insbesondere in Europa) vergleichen
… einen ausgewählten Aspekt der Geschichte der Schweiz während der Kriege
im 20. Jahrhundert (z.B. in einem Vortrag) darbieten und (z.B. in einer
Diskussion) dazu selber Stellung nehmen und Fragen beantworten
Inhaltsverzeichnis
1. Stefan Keller, ein historisch gebildeter Mensch
2. Kompetenter Umgang mit Vergangenheit und
Geschichte
3. Kompetenzorientierter Geschichtsunterricht
4. Aktuelle Entwicklungen in der Schweiz
5. Die Bedeutung von Aufgaben für
kompetenzorientierten Geschichtsunterricht
Kompetenzorientierter
Geschichtsunterricht
- aktiviert die Schüler/-innen kognitiv
- bietet Aufgaben zur selbständigen
Auseinandersetzung mit Geschichte an
- konfrontiert die Lernenden mit Problemstellungen, die
zentrale Fragen der Gegenwart aufnehmen
- basiert auf Diagnosen des Lernstandes (Wissen,
Können, Einstellungen) der Schüler/-innen
- individualisiert Ziele und differenziert Inszenierungen
- ist reich an Materialien aus der / über die
Vergangenheit
- lädt Schüler/-innen zum historischen Erzählen ein
Studien Guter
Geschichtsunterricht
Die guten Lektionen zeichnen sich durch zwei Schlüsselmerkmale aus:
Bezug zu den Lernenden und gute Lernaufgaben.
Aufgaben vor, während
und nach Lernprozess
Aufgaben entlang
Kompetenzbereiche
Aufgabenarten entlang
Kompetenzbereiche
Aufgabenarten
Materialbasis
Bearbeitungsperspektive
Resultat
Wahrnehmungsaufgabe
(in Testsituationen
Bilder)
Fragen stellen, Vermutungen äussern,
Quellen / Darstellungen suchen u.
finden
Quelle / Darstellung /
Frage / Vermutung
Quelle / Darstellung
Phänomene, Sachverhalte, Personen
identifizieren, charakterisieren,
verstehen
Sachanalyse
mehrere Quellen /
Darstellungen
ordnen, vergleichen, in Beziehung
setzen, Ursache und Wirkung
beschreiben
Sachurteil
-
Bezug herstellen von Phänomenen
der Vergangenheit zur Gegenwart
Werturteil
-
Wiedergabe von Erlerntem
Sachanalyse,
Sachurteile, Werturteile
.
(Rechercheaufgaben)
Erschliessungsaufgabe
(Umformungsaufgaben, Multiple choice)
Interpretationsaufgabe
(Aufsätze)
Orientierungs-aufgabe
(Transferaufgaben)
Wissensaufgabe
(Wiedergabeaufgaben)
Aufgabenset
Aufgabenset bestehen aus 3
Materialien und 3 Aufgaben:
Aufgabe 1: Wahrnehmung (Fragen
stellen) u. Erschliessung (Material
genau studieren)
Aufgabe 2: Interpretation
(verschiedene Materialien ordnen
und Zusammenhänge erläutern)
Aufgabe 3: Orientierung (Deutung
für die eigene Gegenwart und
Zukunft)
Portfolio
Portfolioaufträge, die einen
Bezug zu den Lernenden
anbieten und sie zum
historischen Erzählen
anregen:
- Lead mit
Kurzbeschreibung des
Auftrags und zur Motivation
und Interessenförderung
- Beschreibung des
Produkts
- Vorgehen Schritt für Schritt
darlegen
- Tipps für die Durchführung
Formen kompetenzorientierten Unterrichts
Entscheidend sind anregenden, auf die Situation
der Lernenden bezogene, aktivierenden Aufgaben,
die die Schüler/innen zum Wahrnehmen,
Erschliessen, Interpretieren und Sich-Orientieren kurz: zum Erzählen - bringen: Never teach history
without a story!