Wiederaufbau - Prof. Rode: Internationale Beziehungen und

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Wirtschaft und Wohlfahrt
Wiederaufbau
Zur westdeutschen Wirtschaftsgeschichte
„Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist vor allem ihre
Wirtschaftsgeschichte. Nichts hat den westdeutschen Staat stärker geprägt
als seine wirtschaftliche Entwicklung. Auf keinem anderen Gebiet sind seine
Leistungen greifbarer als dort: Ihnen verdankt die zweite, die westdeutsche
Republik jene Stabilität und Handlungsfreiheit, die der Republik von Weimar
gefehlt haben.
Um des westeuropäischen Wiederaufbaus willen gegründet, ist die Bundesrepublik mit ihrer Wirtschaft groß geworden. Heute messen sich ihr Ansehen
und ihre Stellung in der Welt nicht am Status eines geteilten und in seinen
Lebensfragen von Großmächten abhängigen Landes, sondern an seiner
wirtschaftlichen Macht.“
Quelle: Werner Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte
Deutschland 1945-1980, Frankfurt am Main 1983, S. 8
der
Bundesrepublik
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
So wenig, wie die junge Bundesrepublik Ende der vierziger
Jahre eine eigene Außenpolitik betreiben konnte, so wenig
verfügte sie über die außenwirtschaftspolitische Souveränität.
Die politischen Rahmenbedingungen, mehr Souveränität für Westdeutschland gegen Integration, setzte auch die Rahmenbedingungen für den
wirtschaftlichen Wiederaufbau. Anfänglich war er von der Politik der
jeweiligen Besatzungsmacht geprägt. Auf ein gemeinsames Wirtschaftsprogramm für das besetzte Deutschland hatten sich die vier Besatzungsmächte nicht einigen können.
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Für die Bundesrepublik maßgebend war das Wiederaufbauprogramm der
amerikanischen und britischen Besatzungsbehörden. Damit wurde ein
liberalisierender Kurs vorgegeben, dessen Korrektur schnell kostspielig hätte
werden können.
Der amerikanische Morgenthau-Plan, benannt nach dem Finanzminister
Henry Morgenthau, zur Deindustrialisierung Deutschlands war Schubladenplanung geblieben, er spielte in der Praxis keine Rolle. Die Kapazitätsverluste
durch Reparationen betrugen in Westdeutschland nur ca. 3 Prozent, in
Ostdeutschland hingegen 30 Prozent.
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 Die Westalliierten gaben den Anstoß zur Währungsreform und
stellten Weichen in Richtung eines liberalisierten Handels- und
Geldverkehrs.
Die Prägekraft gerade des amerikanischen Vorbilds war auch deswegen groß,
weil die deutschen politischen und wirtschaftlichen Institutionen der völligen
Zerstörung anheim gefallen waren.
Die amerikanische Linie, ökonomische Rationalität vor politische Ideologien zu
stellen, übte bei der Revitalisierung eigener deutscher Institutionen großen
Einfluss aus.
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 In den ersten Nachkriegsjahren war der europäische Handel
praktisch auf das Niveau des Tauschhandels abgesunken. Die
Nichtkonvertierbarkeit der europäischen Währungen und die
Knappheit an Dollar und Gold ließen keine andere Wahl.
Der deutsche Außenhandel der anglo-amerikanischen Bizonen stand unter der
Kontrolle der Gemeinsamen Import- und Exportagentur (JEIA). Die Vorschriften der JEIA (Joint Export and Import Agency) hatten ursprünglich die
Funktion, die deutsche Wirtschaft zu dekartellisieren und zu dezentralisieren.
Hinzu kam dann aber durch den Marshall-Plan die massive Zufuhr
amerikanischer Wirtschaftshilfe zum Zwecke des europäischen Wiederaufbaus.
In der Bundesrepublik erhielten die USA dadurch außerordentliche
wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten.
Praktisch spielten die USA eine Art „Vorstandsrolle“, die die Europäer zur
Zusammenarbeit zwang. Der Anreiz zu übernationalen Lösungen und zur
westeuropäischen Integration ging also Ende der vierziger Jahre von den USA
aus.
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 Für Westdeutschland erwies sich die amerikanische Prägung als
Vorteil. Neben der amerikanischen Hilfe wurde nämlich die
deutsche Teilnahme am politischen und wirtschaftlichen Aufbau
Europas sichergestellt.
Die entscheidenden Schritte zum Abbau der wirtschaftlichen Kontrollen in
Westdeutschland erfolgten in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, als die
Erfolge und die Stabilität der kapitalistisch-liberalen Wirtschaftsordnung bereits
sichtbar waren.
Die Produktionskontrollen in den deutschen Schlüsselindustrien wurden
allmählich aufgehoben, und 1955 wurden mit dem Abkommen über die
Industrieüberwachung praktisch alle wirtschaftlichen Kontrollen offiziell aufgehoben.
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 Wie schnell in Westdeutschland Exportkapazitäten entstanden
waren, lässt sich daran ablesen, dass bereits 1951/52 eine Periode
der Zahlungsbilanzüberschüsse begann. Schon Ende 1954
betrugen die Gold- und Devisenreserven Westdeutschlands über
2,5 Mrd. Dollar.
Das große Bevölkerungsproblem Westdeutschlands, die Integration von über
14 Mio. Flüchtlingen und Vertriebenen, hatte nur kurzfristig störend gewirkt.
Tatsächlich wurde daraus schnell ein Wachstumsfaktor.
Auch die Lohnpolitik der Gewerkschaften war in dieser Phase überaus
moderat.
Die Öffnung des deutschen Binnenmarktes für ausländische Konkurrenz regte
den Wettbewerb an und entwickelte sich zu einer Grundlinie der deutschen
Wirtschaftspolitik.
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S33. Außenhandelsbilanz der BRD 1950-1965
Mrd. DM
Saldo in Mrd. DM
100
10
90
Ausfuhr
Einfuhr
Saldo
8
80
70
6
60
50
4
40
2
30
20
0
10
0
-2
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59
60
61
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 Die internationalen Institutionen, in die Westeuropa und die
Bundesrepublik eingebunden wurden, waren im wesentlichen auf
amerikanische Initiative zustande gekommen.
Dies galt für das Internationale Währungssystem von Bretton Woods (1944)
und das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) aus dem Jahr 1947.
Das Währungssystem des IWF war auf eine fixierte Gold-/Dollarparität und
feste Wechselkursraten zwischen den Hauptwährungen begründet. 35 USDollar entsprachen dem Gegenwert einer Unze Gold.
Das GATT war eine multilaterale Verpflichtung zur Handelsliberalisierung, die
auf Gegenseitigkeit, Gleichbehandlung und dem Meistbegünstigungsprinzip
beruhte. Beide waren der Kern des von den USA gesetzten liberalisierten
globalen Wirtschaftssystems der Nachkriegsperiode.
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Neben der amerikanischen Hegemonialrolle, die diese Institutionen durchsetzen konnte, spielte der gemeinsame Erfahrungshintergrund der Weltwirtschaftskrise vom Anfang der dreißiger Jahre eine prägende Rolle.
Der protektionistische, konkurrierende Marsch in den Ruin sollte diesmal
gemeinsam verhindert werden.
Die nationalen Wirtschaftspolitiken sollten sich den Spielregeln der internationalen Wirtschaftsordnung anpassen und unterordnen.
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 Die amerikanische Hegemonialrolle war damals unangefochten. Die
einzige prosperierende Wirtschaft der unmittelbaren Nachkriegsphase spielte nicht nur die Führungsrolle, sondern fungierte auch
als Wachstumsmotor und Kreditgeber.
Die Verzahnung mit amerikanischen politischen Zielen war dadurch
gegeben, dass durch den europäischen Wiederaufbau mit amerikanischer
Hilfe auch die Eindämmungspolitik gegenüber dem Osten gestützt würde.
Aus amerikanischer Sicht liefen politische Eindämmung, strategische
Abschreckung und wirtschaftliche Hegemonie Hand in Hand. Für die
amerikanische Wirtschaft selbst ergab sich die „offene Tür“ in den
westeuropäischen Wirtschaftsraum.
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Der Osten wurde, nachdem auf Stalins Geheiß eine Teilnahme am MarshallPlan unterbunden worden war, als ein Raum definiert, mit dem der
Güterverkehr einer strategischen Kontrolle durch eine westliche Aufsichtsbehörde, das COCOM (Coordinating Committee for Multilateral Export
Control), unterstellt wurde.
Für Westeuropa zog dies klare marktwirtschaftlich geprägte Verhältnisse
nach sich.
Die Integration der westeuropäischen Wirtschaft ohne Rücksicht auf
osteuropäische Bedürfnisse war wegen der Kompatibilität der Wirtschaftssysteme sehr viel einfacher als es bei einer Beteiligung der von Moskau
kontrollierten Planwirtschaften der Fall gewesen wäre.
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 Aus Bonner Sicht warf all dies wenig Probleme auf, weil Wahl
und Notwendigkeit zusammenfielen. Der Bonner Regierung
musste der amerikanische Kurs nicht aufgedrängt werden, sie
begab sich freiwillig auf diesen Pfad.
Der sozialdemokratische Widerstand gegen die Wiederbelebung des
internationalen Kapitalismus blieb ein oppositionelles Randphänomen. Nicht
die Regierung hatte sich anzupassen, sondern die Sozialdemokraten.
Aus westdeutscher Sicht boten die USA nicht nur Sicherheit vor der
Sowjetunion, sondern auch das Rezept für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg, das sogenannte Wirtschaftswunder.
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 In der Bundesrepublik entwickelte sich eine von deutschen
Eigenheiten geprägte neoliberale Richtung, die soziale Marktwirtschaft.
Diese war anfänglich in der Person des Wirtschaftsministers Ludwig Erhard
verkörpert. Danach blieb der Staat für die Wirtschaftsordnung zuständig,
überließ aber dem Markt den Wirtschaftsablauf.
Um Marktverzerrungen durch Monopole zu verhindern, wurde ein Kartellamt
geschaffen, die Geldwertstabilität sollte durch eine Zentralbank, die Bank
Deutscher Länder und seit 1957 die Deutsche Bundesbank mit weitgehender
Unabhängigkeit von der Regierung, garantiert werden.
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
So wie Adenauer ein Wiederaufleben des deutschen Nationalismus durch die Westintegration zu verhindern suchte,
vertraute Erhard auf die ausgleichenden Kräfte einer modernen
globalen Marktwirtschaft zur Einhegung nationalwirtschaftlicher
Interessen.
Insoweit ergänzten sich die Auffassungen des Bundeskanzlers und seines
Wirtschaftsministers. Sie unterschieden sich aber in ihrer Betrachtung der
europäischen Wirtschaftsregion.
Erhard wollte getreu den volkswirtschaftlichen liberalen Lehrbüchern eine
globale Wirtschaftsordnung und lehnte ein engeres regionales europäisches
Wirtschaftssystem ab.
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
Tatsächlich konnte die Bundesrepublik für lange Zeit beide
Zielrichtungen (Regionalismus und Globalismus) versöhnen.
Der Globalismus, der im Grunde ein Atlantizismus war, wurde genauso verfolgt
wie der EG-Regionalismus.
Schon in der Mitte der fünfziger Jahre stellte sich die Frage der Geldwertstabilität der D-Mark angesichts eines Trends zur importierten Inflation. Die DMark geriet unter Aufwertungsdruck, dem sich die deutsche Exportindustrie
widersetzte.
Die Fixierung auf Exportüberschüsse ließ die deutsche Wirtschaft eine
Beeinträchtigung ihrer Konkurrenzfähigkeit durch eine Aufwertung fürchten.
Einige Betrachter interpretierten dies als Ausdruck eines kaum verhüllten
deutschen Neo-Merkantilismus.
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 Der Widerspruch zwischen globaler Interdependenz und regionaler
Integration musste von der Bundesrepublik nicht im Sinne einer
eindeutigen Entscheidung für die eine oder andere Variante gelöst
werden.
Solange die USA von der Bundesrepublik keine solche Entscheidung
forderten, konnte zweigleisig gefahren werden.
Die USA waren ja selbst für die wirtschaftliche Vereinigung Westeuropas, um
diese Region gegen den Osten zu stärken und um Deutschland einzubinden.
Aus der Sicht der fünfziger Jahre konnten sich die USA diesen Kurs leisten.
Erst viel später brachte der wirtschaftliche Zusammenschluss in Europa für die
USA auch wirtschaftliche Nachteile.
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
Die westeuropäische Integration begann im Mai 1950 mit dem
Vorschlag des französischen Außenministers Robert Schuman,
einen gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl für Frankreich, die
Bundesrepublik, die Benelux-Staaten und Italien zu bilden.
Hintergrund des Vorschlags aus Frankreich war, dass diese Montanunion die
Ruhr-Industrie Deutschlands kontrollieren würde und einen ungehinderten
wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen Deutschland und Frankreich vermeiden
würde.
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Das Integrationsziel war also aus französischer Sicht ein Kontrollmittel. In der
Bundesrepublik wurden die Vorteile einer Montanunion nicht übersehen. Sie
würde die Abschaffung der internationalen Ruhr-Behörde mit sich bringen, eine
friedliche Lösung der Saar-Frage aufweisen können und auf eine Erweiterung
der deutschen Befugnisse hinauslaufen.
Statt eines alliierten Kontrollinstruments, der Ruhr-Behörde,
übernationale Institution geben, in der die Bundesrepublik
Mitglied auftreten könnte. Politische Gleichberechtigung
Vorteile übten verständlicherweise auf die deutsche
Attraktivität aus.
würde es dann eine
gleichberechtigt als
und wirtschaftliche
Regierung große
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 Ein ähnliches Interessenkalkül auf Seiten aller Beteiligten führte
1957 zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).
In den Verträgen von Rom verpflichteten sich die sechs Mitglieder der
Montanunion zur Abschaffung von Handelsbeschränkungen und zur Einführung eines gemeinsamen Außenzolls. Sie gründeten ferner eine Europäische
Atomgemeinschaft, die Euratom.
Sondervereinbarungen galten für die französischen und belgischen Kolonien
sowie für den innerdeutschen Handel. Praktisch wurde die DDR stilles Mitglied
der gemeinsamen Zollunion.
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Der Kern der EWG war der Wirtschaftspakt zwischen Frankreich und der
Bundesrepublik. Die deutsche Seite bekam einen erweiterten Markt für ihre
Industrieprodukte, die französische für ihre Agrarprodukte. Die langfristigen
wirtschaftlichen Vorteile der EWG waren für die Bundesrepublik enorm.
Die Wiederaufbauphase war beendet, jetzt bot der Gemeinsame Markt den
sechs Mitgliedsstaaten neue Wachstumschancen. Im Vergleich dazu gewann
Frankreich weniger. Die Agrarmarkterweiterung war ein Vorteil, daneben wurde
jedoch die französische Industrie direkt dem Konkurrenzdruck der überlegenen
deutschen Industriewirtschaft ausgesetzt.
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Vorteil, daneben wurde jedoch die französische Industrie direkt dem
Konkurrenzdruck der überlegenen deutschen Industriewirtschaft ausgesetzt.
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 Aus der Rückschau waren die Römischen Verträge keinesfalls ein
revolutionärer Integrationsschritt. Die Europa-Idee war längst
nicht so dynamisch, wie es ihre Anhänger darstellten.
Die wirtschaftlichen Traditionen in den Mitgliedstaaten waren durchaus
unterschiedlich. Jeder Mitgliedstaat hatte seine eigene Wirtschaftskultur. Das
Verhältnis zwischen Staat und Markt war in Deutschland anders als in
Frankreich, Italien hatte seine eigene Variante.
Die Widerstände, die sich einer koordinierten Politik entgegenstellten, waren
also erheblich. Von Anfang an ergaben sich komplizierte Verteilungsfragen.
Die Regeln der Gemeinsamen Agrarpolitik und das gemeinsame Agrarpreissystem waren Dauerbrenner in der Debatte.
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 Auch die außenpolitischen Interessen der EWG-Mitglieder divergierten stark
Jedes Mitglied hatte sehr unterschiedliche Verhältnisse etwa zu den
Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und Osteuropa, zum Nahen Osten und
zu Afrika. Frankreich und Belgien wollten durch die EWG ihre Kolonialpolitik
neu beleben, die Bundesrepublik wollte ihr Sonderverhältnis mit der DDR
gewahrt wissen und pflegen.
Der größte Mangel war das Fehlen einer wirksamen gemeinsamen
Geldinstitution. Die Entwicklung der Währungsbeziehungen ging noch für
längere Zeit in eine globale Richtung, die des Handels in den Regionalismus.
Praktisch konnte längere Zeit überhaupt nicht von Integration und
gemeinsamen Institutionen gesprochen werden, sondern eher von Zunahme
der Koordinierung nationaler Wirtschaftspolitiken. Anfangs war Koordination
der Ersatz für Integration in der EWG.
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
Trotz der politischen und institutionellen Schwächen ging der
Weg aber in die integrative Richtung.
Zu Recht wurden Integrationstheorien am Beispiel der EWG entwickelt. Für
lange Zeit blieb die EWG das einzige erfolgreiche Integrationsexperiment. Für
die westdeutsche Außenwirtschaftspolitik war es ein Forum wachsenden
Einflusses.
Im Unterschied zur militärischen Integration in der NATO, die Deutschlands
Abhängigkeit ausdrückte, trug die wirtschaftliche Integration in der EWG schnell
politische und ökonomische Früchte und vergrößerte rasch den deutschen
Einfluss.