6. Industrielle Beziehungen
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Lehrstuhl Wirtschafts- und
Industriesoziologie: LWIS
6. Das System der industriellen
Beziehungen
6.1 Grundlagen: Das deutsche System
6.2 Betriebliche Ebene
6.3 Überbetriebliche Ebene
6.4 Entwicklungstendenzen
Lehrbuch, Kap. 6 (außer Exkurs)
Hirsch-Kreinsen: Einführung in die Industriesoziologie, SoSe 2013, Kap. 6
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Grundbegriffe
Struktur der Vorlesung
Arbeit und
Arbeitsorganisation
Mikroebene
Unternehmen,
Netzwerke
Mesoebene
Industrielle
Beziehungen
Management
Arbeitsmarkt
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Makroebene
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6.1 Grundlagen
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Adolph Menzel: Der Besuch des Aufsichtsrates im Walzwerk, ca. 1875
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Industrielle Beziehungen: grundlegender
Konflikt zwischen Kapital und Arbeit
Managementinteressen an Rentabilität und
Gewinn
Arbeitnehmerinteressen an hohem Einkommen, akzeptablen Arbeitsbedingungen
und Arbeitsplatzsicherheit
Aber auch Interessenkonvergenz
und Übereinstimmung
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Historische Entwicklung seit der zweiten
Hälfte des 19. Jahr.
• „Institutionalisierung des Lohnkonfliktes“
(Ralf Dahrendorf)
• Zwei bzw. drei Ebenen der Interessenvertretung:
betrieblich: Management und Betriebsräte (im
Ausland: shop stewards, locals,
Betriebsgewerkschaften)
Überbetrieblich: Gewerkschaften,
Arbeitgeberverbände
Politik: Parteien, Staat
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Institutionalisierung des Lohnkonfliktes
• Historie, z.B.:
Koalitions- und Streikrecht in Preußen 1869
Anerkennung der Gewerkschaften als
Tarifvertragsparteien 1890, endgültig 1918
Betriebsrätegesetz 1920
Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) 1952
• Folgen:
Legitimität der Arbeitnehmerinteressen
Kanalisierung und Verrechtlichung der Konflikte
Abnehmende Streikhäufigkeit
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System der industriellen Beziehungen I:
Gefüge substantieller und prozeduraler Regeln
Einsatz- und Verkaufsbedingungen von
Arbeitskraft
Prozeduren zur Festlegung dieser Bedingungen
Kern des Systems: Kollektivvertrag zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern
Logik des Systems:
Bündelung der Ressourcen der Arbeitnehmer
Gleichrangigkeit der Verhandlungspositionen
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Das System der industriellen Beziehungen II:
Institutionengefüge:
Dualität, Intermediarität, Verrrechtlichung,
Zentralisierung
Kapital und Arbeit als kollektive Akteure:
Verbände, Management, Betriebsrat
Dritte Partei: Staat
Rahmenbedingungen und Garantie der
Tarifautonomie - Verrechtlichung
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Zum Institutionengefüge:
Dualität:
überbetriebliche und betriebliche Ebene
Intermediarität der Arbeitnehmerseite:
Vermittlung zwischen Arbeitnehmerinteressen und
wirtschaftlichen Notwendigkeiten
Verrechtlichung:
Rechtsnormen für Verhandlungsthemen und
Prozeduren
Zentralisierung:
Verhandlungspartner als kollektive Akteure mit
hierarchischer Führung
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„Duales“ System der Interessenvertretung
in Deutschland:
Überbetriebliche Ebene
Gewerkschaften
Arbeitgeberverbände
Betriebliche Ebene
Betriebsrat
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Management
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6.2 Betriebliche Ebene
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Merkmale der betrieblichen Ebene:
Verhandlungsgegenstand: Einsatzbedingungen von Arbeitskraft
Handlungsspielraum des Betriebsrats
bestimmt Betriebsverfassungsgesetz
Betriebsrat vertritt die gesamte Belegschaft
(Ausnahme: „Leitende“)
Gesamte Belegschaft wählt den Betriebsrat - nicht nur Gewerkschaftsmitglieder
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Betriebsverfassungsgesetz (1952/72/99) regelt die
Rechte des Betriebsrats:
1. Erzwingbare Mitbestimmungsrechte
insbesondere in „sozialen“ Angelegenheiten, z.B.:
- Entlohnungsmethoden, Arbeitszeiten
- menschengerechte Arbeitsgestaltung
- personelle Angelegenheiten: Auswahlkriterien
für Personalentscheidungen
- Sozialplan bei Betriebsschließungen
Management muss mit BR verhandeln!
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Betriebsverfassungsgesetz (1952/72/99) regelt die
Rechte des Betriebsrats:
2. Widerspruchs- bzw. Vetorechte insbesondere in
„personellen“ Angelegenheiten
- Einstellungen, Versetzungen, Kündigung
Zustimmung des BR erforderlich
3. Informationsrechte vor allem in
„wirtschaftlichen“ Angelegenheiten
Informationspflicht des Managements
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Betriebsverfassungsgesetz (1952/72/99) regelt die
Pflichten des Betriebsrats:
BR ist zur „vertrauensvollen Zusammenarbeit“
mit dem Management verpflichtet
Zusammenarbeit mit Management „zum Wohl der
Arbeitnehmer und des Betriebes“
„Friedenspflicht“ des BR, kein Streikrecht
BR als Vermittlungs-, Beschwerde- und
Schlichtungsinstanz
Intermediarität des BR, d.h. nicht
nur Interessenvertreter
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Die Rolle von Betriebsräten
Organ des Interessenausgleichs zwischen
Management und Belegschaft
Konflikte werden kooperativ verarbeitet
Betriebsrat ist in der Regel nicht Vertreter von
Gewerkschaftsinteressen
Betriebsrat orientiert sich an der Situation seines
Unternehmens
Einfluss abhängig von der Betriebsgröße
Politik des „Co-Managements“ ist
weit verbreitet
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Unternehmensmitbestimmung im Aufsichtsrat
von Kapitalgesellschaften
• Paritätisch: Montanindustrie, Kapitalgesellschaften ab 1000 Besch., 1951/56
• Unterparitätisch: Kapitalgesellschaften ab 2000
Besch., 1976
• Drittelparitätisch: Kapitalgesellschaften 500 bis
1000 Besch., 1952/72
Besonderheit des deutschen
Systems
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Unternehmensmitbestimmung – Regeln im Einzelnen
Aufsichtsrat
Vorstand
Paritätisch
Unterparitätisch
Drittelparitätisch
5 Anteilseigner
50% Anteilseigner
2/3 Anteilseigner
5 Arbeitnehmer
50% Arbeitnehmer
1/3 Arbeitnehmer
1 Neutraler
1 Leitender Angest.
Vorsitzender i.d.R.
Anteilseigner
Vorsitzender,
Anteilseigner mit
doppeltem
Stimmrecht
Arbeitsdirektor
bestimmt von ANSeite
Arbeitsdirektor
bestimmt durch
Mehrheit im AR
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6.3 Überbetriebliche Ebene
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Überbetriebliche Ebene:
Reguliert werden die Verkaufsbedingungen von
Arbeitskraft
Rechtliche Basis: Koalitions- und Streikrecht (GG
Art. 9)
Arbeitgeberverbände vs. Gewerkschaften
Tarifverträge haben Rechtsgeltung
Genereller Rahmen ist Arbeitsrecht
Tarifautonomie als besonderes
gesellschaftliches Teilsystem
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Politische Funktion von Tarifverträgen
• Schutz der Arbeitnehmer vor wirtschaftlicher Macht
• Wahrung des Arbeitsfriedens während der
Laufzeit
• Festlegung von Mindeststandards der Arbeit
• Verteilung von Einkommen und Anteil am
Sozialprodukt
Entscheidend ist die bargaining power der
Verhandlungspartner
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Verhandlungsprozess
• Drei Stufen: Verhandlung, Schlichtung, Streik
• In der Regel Einigung durch Verhandlungen
• Streik als „ultima ratio“
• Aussperrung als Reaktion der Arbeitgeber
Schlichtung: Beilegung von Konflikten vor Streik
durch Beteiligung eines neutralen Dritten
Streik und Aussperrung: wechselseitiger
Ressourcenentzug
Streik als „Preiskampf auf dem Arbeitsmarkt“
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Der Streik, Robert Koehler 1893 (Ruhrbergarbeiterstreik von 1889)
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Durchschnittliche Streikdauer in Tagen
in Deutschland
35
32,2
30
25
20
14,6
15
10
4,9
3,0
5
0
1900-1914
1
1919-1932
2
1950-1992
2000-2005
3
4
Quelle 1-3: Müller-Jentsch 1997: S. 169
Quelle 4 : Wirtschaftskammern Österreich, 2007
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Historische Phasen der Gewerkschaften in Deutschland
Ab 1890: Organisierung der Fabrikarbeiter („Industrieproletariat“) in
Industriegewerkschaften
Ab 1900: Organisierung der Angestellten und Beamten in Angestellten/Beamten Verbänden
Richtungsgewerkschaften
Ab 1848/1850: Organisierung der qualifizierten Handarbeiter
(„Handwerkerelite“) in Berufsverbänden
1933 – 1945: Verbot der Gewerkschaften, Zwangsorganisierung von Arbeitnehmern
und Arbeitgebern in der Deutschen Arbeitsfront (DAF)
Ab 1990: Organisierung von Arbeitern, Angestellten und Beamten in
einheitlichen Multibranchengewerkschaften (Gewerkschaftsfusionen)
sowie Aufkommen von Stände-/Berufsgewerkschaften
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Einheitsgewerkschaften
Ab 1949: Organisierung von Arbeitern, Angestellten und Beamten;
Wiedergründung in einheitlichen Industriegewerkschaften
nach
Müller-Jentsch
2007
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Anteil der Gewerkschaftsmitglieder im DGB an
den abhängig Erwerbstätigen in %
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
1991
1
1995
2
2002
2003
2004
2005
3
4
5
6
2007
7
Quelle 1-3: IWD 2004
Quelle 4: Deutschland in Zahlen, Ausgabe 2005
Quelle 5: Deutschland in Zahlen, Ausgabe 2006
Quelle 6: Deutschland in Zahlen, Ausgabe 2007
Quelle 7: Deutschland in Zahlen, Ausgabe 2009
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Akteure: Organisationsprinzipien deutscher
Gewerkschaften
Einheitsgewerkschaft:
keine politische Richtungsgewerkschaft
Industrieverband:
Keine Sparten-/Berufsgewerkschaft, sondern
Organisierung nach Branchen
Alleinvertretung/Tarifeinheit:
In der Regel: ein Unternehmen – eine
Gewerkschaft
Freiwilligkeit:
Mitgliedschaft, Massenorganisation
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Akteure: Arbeitgeberverbände
Arbeitgeberverbände: sozial- und tarifpolitischer
Interessen (BDA)
Wirtschafts- und Industrieverbände:
wirtschaftspolitische Interessen (BDI)
Öffentlich-rechtliche Industrie- und
Handelskammern: regionale Interessen (DIHT)
Generell: regionale Organisierung, fragmentiert
und wenig zentralisiert
Organisationsproblem: Konkurrenz und
Strukturdivergenzen
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Das „duale System“
Betriebliche Ebene
Überbetriebliche
Branchenebene
Kontrahenten
Management - Betriebsrat
Arbeitgeberverbände Gewerkschaften
Normierung durch
BetrVerfG, Verordnungen,
TarifVe, Betriebsvereinbarung
TarifVG; Freie Vereinbarungen
z.B. Schlichtungsabkommen
Gegenstände
„Einsatzbedingungen der
Arbeitskraft“
Arbeitsbedingungen, Entlohnungsformen , Arbeitszeiten,
Personalpolitik, Regelungen bei
Umsetzungen und Entlassungen
„Verkaufsbedingungen der
Arbeitskraft“
Lohn und Gehalt, Regelarbeitszeit, Urlaub, generelle
Arbeitsbedingungen, Grundlohndifferenzierung
Instrumente
„Mitbestimmung“
Verhandlung, Information und
Beartung; bei Nichteinigung:
Einigungsstelle und
Arbeitsgericht
„Tarifautonomie“
Kollektivverhandlungen, Streik
und Aussperrung
Praxis
„kooperative
Konfliktverarbeitung“
„Sozialpartnerschaft –
antagonistische Kooperation“
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Industrielle Beziehungen als korporatistisches
System
Politisches System: Staat
Verbände: „eigene“ Handlungsbereiche,
Institutionalisierte Konfliktregelung
Gesellschaftliche Handlungsfelder
und Regelungsbedärfe
Institutionalisierte Integration divergierender Interessen
Zugleich Schließung und Exklusion von „Randinteressen“
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6.4 Entwicklungstendenzen
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Entwicklungstrends
Nachlassende Bindungsfähigkeit der Verbände –
Mitgliedererosion
Neue Unternehmen: oft niedrige
Organisationsgrade, kein Mitglied im AGVerband
Wachsende Bedeutung von Berufsgewerkschaften
Lufthansa: VCockpit, UFO (Unabhängige Flubegleiter
Organsiation, Vereinigung Boden (in FRA),
DBahn: GDL, EVG - Krankenhäuser: Marburger Bund
Tendenz zur Erosion des Flächentarifs,
Fragmentierung und der Verbetrieblichung
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Verbetrieblichung I
Tarifliche Öffnungsklauseln für ökonomische
Sondersituationen einzelner Betriebe
„Betriebliche Beschäftigungspakte“:
Reduktion von Personalkosten und
Flexibilisierung der Arbeitszeit gegen Sicherung
von Beschäftigung
Mehrere Gewerkschaften und Tarifverträge in
einem Unternehmen
Generelle Tendenz zur Erosion der
Tarifeinheit
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Verbetrieblichung II
Widersprüchliche Konsequenzen der
Verbetrieblichung für Betriebräte:
einerseits vermehrt Rolle des „Co-Managers“
andererseits „concession bargaining“
Auf betrieblicher Ebene neue Vertretungsmuster
durch dezentrale Arbeitsformen/integrative
Systeme
Generell: Kontinuität und Wandel des deutschen
Systems
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Ausgewählte Literatur
• Deutschmann, C. 2002: Postindustrielle Industriesoziologie.
Weinheim/München, Kap. 4.3.3
• Keller, B. 1997: Einführung in die Arbeitspolitik.
München/Wien, Kap. 1-11
• Müller-Jentsch, W. 1997: Soziologie der Industriellen
Beziehungen. Eine Einführung. 2. erweiterte Aufl.,
Frankfurt/New York
• Schröder, W.; Weßels, B. (Hg.) 2003: Die Gewerkschaften in
Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland.
Wiesbaden
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