Wie können wir die Gottesfrage gemeinsam beantworten?

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Wie können wir die Gottesfrage
gemeinsam beantworten?
Fragestellungen katholischer
Pastoraltheologie
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Übersicht
• Debatte um die Zukunft von Gemeinde
• Pastoral nach „Gaudium et spes“ – Frage nach dem Ziel
von Pastoral
• „Spatial-turn“ der Pastoraltheologie
• Milieusensible Pastoral/pastoraltheologische
Ethnologie
• Dienstleistungspastoral
• Impulse aus Frankreich
– Pastoral des Vorschlagens (Proposer la foi)
– Pastoral der Zeugung (Pastoral d´engendrement)
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Debatte um die Zukunft von Gemeinde
• Gemeindekatechese als „Katechese der
Gemeinde für die Gemeinde“ ist wesentlich
ein Kind der Gemeindebewegung
• Die Debatte um die Zukunft von Gemeinde
betrifft sowohl ihre Struktur als auch ihre
Zielbeschreibung
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Debatte um die Zukunft von Gemeinde
Rainer Bucher, Gemeinde nach dem Scheitern der Gemeindetheologie. Perspektiven
einer zentralen Sozialform der Kirche, in: Matthias Sellmann (Hg.), Gemeinde ohne
Zukunft? Theologische Debatte und praktische Modelle, Freiburg i. Br. 2013, 19-54.
Andreas Wollbold, Grundvollzüge oder dreifaches Amt? Auf der Suche nach einer
praktikablen Einteilung der Pastoral, in: Matthias Sellmann (Hg.), Gemeinde ohne
Zukunft? Theologische Debatte und praktische Modelle, Freiburg i. Br. 2013, 55-64.
Herbert Haslinger, Gemeinde rechtfertigt sich allein durch ihre diakonische
Verausgabung für die Menschen, in: Matthias Sellmann (Hg.), Gemeinde ohne
Zukunft? Theologische Debatte und praktische Modelle, Freiburg i. Br. 2013, 65-90.
Norbert Mette, Gemeinde – eine Widerentdeckung des Zweiten Vatikanischen Konzils,
in: Matthias Sellmann (Hg.), Gemeinde ohne Zukunft? Theologische Debatte und
praktische Modelle, Freiburg i. Br. 2013, 105-121.
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Debatte um die Zukunft von Gemeinde
„Die Gemeinde-Programmatik, die in den vergangenen Jahrzehnten den
pastoraltheologischen wie pastoralpraktischen Gemeindediskurs geleitet hat (...), ist
grundlegend gescheitert. Sie hat sich überlebt. Sie erweist sich als untauglich sowohl für
die der Kirche obliegende Anstrengung, die Problemstellungen und Entwicklungen einer
pluralisierten, individualisierten, freiheitlich strukturierten Gesellschaft konstruktiv
aufzugreifen und den Menschen bei der Bewältigung der daraus erwachsenden
Lebensanforderungen förderlich beizustehen, als auch für die unausweichlich
notwendige Reform der inneren programmatischen wie strukturellen Verfasstheit der
Kirche, mit der diese sich für ihr hilfreiches, menschendienliches Handeln inmitten dieser
heutigen Lebenswirklichkeit disponieren würde“ (Herbert Haslinger).
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Debatte um die Zukunft von Gemeinde
„Kirche lebt wesentlich – infolge der Beziehung Gottes zu seinem Volk – aus
Beziehungen, als ein durch Kommunikation und Partizipation geprägtes
beziehungsreiches Miteinander, das sich nicht abkapselt, sondern offen ist und
einladend mit Blick auf die anderen. Das macht ‚Gemeinde‘ aus. Alle Ämter und Dienste
in der Kirche, alle kirchlichen Strukturen haben keinen anderen Zweck, als solche
Beziehungen zu ermöglichen und zu fördern. Daran sind sie zu prüfen“ (Norbert Mette).
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„Lebendige Gemeinde als Zielgröße erklärt das Leben einer
sozialen Größe zum obersten Zweck des eigenen Handelns,
nicht das Leben ihrer Mitglieder aus und mit dem
Evangelium“ (Rainer Bucher)
Gemeinde ist die „Summe und Pointe aller Pastoral“
(Andreas Wollbold).
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Kritik der Gemeinde
• Zwei Kritiklinien
– Kritik der Sozial- und Praxisform
– Kritik an dem „Communio-Überhang“ der klassischen
pastoralen Formen
• Eine gemeinsam geteilte Analyse mit zwei
Argumentationssträngen
– Inkompatibilität postmoderner und posttraditioneller
Sozialformen mit der „modernen“ Sozialform
Gemeinde
– Faktisches Teilnahmeverhalten der Kirchenmitglieder
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Kritik der Gemeinde
• Gegenstand dieser Kritik ist die Gemeindeidee, wie sie
mit und in Folge der Synode populär geworden ist
• Gemeinde wird gleichsam zur „Allzweckwaffe“ der
Pastoral und der Pastoraltheologie
– Als Ort der Kirchenreform und Laienbeteiligung
– Als Ort engagierten Christentums
– Als Ort der Beziehung und gegenseitigen Stabilisierung in
säkularer Welt
– Programm: „Unsere Pfarreien müssen zu Gemeinden
werden“
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Kritik der Sozial- und Praxisform
„Nicht die Gemeinde ist mehr der soziale Mikrokosmos der persönlichen
Religion, sondern die weitgehend selbstentworfene Religion ist der Kosmos,
nach dem die Gemeinde gesucht – oder verworfen – wird“ (Rainer Bucher:
Jenseits der Idylle. Wie weiter mit den Gemeinden?, in: Rainer Bucher (Hg.): Die Provokation der
Krise. Zwölf Fragen und Antworten zur Lage der Kirche, Würzburg 22005,106-130.)
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Kritik der Sozial- und Praxisform
„In Zeiten religiöser Individualisierung kann Religion nicht mehr mittels
mehr oder weniger einheitlicher, gar wohnortgebundener religiöser
Sozialräume tradiert werden. (...) Gemeindliche Partizipation wird
zeitlich wie örtlich ganz vom Individuum und seinen aktuellen
Bedürfnissen her gestaltet.“ (Rainer Bucher: Jenseits der Idylle. Wie weiter mit den
Gemeinden?, in: Rainer Bucher (Hg.): Die Provokation der Krise. Zwölf Fragen und Antworten
zur Lage der Kirche, Würzburg 22005,106-130.)
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Kritik der Sozial- und Praxisform
„Die Festlegung auf die Ortsgemeinde: geht an den neuen
Lebensräumen vorbei, geht am sozialen Nahraum vorbei, überfordert
Haupt- und Ehrenamtliche und geht an der Vielfalt der Menschen
vorbei, schließt die einen ab und die anderen aus, macht
Geschmacksgrenzen zu Sozialgrenzen.“ (Michael N. Ebertz, Aufbruch in der
Kirche. Anstöße für ein zukunftsfähiges Christentum, Freiburg, Basel, Wien 2003, 81)
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
Kommunikative Reichweite klassischer
Gemeinde-Pastoral
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Kritik der Sozial- und Praxisform
„Was geometrisch für das Kreisquadrat gilt, gilt pastoraltheologisch für die
Pfarrgemeinde: Sie steht für den letztlich unmöglichen Versuch, aus
gegebenen Pfarreien ,gleichräumige‘ Gemeinden zu konstruieren. Pfarrei
und Gemeinde (...) sind wie Kreis und Quadrat zwei unterschiedliche Formen
der Kirche vor Ort.“ (410)
„Während ,Pfarrei‘ stärker den institutionell-juristischen Charakter der Kirche
vor Ort hervorhebt, betont ,Gemeinde‘ ihre kommunitär-spirituelle
Dimension, die sich nicht prinzipiell auf bestimmte territoriale oder
strukturelle Grenzen festlegen lässt. Diese Differenz markiert das Problem
der Pfarrgemeinde, in der die Qualitäten beider so miteinander verknüpft
werden, dass sie sich gegenseitig an ihrer Entfaltung hindern.“ (390) (Bernhard
Spielberg: Kann die Kirche noch Gemeinde sein? Praxis, Probleme und Perspektiven der Kirche vor
Ort, Würzburg 2008)
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Kritik der communio
Communio-Pastoral verkennt die Struktur posttraditioneller
Gemeinschaftsbildung (Alfred Dubach: Die Communio-Ekklesiologie - eine
zeitadäquate Konzeption von Kirche?, in: Bernd Jochen Hilberath, Communio - Ideal
oder Zerrbild von Komunikation? Freiburg, Basel, Wien 1999, 54-68, 57)
Communio-Ekklesiologie verführt zu kirchenzentriertem Denken
und Handeln, zu „Kirchennarzissmus“, „Selbstüberhöhung“ und
„Selbstgettoisierung“ der Kirche (Edmund Arens: Kirchlicher
Kommunitarismus, in: Theologische Revue 94 (1998) 488-500)
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Kritik der communio
Das Auseinanderfallen von communio-Anspruch und communioWirklichkeit treibt viele pastoral Tätige in eine beängstigend
resignative Haltung (Alfred Dubach: Die Communio-Ekklesiologie - eine zeitadäquate
Konzeption von Kirche?, in: Bernd Jochen Hilberath, Communio - Ideal oder Zerrbild von
Komunikation? Freiburg, Basel, Wien 1999, 54-68, 62)
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Kritik der communio
Die maßgeblichen ekklesiologischen Begriffe des Konzils sind Kirche als
Sakrament und als Volk Gottes (Elmar Klinger, Auseinandersetzungen um das
Konzil: Communio und Volk Gottes, in: K. Wittstadt / W. Verschooten (Hg.), der Beitrag der
deutschsprachigen und osteuropäischen Länder zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Löwen
1996, 157-175)
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Kritik der communio
Communio-Ekklesiologie dient als „Projektionsfläche für eine
harmonische kirchliche Sozialform, für Heimat, Geborgenheit und
Wärme in Zeiten unübersehbaren Heimatverlustes in global wie lokal
zunehmend unwirtlichen Zeiten. Solch eine Hoffnung ist per se durchaus
verständlich. Nur: Die Communio-Ekklesiologie erfüllt sie nicht. Denn
Communio steht nicht am Anfang der Pastoral, sondern ist ihr Ergebnis.“
(Rainer Bucher: Communio. Zur Kritik einer pastoralen Projektionsformel, in: U. FeeserLichterfeld / R. Feiter (Hg.): Dem Glauben Gestalt geben (FS Fürst), Münster 2006, 121-134,
133)
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Pastoral nach „Gaudium et spes“
• Suche nach einer adäquaten Zielformulierung
(postmoderner) Pastoral
Rainer Bucher, ... Wenn nichts bleibt, wie es war. Zur prekären Zukunft der
katholischen Kirche, Würzburg 2012, darin besonders Kapitel IV. Pastoral: Risiko,
Erinnerung und Ereignis, 59-71.
Hans-Joachim Sander, nicht ausweichen. Die prekäre Lage der Kirche, Würzburg 2002.
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Ziel der Pastoral
„Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das
Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für
die innigste Vereinigung mit Gott wie für die
Einheit der ganzen Menschheit.“ (LG 1)
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Ziel der Pastoral
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der
Menschen von heute, besonders der Armen und
Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung,
Trauer und Angst der Jünger Christi. Es gibt nichts
wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen
seinen Widerhall fände.“ (GS 1)
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Ziel der Pastoral
„Alles aber, was das Volk Gottes in der Zeit
seiner irdischen Pilgerschaft der
Menschenfamilie an Gutem mitteilen kann,
kommt letztlich daher, dass die Kirche das
‚allumfassende Sakrament des Heiles‘ ist,
welches das Geheimnis der Liebe Gottes zu
den Menschen zugleich offenbart und
verwirklicht.“ (GS 45)
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Ziel der Pastoral
Kirche dient nicht sich selbst, sondern dient jemandem:
nämlich Gott und allen Menschen.
Kirche dient zu etwas, was sie gar nicht selber ist:
nämlich dem Heil von Gott her.
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Ziel der Pastoral
Die konziliare Bindung der Kirche an ihre
sakramentale Sendung dezentriert Kirche aus
dem Sog ihrer institutionellen Selbsterhaltung
und verweist sie auf ihre existenzlegitimierende
Aufgabe: Zeichen und Werkzeug der Geschichte
Gottes mit den Menschen zu sein.
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Ziel der Pastoral
• Kirche konstruiert sich auf zwei Weisen (nach
Hans-Joachim Sander)
– Religionsgemeinschaftlich
– Pastoralgemeinschaftlich
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Ziel der Pastoral
• Religionsgemeinschaft meint Kirche als (immer
noch mächtige) Institution mit Einfluss und vielen
Zeichen bleibender gesellschaftlicher Präsenz
• Als Pastoralgemeinschaft ist die Kirche ein
ohnmächtiger, weil von Gottes Gnade abhängiger
Ort der Realisation des Evangeliums, die das
„Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen
zugleich offenbart und verwirklicht“ (GS 45)
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Ziel der Pastoral
• Beide Existenzweisen gehören zwar
zusammen
• Die „pastorale Wende“ des Konzils besteht
aber wesentlich darin, Kirche als
Religionsgemeinschaft von ihrem Charakter
als Pastoralgemeinschaft her zu entwerfen
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Ziel der Pastoral
„In der Kirche geht es immer nur um die pastorale Aufgabe der Kirche. Diese aber liegt
in der kreativen, handlungsbezogenen Konfrontation von Evangelium und individueller
wie kollektiver Existenz; eine Konfrontation ist es, denn das Evangelium hat auch
kritischen Charakter gegenüber der Existenz, kreativ aber ist sie, insofern sie uns
befreit in der Gnade Gottes“ (Bucher 2012, 62).
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Ziel der Pastoral
• Damit sind die zentralen Bestimmungsgrößen von
Pastoral genannt:
– Kirche „macht“ nicht Pastoral, Kirche „ist“ pastoral
– Ziel der Pastoral ist die kreative und
handlungsorientierte Begegnung / Konfrontation von
Evangelium und Existenz heute (Rainer Bucher)
– Um der Menschen willen und um ihres Heiles willen
(propter nos homines et propter nostram salutem;
Glaubensbekenntnis von Nizäa)
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Ziel der Pastoral
• Pastoral hat das konsequent für die
unterschiedlichen Akteure, Handlungsfelder,
Sozial- und Praxisformen in der jeweiligen Zeit
durchzubuchstabieren
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Ziel der Pastoral
• Zu reflektieren ist nicht zuerst eine bestimmte
Sozialform der Pastoral
(Religionsgemeinschaftliches) und dabei zu
fragen und zu überlegen, wie sie unter
heutigen Umständen (noch) zu retten ist,
sondern umgekehrt, was die Begegnung /
Konfrontation von Evangelium und Existenz
heute ermöglicht und fördert
(Pastoralgemeinschaftliches)
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„Spatial-turn“ der Pastoraltheologie
Hans-Joachim Sander, Heterotopien – Orte der Macht und Orte für Theologie. Michel
Foucault, in: P. Hardt, K. v. Stosch (Hg.), Für eine schwache Vernunft? Beiträge zu
einer Theologie nach der Postmoderne, Ostfildern 2007, 91-115.
Christian Bauer, Kritik der Pastoraltheologie. Nicht-Orte und Anders-Räume nach Michel
Foucault und Michel de Certeau, in: ders., M. Hölzl (Hg.), Gottes und des Menschen
Tod? Die Theologie vor der Herausforderung Michel Foucaults, Mainz 2003, 181219.
Ilona Biendarra (Hg.), „Anders-Orte“. Suche und Sehnsucht nach dem (Ganz-)Anderen,
St. Ottilien 2010.
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„Spatial-turn“ der Pastoraltheologie
Angesichts der Diagnose der begrenzten kommunikativen Reichweite von
Gemeinde und ihrer theologisch fragwürdigen Überhöhung wir der Konnex Pastoral
ist identisch mit Gemeindepastoral aufgegeben.
Auf der Basis eines jenseits der Gemeinde gewonnenen theologischen Kriterium,
das Pastoral aufgabenorientiert und nicht sozialformorientiert entwirft, wird nach
den unterschiedlichen Orten, Anlässen und Gelegenheiten gefragt, wo sich die
Begegnung/Konfrontation von Existenz und Evangelium ereignet.
Die „Verörtlichung“ der Pastoral rückt die konkreten sozialen Räume und Kontexte
der Menschen heute, Ermöglichungsräume oder Verhinderungsräume sind in den
Fokus. Bisher dominierte unter der Chiffre des Modernisierungsdiskurses stärker
die zeitliche Veränderungsdimension . Der spatial-turn spannt Zeit und Ort
zusammen.
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Pastorale Orte und Gelegenheiten
Pastorale Orte und Gelegenheiten sind dort,
wo sich „um der Menschen und um ihres
Heiles willen“ (Glaubensbekenntnis von
Nizzäa) Existenz und Evangelium begegnen
und herausfordern.
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
Pastorale Orte und Gelegenheiten als
„Anders-Orte
Andersorte sind „wirkliche Orte, wirksame Orte, die in
die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet
sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager,
tatsächlich realisierte Utopien, in denen die
wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig
repräsentiert, bestritten und gewendet sind,
gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl
sie tatsächlich geortet werden können.“ (Michel Foucault)
Pastorale Orte und Gelegenheiten als
„Anders-Orte“
• Anders-Orte (Heterotopoi) sind eine Schnittmenge aus
– Utopie (Kein-Ort): punktuelle und situative Verwirklichung
einer Utopie
– Alltagsort: Unterbrechen den Alltag, ersetzen ihn nicht
• Biblische „Anders-Orte“
– Arche Noah, gelobtes Land, Krippe, leeres Grab, Berg
Tabor, brennender Dornbusch ...
• Kirchliche „Anders-Orte“
– Klöster, Wallfahrtsorte, diakonische Einrichtungen,
Jugendkirchen, Jugendhäuser ...
Pastorale Orte und Gelegenheiten als
„Anders-Orte“
Die klassische Heterotopie des Christentums
ist das Reich Gottes, das in Jesus Christus
angebrochen ist, ohne schon vollendet zu sein
und in dessen Nachfolge wir eintreten.
Pastorale Orte und Gelegenheiten als
„Anders-Orte“
Pastorale Orte und Gelegenheiten sind dort, wo Reich
Gottes punktuell, vorläufig (kairologisch), aber
konkret an einem bestimmten Ort und zu einer
bestimmten Zeit mit konkreten Menschen präsent ist,
weil Hungernde satt werden und Weinende lachen (Lk
6,21) und Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige rein
werden, Taube hören und den Armen die frohe
Botschaft verkündet wird (Lk 7,22)
Milieusensible
Pastoral/pastoraltheologische
Ethnologie
Matthias Sellmann, Zuhören, Austauschen, Vorschlagen. Entdeckungen
pastoraltheologischer Milieuforschung, Würzburg 2012.
Matthias Sellmann, Caroline Wolanski (Hg.), Milieusensible Pastoral. Praxiserfahrungen
aus kirchlichen Organisationen, Würzburg 2013.
Michael N. Ebertz, Hans Georg Hunstig (Hg.), Hinaus ins Weite. Gehversuche einer
milieusensiblen Kirche, Würzburg 2008.
Michael N. Ebertz, Bernhard Wunder (Hg.), Milieupraxis. Vom Sehen zum Handeln in
der pastoralen Arbeit, Würzburg 2009.
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Milieusensible
Pastoral/pastoraltheologische
Ethnologie
Ansatzpunkt ist der „pastoraltheologische Dialog mit der Kultursoziologie im Ganzen
und der Milieutheorie im Besonderen“ (Matthias Sellmann 2013, 15).
„Akteure in der Pastoral sollen inspiriert und befähigt werden, die biographischen
Gesten ‚ihrer Leute‘ und ihrer Kultur zu lesen, zu deuten und als Daten theologischer
Erkenntnis zu würdigen. Hierzu braucht es theologische Argumentation genauso wie
sozialpsychologische Präzision“ (Matthias Sellmann 2013,12).
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Milieusensible
Pastoral/pastoraltheologische
Ethnologie
Mit Hilfe einer „Art pastoraltheologischer Ethnologie (...) können die typischen
Kollektivgesten der bundesrepublikanischen Bevölkerung erschlossen und verstanden
werden. Man erkennt, dass es so etwas gibt wie ‚soziale Gravitationsmuster‘, auf die
hin ganze Kulturmuster sich rückbeziehen und die zum Leseschlüssel ihrer kollektiven
Werthaltungen, Weltanschauungen und religiösen Orientierung werden (...) Man
kommt an eine sensible Stelle, an der man das Milieu ‚ticken‘ hört und ein Leitmotiv,
eine Kurzformel über das so interpretierte Leben erfährt. Die hochindividuelle
Gegenwart der Einzelgeste wird zum Ausdrucksmittel der sie grundierenden Selbstund Weltinterpretation im sozialen Raum. Insofern ist eine gut begründete und
methodisch sauber ausgeführte Milieutheorie eine hervorragende Gelegenheit für
alle, die die Leute ihrer Kultur einfach besser verstehen möchten“ (Matthias Sellmann
2013, 12-13).
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Milieusensible
Pastoral/pastoraltheologische
Ethnologie
Theologische „Masterfolie“
„Es ist jedoch Aufgabe des ganzen Gottesvolkes, vor allem auch der Seelsorger
und Theologen, unter dem Beistand des Heiligen Geistes auf die
verschiedenen Sprachen unserer Zeit zu hören, sie zu unterscheiden, zu
deuten und im Licht des Gotteswortes zu beurteilen, damit die geoffenbarte
Wahrheit immer tiefer erfasst, besser verstanden und passender verkündet
werden kann.“ (GS 44)
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Milieusensible
Pastoral/pastoraltheologische
Ethnologie
„Denn die Pastoraltheologie hat nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht nur den
Auftrag, sich nicht von den Menschen zu entfernen und sie nicht religiös zu
instrumentalisieren. Das ist zu wenig. Sie möchte vielmehr aktiv in die Kontexte der
kulturellen Gegenwart einsteigen, um überhaupt zu wissen, was sie selber ist. Hier wird
es erneut brisant. Die Gesten der Menschen im obigen Sinn zu kennen, ist nämlich
gerade nicht notwendig zum Heil dieser Menschen selbst – das liefe ja doch auf
Instrumentalisierung hinaus und wäre gerade keine Freisetzung des Menschen zu sich
selbst. Vielmehr hat die Kirche als Organisation und haben die Christen als Bewegung
eine Holschuld! Vielmehr ist der Glaube selbst es, der diesen Kontextbezug zu den
Leuten braucht. Denn – und diese Einsicht des letzten Konzils ist atemberaubend: Ohne
die genaue Kenntnis und prinzipielle Anerkenntnis der kulturellen Kontexte um sie
herum kann eine Ortskirche gar nicht wissen, was und wen sie zu verkündigen hat“
(Matthias Sellmann 2013, 14).
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Milieusensible
Pastoral/pastoraltheologische
Ethnologie
Aus dieser „Masterfolie“ entwickelt Sellmann den methodischen Dreischritt
milieusensibler Pastoral:
• Zuhören
• Austauschen
• Vorschlagen
„Erst den ‚Sprachen` um uns herum zuhören. Dann mit dem überlieferten
Glaubensgut abgleichen, was man an Lebensinterpretation mitgeteilt bekam. Und
schließlich aus dem Überschuss des Glaubens heraus einen Vorschlag an die
jeweilige Lebenswelt machen, die deren Gravitation entspricht, ihn aber erweitert“
(Sellmann 2013, 15)
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Dienstleistungspastoral
Jan Loffeld, Das andere Volk Gottes. Eine Pluralitätsherausforderung für die Pastoral,
Würzburg 2011.
Brigitte Fuchs, Der Blick nach vorne. Pastoraltheologische Überlegungen zur zweiten
Sonderfallstudie, in: Alfred Dubach, Brigitte Fuchs, Ein neues Modell von Religion.
Zweite Schweizer Sonderfallstudie – Herausforderung für die Kirchen, Zürich
2005, 169-236.
Michael Bredeck, Dienstleistungspastoral als Herausforderung für die pastoralen
Akteure, in: Lebendiges Zeugnis 66 (4/2011), 262-273 (Themenheft:
Dienstleistung – ein Paradigma postmoderner Pastoral).
Johannes Först, Die unbekannte Mehrheit. Sinn- und Handlungsorientierungen
‚kasualienfrommer‘ Christ/inn/en, in: Johannes Först, Joachim Kügler (Hg.), Die
unbekannte Mehrheit. Mit Taufe, Trauung und Bestattung durchs Leben? Eine
empirische Untersuchung zur „Kasualienfrömmigkeit“ von KatholikInnen – Bericht
und interdisziplinäre Auswertung, Berlin 2006,13-53
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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„Gemeindekirche“ - „Dienstleistungskirche“
Fühlen Sie sich einer bestimmten Pfarrgemeinde zugehörig?
Dimap 2006: Repräsentative Befragung von 1.054 Katholiken in Deutschland ab 14 Jahre
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Dienstleistungspastoral
Gratifikationen der Kirchenmitgliedschaft
Basis: Katholiken ab 16 Jahre, Bundesrepublik Deutschland
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 5266 (Okt./Nov. 2009)
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Dienstleistungspastoral
• Die „Kasualienfrommen“ (Johannes Först, Joachim Kügler )
– Überwiegende Mehrheit der Katholiken bleibt in
der Kirche, obwohl sie kaum am kirchlichen und
gemeindlichen Leben teilnehmen
– Ungebrochene Nachfrage nach
• (sakramentaler) Biographiebegleitung
• Zuspruch von Schutz für die Einzelnen und die Familien
• Beistand bei den „großen Transzendenzen“
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Dienstleistungspastoral
„Die pastorale Realität ist ja zu einem großen Teil von der ungeliebten Praxis der
Dienstleistung geprägt – die zugleich die größte Zahl an Kontakten ‚mit der Kirche‘
generiert. ‚Nun kann man feststellen, dass ein Großteil des kirchlichen Personals
seinen Berufsstolz gerade nicht an diesen Dienstleistungen festmacht. Trotzdem
erreicht Kirche gerade über das Portfolio ihrer rituellen und sozialen
Dienstleistungen eine enorme Menge an Menschen. Und diese selbst (...) sehen es
gerade als ihre Kirchlichkeit, also als ihre christliche Sozialform an, im Bedarfsfall
auf die Professionalität kirchlicher Dienstleister zurückgreifen zu können“ (Bredeck
2011, 262).
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Dienstleistungspastoral
• Logik der Marktkommunikation:
dienstleistungsorientiertes
Mitgliedschaftsverständnis (Pragmatik)
• Es entwickelt sich eine Beziehung zur Kirche, ein
pragmatisches, dienstleistungsorientiertes
Mitgliedschaftsverhältnis, das der „Logik von
Leistung und Gegenleistung analog der
Marktkommunikation folgt. An die Stelle einer
umfassenden Einbindung in die Kirchen ist ein eher
offen-kontingentes, dienstleistungsorientiertes
Mitgliedschaftsverständnis getreten“
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Dienstleistungspastoral
„Kirchen (müssen) mit dem Markt rechnen, und zwar mit einem umfänglichen
Markt, der alle Bereiche des Lebens mitprägt. Kirche trifft auf den Markt –
unausweichlich und unvermeidlich. Auf einen Markt, der weit mehr
geworden ist als das Forum, auf dem Waren und Dienstleistungen getauscht
werden, dessen Systematik vielmehr die kulturelle Logik des Westens
wesentlich bestimmt und sämtliche gesellschaftliche Handlungsbereiche
umfasst. Nichts und niemand kann sich dem Beurteilungsverfahren von
Angebot und Nachfrage entziehen, denn auf den Markt begibt man sich nicht
willentlich, auf dem Markt findet man sich wieder. Kirchliche und
theologische Proteste können und werden an dieser Ausgangslage wenig
ändern.“ (Alex Kurz, Zeitgemäß Kirche denken. Analysen und Reflexionen zu einer
postmodernen kirchlichen Erwachsenenbildung, Stuttgart 2007).
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Dienstleistungspastoral
• Dienstleistung als „Sozialer Austausch“ begründet
eine Sozialform von Kirche auf zwei Ebenen
– Kirchenmitglieder halten eine rudimentäre
Verbundenheit zur Kirche aufrecht, um sie bei
besonderen Anlässen „aktivieren und intensivieren“
zu können
– Zu den „Anlässen“ besteht die Bereitschaft, sich auf
eine intensivere kirchlich-gemeindliche Praxis
einzulassen
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Dienstleistungspastoral
„Weit, im Sinne einer Sozialform, sollte der Begriff im kirchlichen Kontext auch deshalb
verstanden sein, weil er aus theologischer Sicht grundsätzlich mit dem
Selbstverständnis der Kirche zu tun hat. Dienstleistung ist ein konstitutiver Bestandteil
jeder Pastoral. Die konstitutive Bedeutung einer Dienstleistungspastoral ergibt sich aus
der Aussage in Lumen Gentium 4: ‚Der Geist wohnt in der Kirche und in den Herzen der
Gläubigen wie in einem Tempel (...) Er führt die Kirche in alle Wahrheit ein, eint sie in
Gemeinschaft und Dienstleistung, bereitet und lenkt sie durch die verschiedenen
hierarchischen und charismatischen Gaben und schmückt sie mit seinen Früchten‘“.
(Bredeck 2011, 268)
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Dienstleistungspastoral
„‘Organisationen sind menschliche Kulturschöpfungen ersten Ranges. Sie bringen
Leistungen zuwege, die die Summe der individuellen Kapazitäten bei weitem
übersteigt. Damit ist zugleich gesagt: Organisationen haben instrumentelle Funktion,
sie dienen dazu, Güter und Dienste hervorzubringen, die Menschen als wertvoll
schätzen und nachfragen.‘ Im Fall der katholischen Kirche deckt sich dieses
instrumentelle Verständnis von Organisationen bis ins Wort hinein mit dem eigenen,
theologischen Selbstverständnis, wie es in Lumen Gentium 1 mit den beiden Begriffen
mit den beiden Begriffen signum und instrumentum umschrieben wird“ (Bredeck
2011, 268).
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Dienstleistungspastoral
„Die Kirche, die als Zeichen der Liebe Gottes zu den Menschen instrumental auf Gott
selbst hin ist, verwirklicht sich in ihrer Pastoral in zwei fundamentalen Vollzügen:
communio und ministratio, wobei das amtliche (hierarchische) Handeln und die
charismatische Gabenvielfalt offensichtlich in beiden Vollzügen ineinander spielen.
Dort, wo Menschen in diesen beiden Vollzügen etwas als wertvoll schätzen und
nachfragen, geschieht Pastoral. Ich meine deshalb, dass gerade vom sakramentalen
Verständnis der Kirche her der Dienstleistungsaspekt weit angesetzt werden muss. Es
macht Sinn, diese fundamentale Eintragung des Aspektes Dienstleistung ins Handeln
der Kirche auch ganz grundsätzlich in pastoral-konzeptioneller Hinsicht auf derselben
Ebene anzusiedeln wie den Aspekt der communio-Bildung. Das heißt: Die Kirche als
„Zeichen und Werkzeug“ verwirklicht sich in den beiden Grundaufgaben der Stiftung
von Gemeinschaft und des Zu-Diensten-Seins. In diesen beiden Grundaufgaben
realisiert die Kirche ihre Berufung, Sakrament zu sein. Diese griffige Formel hat m.W.
Christoph Jacobs geprägt, der in verschiedenen Vorträgen die zitierte Aussage von
Lumen Gentium 4 in die beiden Aspekte „Gemeinschaft stiften – zu Diensten sein“
aufschlüsselt“ (Bredeck 2011, 268).
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Impulse aus Frankreich
Die französischen Bischöfe 2001, “Den Glauben vorschlagen in der heutigen
Gesellschaft”. Der Brief an die Katholiken in Frankreich, Traduction allemande
..., in: Müller Hadwig, Schwab Norbert, Tzscheeetzsch Werner (Hg.),
Sprechende Hoffnung - werdende Kirche. Proposer la foi dans la société
actuelle. Den Glauben vorschlagen in der heutigen Gesellschaft, Ostfildern,
16-74.
Philippe Bacq, Für eine Erneuerung vom Ursprung her. Auf dem Weg zu einer
„zeugenden Pastoral“, in: Reinhard Feiter, Hadwig Müller (Hg.), Frei geben.
Pastoraltheologische Impulse aus Frankreich, Ostfildern 2012, 31-55.
Johannes Bündgens, „Zeugungspastoral“. Die Ruhe nach dem Sturm, in: Anzeiger
für die Seelsorge 10/2010.
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
Proposer la foi: Pastoral des
Vorschlagens
Mit der „Pastoral des Vorschlagens“ nehmen die französischen Bischöfe Abstand zu
den Paradigmen einer
• „Pastoral der Rahmung“ (biographisch wie territorial): Angesichts der
gesellschaftlichen Veränderung sei Glaube“ Gegenstand der Entscheidung“
geworden und würde sich nicht einfach aus der Zugehörigkeit zu einem System
ergeben würde.
• „Pastoral der ansprechenden Präsenz“: Die Anfrage der Bischöfe ist hier, wie sich
„sakramentale Dienstleistungswünsch“ mit den „Ansprüchen der Wahrheit“ in
Einklang bringen könne.
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Proposer la foi: Pastoral des
Vorschlagens
Die „Pastoral des Vorschlagens“
• basiert auf der unbedingten Anerkennung der Freiheit des Einzelnen
• ist eine aktive, dynamische pastorale Geste
• zielt auf Aneignung
• ergreift die Initiative und wagt den Glauben öffentlich zu verkündigen
• hebt sich dadurch ab von bloßer Anwesenheit oder Ansprechbarkeit
• zielt auf die menschliche Gestaltung der Gesellschaft als ganzer
• will sich der modernen Kommunikationsmittel bedienen.
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Proposer la foi: Pastoral des
Vorschlagens
Kritik 1: Heißt „vorschlagen“, der eine hat, der andere empfängt, der eine ist wissend,
der andere unwissend. Ist „vorschlagen“ nicht letztlich die Verweigerung der vom
Konzil grundgelegten dialogischen Struktur der Begegnung mit dem Anderen und den
Anderen?
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Proposer la foi: Pastoral des
Vorschlagens
Dazu der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz Erzbischof Louis-Marie
Billé:
„Wir wissen nur zu gut, dass es kein Evangelium gibt ohne Dialog. Wir können
nicht alle Antworten geben, bevor wir nicht die Fragen gehört haben. Und wir
können nicht nur die Fragen hören, auf die wir Antworten haben. Der Dialog, den
es zu leben gilt, findet jenseits des Zusammenhangs zwischen fragen und
antworten statt. Er entscheidet sich daran, dass derselbe Geist im Verkünder und
im Hörer des Wortes am Werk ist und dass der erste – mag er auch bei dem
Vorschlag, den er macht, der Wissende sein – es akzeptiert, sich durch den, der
ihm zuzuhören bereit war, bekehren zu lassen.“
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Proposer la foi: Pastoral des
Vorschlagens
Kritik 2: Ist Glaube hier substanzialistisch oder gleichsam objektiv zu denken, ganz zu
schweigen davon, dass Glaube Gnade ist. Geht es nicht eher darum, das „Evangelium
vorzuschlagen“ (Bischof Georges Ponthier).
Abgesehen davon ist die Frage der Sakramentenspendung mit einer „Pastoral des
Vorschlagens“ auch nicht gelöst.
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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Pastoral d´engendrement: Pastoral der
Zeugung
Kein pastorales Konzept im engeren Sinn, sondern eine bestimmte Art
(Paradigmenwechsel), sich auf das Evangelium zu beziehen.
Wortspiel: von eine Pastoral des encadrement u einer Pastoral des engendrement:
„Zeugung statt Erfassung, Weckung neuen Lebens statt Rekrutierung,
Erstverkündigung statt Katechese“ (Johannes Bündgens 2010)
Zeugungspastoral akzeptiert die Säkularisierung als unumkehrbares Faktum und strebt
nicht danach die „glorreichen Zeiten“ des encadrement zurückzuholen
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Pastoral d´engendrement: Pastoral der
Zeugung
„Das Wort zeugen verweist auf eine menschliche Erfahrung wechselseitiger
Veränderung, die zu den stärksten und zerbrechlichsten gehört. Das Wort bringt eine
Vielfalt unterschiedlicher Konnotationen, die Perspektiven von großer existentieller
Dichte eröffnen: Leben schenken, Komplementarität der Unterschiedlichkeit von
Mann und Frau, Gegenseitigkeit des Austauschs, Geburt zu einer neuen Identität; eine
Bereitschaft zum geben und Empfangen von Lust und Freude, aber auch von Leid (...)“
(Philippe Bacq 2012, 42).“
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Pastoral d´engendrement: Pastoral der
Zeugung
Rückbesinnung auf biblische Wurzeln: Zeugung ist ein biblisches Urwort
• Taufe: neu geboren aus den Heiligen Geist
• Bibel als Buch von den „Zeugungen Gottes“
• Zeugung als Kern der Christologie (Glaubensbekenntnis, Messiaspsalmen 2 und
110)
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Pastoral d´engendrement: Pastoral der
Zeugung
Elemente einer Zeugungspastoral:
• Leben in all seinen Dimensionen wecken: Gemeinsam und mit seiner Kraft sich
allem zu widersetzen, was die Würde des Menschen mindert
• Mit Lust und Leidenschaft: Am Ursprung des Zeugens steht ein Verlangen, das von
der Gegenwart des Anderen geweckt wird und dazu führt, Dialog und
Verständigung mit ihm oder ihr zu suchen. Auch das Glaubensleben entsteht durch
eine liebevolle Beziehung konkreter Menschen im Zeichen des Glaubens. In ihrer
Gegensätzlichkeit zeugen sie, indem sie einander beschenken
• Gemeinsam zu einer neuen Identität geboren werden
„Die Pastoral ist die Kunst jemandem an dem Ort zu begegnen, der dessen
Bewusstsein von sich selber entspricht. Sie ist die Kunst, durch die eigene
Anwesenheit den anderen in seiner Einmaligkeit zum Vorschein zu bringen (...)
Die Pastoral ist die Kunst, bei den Einzelnen ein Bewusstsein für sich selber zu
zeugen“ (Christoph Theobald).
• Das Evangelium vorschlagen
Prof. Dr. Hans Hobelsberger
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