Fair! Nicht Prekär!

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Transcript Fair! Nicht Prekär!

Fair! Nicht PrekÄr!
Eine Einführung
Atypisch vs. Prekär
Abgrenzung atypische und prekäre Beschäftigung
•
atypisch: Als atypisches
Arbeitsverhältnis wird jedes
bezeichnet, das vom
„Normarbeitsverhältnis“
(unbefristet, Vollzeit) abweicht!
Das ist zunächst keine Aussage
über die sozial Lage der
Beschäftigten (zum Beispiel der
erfolgreiche „Freelancer“)
•
prekär: politischere Begriff,
enthält Wertung, subjektive
Komponente →
schwierige/unsichere
(„prekäre“) Situation für die
Betroffenen
Was heißt “prekär”? Eine definitorische Annäherung
Definition „prekär“ nach Klaus Dörre in Anlehnung an Bourdieu:
„Als prekär kann ein Erwerbsverhältnis bezeichnet werden, wenn die
Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkommens-, Schutz
und soziales Integrationsniveau sinken, das in der Gegenwartsgesellschaft als
Standard definiert und mehrheitlich anerkannt wird. Und prekär ist
Erwerbsarbeit auch, sofern sie subjektiv mit Sinnverlusten,
Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit in einem Ausmaß verbunden
ist, das gesellschaftliche Standards deutlich zuungunsten der Beschäftigten
korrigiert.“
„Ich verstehe unter prekärer Arbeit
unfaire Arbeitsbedingungen und
Perspektivlosigkeit.“ (Studentin, 21
Jahre)
Definition der ILO
„Wir können Prekarier mithin als Grenzgänger einer veränderten Arbeitswelt
beschreiben. Sie bewegen sich durch das unwegsame Gelände von Minijobs,
Praktika, Leiharbeit, befristeten Tätigkeiten und staatlichen
Unterstützungsleistungen. Sie stehen nicht mehr nur sporadisch oder
periodisch, sondern dauerhaft zwischen Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit.
Sie pendeln zwischen geförderter und nicht geförderter Beschäftigung, sie sind
zwischen auskömmlicher Tätigkeit und Armut trotz Erwerbstätigkeit hin- und
her geworfen, sie kämpfen um die Aussicht auf stabile Beschäftigung und
gegen berufliche bzw. arbeitsweltliche Ausschlussdynamiken.“
„Ohne Betriebsrat waren wir ohnehin aufgeschmissen.
Schon vor meiner Zeit in der Firma hatte sich ein
Arbeitnehmer um die Aufstellung eines Betriebsrates
bemüht, jedoch erfolglos: Er wurde vorher
gekündigt.“ (Doro, 26 Jahre
Was ist Leiharbeit?
•
1. Begriff (Personalleasing, Leiharbeit, Zeitarbeit): Die gewerbliche
Arbeitnehmerüberlassung ist im Gegensatz zu allen anderen ein
dreiseitiges Beschäftigungs- bzw. Arbeitsverhältnis zwischen
Arbeitnehmer, Verleih- und Entleihfirmen. Sie ist für die Entleihfirma ein
Instrument zur externen Flexibilisierung des Personaleinsatzes.
•
2. Entwicklung: Arbeitnehmerüberlassung wurde erstmals im
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - AÜG - 1972 geregelt. Seit Mitte der
1980er-Jahre erfolgten verschiedene Deregulierungsmaßnahmen (u.a.
wiederholte Verlängerung der jeweiligen zulässigen
Überlassungshöchstdauer, Aufhebung von Synchronisations-,
Befristungs- und Wiedereinstellungsverbot, Einführung
vermittlungsorientierter Personal-Service-Agenturen).
„Die direkten Mitarbeiter haben 30 Tage Urlaub
im Jahr, zudem müssen sie an Heiligabend und
Silvester nicht arbeiten und dafür auch nicht
freinehmen. Ich hingegen haben 24 Tage Urlaub
(gesetzliche Mindestgrenze) und muss für
beide genannten Tage jeweils einen ganzen Tag
Urlaub nehmen.“ (Anja H., 24 Jahre)
Verdienst Leiharbeit vs. normales Beschäftigungsverhältnis
„Klebeeffekt“?
Was sind befristete
Beschäftigungsverhältnisse?
•
Das Teilzeit- und Befristungsgesetz bietet den Arbeitgebern weit
reichende Möglichkeiten, Arbeitnehmer zeitlich befristet zu
beschäftigen. Elementare Schutzbestimmungen wie das
Kündigungsschutzgesetz werden dabei gezielt umgangen,
Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte in Personalangelegenheiten
ausgehöhlt. Die befristet beschäftigten ArbeitnehmerInnen trauen sich
aus Angst um ihren Arbeitsplatz oft nicht, ihre Rechte einzufordern.
•
Es wird im Gesetz unterschieden zwischen einer Befristung mit und
ohne Sachgrund.
„Ich habe keine Aussicht auf eine
unbefristete Stelle und somit auch
keine Planungssicherheit.“ (Sabine O.,
26 Jahre)
Die Frage und die Unsicherheit, ob mein befristeter Vertrag
verlängert werden würde oder nicht, empfand ich als schlimm.
Sie erschwerte es mir auch im privaten Bereich zu planen:
Lohnt es sich umzuziehen oder sollte ich doch lieber pendeln?
Ist es sinnvoll sich neue Hobbys in der neuen Stadt zu suchen
und sich auf neue Freundschaften einzulassen oder sind diese
sowieso nur von begrenzter Dauer? (Doro, 26 Jahre)
Mein Arbeitsvertrag ist, wie immer im Bereich der
Jugendberufshilfe, von der Projekt- bzw.
Maßnahmefinanzierung abhängig. Die Finanzierungen
laufen oftmals nur 6 oder 12 Monate. Und ob eine
Weiterfinanzierung eines Projektes bewilligt wird,
bekommt die Einrichtung erst einige Wochen vor
Projektende mündlich mitgeteilt. Der Bewilligungsbescheid
liegt oftmals erst an dem Tag vor, an dem das Projekt endet.
So weiß ich dann erst am letzten Tag des Projektzeitraums,
ob ich am nächsten Tag wiederkommen darf und noch
Arbeit habe. (Sabine O., 26 Jahre)
Was sind Werksverträge?
• Begriff: Vertrag, durch den sich der eine Teil
(Unternehmer) zur Herstellung eines Werks, der
andere (Besteller) zur Zahlung einer Vergütung
(Werklohn) verpflichtet (§§ 631 ff. BGB).
• Werk im Sinn des BGB kann sowohl Herstellung (z.B.
Anfertigung eines Maßanzugs) bzw. Veränderung
einer Sache (z.B. Reparatur) als auch ein anderer,
durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender
Erfolg sein (z.B. Anfertigung eines Gutachtens,
chemische Untersuchung eines Stoffes). Wesentlich ist,
dass der Unternehmer für den Erfolg seiner Tätigkeit
einsteht; andernfalls liegt Dienstvertrag vor.
Was sind geringfügige
Beschäftigungsverhältnisse?
•
Es greift die Definition im § 8 SGB IV: Danach liegt eine geringfügige
Beschäftigung vor, wenn das Arbeitsentgelt 450 Euro pro Monat nicht übersteigt.
Ausnahme: Eine kurzfristige Beschäftigung, die innerhalb eines Kalenderjahres auf
längstens zwei Monate bzw. 50 Arbeitstage beschränkt ist, gilt auch als
geringfügig, selbst wenn das Arbeitsentgelt 450 Euro übersteigt. Die kurzfristige
Beschäftigung darf allerdings nicht berufsmäßig ausgeübt werden. Eine
Beschäftigung oder Tätigkeit übt jemand berufsmäßig aus, wenn er hierdurch
seinen Lebensunterhalt überwiegend oder doch in solchem Umfang erwirbt, dass
seine wirtschaftliche Stellung zu einem erheblichen Teil auf dieser Beschäftigung
oder Tätigkeit beruht.
Ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis ist für den Arbeitnehmer
sozialversicherungsfrei mit Ausnahme der Rentenversicherungspflicht bei
geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnissen. Eine Befreiung von der
Rentenversicherungspflicht ist möglich.
„Im März 2012 habe ich mich bei einer Sicherheitsfirma für
einen 400 Euro-Job beworben, als Aufsicht in den
städtischen Museen. Unser Stundenlohn sollte 8,09 Euro
betragen. Es wurden keine Sonntags- und
Feiertagszuschläge gezahlt.“ (o. N.)
Was ist Schein-/
Soloselbstständigkeit?
• Scheinselbstständigkeit betrifft Erwerbstätige, die wie abhängig
Beschäftigte arbeiten und arbeitsrechtlich wie abhängig
Beschäftigte verpflichtet sind (z.B. weisungsgebunden, nur einem
Arbeitgeber verpflichtet), die jedoch vertraglich unzutreffend als
Selbstständige behandelt werden.
• Der Begriff der Scheinselbstständigkeit wird im Gesetz nicht
verwendet und nicht definiert. Scheinselbstständigkeit betrifft
Erwerbstätige, die wie abhängig Beschäftigte arbeiten und
arbeitsrechtlich wie abhängig Beschäftigte verpflichtet sind (z.B.
weisungsgebunden, nur einem Arbeitgeber verpflichtet), die
jedoch vertraglich unzutreffend als Selbstständige behandelt
werden. Die Scheinselbstständigen unterliegen nicht den
Schutznormen der Sozialversicherung und sind nicht
sozialversicherungspflichtig. Dadurch ersparen sie bes. den
Arbeitgebern Kosten. Scheinselbstständigkeit bedeutet eine
unzulässige Umgehung der Sozialversicherungspflicht.
Was ist ein Praktikum?
• Für das Praktikum gibt es keine verbindliche gesetzliche
Definition. Weder im Arbeitsrecht noch in der Sozialversicherung
ist das Praktikum eine eigenständige Beschäftigungsform. Doch
Gesetzgeber und Gerichte sind sich einig:
Ein Praktikum ist immer Teil einer Ausbildung und muss
auch selbst Ausbildungscharakter haben. Nur wenn das
Lernen im Vordergrund steht, wenn der
Ausbildungscharakter erkennbar ist, liegt ein Praktikum im
Sinne des Gesetzes vor.
Darum gilt: Das Praktikum soll fachliche Kenntnisse vermitteln
und der beruflichen Orientierung dienen. Es hilft, betriebliche
Abläufe kennen zu lernen und eine Vorstellung von der Arbeit in
einer Branche zu bekommen. Dafür sollen Praktikantinnen und
Praktikanten nicht in die tägliche Verrichtung der Arbeit
eingeplant sein, sondern zusätzlich im Betrieb „mitlaufen“.
Verhältnis von ausgeschriebenen Praktika zu Festanstellungen bei
Online-Job-Börsen:
Im April 2006 waren 43 % der Online-Stellenausschreibungen der DAXUnternehmen Praktika/Studentenjobs!
Gegenüber 2005 sind die Stellenanzeigen für Praktika um 12,8 % gestiegen.
Von 1998 bis 2008 stieg der Anteil der prekär beschäftigen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um 46,2 Prozent auf 7,7
Millionen.
Was sind die Folgen?
Brasilianisierung der Arbeitsverhältnisse, als Folge der
Globalisierung unter dem neoliberalen Paradigma (nach Ulrich
Beck).
„Brasilianisierung meint den Einbruch des Prekären,
Diskontinuierlichen, Flockigen, Informellen in die westlichen
Bastionen der Vollbeschäftigungsgesellschaft. Damit breitet sich im
Zentrum des Westens der sozialstrukturelle Flickenteppich aus, will
sagen: die Vielfalt, Unübersichtlichkeit und Unsicherheit von
Arbeits-, Biographie- und Lebensformen des Südens.“ (U.Beck)
Was sind die Folgen?
-> Mit der fortschreitenden Widerherstellung des Warencharakters der
Arbeitskraft, wie er sich in allen Kapitalismen vollzieht, kehrt ein bereits
geglaubtes Maß an Unsicherheit in die Mitte der Gesellschaft zurück.
-> In der Logik der finanzmarktgetriebener Akkumulation werden Löhne,
Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen lediglich zu Restgrößen, die
flexible an Markterfordernisse angepasst werden müssen.
-> Unternehmensleitungen geben Marktrisiken mehr und mehr an ihre
Belegschaft weiter. Sämtliche Schutzmechanismen von der tariflichen
Begrenzung der Wochenarbeitszeit bis hin zum arbeitsrechtlich
garantierten Kündigungsschutz werden tendenziell zum Zielobjekt
entgrenzender Verwertungsstrategien.
Was sind die Ursachen für
prekäre Arbeit?
Das deutsche Tarifsystemsystem ist besonders anfällig für
Lohnunterbietung. Es gehört zu den freiwilligen Systemen, in denen
der Staat nicht durch Mindestlöhne oder allgemeinverbindliche
Tarifverträge Untergrenzen für die betriebliche Entgeltstruktur
vorgibt. Tarifverträge gelten nur für tarifgebundene
Unternehmen. Als die Gewerkschaften schwächer wurden, haben
sich Unternehmen zunehmend durch Nichteintritt oder Austritt aus
den Arbeitgeberverbänden der Tarifbindung entzogen. Die
Tarifbindung ging von über 80% Anfang der 90er Jahre auf 63% in
Westdeutschland und 50% in Ostdeutschland im Jahre 2010 (IAB
2011) zurück.
Studien kommen übereinstimmend zum Ergebnis, dass hohe
Lohnungleichheit das Ergebnis schwacher Lohninstitutionen ist und
vor allem mit geringer Tarifbindung zusammenhängt.
Was sind die Ursachen für
prekäre Arbeit?
• Die Deregulierung des Arbeitsmarktes im zuge der HartzGesetze, die ausdrücklich zum Ziel hatte, den Ausbau des
Niedriglohnsektors zu fördern, hatte weit reichende
Auswirkungen vor allem auf die oben beschriebenen
Veränderungen bei den Minijobs und der Leiharbeit, die den
Unternehmen neue Möglichkeiten der Lohnsenkungen im
eigenen Betriebszusammenhang einräumten, die auch im großen
Maße genutzt wurden.
• Die Abschaffung der einkommensbezogenen
Arbeitslosenhilfe und die Verkürzung der Dauer des
Arbeitslosengeldbezugs erhöhten zudem den Druck vor allem auf
qualifizierte Arbeitslose, auch schlecht bezahlte Arbeit
anzunehmen. Dies ist vermutlich ein wichtiger Grund für den
Anstieg des Anteils der gut Qualifizierten im Niedriglohnsektor.