Besprechung der 1. Klausur - Uni

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Transcript Besprechung der 1. Klausur - Uni

Übung im Strafrecht für Anfänger
Besprechung der 1. Klausur
Sachverhalt I/III
A hat den B bei der Arbeit bloßgestellt und vor allen Kollegen erzählt, dass der B
ein solcher „Loser“ sei, dass er sich eher „in die Hose machen“ würde, als sich
„wie ein Mann“ einer Prügelei zu stellen. Zwar stimmt es, dass sich B tatsächlich
noch nie geprügelt hat, unter den eher einfältigen Kollegen ist sein Ansehen
jedoch nun schwer beschädigt.
In seiner Stammkneipe erzählt B seinem Freund F, was vorgefallen ist. Auch F
ist wütend auf A, der seinen besten Freund lächerlich gemacht hat. Die beiden
wollen ihre Wut auf A im Alkohol ertränken. B möchte sich darüber hinaus Mut
antrinken, um im schuldunfähigen Zustand dem A seine „verdiente Antwort“ zu
geben und ihn zu verprügeln. F will hingegen nur seinen eigenen Frust der
letzten Woche betäuben, obwohl er durchaus schlägereierfahren ist und weiß,
dass er im Rausch dazu neigt, sich in gewalttätige Auseinandersetzungen zu
begeben. Ihm ist bewusst, dass sein Hass auf A, gepaart mit der
alkoholbedingten Enthemmung, dazu führen könnte, dass er an jemandem
körperlich seinen Frust ablassen könnte. Er vertraut aber letztendlich darauf,
diesmal friedlich zu bleiben.
Sachverhalt II/III
B und F kippen einen Whiskey-Cola nach dem anderen in sich hinein. Als der
Wirt endlich schließt, kommen sie auf ihrem schwankenden Heimweg an dem
Haus von A vorbei. B klingelt. Als der A ihm öffnet, holt B zu einem Fausthieb
in das Gesicht des A aus. Dieser erkennt jedoch die Situation und kann dem
schwer angetrunkenen und stark wankenden B zuvorkommen, indem er
geistesgegenwärtig zu dem neben der Tür stehenden metallenen
Schirmständer greift, den er dem B mit einem wuchtigen Schlag über den Kopf
zieht, und so den B niederstreckt. Danach holt A erneut aus und stürzt sich auf
den liegenden B mit den Worten: „Du feige Sau, dich bring ich um“. B versucht
zunächst, den A mit den Händen abzuhalten, was jedoch nicht gelingt. In
Todesangst zieht B daraufhin sein Anglermesser aus der Tasche, das er noch
von der Angeltour am Nachmittag bei sich trägt. B sticht zu und trifft A tödlich
in der Herzgegend, wobei er auch davon ausging, dass der Stich den A töten
könnte, was er bewusst in Kauf nahm. Eine andere Abwehrmöglichkeit stand
ihm aufgrund der körperlichen Überlegenheit des A, der sich in Rage auf den
B stürzte, nicht zur Verfügung.
Sachverhalt III/III
Die wegen des Lärms erwachte Nachbarin N, die schlaftrunken aus ihrer Tür
kommt, streckt F derweil mit einigen Fausthieben zu Boden.
Wie nachfolgende Untersuchungen ergeben, betrug die
Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Prügelei bei B 3,4 ‰ bzw. bei F
3,5 ‰.
Wie haben sich B und F strafbar gemacht?
Lösungsvorschlag
Strafbarkeit des B
A. Strafbarkeit nach §§ 223 I, 22, 23 I StGB
I. Tatbestand
1. Tatentschluss (+)
2. Unmittelbares Ansetzen (+)
II. Rechtswidrigkeit (+)
Lösungsvorschlag
A. Strafbarkeit des B nach §§ 223 I, 22, 23 I StGB
III. Schuld
1. Schuldunfähigkeit, § 20 StGB
• B hatte eine Blutalkoholkonzentration von 3,4‰
• kein Automatismus zwischen einer bestimmten BAK und der
absoluten Schuldunfähigkeit (früher: 3‰)
• Aber: wichtiges Indiz für das Bestehen der Schuldlosigkeit
Lösungsvorschlag
A. Strafbarkeit des B nach §§ 223 I, 22, 23 I StGB
2. Actio libera in causa
• B hat sich betrunken, um im Zustand der Schuldunfähigkeit die X zu
verprügeln.
• Strafbarkeit aufgrund einer actio libera in causa?
• (P) Koinzidenzprinzip: nach § 20 StGB muss die Schuld im
Zeitpunkt der Tatbegehung vorliegen
Lösungsvorschlag
A. Strafbarkeit des B nach §§ 223 I, 22, 23 I StGB
a. Lösungsmodelle
aa. Ausnahmemodell
• gewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme zu § 20 StGB
• teleologische Reduktion, da Täter den Zustand der
Schuldunfähigkeit rechtsmissbräuchlich herbeigeführt hat
• tatbestandliche Handlung ist das Verhalten im schuldunfähigen
Zustand
Lösungsvorschlag
A. Strafbarkeit des B nach §§ 223 I, 22, 23 I StGB
bb. Ausdehnungsmodell
• erweitert den Begriff „bei Begehung der Tat“ in § 20 StGB
• erstreckt den Tatbegriff auf das „Vorverhalten“, also auf das SichBetrinken im Vorfeld der Tatbegehung
cc. Tatbestandsmodell
• bereits die vorsätzliche Herbeiführung des Defektzustandes gilt als
Beginn der Tatbestandsverwirklichung – losgelöst von § 20 StGB
Lösungsvorschlag
A. Strafbarkeit des B nach §§ 223, 22, 23 I StGB
• das Berauschen ist das erste Glied in der Kausalkette
• Die Zurechnung tatbestandsmäßigen Verhaltens wird an das
vorangegangene Sich-Betrinken angeknüpft
 Allein das sog. Schuldausnahmemodells überzeugt
 Voraussetzungen der vorsätzlichen alic bei B (+)
(Kausalität (+), Doppelvorsatz bzgl Betrinken und Tat (+))
Lösungsvorschlag
B. Strafbarkeit des B nach §§ 223 I, 22, 23 I StGB iVm alic
I. Tatbestand
1. Tatentschluss („Doppelvorsatz“)
2. Unmittelbares Ansetzen
• Streit über Beginn des unmittelbaren Ansetzens bei der alic
irrelevant
 Unmittelbares Ansetzen spätestens bei Tatausführung (+)
Lösungsvorschlag
B. Strafbarkeit des B nach §§ 223 I, 22, 23 I StGB iVm alic
II. Rechtswidrigkeit (+)
III. Schuld (+)
IV. Strafantrag, § 230 I StGB (+)
V. Ergebnis: Strafbarkeit nach §§ 223 I, 22, 23 I iVm alic (+)
Lösungsvorschlag
C. Strafbarkeit des B nach § 323a I StGB
I. Tatbestand
 B hat sich vorsätzlich in einen Rausch versetzt
II. Obj. Bedingung der Strafbarkeit
• Begehung einer Rauschtat, die nur wegen Schuldunfähigkeit nicht
bestraft werden kann
• § 323a (-), wenn bereits Strafbarkeit nach den Grundsätzen der alic
Lösungsvorschlag
C. Strafbarkeit des B nach § 323a I StGB
 Hier bereits Strafbarkeit nach §§ 223 I, 22, 23 I StGB (+)
III. Ergebnis: § 323a StGB also (-)
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
I. Tatbestand
1. Obj. Tatbestand (+)
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
2. Subj. Tatbestand
• Hatte B Tötungsvorsatz?
• (P) Abgrenzung Dolus eventualis und bewusste Fahrlässigkeit
a. Möglichkeits-/ Wahrscheinlichkeitstheorie
• Hat der Täter den Erfolg für möglich/wahrscheinlich gehalten?
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 i StGB
b. Gleichgültigkeitstheorie
• Steht der Täter dem Erfolg gleichgültig gegenüber?
c. Rechtsprechung und Lehre
• Hält der Täter den Erfolg für möglich, nimmt er ihn ernst und nimmt
ihn aber dennoch in Kauf?
 B hat Todesgefahr für A erkannt und sogar ernst genommen
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
Dem Tod das A stand er gleichgültig gegenüber bzw. hat sich damit
abgefunden
 B hatte Tötungsvorsatz, subj. Tatbestand (+)
II. Rechtswidrigkeit
• Notwehr, § 32 StGB
1. Notwehrlage
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
a. Gegenwärtiger Angriff (+), A stürzte sich auf B
b. Rechtswidrigkeit des Angriffs
aa. Notwehrrecht des A nach § 32 StGB?
• Angriff des B war bereits abgewehrt, B lag am Boden
• Angriff nicht mehr gegenwärtig, zudem auch milderes Mittel möglich
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
bb. Festnahmerecht des A aus § 127 I StPO?
• B war auf frischer Tat betroffen (Körperverletzung an A)
• § 127 I StPO deckt jedoch kein Verprügeln durch Festnehmenden
 Notwehrlage (+)
2. Notwehrhandlung: geeignet und erforderlich (+)
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
• (P) Notwehr bei verschuldeter Notwehrlage
• Notwehrprovokation: Unterscheidung zwischen absichtlicher und nur
vorwerfbarer Herbeiführung der Notwehrlage
a. Absichtsprovokation
o e.A.: Provokateur hat das volle Notwehrrecht
Arg.: Die Rechtsordnung verlangt vom Angreifer eben, dass er der
Provokation widersteht.
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
o a.A.: Bestrafung aus Vorsatzdelikt wegen Herbeiführung der
Notwehrlage, trotz vollem Notwehrrecht (actio illicita in causa)
Arg.: Begründung einer Täterstrafbarkeit ohne Aushöhlung des
Notwehrrechts nach den Regeln von Kausalität und Zurechnungszusammenhang
Geg.: Ein und dasselbe Handeln einmal rechtmäßig und zugleich
doch wieder rechtswidrig
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
o a.A.: Eingeschränktes Notwehrrecht des Provokateurs; Täter muss
ausweichen, notfalls leichtere Beeinträchtigungen hinnehmen,
braucht aber letztlich nicht Leib und Leben ohne Gegenwehr
preiszugeben
o h.M.: Kein Notwehrrecht des Provokateurs; Bestrafung aus
Vorsatztat
Arg.: Schranke aus allg. Prinzip des Verbots eines
Rechtsmissbrauchs
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
b. Nur schuldhaft herbeigeführten Notwehrlage
• Keine vollständige Einschränkung des Notwehrrechts
• 3-stufiges Notwehrrecht des Provozierenden
o Der Provozierende hat zunächst auszuweichen
o Kann er nicht ausweichen, so hat er zumutbare
Verteidigungshandlungen vorzunehmen („Schutzwehr“)
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
o Reicht „Schutzwehr“ nicht aus, so darf er zur „Trutzwehr“ übergehen
B hat durch seinen Angriff auf A, dessen aggressives Verhalten
(=Notwehrlage) rechtswidrig vorwerfbar herbeigeführt
 B, am Boden liegend, konnte weder ausweichen, noch A abwehren
 B durfte Trutzwehr (im äußerste Fall auch in Form von Tötung)
ausüben
3. Subj. Verteidigungswille (+)
Lösungsvorschlag
D. Strafbarkeit des B nach § 212 I StGB
4. B handelte in Notwehr und damit nicht rechtswidrig
III. Ergebnis: § 212 I StGB (-)
E. Strafbarkeit des B nach § 222 StGB
F. Strafbarkeit des B nach § 223 I StGB
 Als Durchgangsdelikt verwirklicht, aber B gerechtfertigt
Lösungsvorschlag
G. Strafbarkeit des B nach § 323a StGB
In Tateinheit verwirklicht
Strafbarkeit des F
A. Strafbarkeit des F nach § 223 I StGB
I. Tatbestandsmäßigkeit (+)
II. Rechtswidrigkeit (+)
Lösungsvorschlag
A. Strafbarkeit des F nach § 223 I StGB
III. Schuld
1. Schuldunfähigkeit, § 20 StGB (+), 3,5‰
2. Actio libera in causa
• Vorsatz bzgl. Betrinken (+), aber Vorsatz bzgl. späterer Tat (-)
IV. Ergebnis: § 223 I StGB (-)
Lösungsvorschlag
B. Strafbarkeit des F nach § 229 StGB
I. Fahrlässigkeit: Sorgfaltspflichtverletzung, indem er sich trotz des
Wissens um die Eskalationsgefahr bis zur Schuldlosigkeit betrunken
hat, (+)
II. Rechtswidrigkeit (+)
III. Schuld
1. Schuldunfähigkeit, § 20 StGB (+)
2. Actio libera in causa
Lösungsvorschlag
B. Strafbarkeit des F nach § 229 StGB
• (P) Fahrlässige actio libera in causa
o Täter führt Defekt vorsätzlich oder fahrlässig herbei
o Täter bemerkt in fahrlässiger Weise nicht bzw. rechnet nicht damit,
in dem Zustand eine bestimmte Straftat verwirklichen werde
o Bei Erfolgsdelikten alic jedoch nicht nötig, Betrinken selbst als
rechtlich relevantes Verhalten
Lösungsvorschlag
B. Strafbarkeit des F nach § 229 StGB
Kausalität, obj. und subj. Sorgfaltspflichtverletzung (+)
Zum Zeitpunkt des Sichbetrinkens Schuldfähigkeit noch (+)
IV. Strafantrag, § 230 StGB (+)
V. Konkurrenz § 229 - § 323a StGB
• Fall der Gesetzeskonkurrenz? (§ 323a StGB würde zurücktreten)
Lösungsvorschlag
• F hat jedoch vorsätzliche KV begangen, die nur wegen § 20 StGB
nicht bestraft werden kann
• Bestrafung nur aus § 229 StGB nicht angemessen
 § 229 StGB und § 323a StGB stehen in Idealkonkurrenz