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Fastnachtspiel-Tradition
in Nürnberg (3)
Hans Sachs
Hans Sachs (5. Nov. 1494-19. Jan. 1576)
Killy, Lit.lex.; R. Hahn, H.S., in: Dt. Dichter der fr. Neuzeit, hg. v. St. Füssel,
1993, S. 406-427. - Textauswahl: hg. v. H. Kugler (reclam).
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Geb. in Nürnberg; Vater: Schneidermeister.
Mehrjährige Lateinschule.
Schuhmacherlehre;Gesellenwanderung: u.a. München, Frankfurt.
Ab 1519 Hausbesitz in Nürnberg, 1. Eheschließung mit
Cunigund Kreutzer (†1560)
1561 2. Eheschließung mit Barbara Harscher.
Mitglied der Nürnberger Meistersingergesellschaft.
Umfangreiches lit. Oeuvre in fast allen Gattungen der Zeit –
ausschließlich in deutscher Sprache.
Penible Dokumentation des Werks durch Sache selbst: a)
Sammlung der eigenen Dichtung in insges. 33 handschriftlichen
Bänden; b) Druck (außer den Meisterliedern) in einer 5-bändigen
Folio-Ausgabe; c) Datierung der Werke vielfach in einem
Vermerk am Schluss der Texte; d) 1560 legt Sachs ein
„Generalregister“ aller seiner Werke an; e) Dichtung ‚Summa all
meiner Gedicht‘ bringt eine gereimte Übersicht über Sachsens
Werk bis gegen 1567 (Text: reclam, s.o.).
Der Nürnberger Maler Andreas Herneisen portraitiert Hans Sachs. Nürnberg 1574
Der Evangelist Lukas malt die Jungfrau
Maria mit dem Jesusknaben (Nürnberg,
Altar der Augustinereremiten, 1487)
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Hans Sachs. Weit verbreiteter
Holzschnitt des Michael Ostendorfer.
Nürnberg 1545.
Tracht und Pose eines reichen
Patriziers
Spruch puech das erst meiner gedicht
vnd Comedi helt 12 stück
Nachtrag rechts am Rand:
aller gedich 5932 im 1565 jar;
anno 1567 aller gedicht 6032
Quelle: Hans Sachs. Handwerker,
Dichter, Stadtbürger. Wiesbaden 1994.
Sachsens Büchersammlung: was hat er
besessen/gelesen
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- Bibel: Vollbibel in der Übersetzung Luthers, dazu Neues
Testament, dazu die Spruchbücher des sog. Prediger Salomo und
des Jesus Sirach, dazu eine Bibelkonkordanz
- Antike: Plutarch, ‚Biographien; Sueton, Kaiserbiographien;
Homer, ‚Odyssee’; Apuleius, ‚Der goldene Esel’.
- religiöse Traktatliteratur, meist der Reformation (u.a. Luthers
Hauspostille); selten mittelalterlich: Seuse (Sews, ein Muncherey).
- Naturkunde: Plinius, ‚Naturalis historia’; Konrad von
Megenberg, ‚Buch der Natur’.
- Fachliteratur: ‚Rhetorica teutsch’; Rechenbücher; Georg
Rüxner, ‚Turnierbuch’; Bernhard Breidenbach, Jerusalem-Reise;
Rossarznei; Medizinisches.
- Geschichtsliteratur: aus der Antike (Herodot; Livius; Sueton,
Kaiserbiographien); aus dem Spätmittelalter (Sigismund
Meisterlin, Chronik von Augsburg; Hartmann Schedel,
Weltchronik).
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- Erzählsammlungen: ‚Gesta Romanorum’; Boccaccio
(‚Decamerone’; ‚Berühmte Frauen’), Johannes Pauli (‚Schimpf
und Ernst’), Jörg Wickram (‚Rollwagenbüchlein’ [Text: reclam]),
- didaktische Literatur: Sebastian Brant, ‚Narrenschiff’;
Steinhöwel ‚Esopus’ mit Additamenta des Seb. Brant; EsopAusgabe
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Hans Sachs, dargestellt als Buchgelehrter
Kupferstich der Lucas Kilian aus
Augsburg, 1617.
Mit einer Subscriptio in zwei Distichen
‚Aus einem Schuster hat Gott einen Dichter
und großen Poeten gemacht, damit du daraus
lernst, dass Gott Wunder vollbringt.
Gott nimmt nicht nur eine Person aus (edlem)
Geschlecht an: Oft hat auch ein Schuster
gütigen Zuspruch erfahren.‘
Sachsens Büchersammlung: ein Thesaurus
literarischer Interessen und Modellbildung
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Sachs sammelt ausschließlich deutschsprachige Bücher, darunter
zahlreiche Übersetzungen;
die Sammlung bezeugt ein breites lit. Interesse auf zahlreichen
Feldern;
bemerkenswert ist das Ausgreifen auf die Literatur der Antike:
von ihr und ihrem modellbildenden Wert für sein eigenes
literarisches Werk wusste Sachs zumindest und nutzte diese
Texte als Stoffquellen.
Zahlreiche seiner Bücher liefern den Stoff für die von Sachs
behandelten Gattungen: Meisterlieder, Spruchgedichte,
dramatische Gattungen (Comedi, Tragedi, Histori,
Fastnachspiel).
Dazu ein Beispiel -> Giovanni Boccaccio, ‚Decamerone (in
Sachsens Büchersammlung: Cento nouela Johanis Bocacij).
Sachs bearbeitet Boccaccios ‚Decamerone‘:
Einer Frau gelingt es, zwei Werber loszuwerden (Dec. IX,1)
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Bearbeitet am 23.6.1540 als Meistergesang im Rosenton (Text:
Goetze/Drescher, Fabeln und Schwänke Bd.3, Nr. 119 [RSM ²S
994]);
Am gleichen Tag auch in Reimpaaren bearbeitet als
Spruchgedicht (Text: Goetze/Drescher, Fabeln und Schwänke
Bd. 1, Nr. 63; 60vv.); Schluss: also ein fraw in zuecht und scham /All
pueler sol von ir abtreiben / Thuet Johann Bocacius schreiben.
Am 1.9.1558 nochmals als Spruchgedicht (Text: Goetze/
Drescher, Fabeln und Schwänke, Bd. 2, Nr. 218; 206vv.);
Am 31.10.1560 als Fastnachtspiel: Ein kurzweilige comedi mit 7
person (Sachs, Fastnachtspiele, hg. von E. Goetze, Nr. 84). Am
Schluss Anrede an die Handwerksgesellen: Drumb gsel, spar dir dein
lieb in die e,/ Den hab ein lieb und keine me, / Daraus dir gegenlieb
erwachs / Von deim gemahel, wünscht Hans Sachs.
Hans Sachs und seine Bearbeitung des
Prosaroman ‚Tristrant und Isalde‘
Auch sonst nutzt Sachs vielfach die gleiche Quelle für
Dichtungen in unterschiedlichen Gattungen: als Spruchgedicht,
Meistergesang oder Drama.
 Beispiele: den (anonymen) Prosaroman ‚Tristrant und Isalde‘
(wahrscheinlich eine der beiden Ausgaben Worms 1545 oder
1550) bearbeitet Sachs als:
- ‚Ein wunderbarliche und fast lustige Histori von Herr Tristrant
und der schonen Isalden … Wol einer schönen Tragedi zu
vergleichen … fremd und kurtzweilig zu lesen‘ (beendet am 7.
Febr. 1553)
- sowie in den Jahren 1551-1553 episodenweise in sechs
Meisterliedern.
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Hans Sachs, ‚Histori von Herr Tristrant
und der schönen Isalden‘ in 7 Akten,
abgeschlossen am 7. Febr. 1553.
Dazu noch sechs Meisterlieder zum
Tristrant 1551-1553.
Als Vorlage benutzt: „Volksbuch“ Tristrant
und Isalde (Ausgaben Worms 1549 oder 1550)
Hans Sachs, Spruchgedicht ‚Summa all meiner gedicht‘ (1568)
Hans Sachs: Literarisches Werk (Übersicht)
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Das lit. Gesamtwerk umfasst mehr als 6.000 Dichtungen in den
Gattungen Meistergesang, Spruchgedicht, Drama, Prosadialoge.
Damit ist Sachs der produktivste und vielseitigste
deutschsprachige Autor des 16. Jh.
Rd. 4300 Meisterlieder (s. Repertorium der Sangsprüche und
Meisterlieder; zum großen Teil unediert);
Zahlreiche Spruchgedichte (Schwänke, Fabeln, didaktische
Dichtungen)
Drama: 70 tragedi, 58 comedi (z.T. auch als historia bezeichnet), 85
Fastnachtspiele (z.T. auch als comedi bezeichnet).
7 Prosadialoge (davon 6 erhalten): Themen der Reformation.
Stoffe: Sachs besaß eine umfangreiche Bibliothek mit
deutschsprach. Literatur und Übersetzungen, die er als Quellen
für seine Dichtungen nutzte (u.a. Livius, Ovid, Boccaccio, dazu
Schwankbücher wie etwa ‚Der Pfaffe vom Kalenberg; Johannes
Pauli ‚Schimpf und Ernst‘; ‚Eulenspiegel‘.
Die Dramen des Hans Sachs
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Für die dramat. Gattungen tragedi und comedi war S. Pionier.
Quellen: vorrangig Übersetzungen antiker oder humanistischer
Autoren oder mittelalterliche deutsche Werke.
Themen u.a. Romulus und Remus; Lucretia (beide nach der
‚Römischen Geschichte‘ des Livius); Zerstörung Trojas; Griselda
(nach Boccaccio, Dec. 10,10); Antonius und Cleopatra (nach
Boccaccio, ‚De claris mulieribus‘ dt.); Fortunatus und Tristrant
(nach den dt. Prosaromanen); der Fabeldichter Esop (nach H.
Steinhöwel, ‚Esop‘.)
Histori: mehrfach werden die tragedi auch als histori bezeichnet.
85 Fastnachtspiele, in der Regel kurz vor der Fastnachtzeit
gedichtet; Quellen u.a. Boccaccio, ‚Decamerone‘ (in deutscher
Übersetzung in Sachsens Bibliothek), Schwanksammlungen des
16. Jh. (u.a. ‚Eulenspiegel‘; Joh. Pauli,‘Schimpf und Ernst‘) oder
ältere Schwankdichtungen etwa von Folz oder Rosenplüt oder
aus umlaufender europäische mündlicher Tradition.
Hans Sachs vertritt die Sache der
Reformation in Nürnberg.
‚Die Wittenbergisch Nachtigall‘
Gedicht auf das Wirken Luthers
Motto: Jesusworte beim Einzug
in Jerusalem: „Ich sage euch …“.
Mit „falscher“ Druckerangabe
Hans Sachs, ‚Das Teufelsbannen‘
(Wuttke Nr. 13)
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Überlieferung: drei kleinformatige, dünne Einzeldrucke
(Überlieferungsform, die leicht aus dem Quelenbestand
verschwindet); außerdem in vier späteren Sammmelausgabe
1560 und 1570, 1591, 1613.
Abfassungszeit: 5. Nov. 1551, offenbar für die bevorstehende
Fastnacht 1552.
Das Sujet ist in der französischen (‚Le povre clerc‘) und
deutschen schwankhaften Novellistik (Stricker, Rosenplüt) sei
dem 13. Jh. mehrfach überliefert und dürfte auch in mündlicher
Tradierung kursiert sein.
Inhalt: Eine Bäuerin betrügt ihren Ehemann mit dem Pfarrer.
Ein zufällig vorbeikommender Student/der Knecht des Bauern
entlarvt den Betrug auf mit einer witzig eingefädelten List.
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Eröffnung durch Monolog der Bäurin: Darstellung des Personals
(Bauer, Bäurin, Pfarrer) und der Situation, von der aus die
Handlung beginnt: Ehebruch unter den Augen der
Dorfgemeinschaft.
Bezeichnung der Figur des Pfarrers: bucklet, hinkt. Geht aus den
Sprechtexten nicht hervor. Moralische Haltung des Pfarrers: v.
53-62.
Drei Elemente der Begastung: Würscht, Semel, Wein.
Ankunft und Verjagung des Schulers.
Monolog des Schulers vv. 106-114 mit Wechsel der
Sprechrichtung.
Rückkehr des Bauern – Flucht des Pfarrers – Rückkehr des
Schulers.
Akademikersatire v. 166ff. -> Spiel im Spiel: das Teufelsbannen.
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Teufelsbannen: der Teufel soll Bratwürscht, Brot und Wein
bringen.
Erpressung des Pfarrers / Verkleidung, v.220ff.;
Verhaltensmaßregeln, v. 243ff.
Vorführung de Teufels, v. 239ff. und seine Vertreibung.
Reaktion des Publikums: die wissende Bäurin, der Pfarrer in
Todesangst, der nicht-wissende Bauer.
List des Studenten: v. 305ff.; sein Gewinn: insgesamt 18 Gulden.
Triumph des Intellekts, der geistesgegenwärtig angewandten
Klugheit (Fahrend Schuler).
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Bestrafung der Dummheit: der Bauer bleibt unwissend, verliert die
Lebensmittel und einen Gulden, den er für die Vorführung des
Teufels zahlt.
Bestrafung der Unmoral: der Pfarrer entkommt knapp dem Tod
(Erschlagen bei „handhafter Tat“ bleibt in der Regel straffrei) und
verspricht dem Studenten 12 Gulden,
Eine listige Lüge des Studenten: Die Ehefrau soll 5 Gulden zahlen.
Trotz des schwankhaften Sujets ist die didaktische Absicht des
Fastnachtspiels erkennbar, Unmoral in der Gesellschaft zu bestrafen.
Lehre in der Schlussrede des Fahrend Schulers: die Laster der luxuria
(Unzucht) und der avaritia (Habgier) sind Ursache des Konflikts.
Sein kluges/listiges Handeln hat für alle etwas gebracht.
„Merkantilistische“ Schlussmoral durch eine Sentenz betont: Auch
wenn der Markt einmal träge läuft, kann er im Gesamtverlauf noch
gut ausgehen.
Von Sachs auch als Spruchgedicht und Meistergesang bearbeitet.
Lit. Tradition des Schwanks vor Sachs: afrz. Fabliau ‚Le povre clerc‘
(um 1200); Stricker, ‚Der Kluge Knecht‘ (um 1230/40); H.
Rosenplüt, ‚Der fahrende Schüler‘.
Hans Sachs, ‚Eulenspiegel und des Pfaffen
Haushälterin‘ (Wuttke Nr. 16)
Eulenspiegel: Schwanksammlung mit über neunzig Erzählungen
(histori) (Titel: Ulenspiegel, älteste Drucke Straßburg 1515 und
1519; mehrfach nachgedruckt; eine der späteren Ausgaben in
Sachsens Büchersammlung: Ewelenspigel mit seiner schalckheit),
 Historia 38 als Quelle hier im Fastnachtspiel wie auch in einem
Meisterlied (Drescher/Goetze, Fabeln und Schwänke, Bd. 4, Nr.
279 vom 28.4.1546. Sachs bearbeitet in diesen Tagen mehrere
Eulenspiegel-Historien).
 Datierung des Fastnachspiels: 16. 12.1553, offenbar für
Fastnacht 1554.
 Gegenstand: List durch Ausnutzung des Beichtgeheimnisses.
 Überlieferung: autograph im 9. Spruchgedichtsbuch; außerdem
in den beiden Auflagen von Bd. 4 der Folioausgabe 1578 und
1616.
-> Zum Eulenspiegel:
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Dil Ulenspiegel, Straßburg 1515
(erster Druck)
Ein kurtzweilig lesen … wie er sein leben
volbracht hatt. xcvi. [96] seiner
geschichten.
Eulenspiegel,
Straßburg 1515,
1. Histori.
Montage aus zwei
Holzstöcken.
Eulenspiegel,
Straßburg 1515,
2. Histori.
Passgenaue Größe des
Holzschnitts
Eulenspiegel,
Straßburg 1515,
38. Histori.
Montage aus zwei
Holzstöcken.
Zum Fastnachtspiel ‚Eulenspiegel und des
Pfaffen Haushälterin‘
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Es fehlen hier wie sonst häufig bei Sachs die Partien des
Herold/Ausschreiers am Anfang und am Ende des
Fastnachtspiels. Gründe: offenbar schriftliterarische Fassung
ohne engeren Bezug zur Aufführungstradition.
„Expositorische“ Auftrittsmonologe Eulenspiegel und Fürst zur
Klärung der Situation, die der Handlung zugrundeliegt.
Diese Funktion des Monologs auch schon bei Folz vielfach zu
beobachten.
Daneben: Deliberativer Monolog: Reflexion der Figur über ihr
eigenes Handeln und dessen Begründung und Möglichkeiten;
Beispiele: v. 49-56; 125-138; 306-318.
Figurenrede oftmals „verhakt“: Reim überlagert
Sprecherwechsel, z.B. v. 33/34; 41/42; 67/68. –
Mnemotechnisches Hilfsmittel für die Darsteller.
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Verdeckte Einteilung in „Akte“, wie sie Sachs in den anderen
dramatischen Formen ganz selbstverständlich handhabt.
Akt II: nach v. 56; die Bühne ist leer. Neueinsatz mit
Ortswechsel: Wohnung des Pfaffen/Dialog mit seiner
Haushälterin.
Akt III: nach v. 318: Neueinsatz am Herzogshof.
Didaktische Komponente in den Schlussversen des Herzogs:
An im [dem Pfaffen] ist erfüelt an dem ort [genau] / Das alte warhaftig
sprich wort / Das sagt: wer nit müeg rüeben essen / der mües zu leczt den
grebel [Strunk] fressen, /Dardurch im spot und schaden wachs. / So
geschicht dem pfaffen, spricht Hans Sachs.
Moralische Zielrichtung nicht ganz klar: Kritik an den
(katholischen) Geistlichen??