wie kommunalfreundlich ist das europäische Vergaberecht?

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Wie kommunalfreundlich ist das europäische
Vergaberecht?
16. Europäischer Verwaltungskongress 2010
2. und 3. Dezember 2010, Bremen
Sonja Witte, Leitung VKU Büro Brüssel
Ausgangsfragen
 Muss die Erbringung einer Dienstleistung ausgeschrieben
werden? Und wenn ja, wie? (Europäisches) Vergaberecht
 Ist die Zahlung für die Erbringung einer solchen Dienstleistung
eine Beihilfe, oder nicht? (Europäisches) Beihilferecht
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Wie kommunalfreundlich ist das europäische Vergaberecht? | Sonja Witte | 03.12.2010
„Kommunalfreundlichkeit“ der EU und
insbesondere des EU Vergaberechts
Hoch aktuelles Thema bei den gesetzgebenden Institutionen,
dem EuGH und den Stakeholdern:
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Lissabon Vertrag (Dezember 2009)
Monti-Bericht zum Binnenmarkt (Mai 2010)
Kommissionsbericht zum Binnenmarkt (Oktober 2010)
Aktuelle EuGH Urteile
Bericht des Europäischen Parlaments zu den neusten
Entwicklungen im öffentlichen Auftragswesen (Mai 2010)
 Aktuelle Kommissionsaktivitäten
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Der Vertrag von Lissabon
Vertrag stärkt kommunale Selbstverwaltung
 19. Oktober 2007: EU Staats- und Regierungschefs einigen sich in
Lissabon auf neuen EU-Reformvertrag
 1. Dezember 2009: Inkrafttreten des Lissabon Vertrags
 Recht auf kommunale Selbstverwaltung wird erstmals in das Primärrecht
der EU aufgenommen
 der weite Ermessensspielraum der Kommunen bei der Erstellung der
Leistungen der Daseinsvorsorge wird betont
 Subsidiaritätskontrolle wird ausdrücklich auf die lokale Ebene
ausgedehnt
Forderung der kommunalen Ebene:
Festlegungen müssen bei zukünftigen Entscheidungen der EU
Berücksichtigung finden!
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EU Vergaberichtlinien
 RL 2004/18/EG (klassische RL) und RL 2004/17/EG
(Sektorenrichtlinien) bilden den Rahmen
 2004 letzte Novelle > derzeit Evaluation zur Überarbeitung der
Vergabe RL
 RL gelten für öffentliche Aufträge, deren geschätzter Auftragswert
ohne MwSt die nachstehend aufgeführten Schwellen (im Zeitraum 1.
Januar 2010 bis 31. Dezember 2011) erreicht oder überschreitet:
 387.000 EUR bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen
 4.845.000 EUR bei Bauaufträgen
 RL findet bisher keine Anwendung auf Dienstleistungskonzessionen in
den betreffenden Sektoren
 Öffentliche Aufträge, deren Wert die Schwellen der Richtlinie
übersteigt, unterliegen der Veröffentlichungs- und Transparenzpflicht
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Interimsituation in der Rechtsprechung des EuGH
Jüngste Kommunalfreundliche Rechtsprechung des EuGH:
„Coditel Brabant“, C-324/07 vom 13.11.2008
„Eine öffentliche Stelle kann ihre im allgemeinen Interesse liegenden
Aufgaben mit ihren eigenen Mitteln und auch in Zusammenarbeit mit anderen
öffentlichen Stellen erfüllen.“
„Stadtreinigung Hamburg“, C-480/06 vom 09.06.2009, Rn. 47
Im Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen
Deutschland im Fall der Stadtreinigung Hamburg hat das Gericht eine
Ausschreibungsverpflichtung für den zugrundeliegenden
Dienstleistungsauftrag abgelehnt, da es sich um eine Form der
interkommunalen Zusammenarbeit handele und mit der Zusammenarbeit
eine öffentliche Aufgabe erledigt werde.
Urteile stärken die öffentliche Aufgabenerfüllung und insbesondere
die interkommunalen Zusammenarbeit
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Monti Bericht zum Binnenmarkt
 Mai 2010: ehemaliger Binnenmarkt- und Wettbewerbskommissar
Mario Monti legt seinen Bericht über eine neue Strategie für den
Binnenmarkt vor
 „Binnenmarkt unbeliebter denn je […].“
 stellt fest, dass das öff. Auftragswesen einen großen Anteil an der
Erreichung der Ziele der EU hat
 aber: Kommunen sehen sich insbesondere in den Bereichen der
Inhouse-Vergabe und der IKZ durch das Vergaberecht in ihrer Freiheit
eingeengt > Verständnis von Monti
 plädiert für eine Klarstellung des Inhouse-Konzepts und der IKZ durch
die KOM aufgrund der jüngsten EuGH Rechtsprechung
 Evaluation der EU Vergaberichtlinien (2004/18/EG und 2004/17/EG)
sollte genutzt werden, um Komplexität und Verwaltungsaufwand zu
verringern
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Kommissionsbericht zum Binnenmarkt
(Single Market Act)
 Oktober 2010: Vorlage einer erneuerten Binnenmarktstrategie
durch die KOM
 Hintergrund: 20 Jahre Binnenmarkt im Jahr 2012
 Inhalte aus kommunaler Sicht enttäuschend:
- KOM gibt sich nachdenklich, verfolgt aber in Fragen der
Daseinsvorsorge weiter ihre vom reinen Binnenmarkt- und
Wettbewerbsprinzip getriebenen Ziele
- setzt weiter auf einheitliche europäische Regelungen
- Subsidiaritätsgedanke bleibt auf der Strecke
 Binnenmarktstrategie steht bis Ende Februar 2011 zur
Konsultation
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Aktivitäten des EU Parlaments:
Initiativbericht zum Europäischen Vergaberecht
 EP greift jüngste Entwicklungen auf und verabschiedete im Mai
2010 einen sog. Initiativbericht
 Initiativbericht = Meinungsäußerung des Parlaments
 Berichterstatterin: Heide Rühle (D/ Grüne) – „Rühle Bericht“
 Bericht äußert sich zu:
a) Interkommunaler Zusammenarbeit
b) Dienstleistungskonzessionen/ Öffentlich-privaten
Partnerschaften
c) Vergabefremden Kriterien
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A) Interkommunale Zusammenarbeit
 EP sieht IKZ unter folgenden kumulativen Kriterien als
vergaberechtsfrei an:
- es handelt sich um die gemeinsame Erbringung einer allen
Kommunen obliegenden öffentlichen Aufgabe
- durch ausschließlich öffentliche Stellen, also ohne Beteiligung
Privater
- und die Tätigkeit wird im Wesentlichen für die beteiligten
Stellen verrichtet
 KOM plant für 2011 eine Mitteilung zu IKZ
- nach Auffassung der KOM hat der EuGH den Begriff der
Kooperation neu in die Diskussion eingeführt
- Rechtsform ist nicht mehr relevant
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B) Dienstleistungskonzessionen
 DLK unterfallen derzeit nicht dem EU Vergaberecht, sondern
lediglich den Grundsätzen des EU Primärrechts (Transparenz,
Gleichbehandlung, Gebot der Chancengleichheit/ NichtDiskriminierung)
 Def. DLK gem. RL 2004/18/EG: Verträge bei denen „die
Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung ausschließlich
in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder diesem Recht
zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht“
 KOM überlegt rechtliche Regelung der DLK
- Mai und August 2010 zwei Konsultationen
- wahrscheinlich Legislativvorschlag 2011
 EP sprach sich gegen eine Regelung zu den DLK aus
- Flexibilitätserfordernis
- Gefahr der Zwangsprivatisierung öffentlicher Aufgabenerbringung
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C) „Vergabefremde“ Kriterien
 KOM veröffentlichte in der Vergangenheit eine Reihe von
Leitfäden, Mitteilungen etc. zu den Bereichen grünes öffentliches
Auftragswesen und zu sozialen Kriterien in der öff.
Auftragsvergabe
 EP sieht Stellenwert der öff. Auftragsvergabe beim Klimaschutz,
Energieeffizienz, Umwelt und Innovation
- begrüßt die Möglichkeit, ökologische, soziale und andere
Kriterien bei der öff. Auftragsvergabe zu nutzen
- fordert praktische Hilfestellung von der KOM (insb. in Bezug
auf überprüfbare Kriterien)
- betont aber den freiwilligen Charakter > wichtig für die
Kommunen
 EuGH „Concordia Bus Finnland“: Auch nicht unmittelbar
wirtschaftliche Kriterien (Lärmschutz, etc.) dürfen berücksichtigt
werden
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C) Bedeutung „Vergabefremder“ Kriterien
 Umwelt: Hohes Rechtsgut (Art. 11 AEUV, Art. 20a GG) Klimaschutz / CO2Senkung / Energie- u. Kosteneinsparung
 Soziale Aspekte: Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Europäische Charta der
Grundrechte, Art. 6 EUV, Art. 1 I GG), Soziale Verantwortung, zunehmende
Globalisierung / internationale Arbeitsteilung / wachsender Warenaustausch
 Vorbild / Nachfragemacht Öffentliche Hand
 Umwelt- / sozialfreundliche Vergaben sind nicht vergabefremd, sondern
vergaberechtskonform aber unterschiedlich zu bewerten:
(1) Umweltfreundliche Vergaben lohnen: schützen Umwelt / Gesundheit (CO2Reduzierung etc.), können Kosten sparen (Energieeffizienz etc.), sind innovativ
(Beeinflussung von Herstellern etc.)
(2) Sozialfreundliche Vergaben sind kritisch zu bewerten: Einhaltung der sozialen
Anforderungen schwer zu überprüfen, Wahrheitsgehalt der Eigenerklärungen
ist nicht nachvollziehbar, sozialpolitische Ziele können und sollten nicht über
das Vergaberecht realisiert werden
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D) Novelle EU Vergaberichtlinien
 RL im Jahr 2004 verabschiedet
 derzeit Evaluation der RLen durch KOM
 5 Jahre nach Verabschiedung der RLen verpflichtend
vorgesehen
- Untersuchung der Effektivität und der Effizienz der
niedergelegten Regelungen mit Blick auf KMU,
Kosteneffizienz, Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitskriterien/ soziale
Kriterien
- Vergabe von zwei Studien im Mai 2010: „Erfahrungen der MS
hinsichtlich der Einbindung anderer politischer Überlegungen
in Politik und Verfahren betreffend die öffentliche
Auftragsvergabe“ und „Studie über die Anwendung von
Auftragsvergabeverfahren und –Techniken“
 KOM-interne Evaluation bis Sommer 2011 inkl. anschließender
Veröffentlichung, Anfang/ Mitte 2011 öffentliche Konsultation
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Schlussfolgerungen: Wie kommunalfreundlich
ist das Europäische Vergaberecht?
 EuGH scheint in seiner jüngsten Rechtsprechung dem Vertrag von
Lissabon Tribut zu zollen
 kommunalfreundlicher Bericht des EP zu den jüngsten Entwicklungen im
EU Vergaberecht
Positive Signale vom Parlament und vom EuGH
Aber:
 KOM auf den verschiedenen Gebieten weiter aktiv
- Regelung zu DLK
- Mitteilung zu IKZ
- Novelle EU Vergaberichtlinien
 KOM muss mit ihren Vorschlägen durch das Parlament und den
Ministerrat
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Schlussfolgerungen: Wie kommunalfreundlich
ist das Europäische Vergaberecht?
Interimsituation im Bezug auf kommunale Ausrichtung der EU
zukünftige Entwicklung auch von den kommunalwirtschaftlichen
Entwicklungen in den übrigen EU Mitgliedstaaten abhängig
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Europa versus Kommunalwirtschaft?
 Mangelnde Europafestigkeit der Selbstverwaltungsgarantie ?
 Grundausrichtung der EU war und ist die reine Wirtschafts- und
Wettbewerbsordnung
 Den Kommunen vergleichbare dezentrale Steuerungseinheiten
existieren in den übrigen Mitgliedstaaten und Europa nicht.
 Die Gemeinwohlorientierung hat überall in Europa andere
Ausprägungen erfahren (Umfang, Organisationsform etc.)
Änderungsbedarf:
 liberale und soziale Ausrichtung des europäischen Wirtschaftsund Gesellschaftsmodells muss angemessen ausgeglichen werden
 Maßnahmen der Mitgliedstaaten dürfen nicht über das für die
Ziele des EG-Vertrages erforderliche Maß hinaus in die Verfassung
eingreifen
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Was ist zu tun?
NICHT REAGIEREN,
SONDERN AGIEREN!
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Brüssler Aktivitäten der dt. kommunale Ebene
 DStGB, DST, DLT und VKU bündeln räumlich ihre Ressourcen in
Brüssel auf einer gemeinsamen Büroetage
 intensive Lobbyarbeit in Bezug auf den Initiativbericht des EP zum
Vergaberecht
 Sektorales Vorgehen
 Anschreiben an Binnenmarktkommissar Barnier gemeinsam mit
französischen und österreichischen Pendants (13 Verbände) in Bezug
auf DLK
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
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Teilnahme an den Konsultationen
Gespräche mit MdEP und KOM über kommunalspezifische dt. Belange
Lobbying über Europäische Dachverbände (AdR, RGRE, CEEP, etc.)
Deutsche Städte, Kommunen und kommunale Unternehmen sind
präsent in Brüssel
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Sonja Witte
Leitung VKU Büro Brüssel
Verband kommunaler Unternehmen e.V.
9-31, Avenue des Nerviens, Boîte 3
B - 1040 Brüssel
Fon +32.2.740.16.50
www.vku.de
[email protected]
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