Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941 Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung Präsentation von Katrin Röhlig Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte. Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg,

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Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


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Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

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Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 3

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 4

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 5

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 6

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


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Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 8

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 9

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 10

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


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Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 12

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 13

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


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Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


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Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 16

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


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Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 18

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001


Slide 19

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie,1941
Das Problem der
Entmythologisierung der
neutestamentlichen
Verkündigung

Präsentation von
Katrin Röhlig

Die 15 wichtigsten Schriften der Kirchengeschichte.
Kirchengeschichtliches Proseminar, Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Sommer-Semester 2001

Inhaltsverzeichnis
 Einführung und Problemstellung
 Das Programm der Entmythologisierung
 Hinweise zur Edition
 Quellenauszüge
 Wirkungsgeschichte
 Kritische Anmerkung
 Biographische Notizen

 Quellen- und Literaturverzeichnis
 Linkliste
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Einführung und Problemstellung
Fundament aller christlicher Theologie ist die Bibel. Sie gilt als die
Quelle des Glaubens und als das Wort Gottes an alle Menschen. Wie
aber können Worte und Geschehnisse, die sich vor 2000 und mehr
Jahren ereigneten und aufgeschrieben worden sind, für uns heute noch
bedeutungsvoll sein?
Das Problem wird noch dringlicher dadurch, dass die Welt- und
Wirklichkeitserfahrung sich in den vergangenen Jahrhunderten
einschneidend gewandelt haben. Die historisch kritische Forschung in
der Philologie und die kausale Wirklichkeitsanalyse in den
Naturwissenschaften machen ein unmittelbares natürliches Verständnis
der heiligen Schrift unmöglich.
Bultmann ist nicht der erste, der die Dringlichkeit und Unabweisbarkeit
einer neuen Verständigung über das, was das Wesen der biblischen
Botschaft ausmacht, angemahnt hat (Problem der biblischen
Hermeneutik).
Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er die existenzphilosophische Begrifflichkeit des Marburger Professoren-Kollegen
Martin Heidegger hermeneutisch für die Aktualisierung der biblischen
Botschaft zu nutzen verstand.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Programm der Entmythologisierung
Rudolf Bultmann stellte 1941 in seinem Vortrag „Neues Testament und
Mythologie“ sein Entmythologisierungsprogramm vor. Es ist für ihn die
Voraussetzung dafür, die biblische Botschaft, das Kerygma, in der
Gegenwart adäquat formulieren zu können.
Mythologisch ist eine Vorstellungsweise dann, wenn das göttliche Wirken
in Analogie zu menschlichem Handeln dargestellt wird, auch wenn das
göttliche Handeln die menschlichen Möglichkeiten übersteigt.
Mythologische Vorstellungen im Neuen Testament sind z. B. die Wunder,
die Jungfrauengeburt, die substanzhafte Gottessohnschaft Jesu wie die
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sie formulieren, das leere Grab, die
Sühneopfertheorie, die Himmelfahrt, die apokalyptische Wiederkunft und
das Jüngste Gericht.
Solche mythologischen Vorstellungen bilden oft ein Glaubenshindernis für
den modernen Menschen, der in seinem Alltag ständig von einer
differenten Wirklichkeitserfahrung ausgeht. Nur wenn die mythologischen
Vorstellungen als solche erkannt werden, kann die mythologische Schale
aufgebrochen werden. Dann kommt die eigentliche Botschaft, das
Kerygma, das sich der mythologischen Vorstellung nur bedient, um
formuliert werden zu können, wieder zum Vorschein.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Hinweise zur Edition
Der Beitrag Neues Testament und Mythologie geht zurück auf einen Vortrag,
den Bultmann 1941, also Mitten in der Zeit der Kirchen-Spaltung im
Protestantismus zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, vor der
Gesellschaft für evangelische Theologie, zunächst in Frankfurt/Main, dann in
Alpirsbach gehalten hat. Zusammen mit einem Aufsatz: Die Frage der
natürlichen Offenbarung, in dem er das deutschnationale Sendungsbewusstsein
kritisiert, wurde der Vortrag in den von der bekennenden Kirche
herausgegebenen Reihe: Beiträge zur Evangelischen Theologie im gleichen Jahr
publiziert.
Nach Kriegsende wurde der Beitrag in dem Sammelband Kerygma und Mythos
I, 1948 wieder abgedruckt. Die Diskussion des Programms der
Entmythologisierung hat sich nun international ausgeweitet. Der Sammelband
fand bis 1967 fünf Auflagen.
Eberhard Jüngel hat die ursprüngliche Fassung von 1941 unter
Berücksichtigung späterer Verbesserungen in der gleichen Reihe, in der der
Beitrag ursprünglich erschienen war, als 2. Aufl. 1985 neu herausgebracht.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszüge
Im folgenden sind 6 Ausschnitte zusammengestellt. Die Überschriften
sind frei gewählt. Der Ausschnitt erscheint durch Anklicken.
Zitiert wird nach der von E. Jüngel herausgegebenen 2. Aufl., 1985

1.
2.
3.
4.
5.
6.

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung
Mit- und Ineinander von Mythos und Historie
Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Wirkungsgeschichte
Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat seit den frühen 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland sehr viel Zustimmung
gefunden, aber auch heftigste Kritik hervorgerufen. Von konservativer
Seite wurde ihm vorgeworfen, die Objektivität der Heilstatsachen und
des christlichen Dogmas in subjektive Beliebigkeit aufzulösen.
Hingegen wurde von „links“ kritisiert, das Bultmann im Begriff
Kerygma einem neuen Objektivismus der Heilstatsachen gehuldigt
habe: Die Heilstat Gottes in Christus und die Bindung der
Gotteserfahrung an diese Heilstat, die Bindung an die
Rechtfertigungslehre und an den Dualismus von Gesetz und
Evangelium.
Wenn es gelänge, den Begriff existentiale Interpretation aus seinem
engen, an Heidegger orientierten Bedeutungszusammenhang zu lösen,
so wäre damit ein bis heute zentrales Anliegen biblischer Theologie
formuliert.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Kritische Anmerkung
Die Alternative: Mythologie / modernes Weltbild wird von Bultmann
zu krass akzentuiert, was dazu verleitet, die existenz-philosophische
Nomenklatur essentiell und der geschichtlichen Veränderung enthoben
verstanden wird. Die Einsicht, dass das philosophische Vokabular
wiederum eine zeitbedingte Hülle ist, genauso wie einst der Mythos,
kommt nicht zum Tragen.
Anzustreben wäre eine Entmythologisierung, die die mythologische
Redeweise durchaus beibehält (was ja auch Bultmann ständig macht,
wenn er die Bibel zitiert, vgl. Quellenauszug 3), jedoch
fundamentalistisches Missverständnis des Mythos, das die Bilder zu
Dingen macht, bricht.
Die Bibel sollte wiederum zu dem gemacht werden, was sie
ursprünglich war, ein Stück Literatur, die wie alle gute Literatur
beansprucht, dem Leser eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Mag
diese Botschaft auch in absonderlichen Bildern formuliert sein: es ist
die Botschaft, dass Gott und seinen Nächsten zu lieben, die größte
Glückserfahrung darstellt, die dem Menschen möglich ist.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Biographische Notizen
1884, 20.8 geboren in Wiefelstede
Studium bei Joh.Wilh.Herrmann im Geist des Neukantianismus
1916 Prof. in Breslau
1920 Prof. in Gießen
1921 Prof. in Marburg
1976 gestorben
Hauptwerke:
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1921, 8. Aufl. 1970
Jesus, 1926
Glauben und Verstehen (Ges. Aufs.), 4 Bde., 1933-1965 (in vielen Aufl.)
Das Evangelium des Johannes, 1941, 19. Aufl. 1968.
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949
Theologie des Neuen Testamentes, 1953, 5. Aufl. 1965
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung. Nachdruck der 1941 erschienen Fassung hg. v. Ernst
Jüngel, München 1985 (BEvTh 96).
Literatur
Jaspert, Bernd (Hg.): Bibel und Mythos. Fünfzig Jahre
nach Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm,
Göttingen 1991 (KVR 1560).
Schmithals, Walter: Art. Bultmann, Rudolf (1884-1976), in: TRE 7 (1981), S. 387-396.

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Linkliste
Lexikonartikel:
Dictionary of Modern Western Theology
Encyclopedia Britannica
Bultmann als Paulus Exeget
Texte von Bultmann on-line
Neues Testament und Mythology, engl.
Jesus, 1926 , engl.
Sekundärliteratur
Norman Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus, 1967
David L. Edwards, Rudolf Bultmann: Scholar of Faith, 1976
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Das Problem der Hermeneutik
Das Problem einer biblischen Hermeneutik gibt es, seitdem die jüdischchristliche Überlieferung Eingang im hellenistischen Kulturraum
gefunden hat. Anstoß hat insbesondere der alttestamentliche
Anthropomorphismus erregt. Die klassische Problemlösung war die
Allegorisierung.
Die mit der Allegorisierung und Metaphorisierung biblischer Aussagen
verbundene Unschärfe und Beliebigkeit wurde zum Problem, als die
Reformatoren die Bibel erneut ins Zentrum der theologischen Debatte
rückten und zum Grundstein ihrer Kritik an einer bibelfernen
kirchlichen Autorität machten.
Das zur Absicherung biblischer Autorität entwickelte InspirationsDogma brachte dann den Konflikt zwischen biblischer Autorität und
naturwissenschaftlichem Weltbild, das sich seit dem 17. Jahrhundert
zunehmen durchsetzte, zum Ausbruch. Nahezu jeder Theologe der
Moderne hatte hier in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Martin Heidegger, 1889 – 1976
Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938).
Heideggers Hauptwerk, Sein und Zeit, erschien 1927 (bis 1972: 12
Auflagen). Er versucht darin, eine Fundamentalontologie als
Daseinsanalytik auszuweisen. Sein im eigentlichen Sinne ist das Dasein
der menschlichen Existenz, im Gegensatz des bloßen Vorhandenseins
der Dinge, mit denen es Naturwissenschaft und Technik zu tun haben.
In der Geschäftigkeit des Besorgens verfällt das Selbst dem
uneigentlichen Man des Alltags. Wer hingegen dem Gewissensruf folgt
in seinen Tod vorläuft und dadurch auf sich zukommt, vermag in der
Übernahme von Geschichte, sein eigenes Leben entwerfend, offen für
das Gegenwärtige zu werden. Die Zeitlichkeit, die Einheit von Zukunft,
Gewesenheit und Gegenwart, ist das entscheidende Charakteristikum
des Daseins.
Heidegger war von 1923-1928 Professor in Marburg, an der gleichen
Universität, an der Bultmann seit 1921 Neues Testament lehrte.
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 1:
Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches

Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als
in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über
ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung
Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die
Hölle, der Ort der Qual. ... In das natürliche Geschehen und Denken,
Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte
ein; Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht
mächtig; Dämonen können ihn besitzen; der Satan kann ihm böse
Gedanken eingeben; aber auch Gott kann sein Denken und Wollen
lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein
befehlendes und tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die
übernatürliche Kraft seines Geistes schenken. Die Geschichte läuft nicht
ihren stetigen, gesetzmäßigen Gang, sondern erhält ihre Bewegung und
Richtung durch die übernatürlichen Mächte [S. 12].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 2:
Mythos und moderne Welterfahrung sind unvereinbar

Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der
Geister- und Dämonenglaube. Die Gestirne gelten uns als Weltkörper,
deren Bewegung eine kosmische Gesetzlichkeit regiert; sie sind für uns
keine dämonischen Wesen, die den Menschen in ihren Dienst
versklaven ... [S. 15].
Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in
Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in
Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu
können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung
christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der
Gegenwart unverständlich und unmöglich macht [S. 16].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 3:
Heilsereignis und reformatorische Rechtfertigungslehre

Das in Christus sich ereignende Geschehen ist die Offenbarung der
Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst,
indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe
befreit. ... Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange
Eigenmächtigkeit, so lange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist,
so lange Gott seine Liebe nicht offenbart hat. Christlicher Glaube ist
deshalb Glaube an Christus, weil er der Glaube an die offenbare Liebe
Gottes ist. Nur wer schon geliebt ist, kann lieben; nur wem Vertrauen
geschenkt ist, kann vertrauen; nur wer Hingabe erfahren hat, kann sich
hingeben. „Darin gründet die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühne für unsere
Sünden“ (1. Joh. 4,10). „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1.
Joh. 4,19) [S. 51].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 4:
sola gratia und die Übervernünftigkeit der Offenbarung

Dies also ist das Entscheidende, das das Neue Testament von der
Philosophie, das den christlichen Glauben vom „natürlichen“
Seinsverständnis unterscheidet: das Neue Testament redet und der
christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe,
welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben
des Menschen erst möglich macht [S. 52].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 5:

Mit- und Ineinander von Mythos und Historie

Es ist nun keine Frage, dass das Neue Testament das Christusgeschehen
als ein mythisches Geschehen vorstellt. Aber das ist die Frage, ob es als
mythisches Geschehen vorgestellt werden muss, ... Jesus Christus, als
Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt, ist
zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesus von Nazareth; und
das Schicksal seiner Person ist nicht nur ein mythisches Geschehen [wie
in den anderen hellenistischen Kulten], sondern zugleich ein
Menschenschicksal, das mit der Kreuzigung endigt. Historisches und
Mythisches sind hier eigentümlich verschlungen: der historische Jesus,
dessen Vater und Mutter man kennt (Joh. 6,42), soll zugleich der
präexistente Gottessohn sein, und neben dem historischen Ereignis des
Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist [S.
53].
Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001

Quellenauszug 6:

Mythos und existentieller Bedeutungsgehalt
Neben der Vorstellung von der Auferstehung als der Erhöhung vom
Kreuz oder aus dem Grabe stehen [in der neutestamentlichen
Überlieferung] die Legenden vom leeren Grab und von der
Himmelfahrt.
So wird die Frage dringlich, ob die mythologische Rede nicht einfach
den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und
seiner Geschichte, nämlich ihre Bedeutung als Heilsgestalt und
Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen. Darin hätte sie ihren Sinn,
und ihr objektivierender Vorstellungsgehalt wäre preiszugeben [S. 53f].
... Seine [Jesu von Nazareths] Geschichte, sein Kreuz, ist nicht auf die
historischen Gründe hin zu befragen; die Bedeutung seiner Geschichte
ergibt sich aus dem, was Gott mir durch sie sagen will [S. 54].

Katrin Röhlig: Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie (1941), Duisburg 2001