Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Stiftungsprofessur für Europäische Sicherheitspolitik Endowed Centre for European Security Studies Leitung: Univ.-Prof.

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Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Stiftungsprofessur für Europäische Sicherheitspolitik
Endowed Centre for European Security Studies
Leitung: Univ.-Prof. Dr. Alexander Siedschlag
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Christoph-Probst-Platz, Innrain 52
6020 Innsbruck
http://info.uibk.ac.at
www.european-security.info
Geschichte und State of the Art des Fachgebiets
internationale Politik und Sicherheit:
„Strategie“ als Forschungskonzept
1947 bis heute
Alexander Siedschlag
Version 1.5 / 07. Juni 2006
Der Strategiebegriffe im Kalten Krieg –
Problematisierung
• Landläufiger RC-orientierter Strategiebegriff
• Ermöglicht das Atomzeitalter noch strategische politische
Entscheidungen? (Hans J. Morgenthau: Nein)
• Technikdeterminiertheit der Strategieentwicklung und
Strategieforschung (z.B. Walpuski-Quadrate)
• Trotzdem: Strategie als Politikum bzw. Politisierung der
Strategie (z.B. NATO, Lissaboner Beschlüsse 1952 
gemeinsame politische Planung im Frieden)
• IP vs. Strategic Studies vs. Peace Research
Günther Walpuski: Verteidigung + Entspannung = Sicherheit (2. Aufl., 1975), S. 29
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Generationen von Strategiebegriffen
im Kalten Krieg – Bezugsrahmen
Ein Bezugsrahmen aus der Organisationsforschung
1940er/50er-Jahre: Der individuelle Durchblicker („entrepreneurial mode“)
1960er-Jahre: Long-term goals and course of action (Chandler)
1970er-Jahre: Pattern of objectives and major plans (Andrews)
1980er-Jahre: Pattern in the stream of actions/Teleonomie
(Andrews bzw. Mintzberg/Waters)
1990er-Jahre: Mobilisierung der eigenen Stärken zur zielgerechten
Begegnung von Umweltänderungen (Kreikebaum)
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Generationen von Strategiebegriffen
im Kalten Krieg – Tentative Umsetzung
1940er/50er-Jahre: Der individuelle Durchblicker
•
•
•
•
„Tournament of distinctive knights“ (Nicholas Rengger):
Sicherheitspolitische Strategie als Doktrin; z.B. Truman, Shdanow, Acheson usw.
Ziel: Eskalationsdominanz
Abschreckung erfordert nicht nur „capabilities“, sondern Politik: Sie funktioniert nur,
wenn man deutlich macht, dass nationale Interessen auf dem Spiel stehen (Bernard
Brodie, Strategy in the Missile Age, 1959).
Kritik jedoch schon bei Arnold Wolfers: „Nationale Sicherheit“ wird damit schnell zu
einem Symbol, das weder Richtschnur für politisches Entscheidungshandeln noch
Konzept für wissenschaftliche Analyse sein kann. Sicherheit als „Abwesenheit von
Bedrohungen für erworbene Werte“ soll demgegenüber der erste definitorische Schritt
zu einem analytischen Sicherheitsbegriff sein („‚National Security‘ as an Ambiguous
Symbol“, in: Political Science Quarterly 67 (1952), S. 481-502, dort S. 483).
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Generationen von Strategiebegriffen
im Kalten Krieg – Tentative Umsetzung
1960er-Jahre: Long-term goals and course of action (Chandler)
•
Ära der strategischen Analyse und der zweckrationalen Handlungspläne mit dem Ziel der
Eskalationskontrolle
–
–
–
•
Politik: Wiz Kids
Politikwissenschaft: z.B. Kenneth Waltz, Stability of a Bipolar World (1964)
Strategic Studies: Methodologie zur Aufdeckung ungenutzter antagonistischer Kooperationspotentiale, z.B.
Thomas Schelling/Morton Halperin, Strategy and Arms Control (1961)
Im Laufe der 1960er-Jahre Übergang zum „Informationsmanagement“ und zu
Tit-for-Tat-Strategien
•
•
•
Politik: Krisenkommunikations-Vorrichtungen, blockübergreifende Kommunikation
(z.B. Signal von Reykjavik, Budapester Appell)
Politik-/Sozialwissenschaft: Sozialpsychologische (im Anschluss an Herbert Kelman, International Behavior, 1957) und
kommunikationsorientierte Konfliktforschung und Idee der Konflikttransformation (Handlungsfähigkeit, keine Strukturableitung!)
• Bipolarisierung als semantische Reaktion auf der Grundlage pathologischen Lernens?
• Neue Regelungsmodelle für die Ost-West-Beziehungen, z.B. GRIT (Robert Osgood)
Paradigmenwechsel im Strategiebegriff: Die Absichten des Gegners als neues Objekt strategischen Handelns (Abschreckungstheorien
einer neuen Generation, vgl. flexible response, v.a. Element der Unsicherheit)
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Generationen von Strategiebegriffen
im Kalten Krieg – Tentative Umsetzung
1970er-Jahre: Pattern of objectives and major plans (Andrews)
•
•
•
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•
•
Repolitisierung der Sicherheitspolitik, z.B.:
- Verknüpfung von Verteidigung und Dialog (Harmel, V+E=S)
- Gemeinsame Gestaltungsziele (friedliche Koexistenz, gemeinsame Sicherheit)
- Helsinki-Konferenz und KSZE-Prozess
Postrevisionistische Interpretation der Bipolarisierung – Konflikt als soziales System
Konstellationsanalyse, Perzeption, Synopse
Systemische Theorien und Emergenz, auch:
Lernen und Sozialisation! (vgl. Mintzbergs Strategie-Modell)
Auf der anderen Seite: Sicherheitspolitische Elitenforschung (Strategische Kulturforschung der
1. Generation, Glenn Synder) unter Einschluss nicht nur des kognitiven, sondern auch des
emotionalen Faktor in den Strategiekultur-Begriff
Kritik: „Security politicization“ (Goldmann 1978)  Ausweiten des Sicherheitsbegriffs auf nichtmilitärische Themen.
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Generationen von Strategiebegriffen
im Kalten Krieg – Tentative Umsetzung
1980er-Jahre: Pattern in the stream of actions/Teleonomie (Andrews bzw. Mintzberg/Waters)
•
Politik: Aufbau von Krisenmanagement-Fähigkeiten als Leitziel
(z.B. Londoner Bericht der EG 1981, NATO-Gipfel Bonn 1982)
•
Politikwissenschaft:
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–
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–
Individualisierte Weltbild-Theorien und „operational codes“ (Alexander George)
Kognition und Lernen (Richard Ned Lebow)
Strukturgeschichte (Paul Schroeder)
Kooperationstheorien, z.B. Regimetheorie (Stephen Krasner) und NLI (Robert O. Keohane)
Renaissance der Area- und Policy-Studies, aber: Problem des „propositionalism“
Selbstreflexion
Entspricht dass, was wir in unserer Forschung tun, unserem theoretischen Selbstanspruch?
„International security is not a discipline but a problem“; Plädoyer für Interdisziplinarität:
Joseph Nye/Sean Lynn-Jones: “International Security Studies: A Report of a Conference on the State of the Field”,
International Security, 12 (1988), Nr. 4, pp. 5-27, p. 6)
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Generationen von Strategiebegriffen
im Kalten Krieg – Tentative Umsetzung
1990er-Jahre: Mobilisierung der eigenen Stärken zur zielgerechten
Begegnung von Umweltänderungen (Kreikebaum)
Schwerpunkt auf der Implementierung von strategischen „Vorgaben“, die unterschiedlich abgeleitet sein können, und
prozeduraler Rationalität („post-strategische Sicherheitspolitik“)
1.
2.
Theoretischer Streitpunkt: Wie kann man Wandel erklären – Strukturwandel vs. Bedeutungswandel, analog: Ende der Bipolarisierung oder des
Kalten Kriegs/des Ost-West-Konflikts?
Theoretischer Streitpunkt: Ist Sicherheitspolitik ein eigenes Politikfeld und erfordert deswegen eine genuine (Strategie-Theorie)?
Ja: z.B. Stephen Walt, „The Renaissance of Security Studies“, in: International Studies Quarterly 35 (1991), S. 211-239:
Security Studies als die Untersuchung von Androhung, Einsatz und Kontrolle von Waffengewalt
Nein: z.B. Barry Buzan: People, States and Fear. An Agenda for International Security Studies in the Post-Cold War Era (1991): Sicherheit als
“the ability of states and societies to maintain their independent identity and their functional integrity” (18f.).
„Konstruktivistischer“ Mainstream:
Nicht Gegenstand, sondern Analysemethode und -perspektive machen das Forschungsfeld „Sicherheit“ aus.
2 Musterbeispiele:
•
Strategische Kultur
•
Securitization-Forschung
•
siehe verschiedene Beispiel in Alexander Siedschlag (Hg.): Methoden der sicherheitspolitischen Analyse (2006)
Aber: Unbefriedigendes analytisches Konzept der phänomenologisch-sozialkonstruktivistischen Sicherheitspolitikforschung:
„Sicherheitspolitik betreibt, wer Bedrohungen definiert“ Verlust der Grand-Strategy-Forschungskompetenz
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Generationen von Strategiebegriffen
im Kalten Krieg – Metatheorie
Fazit/Perspektive: Strategie sollte wieder zu einem eigenen Gegenstand (im Gegensatz zu einer
kulturalistischen Hintergrundvariablen) angewandter sicherheitspolitischer Forschung werden.
Um dies zu erreichen, kann man drei metatheoretische Ansätze verfolgen:
Strategie-Metatheorie 1. Ordnung:
Auf welchen (kognitiven) Grundlagen erfolgt die Entwicklung und Umsetzung sicherheitspolitischer
Handlungsrepertories?  Strategische Kulturforschung
Strategie-Metatheorie 2. Ordnung:
Was erklärt, wann und wie etwas zu einem Sicherheitsproblem wird?  Securitization-Forschung
Mangel an Metatheorie 3. Ordnung, z.B.
Wie entwickelt sich eine strategische Kultur?
Wie entwickelt sich ein Securitization-Prozess?
 Sicherheitspolitik als Kulturwandel
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Strategische Kulturforschung –
Leitterminologie
Begriffsverständnis im Sinn von Jeffrey S. Lantis: “Strategic Culture and National Security
Policy”, in: International Studies Review 4 (2002), Nr. 3, S. 87-113.
Strategische Kultur bezieht sich auf für eine bestimmte Gemeinschaft charakteristische
sicherheitspolitische Stile: vor allem die Erfahrungen mit Krieg und Frieden, Vorstellungen von
der Rolle der Streitkräfte bei der Friedenssicherung, bestimmte Weisen der
Bedrohungswahrnehmung, spezielle Feindbilder, Kooperationsmaximen (Multilateralismus,
Unilateralismus usw.) und wissensmäßige bzw. erfahrungsorientierte Grundlagen der
Militärstrategie.
≠ Securitization: Kultur ist nicht das Ergebnis irgendwelcher gerade ablaufender sozialer
Wirklichkeitskonstruktionen, sondern vielmehr die Voraussetzung dafür.Sie ist eine soziale
Tatsache, ein akteurs- und handlungskonstituierendes Element höherer Ordnung, eine fraglos
gegebene Lebenswelt. In diesem Sinn fungiert Kultur als symbolisch vermittelte, überlieferte
Grundlage für das Wissensmanagement einer sozialen Gemeinschaft und die daraus abgeleitete
Einstellung gegenüber der Realität.
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Strategische Kulturforschung –
vier Modelle
Reduktion von
Handlungsalternativen
Elite als Träger der strategischen Kultur
Gesellschaft als Träger der strategischen Kultur
Handlungsrepertoire und Erfahrungswelt
Soziale Grundlage einer Sicherheitsgemeinschaft und ihrer Umweltbeziehungen
Ermöglicht es der Elite, die Umweltkomplexität zu einer stringenten,
Beziehung zwischen Staatengruppen und ihrer Umwelt sowie die Ideen und
überschaubaren Erfahrungswelt reduzieren, Handlungsalternativen zu
Gewohnheiten, die diese Beziehung - auch das Bedrohungsgefühl – bestimmen (
Mehr dazuzwischen
inkl. Literaturnachweise
in:
identifizieren und sinnhafte Entscheidungen
ihnen zu treffen
„Sicherheitsgemeinschaft“)
Erklärt, warum Akteure auf gleiche
internationale
Strukturzwänge„Der ‚kulturelle
Erklärung
gemeinsamer
Alexander
Siedschlag:
Faktor‘
in derInteressen, Handlungsrepertoires, Vorstellungen von
unterschiedlich reagieren: Sie handeln in unterschiedlichen
Sicherheitsbedrohungen usw. nach dem Verlust des gemeinsamen „sichtbaren“ Gegners
in: Reader Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr
Erfahrungswelten und/oder Sicherheitspolitik“,
haben unterschiedliche Handlungsrepertoires
z.B. SNYDER, WELDES 09/2003
vor neuen Herausforderungen. Ergänzungslieferung
z.B. GRAY, JOHNSTON
sowie
Alexander Siedschlag: StrategischeWertsystem
Kulturanalyse.
Deutschland,
zur Konstruktion von Identitäten und Interessen
Frankreich und die Transformation der NATO, in: ders. (Hg.):
Entscheidungsträger reagieren nicht direkt auf Veränderungen in der
Strategieprägende Kraft von Pfadabhängigkeiten im Sinn konstitutive Normen
Methoden der sicherheitspolitischen
Analyse. Ein Lehrbuch.
Umwelt, sondern sie reagieren primär auf die kognitive Repräsentation der
schaffender historischer Kompromisse. Auf daraus abgeleiteten Wertsystemen (z.B.
Umwelt, die im Geiste konstruiert
haben. Sie konstruieren
mithilfe
Sicherheitsideen) basierende
wandeln sich nur langsam. Wenn schnelle
Wiesbaden:
VS Verlag
für Sozialwissenschaften,
2006,Identitäten
S. 21-48.
Wissenssystem zur Wirklichkeitsinterpretation
Amplifikation/
„Konstruktion“ von
Handlungsalternativen
historischer Analogien und Glaubenssätze, um die internationalen
Konsequenzen ihrer Strategien abschätzen zu können.
Erklärt, wie sich Entscheidungsträger ihren Reim auf die Wirklichkeit
machen, und erklärt vor allem den Wandel von Sicherheitspolitik im Sinn
einer kognitiven Evolution: Entscheidungsträger lernen, sich andere
Interpretationsmöglichkeiten der Wirklichkeit anzueignen. Krisen und
Konflikte sind dann vor allem eine kognitive Herausforderung für die Staaten.
Reaktion erforderlich ist, werden eher neue, zusätzliche Identitäten entwickelt als
vorhandene verändert, oder aber die Wirklichkeit wird so interpretiert, dass sie zu den
vorhandenen Werten und Identitäten passt.
Erklärung von Sicherheitsinteressen als kollektiven Situationsbeschreibungen und dem
Ausschluss alternativer Wirklichkeitsrepräsentationen. Erklärung nationaler
sicherheitspolitischer „Macht“ als die Macht sozialer Praktiken und
Identitätsvorstellungen, als das Vermögen, innerhalb einer sozialen Struktur
intersubjektive Bedeutungsmuster herzustellen
z.B. DUFFIELD, VERTZBERGER
z.B. KATZENSTEIN, FINNEMORE
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Securitization
(Kopenhagener Schule)
These: Was wir als Sicherheitsprobleme und Sicherheitspolitik erkennen können, ergibt sich nicht aus
feststellbaren Bedrohungsmustern, sondern aus gesellschaftlichen Praktiken eines Sprechens über
„Sicherheit“, das eigene sicherheitspolitische Wirklichkeiten schafft (z.B. Barry Buzan/Ole Wæver/Jaap
de Wilde: Security. A New Framework for Analysis, 1998).
Beispiel: Gleichgültig, ob es im Irak Massenvernichtungswaffen gab oder nicht: Wenn darüber gesprochen wird
und diese Rede sozial relevante Konsequenzen hat, dann waren die – wenn auch möglicherweise nur sprachlich
konstruierten – irakischen Massenvernichtungswaffen ein realistisches Sicherheitsproblem.
•
•
•
•
Sicherheit als soziales Konstrukt – objektive Bedrohungen existieren nicht, sondern lediglich Versuche,
bestimmte Themen mit Sicherheitsimplikationen zu versehen  Jeder, der ein Thema als Sicherheitsproblem
einstuft, trifft damit eher eine politische als eine analytische Entscheidung.
Securitization als Strategie: Problemlösung besser durch „panic politics“ oder durch „normal politics“ möglich?
Rolle der Wissenschaft muss also sein: Nicht Beobachten von Bedrohungen, sondern entscheiden,
WIE, VON WEM, UNTER WELCHEN UMSTÄNDEN und MIT WELCHEN KONSEQUENZEN manche
Themen als existentielle Bedrohung klassifiziert werden, andere aber nicht.
Problem: Eine auf den Umgang mit existenziellen Bedrohungen ausgerichtete Denkweise zieht auch in andere
– z.T. sensible – Themengebiete ein, z.B. Migration, Umwelt, Kultur/Zivilisation
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Einordnung in den Bezugsrahmen
Metatheorien/Epistemologien IP
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Leitdifferenzen im Strategiebegriff
nach Epistemologien (Ausblick)
Rationalismus
Konstruktivismus
Strategie als Handlungsplan oder Ergebnis
(Logik der Konsequenzialität)
Strategie als Prozess der Umsetzung eines Planes
(„agency“, Logik der Angemessenheit)
Strategie als Bestimmung von Zielen
Strategie als Bestimmung von (pfadabhängigen)
Grundrichtungen und Wegen der Zielerreichung (z.B.
analog Swidlers „culture in action“)
Strategie als geplantes oder tatsächlich realisiertes Muster grundlegender Entscheidungen/Handlungen?
z.B. Waltz (Emergenz)
z.B. Wendt (soziale Orientierungsstrukturen)
vs. Grieco (opportunity structure)
vs. Bigo (Handlungsrepertorie)
Strategie eher als gesatztes Konzept
Strategie eher als (kommuniziertes) Vorstellungsbild
Wissenschaftlicher Strategiebegriff eher präskriptiv (vgl.
klassisch Hans J. Morgenthaus „lesser evil“)
Wissenschaftlicher Strategiebegriff eher deskriptiv (vgl.
Chiltons „security metaphors“ oder Cambells „writing
security“)
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Fazit: State of the Art Perspectives
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Security Studies vs. Peace Research?
Renaissance der an Großtheorien orientierten Forschung (z.B. Kolodziej 2005; Sheehan 2005)
Konflikttransformation (Lederach 1995; Miall 2004), Transformation of the Military, NATO/Prag (2002) usw.
 Sicherheit als Prozess!
Sicherheitsbegriffe und „Ansatzhöhen“ von Strategieforschung
– „Regionalization“ – each world region has its self-referential security problems and definition of the
term „security“
– „World Security“ – safeguarding world interests, plurality of actors, idea of comprehensive security
– „National Security“ – a state is forced by systemic pressure to protect, if not improve its international
„position“
– „Securitization“ – Security is neither a political aim, nor a response to objectively ascertanable threats
but a discourse-based social construction by way of speech acts
Weiterführung des Konzepts „gemeinsame Sicherheit“, wonach die eigene Sicherheit nur durch Mitdenken
des Gegners oder des „Anderen“ erreicht werden kann, durch die feministische Forschung: Sicherhiets- und
Strategieverständnis, das einerseits alle am Aufbau gesamtgesellschaftlich relevanter Sicherheitsinstitutionen
Beteiligten einschließt und andererseits nicht nur auf die Sicherheitsbedürfnisse der eigenen Gruppe, sondern
auch auf die Sicherheitsbedürfnisse der „anderen“ eingeht (z.B. Tickner 1995). Praxisrelevanz: vgl.
„comprehensiveness“ und „ownership“-Konzept im EU-Krisenmanagement
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Fazit: State of the Art Perspectives
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Problem for applied research: How can we develop and apply criteria for „prudent“
politics if the conceptual extension of „security“ becomes endless?
Lösungsvorschlag: „For post-positivist approaches, it is not possible to examine
‚security‘ without first examining the ‚state‘. The state is certainly problematic. It is a
social construction; it was not inevitable that humanity be organized politically in this
way, nor must it always be organized in this way. This has implications for our
understanding of security, for ‚the meaning of security is tied to specific forms of political
community‘“ (Terriff u.a. 1999: 102)
•
„Politics of strategic adjustment“ (Trubowitz/Goldman/Rhodes 1999)
•
Neben der Großtheorien-Renaissance auch Hinwendung weg vom „Paradigmatismus“
und hin zur Methodenentwicklung (Siedschlag 2006)
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Literatur zum State of the Art
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Kolodziej, Edward A. (2005): Security and International Relations. Cambridge u.a.: Cambridge
University Press.
Lederach, John Paul (1995): Preparing for Peace: Conflict Transformation Across Cultures. New
York: Syracuse University Press.
Miall, Hugh (2004): „Conflict Transformation: A Multi-Dimensional Task“, in: Berghof Handbook of
Conflict Transformation, Online-Ausgabe.
Sheehan, Michael (2005): International Security. An Analytical Survey. Boulder, CO u.a.: Rienner.
Siedschlag, Alexander (Hg., 2006): Methoden der sicherheitspolitischen Analyse. Eine
Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Terriff, Terry/Stuart Croft/Lucy James/Patrick M. Morgan (1999): Security Studies Today.
Cambridge: Polity.
Tickner, Ann (1995): „Re-visioning Security“, in: Kenn Booth/Smith, Steve (Hg.): International
Relations Theory Today. Cambridge: Polity Press, S. 175-197.
Trubowitz, Peter/Emily O. Goldman/Edward Rhodes (Hg., 1999): The Politics of Strategic
Adjustment: Ideas, Institutions, and Interests. New York: Columbia University Press.
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