Eigentümer Besitzer Verhältnis

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Transcript Eigentümer Besitzer Verhältnis

WuV-Kurs Sachen- und
Zivilprozessrecht, 06.05.2014
PD Dr. Sebastian A.E. Martens, M.Jur. (Oxon.)
§ 3 Eigentum und Eigentumsschutz
IV. Das Eigentümer-Besitzerverhältnis (EBV)
1. Grundlagen
• Die Eigentümer- und Besitzerstellung können über
einen längeren Zeitraum auseinanderfallen.
• Wenn Eigentümer und Besitzer dies wollen, können sie
ihre Rechte und Pflichten vertraglich regeln.
• Wenn Besitzer und Eigentümer ihr Verhältnis nicht
vertraglich ausgestaltet haben, muss das Gesetz eine
Lösung bereitstellen.
• Die §§ 987 ff. BGB enthalten ein gesetzliches
Schuldverhältnis, das die gegenseitigen Ansprüche von
Besitzer und Eigentümer regelt, wenn eine
Vindikationslage vorliegt, dh. ein Anspruch nach
§ 985 BGB besteht.
• Ohne die §§ 987 ff. BGB würden die allgemeinen
Regeln eingreifen, dh. das allgemeine Delikts- und
Bereicherungsrecht.
• Der Besitzer würde für jede fahrlässige
Eigentumsverletzung nach § 823 BGB haften.
• Der Besitzer müsste alles auf Kosten des Eigentümers Erlangte nach § 812 BGB herausgeben.
• Der Eigentümer müsste für alle Verwendungen,
durch die er bereichert ist, Wertersatz nach
§§ 812 ff. BGB leisten.
• Die §§ 987 ff. BGB enthalten demgegenüber
spezielle, differenzierende Sonderregeln.
• Vor allem der redliche, unverklagte Besitzer soll
besser gestellt werden als nach allgemeinen Regeln.
Beispiel:
K hat sich ein Fahrrad von D gekauft, der ihm ganz
seriös vorkam. K wusste nicht, dass D in Wahrheit ein
berufsmäßiger Dieb und das Fahrrad von E gestohlen
war. K nutzt das Fahrrad in der Folgezeit, bis er eines
Nachts betrunken mit ihm in die Donau fährt. Er selbst
kann sich an Land retten, das Fahrrad aber verschwindet im Fluss. E hatte indes gerade von einem Freund
erfahren, dass der K mit seinem Rad unterwegs sei. Er
verlangt nun Schadensersatz von K. Zurecht?
• Nach § 823 Abs. 1 BGB wäre K dem E eigentlich zum
Schadensersatz verpflichtet.
• § 993 Abs. 1 BGB sperrt aber den Rückgriff auf das
Deliktsrecht, soweit nicht die §§ 987 ff. BGB greifen.
Überblick über die §§ 987 ff. BGB:
• Ansprüche des Eigentümers
– auf Schadensersatz: §§ 989 bis 993 BGB
– auf Herausgabe von Nutzungen: §§ 987,
988, 990 bis 993 BGB
• Ansprüche des Besitzers auf Ersatz von
Verwendungen, d.h. Aufwendungen auf die
Sache: §§ 994 bis 996 BGB
• Regeln zur Abwicklung eines EBV: §§ 997 bis
1003 BGB
Voraussetzung für die Anwendbarkeit der
§§ 987 ff. BGB ist grundsätzlich das Bestehen einer
Vindikationslage (Anspruch des Eigentümers nach
§ 985 BGB) im Zeitpunkt des jeweiligen
anspruchsbegründenden Ereignisses.
• Über Verweise finden die §§ 987 ff. BGB aber
auch sonst noch vielfach Anwendung:
– § 292 BGB (Haftung ab Rechtshängigkeit bei
Herausgabepflicht)
–
–
–
–
§ 1007 III 2 BGB
§ 1065 BGB (Nießbrauch)
§ 1227 BGB (Pfandrecht)
Nach h.M. analog bei §§ 894 und 1004 BGB;
umstritten ist die Analogie bei § 888 BGB.
2. Eine Vindikationslage, d.h. ein Herausgabeanspruch
nach § 985 BGB, setzt voraus:
• Eigentümerstellung einer Partei;
• Besitzerstellung einer anderen Partei;
• Kein Recht zum Besitz des Besitzers nach § 986 BGB.
Beispiel:
K hat sich ein Fahrrad von E gekauft. Er hat auch schon den
Kaufpreis bezahlt, aber E möchte das Fahrrad jetzt doch
lieber behalten und verweigert dem K die Herausgabe und
Übereignung. Kurz entschlossen holt K sich das Rad selbst
aus dem unverschlossenen Keller des E. Betrunken fährt er
noch an demselben Abend in die Donau. E ist empört und
verlangt Schadensersatz für das untergegangene Rad von
K. Zurecht?
Recht zum
Besitz
Originäres Recht
zum Besitz
Dingliche Rechte
(§ 986 Abs.1 S. 1
Fall 1 BGB)
Abgeleitetes
Recht zum Besitz
Obligatorische
Rechte
Gegenüber dem
Eigentümer
(§ 986 Abs.1 S. 1 Fall
1 BGB)
Befugte
Besitzüberlassung
(§ 986 Abs. 1 S.1
Fall 2 BGB)
Gegenüber dem
Voreigentümer
(§ 986 Abs. 2 BGB)
Unbefugte
Besitzüberlassung
(§ 986 Abs. 1
S. 2 BGB)
Die Anwendbarkeit der §§ 987 ff. BGB wird auch in
einigen besonderen Spezialfällen diskutiert:
i. Der „nicht-so-berechtigte“ Besitzer
Beispiel:
S ist Mieter einer Wohnung des V. Da es ihm im Winter
zu kalt ist, zündet er sich ein kleines Lagerfeuer in
seinem Zimmer an. Leider wird es so nicht nur warm,
sondern es entsteht auch ein Schaden an dem
Parkettfußboden in Höhe von 2000 Euro. Welche
Ansprüche hat V gegen S?
• Zwar kein Recht zu dieser Besitzausübung.
• Nach h.M. genügt aber ein allgemeines Recht
zum Besitz, um §§ 987 ff. BGB auszuschließen.
• Die vertraglichen Regelungen haben Vorrang!
ii. Der „nicht-mehr-berechtigte“ Besitzer
Beispiel (nach BGHZ 34, 122):
B kaufte von V einen Kleinbus. V übereignete den Kleinbus aufschiebend bedingt durch die vollständige Kaufpreiszahlung. B nutzte in der Folgezeit den Kleinbus, bis
eine Reparatur notwendig wurde, die er von U mit Einverständnis des V ausführen ließ. Als der U mit seiner
Arbeit fertig war, hielt B die Reparaturkosten jedoch für
zu teuer. Er wollte nun lieber nichts mehr mit dem
Wagen zu tun haben und bezahlte weder U noch V. V
trat deshalb von dem Kaufvertrag mit B zurück und
verlangt nun den Wagen von U heraus. Dieser erhebt
die Einrede aus § 1000 BGB, die er auf einen Verwendungsersatzanspruch aus § 994 I stützt. Zurecht?
3. Schadensersatzansprüche des Eigentümers
nach §§ 989, 990 BGB
(1) Vindikationslage
(2) Verschlechterung oder Untergang der Sache oder
sonstige Unmöglichkeit der Herausgabe
(3) Zu einem Zeitpunkt nach
– Rechtshängigkeit des Herausgabeanspruchs
(§ 989 BGB), oder
– Bösgläubigem Besitzerwerb (§ 990 Abs. 1 S. 1 BGB),
oder
– Kenntniserlangung vom fehlenden Besitzrecht
(§ 990 Abs. 1 S. 2 BGB)
(4) Verschulden
(5) Schaden
a. Gegen den verklagten Besitzer (§ 989 BGB)
Beispiel:
S hat sich von dem seriös erscheinenden Händler H
gerade eine schöne Uhr gekauft, die er stolz
herumzeigt. Auch der E erfährt davon und erkennt,
dass es sich bei der Uhr um ein altes Familienerbstück
handelt, das ihm kürzlich gestohlen worden ist. Er
wendet sich an S, der ihm aber nicht glaubt und die Uhr
nicht herausgeben will. H verklagt S auf Herausgabe,
die Klage wird S auch zugestellt. Einen Tag später
verlegt S die Uhr irgendwo und kann sie nicht mehr
wiederfinden. E verlangt nun Schadensersatz in Höhe
von 2000 Euro als Wert der Uhr und zudem 20 Euro, die
er durch eine Vermietung der Uhr an seinen Freund F
hätte erzielen können. Wie ist die Rechtslage?
b. Gegen den unredlichen Besitzer (§§ 990 Abs. 1,
989 BGB)
• Bei Besitzerwerb genügt Bösgläubigkeit iSd § 932
Abs. 2 BGB, danach nur noch positive Kenntnis!
Beispiel: S ist auf der Suche nach einem Pkw bei D
fündig geworden, der einen fast neuen Golf zu einem
äußerst günstigen Preis anbietet. Zwar kann D keinen
Kfz-Brief vorlegen, aber S kauft den Golf trotzdem und
fährt los. Er kommt aber nicht weit, weil er aus Freude
über den günstigen Kauf zu schnell fährt und einen
Unfall verursacht, bei dem ein Schaden in Höhe von
5000 Euro an dem Golf entsteht. E, dem der Golf von D
gestohlen worden war, erfährt hiervon und verlangt
Schadensersatz von S. Zurecht?
Sonderprobleme
i. Zurechnung von Gehilfen: § 166 BGB, § 278 BGB
oder § 831 BGB?
Beispiel:
Der sonst stets zuverlässige Außendienstmitarbeiter
A kauft von D einen Gebrauchtwagen für das
Unternehmen des U, obwohl der D ihm keinen
Fahrzeugbrief vorweisen konnte. D hatte den
Wagen nämlich dem E gestohlen. Ein paar Tage
später verursacht A einen Unfall, bei dem der
Wagen zerstört wird. E verlangt nun Schadensersatz
von U. Zurecht?
• Nach BGH soll Gehilfenwissen bei der Prüfung
der Redlichkeit analog § 166 BGB zugerechnet
werden.
• Gegenmeinung sieht die §§ 987ff. BGB als
Sonderdeliktsrecht an und will § 831 BGB analog
anwenden.
• Sinnvoll zu differenzieren: Bei
rechtsgeschäftlichem Besitzerwerb § 166 BGB,
sonst § 831 BGB analog.
• Verschulden eines Gehilfen bei bereits
bestehender Vindikationslage wird nach § 278
BGB zugrechnet, weil hier ein gesetzliches
Schuldverhältnis schon existiert.
ii. Unredlichkeit bei Minderjährigen
Beispiel:
Der 16jährige K kauft ohne Wissen seiner Eltern bei H
ein neues iPhone zu einem sehr günstigen Preis,
obwohl er weiß, dass H auch mit gestohlenen Waren
handelt. Tatsächlich ist auch das iPhone Hehlerware
und gehört in Wirklichkeit dem E. Bei einem von K
fahrlässig verursachten Gerangel wird das Handy am
nächsten Tag zerstört. E verlangt von K Schadensersatz.
Zurecht?
Differenziere:
• Bei rechtsgeschäftlichem Besitzerwerb §§ 104ff. BGB
• Bei sonstigem Besitzerwerb § 828 I, II BGB
iii. Erbenbesitz
Beispiel: Als der reiche R stirbt, hinterlässt er seinem
Erben E eine wertvolle Gemäldesammlung. Der E ahnt
nicht, dass R sich die Sammlung über Jahre aus Museen
zusammengestohlen hat. E will die Bilder bei sich zuhause aufhängen. Beim Transport beschädigt er fahrlässig ein Bild des Museums M. Als E seine neue Sammlung präsentiert, wird einer der Gäste stutzig und bei
Nachforschungen stellt sich alles heraus. M verlangt
nun Schadensersatz für sein Bild von E. Zurecht?
• Nach § 857 BGB rückt der Erbe in die Besitzstellung
des Erblassers ein, einschließlich dessen Redlichkeit.
• M.M. will § 990 I 1 BGB bei Erlangung der
tatsächlichen Gewalt durch den Erben anwenden.
iv. Verschärfte Haftung nach § 990 Abs. 2 BGB
• Entgangener Gewinn des Eigentümers ist nach
§§ 989, 990 BGB grundsätzlich nicht zu ersetzen.
• § 990 Abs. 2 BGB lässt aber eine weitergehende
Haftung des Besitzers im Verzug unberührt.
Beispiel: K hat einen dem E gestohlenen Pkw von D
ohne Papiere erworben. E erfährt hiervon und verlangt den Wagen von K heraus, der dies aber ernsthaft und endgültig verweigert. Am nächsten Tag wird
der Pkw bei einem fahrlässig von K verursachten
Unfall zerstört. E verlangt Schadensersatz für das
Auto sowie 100 Euro, die er durch eine Vermietung
des Wagens in der Zwischenzeit hätte verdienen
können. Welche Ansprüche hat E gegen K?
v. Verhältnis zum Deliktsrecht
Beispiel:
Wie im vorigen Beispiel hat K einen dem E
gestohlenen Pkw von D ohne Papiere erworben. Der
Wagen wird bei einem von K verschuldeten Unfall
zerstört. E erfährt diesmal von allem erst nach dem
Unfall. Er hätte das Auto aber wie zuvor in der
Zwischenzeit für 100 Euro vermieten können. E
verlangt nun Schadensersatz für den Pkw sowie
seinen entgangenen Gewinn. Zurecht?
• Nach h.M. sperrt § 993 Abs. 1 BGB den Rückgriff
auf das Deliktsrecht auch hinsichtlich § 252 BGB.
• M.M. meint aber (contra legem), dass der unredliche Besitzer keine Privilegierung verdiene.
c. Gegen den deliktischen Besitzer (§ 992 BGB)
• § 992 BGB enthält eine Rechtsgrundverweisung in
das Deliktsrecht bei Besitzerwerb durch Straftat
oder verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB).
Beispiel:
Der R liebt die Kunst, aber er kann sie nicht bezahlen.
Deshalb stiehlt er sich eine kleine feine Sammlung
zusammen. Leider verbrennt die Sammlung, als ein
Blitz in das Haus des R einschlägt. Welche Ansprüche
haben die Eigentümer der verbrannten
Kunstgegenstände gegen R?
• Im Fall des § 992 BGB haftet der Besitzer auch für
den zufälligen Untergang (§ 848 BGB) und
entgangenen Gewinn (§§ 823, 252 BGB).
d. Haftung im sogenannten Fremdbesitzerexzess
§ 991 Haftung des Besitzmittlers
[…] (2) War der Besitzer bei dem Erwerb des Besitzes in
gutem Glauben, so hat er gleichwohl von dem Erwerb
an den im § 989 bezeichneten Schaden dem Eigentümer gegenüber insoweit zu vertreten, als er dem
mittelbaren Besitzer verantwortlich ist.
• § 991 Abs. 2 BGB schränkt den Schutz des
redlichen unverklagten Besitzers ein, wenn
dieser (vertraglich) zur Sorgfalt verpflichtet war.
• Wenn der Besitzer bestimmte Sorgfaltsmaßstäbe einhalten musste, so soll er zumindest in
diesem Rahmen auch gegenüber dem Eigentümer haften.
Beispiel 1:
S leiht sich bei seinem guten Kumpel K dessen Auto
für das Wochenende. Leider wird der Wagen zerstört,
als S nach einer Party betrunken gegen einen Baum
fährt. S wusste nicht, dass sein Kumpel K tatsächlich
ein Autoknacker ist und das Auto von E gestohlen
hatte. E verlangt nun Schadensersatz für seinen
zerstörten Wagen von S. Zurecht?
Beispiel 2:
V vermietete einen Pkw des E in dessen Namen an den
gutgläubigen K, ohne dazu bevollmächtigt zu sein. Bei
einem fahrlässig von K verursachten Unfall wurde der
Wagen des E beschädigt. E verlangt nun Schadensersatz in Höhe von 4000 Euro von K. Zurecht?
4. Ansprüche des Eigentümers auf Herausgabe der
Nutzungen
• Der Eigentümer kann auch ein Interesse daran
haben, die Nutzungen zu erhalten, die der Besitzer
gezogen hat oder die er selbst gezogen hätte.
• § 100 BGB definiert Nutzungen als Früchte und
Gebrauchsvorteile einer Sache.
• Die §§ 987 ff. BGB regeln differenziert welcher
Besitzer unter welchen Umständen welche
Nutzungen an den Eigentümer herausgeben muss.
a. Gegen den verklagten Besitzer (§ 987 BGB)
Nach Rechtshängigkeit muss der verklagte Besitzer
alle Nutzungen herausgeben,
• die er zieht (§ 987 Abs. 1 BGB).
• die er entgegen den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft schuldhaft nicht zieht
(§ 987 Abs. 2 BGB).
Beispiel:
A ist Besitzer einer Kuh des E, der ihn auf Herausgabe der Kuh verklagt hat. Die Klage wurde dem A
am 3.11. zugestellt. Am 6.11. hat die Kuh ein Kalb
geworfen. Hat E einen Anspruch auf Herausgabe
des Kalbs gegen A?
b. Gegen den unredlichen Besitzer (§§ 990 Abs. 1,
987 BGB)
• § 990 BGB ordnet auch hinsichtlich der Nutzungen
für den unredlichen Besitzer dieselbe Haftung an
wie für den verklagten Besitzer.
Beispiel (nach BGH NJW-RR 2005, 1542):
U war Untermieterin in einem Einkaufszentrum, das
dem E gehörte. Einige Räume nutzte U selbst, einige
standen leer, einige waren weiter untervermietet. Da
der Hauptmietvertrag zu. 31.12.2000 auslaufen sollte,
verhandelten U und E über einen zwischen ihnen zu
schließenden Mietvertrag. Es kam aber zu keiner
Einigung. U gab die Räume nicht an E heraus. E verlangt den marktüblichen Mietzins von U. Zurecht?
§ 991 Haftung des Besitzmittlers
(1) Leitet der Besitzer das Recht zum Besitz von einem
mittelbaren Besitzer ab, so findet die Vorschrift des § 990
in Ansehung der Nutzungen nur Anwendung, wenn die
Voraussetzungen des § 990 auch bei dem mittelbaren
Besitzer vorliegen oder diesem gegenüber die
Rechtshängigkeit eingetreten ist. […]
• Ein unredlicher Besitzer ist ausnahmsweise dann
nicht zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet,
wenn der mittelbare Besitzer, von dem er sein
Besitzrecht ableitet, selbst nicht haftet.
• Ohne die Privilegierung des § 991 Abs. 1 BGB müsste
zwar der unredliche Besitzer die Nutzungen
herausgeben, könnte sich aber seinerseits an den
mittelbaren Besitzer halten.
• Im Ergebnis würde also der mittelbare Besitzer
zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet sein,
obwohl er nach den §§ 987 ff. BGB eigentlich nicht
haften soll.
Beispiel:
S ist Inhaber eines Fahrradverleihs. Zur Ergänzung
seines Bestands kauft er gutgläubig ein Fahrrad von
D, das dieser allerdings dem E gestohlen hatte. Als S
das neuerworbene Rad an den M vermietet, erkennt
dieser zwar, dass es sich um das alte Rad des E
handelt, nimmt es aber trotzdem entgegen und
nutzt es fortan, bis E ihn schließlich entdeckt und das
Fahrrad sowie den Wert der von M gezogenen
Gebrauchsvorteile herausverlangt. Zurecht?
c. Der deliktische oder eigenmächtige Besitzer haftet
dem Eigentümer auf Nutzungen:
• nach §§ 992, 823 I, 252 BGB wegen entgangenen
Gewinns des Eigentümers;
• nach §§ 990 I, 987 I und II BGB auf gezogene oder
schuldhaft nicht gezogene Nutzungen;
• ggf. auch nach §§ 990 II, 286 BGB.
Beispiel 1: Autoknacker A entdeckt den neuen Wagen
des E und nimmt ihn schnell an sich. Er vermietet den
Wagen dann an den M und erzielt so Mieteinnahmen
in Höhe von 400 Euro, bis er entdeckt wird. E hätte den
Wagen selber in der Zwischenzeit vermieten und
dadurch 600 Euro einnehmen können.
Welche Ansprüche hat E gegen A?
Beispiel 2: Der zerstreute Z nimmt nach einem
Restaurantbesuch versehentlich den Schirm des E mit,
obwohl man den Unterschied bei gebotener Sorgfalt
hätte erkennen müssen. Als Z samt dem Schirm in seinem
Büro angekommen ist, beginnt es in Strömen zu gießen.
Der aufgeregte A bietet Z zehn Euro, wenn dieser ihm den
Schirm für den Nachmittag überlässt, was dieser auch tut.
Bei einer kräftigen Böh geht der Schirm dann aber kaputt.
Welche Ansprüche hat E gegen Z?
• Nach dem Wortlaut des § 992 BGB braucht die
verbotene Eigenmacht nicht schuldhaft zu sein.
• Da § 992 BGB aber einen Rechtsgrundverweis auf
die §§ 823ff. BGB enthält, kommt es im Ergebnis
nicht darauf an, ob auch bei § 992 BGB ein
Verschulden vorliegen muss.
d. Haftung des unentgeltlichen Besitzers
§ 988 Nutzungen des unentgeltlichen Besitzers
Hat ein Besitzer, der die Sache als ihm gehörig oder zum
Zwecke der Ausübung eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Nutzungsrechts an der Sache besitzt, den
Besitz unentgeltlich erlangt, so ist er dem Eigentümer
gegenüber zur Herausgabe der Nutzungen, die er vor dem
Eintritt der Rechtshängigkeit zieht, nach den Vorschriften
über die Herausgabe einer ungerechtfertigten
Bereicherung verpflichtet.
• Wer kein finanzielles Opfer erbracht hat, soll auch
etwaige Nutzungen nicht endgültig behalten.
• Der unentgeltliche Besitzer muss Nutzungen
deshalb nach Bereicherungsrecht (Rechtsfolgenverweis!) herausgeben.
Beispiel:
Der Hühnerdieb D war in letzter Zeit zu erfolgreich, und
hat mehr Hühner gestohlen, als er verbrauchen oder
unterbringen kann. Er verleiht deshalb fünf Hühner, die
er dem E gestohlen hatte, an den nichtsahnenden F. Bei
F legen die Hühner auch fleißig Eier, bis E von allem
erfährt und nun seine Hühner sowie die gelegten Eier
heraus verlangt. Zurecht?
• Der unentgeltliche Besitzer erwirbt zwar häufig nach
den §§ 953 ff. BGB Eigentum an den Früchten der
Sache.
• § 988 BGB korrigiert die Rechtslage aber durch
schuldrechtliche Herausgabeansprüche.
• Umstritten ist die Anwendbarkeit des § 988 BGB bei
nichtigen Verträgen.
Beispiel:
S hat sich ein Auto von dem unerkannt geistes-kranken G
gekauft. Das Auto gehörte indes dem E, dem es gestohlen
worden war. S nutzt den Wagen nicht selber, sondern
vermietet ihn an seine Freunde. So nimmt S 1000 Euro ein,
bis E von allem erfährt und seinen Pkw sowie die
Mieteinnahmen von S herausverlangt. Zurecht?
• S ist G nicht vertraglich zur Zahlung verpflichtet.
• Nach h.M. genügt aber ein Besitzerwerb auf Grund
eines vermeintlich wirksamen entgeltlichen Vertrags.
• Die Rückabwicklung soll in den Vertragsverhältnissen
geschehen!
• Ein redlicher unverklagter entgeltlicher Besitzer
braucht grundsätzlich keine Nutzungen herauszugeben.
• Nur sog. Übermaßfrüchte müssen gemäß § 993
Abs. 1 Halbs. 1 BGB nach Bereicherungsrecht
(Rechtsfolgenverweis!) herausgegeben werden.
Beispiel:
K kauft von der unerkannt geisteskranken G, die aus
einem altem russischen Adelsgeschlecht stammt,
ein Grundstück mit einem Kirschgarten darauf.
Während G den Kirschgarten liebte, sieht K in den
Bäumen nur wertvolles Holz. Er lässt sie deshalb
alle fällen und veräußert sie. Welche Ansprüche hat
G gegen K wegen der Bäume?
6. Ansprüche des Besitzers auf Ersatz von
Verwendungen
• Der Besitzer hat häufig Geld in die Sache investiert,
um sie zu erhalten oder nach seinen Vorstellungen
umzugestalten.
• Der Besitzer möchte solche Verwendungen
regelmäßig ersetzt bekommen.
Verwendungen sind Vermögensaufwendungen, die
(zumindest auch) der Sache, auf die sie gemacht werden, zugute kommen, indem sie ihrer Wiederherstellung, Erhaltung oder Verbesserung dienen.
• Die §§ 994 ff. BGB enthalten eine vom Bereicherungsrecht abweichende, stark differenzierende
Regelung des Verwendungsersatzes.
• Die §§ 994ff. BGB unterscheiden zum Einen nach
der Art des Besitzers (wie bei Nutzungen und
Schadensersatz) und zum Anderen nach der Art der
Verwendungen.
Unterscheide: Notwendige und nützliche Verwendungen!
• Notwendige Verwendungen können unter den
Voraussetzungen der §§ 994, 995 BGB ersetzt
verlangt werden.
Notwendig ist eine Verwendung, wenn sie zur
Erhaltung oder ordnungsgemäßen Bewirtschaftung
der Sache nach objektiven Maßstäben zur Zeit der
Vornahme erforderlich ist (vgl. BGH NJW 1996, 921).
• Alle anderen Verwendungen sind (allenfalls)
nützlich und ggf. nach § 996 BGB zu ersetzen.
a. Ersatz notwendiger Verwendungen
i. Redlicher unverklagter Besitzer (§ 994 Abs. 1 BGB)
Grundidee: Soweit den Verwendungen nicht als
Vorteile Nutzungen gegenüberstehen, die der redliche
unverklagte Besitzer behalten darf, soll er alle
notwendigen Verwendungen ersetzt bekommen.
Beispiel 1:
K hat gutgläubig ein gestohlenes Pferd von D gekauft. Er
nutzt es indes nicht selber, sondern schenkt es seiner
Tochter T. Auch T kümmert sich gut um das Pferd und
füttert es ordentlich. Ihr entstehen dabei Kosten von 200
Euro, bis der Eigentümer E des Pferds von allem erfährt und
es von T herausverlangt. Welche Ansprüche haben E und T
gegeneinander?
• Von den „gewöhnlichen Erhaltungskosten“ iSd
§ 994 I 2 BGB sind außergewöhnliche Erhaltungskosten zu unterscheiden, denen keine Nutzungsvorteile korrespondieren und die stets zu ersetzen sind.
Beispiel 2:
Diesmal hat der gutgläubige K hat ein Sportboot von D
gekauft, das dieser dem E gestohlen hatte. K nimmt
dringend erforderliche Reparaturen an dem Boot vor. E ist
davon aber wenig angetan, als er sein Boot im Hafen
zufällig wiederentdeckt. Er hatte das Boot eigentlich nur
noch selbst zum Basteln verwenden wollen. Kann K die
Reparaturkosten dennoch von E ersetzt verlangen?
• Die Notwendigkeit der Verwendungen iSd § 994 I
BGB beurteilt sich nach h.M. aus Sicht des Besitzers,
nicht aus der des Eigentümers.
ii. Unredlicher oder verklagter Besitzer
§ 994 BGB […] (2) Macht der Besitzer nach dem
Eintritt der Rechtshängigkeit oder nach dem Beginn
der in § 990 bestimmten Haftung notwendige
Verwendungen, so bestimmt sich die Ersatzpflicht
des Eigentümers nach den Vorschriften über die
Geschäftsführung ohne Auftrag.
• Der unredliche bzw. verklagte Besitzer soll
allenfalls noch solche Verwendungen vornehmen, die im Interesse des Eigentümers sind.
• § 994 II BGB enthält einen komplizierten
teilweisen Rechtsfolgen-, teilweisen
Rechtsgrundverweis auf die §§ 677ff. BGB.
• Es kommt nicht auf einen Fremdgeschäftsführungswillen des Besitzers an.
• Es ist aber zwischen berechtigter (§ 683 S. 1) und
unberechtigter Geschäftsführung zu unterscheiden.
• Bei berechtigter Geschäftsführung besteht ein
Ersatzanspruch nach §§ 994 II, 683, 670 BGB.
Beispiel:
K hat einen Pkw von D ohne Papiere gekauft, der dem E
gestohlen worden war. K bringt den gebrauchten Wagen in
die Werkstatt, wo die erforderlichen Reparaturen für 700
Euro vorgenommen werden. Als E von allem erfährt,
verlangt er den Wagen von K heraus. Die Reparaturen will
E dem K aber nicht bezahlen, weil er den Pkw nicht länger
fahren, sondern nur noch zum Basteln verwenden wollte.
Wie ist die Rechtslage?
b. Ersatz nützlicher Verwendungen
i. Redlicher unverklagter Besitzer (§ 996)
• Der redliche unverklagte Besitzer kann
grundsätzlich auch nicht notwendige und bloß
nützliche Verwendungen ersetzt verlangen.
• Es gibt aber zwei wesentliche Unterschiede zu
§ 994 I BGB:
– der Wert der Sache muss durch die
Verwendungen noch gesteigert sein.
– die Nützlichkeit der Verwendung, d.h. ob die
Sache durch die Verwendung in ihrem Wert
gesteigert ist, beurteilt sich aus Sicht des
Eigentümers.
Beispiel:
Wieder einmal hat K ein Grundstück von dem
schon wieder unerkannt geisteskranken G
gekauft. Das darauf stehende Haus ist in gutem
Zustand, und K ist eigentlich ganz zufrieden.
Allerdings fehlt ihm eine Sauna, die er deshalb
im Keller einbaut. Auch G ist ein großer
Saunaliebhaber. Als sich die Geisteskrankheit
des G herausstellt und man das Grundstück
samt Haus und Sauna von K heraus verlangt,
möchte dieser den Wert der Sauna ersetzt
bekommen. Zurecht?
ii. Unredlicher oder verklagter Besitzer
Beispiel:
Wie im vorigen Beispielsfall hat K ein Grundstück von
dem unerkannt geisteskranken G gekauft und übereignet bekommen. Als man die Geisteskrankheit des G bemerkt und das Grundstück von K heraus verlangt, weigert er sich aber und lässt sich verklagen. Nach Zustellung der Klage lässt K auch noch wie geplant eine Sauna
einbauen. G ist auch diesmal ein großer Saunaliebhaber.
Welche Ansprüche hat K gegen G wegen der Sauna?
• § 996 BGB gibt nur dem redlichen unverklagten
Besitzer einen Verwendungsersatzanspruch.
• Nach h.M. sind die §§ 994ff. BGB abschließend
und schließen das Bereicherungsrecht aus.
• Dagegen: Es gibt bei Verwendungen keinen § 993!
c. Die sogenannten „sachändernden Verwendungen“
Beispiel:
Wieder einmal hat K ein Grundstück von dem unerkannt
geisteskranken G gekauft. Auf dem Grundstück errichtet K
ein neues Haus zu Kosten von 200.000 Euro. Als man die
Krankheit des G entdeckt, wird er in eine Pflegeanstalt eingewiesen. Das Grundstück verlangt man von K heraus, um es
zu verkaufen und die Kosten der Pflege zu decken. Welche
Ansprüche hat K wegen des von ihm errichteten Hauses?
• Nach h.M. erfasst § 996 BGB nur Verwendungen, die
dem Bestand der Sache dienen (enger Verw.-Begriff).
• Nach BGH soll bei sachändernden Verwendungen ein
Rückgriff auf Bereicherungsrecht durch §§ 994ff. BGB
gleichwohl gesperrt sein.
E wohnt in München und ist Eigentümer eines Ferrari
Dino 246, um den ihn der A sehr beneidet. Schon lange
hat A erfolglos versucht, den E zum Verkauf zu
überreden. Nun bietet ihm der Sohn S des E, der selbst
dringend Geld braucht, den Wagen zum Marktpreis an.
A nimmt das Angebot freudig an und fährt mit dem
Wagen nach Kiel, wo er wohnt. E vermisst bald sein
Auto und stellt S zur Rede, der alles beichtet. E fordert
nun A zur Rückgabe des Autos auf. Als A sich weigert,
reist E kurzentschlossen nach Kiel und holt sich seinen
Wagen mithilfe eines Zweitschlüssels. E verlangt nun
Ersatz seiner Reisekosten, ein Entgelt für die Nutzung
des Ferrari sowie Schadensersatz, weil A den Wagen
draußen geparkt hatte und dieser daraufhin Rost
angesetzt hatte. A seinerseits will den Wagen zurück,
hilfsweise Rückzahlung des Kaufpreises sowie
Erstattung der Kosten einer notwendigen Inspektion.
Literaturhinweise:
• Canaris, Das Verhältnis der §§ 994ff BGB zur
Aufwendungskondition nach § 812 BGB, JZ 1996,
344 ff.
• Ebenroth/Zeppernick, Nutzungs- und
Schadensersatzansprüche im EigentümerBesitzer-Verhältnis, JuS 1999, 209 ff.
• Moebus/Schulz, Die Haftung des redlichen
Besitzmittlers nach § 991 Abs. 2 BGB, Jura 2013,
189 ff.
• Roth, Grundfälle zum Eigentümer-BesitzerVerhältnis, JuS 1997, 518 ff.; 710 ff.; 897 ff.; 1087
ff.
• Wilhelm, Die Lehre vom Fremdbesitzerexzess,
JZ 2004, 650 ff.