Multiinstitutionelle Kooperationsvereinbarung im Kreis Mettmann

Download Report

Transcript Multiinstitutionelle Kooperationsvereinbarung im Kreis Mettmann

MULTIINSTITUTIONELLE
KOOPERATIONSVEREINBARUNG IM
KREIS METTMANN
Präventive Hilfen im Spannungsfeld zwischen
Erwachsenenpsychiatrie und Jugendhilfe
Hochkomplexer Hilfebedarf als
multiinstitutionelle Herausforderung





Kultur der Abgrenzung: keine strukturbasierte
systemübergreifende Kooperation
Unübersichtlichkeit der komplexen
Problemstellungen
Aufwendige Abgrenzungserfordernisse zwischen
den Institutionen
Hohe Differenzierung und Spezialisierung der
Ausbildungswege
Stigmatisierung/Tabuisierung der psychischen
Störungen
Institutionelle Voraussetzungen multiprofessioneller Arbeit
im Traumakontext





Haltung: Bedeutung des Themas (Gefährdung der Kinder); integrative
Wahrnehmung der Familien- und Helfersysteme (Kooperation im Zentrum
der Hilfeerbringung; Multiproblemfamilien sind Multiinstitutionsfamilien!)
Auftragsklärung: Prävention (Förderung der Bindungsentwicklung im
frühkindlichen Alter) und/oder Krisenintervention (Checklisten zur Kontrolle;
Kinderschutz nach § 8 a SGB VIII)
Aufbau verbindlicher multiinstitutioneller, systemübergreifender
Kooperationsstrukturen (Gesundheitswesen, Erwachsenen- Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Kinder- Jugendhilfe, Kita, Schule)
Personen- und fallunabhängige Standardisierung
Arbeit an einem gemeinsamen Fallverständnis: systemübergreifende
Qualifizierung (Fähigkeit zum Perspektivwechsel)
Institutionelle Voraussetzungen multiprofessioneller
Arbeit im Traumakontext



Frühe Enttabuisierung, Diagnostik (Zugang zur
Psychiatrie/gegenseitige Erwartung?), Intervention
(Frühwarnsysteme, Einbeziehung der Hebammen)
Niedrigschwellige, aufsuchende
Zugangsvoraussetzungen (Gehstruktur)
Nachrangige Bedeutung der Psychotherapie:



Hochschwelligkeit (Voraussetzung hohe Motivation und ausreichende
Mentalisierung, Krankheitseinsicht)
lange (stationäre plus ambulante) Behandlungsdauer bis Auswirkung auf
Beziehungsfähigkeit (Mentalisierung)
Spaltungs- und Vermeidungstendenz bei Traumatisierten
(Hoppingverhalten)
Institutionelle Voraussetzungen

Gewährleistung eines geschützten Handlungsraums
für die Professionellen (zur Stabilisierung des
Mentalisierungsniveaus):
 hierarchische
Absicherung
 Qualifizierung (Selbstwirksamkeit)
 Supervision und Intervision mit Übertragungsanalyse :
Aufdeckung von Beziehungsfallen, Identifizierung von
dysfunktionalen Coping-Strategien
 Selbstfürsorge: Achtsamkeit zur Prävention der
„sekundären Traumatisierung“
Kooperationsbelastung:
Dilemma Hilfe/Kontrolle

Hilfe (Trauma-Anteil, Opferperspektive):




Freiwilligkeit (Selbstbestimmungsrecht)
Stabiles Bindungsangebot: Akzeptanz, Verständnis, Vertrauen,
Verlässlichkeit, Nähe, Geduld
Ressourcenorientierung → Spannung zwischen Aktivierung (Hilfe
zur Selbsthilfe) und Kompensation (bedingungslose, dauerhafte
Sicherung, Entlastung und Versorgung)
Kontrolle (Überlebens-Anteil, Täterperspektive)




Zwang (Kinderschutz)
Kritikfähigkeit, Distanz
Defizitanalyse
Bereitschaft zu rascher Intervention (Zeitdruck!)
Kooperationsbelastung: Spaltung
Übertragung/Gegenübertragung

Rettungsübertragung (Erlösungssehnsucht)




Idealisierung des/r Helfers/in (Symbiose)
Suspendierung des Annäherungs-Vermeidungskonflikts
(Beruhigung: Bedrohungssystems, Überlebensanteil)
Kontakt über Trauma-Anteil:„ängstliches, hilfloses Kind“
Intensive Gegenübertragungen bei den Helfern/innen als
„gute“ Eltern (eigene Parentifizierung?):



Identifikation mit der Opferperspektive: Mitgefühl, Trauer,
Verantwortungsübernahme, Schuldgefühle
Starke Fürsorgeimpulse (Gefahr der Verstrickung / Distanzverlust
/ Symbiose)
Dissoziation des problematischen Verhaltens, Aufgabe der
Kontrolle (unzureichender Kinderschutz)
Übertragung / Gegenübertragung

Täterübertragung (Helfer/in als „böse“ Eltern)





Aktivierung des Bedrohungssystems (Trauma-Anteile:
Kampf/Flucht/Dissoziation)
Präsentation des „ärgerlichen, impulsiven Kindes“
Entwertung und Ablehnung der Helfer/innen (Überlebens-Anteile)
Überlebensanteil: Kontaktabbruch oder Pseudokooperation
(„Sabotageakte“ → Missverständnisse, Vorwände etc.)
Intensive aggressive Gegenübertragung (Überlebensanteil)





Hilflosigkeit, Frustration, Wut (projektive Identifizierung)
Verteidigungshaltung, Distanzierung (Misstrauen)
Identifikation mit der Täterperspektive: Überbetonung der Kontrolle,
Kontaktverlust
Täter-Opfer-Reinszenierung, „Hopping-Verhalten“
Teamspaltung
Aufbau eines äußeren sicheren Ortes
Helfer/in als „Sicherheitsbeauftragter“: Entängstigung mit
Schutz vor Retraumatisierung: Schütze mich, damit ich mich
finde (Karl Heinz Brisch)
 Identifizierung von Triggersituationen (Abstand zu TraumaAnteilen)
 Beendigung von Entwertung und Gewalt in der Partnerschaft
und von emotionaler Misshandlung in Primärfamilie
 Sicherung von Wohnung, Einkommen (Jobcenter)
 Regeln zum Schutz der Person und der Beziehung vor
Destruktion (Selbst-Fremdgefährdung)
Angebot verlässlicher, Vertrauen schaffender
„heilender“ Beziehungen
Professionelle als „Entwicklungshelfer“ (Exploration, Erzeugung einer
„Entwicklungsstimmung“), „Ersthelfer“: Balance zwischen Akzeptanz und kritischer
Distanz
 Bindungsangebot als reale (Begrenzung) statt ideale Bezugsperson (Symbiose),
sonst Teil der Täter-Opfer-Reinszenierung
 Hilfs-Ich-Funktion: Externe Affektregulation (Beruhigung) und Reizmodulation (Schutz)
 Teilhabe (Mitwirkung, Mitbestimmung), maximale Transparenz
(Kontrollverlustängste!)
 Situative Kontaktgestaltung (Anschluss an aktuellen
Persönlichkeitsanteil/Übertragungskonstellation)
 Markiertes Spiegeln (Benennen und Bestätigen)
 „Erste Hilfe“ bei Notfallreaktionen (katastrophische Reflexe) mit Entschleunigung,
markierter Spiegelung (Benennen), Kontaktherstellung zur Rückführung in die
Gegenwart, externer Regulierung
Sanierung des Energiehaushalts




Kompensation (z.B. der Vulnerabilität) → Langzeitperspektive (!)
Versorgung und Entlastung (Schuldgefühle!) z.B. durch Schuldenregulierung,
Geldeinteilung, Bescheinigung der vorläufigen Erwerbsunfähigkeit
(Jobcenter), Haushaltshilfe, Unterbringung der Kinder in
Ganztageseinrichtung
Stärkung des Energiemanagementsystems mit Übung der Selbstfürsorge
(Schlafhygiene, Ruhepausen, Ernährung, Körpertraining, Stressreduktion,
Entspannungstraining) und Begrenzung von Perfektionsansprüchen
Strukturierung von Tagesablauf
Empowerment





Ressourcenaktivierung- und entwicklung: Exploration mit
Rückgewinnung der Handlungsfähigkeit unter Stress
(Erfahrung der Selbstwirksamkeit)
Förderung der Grenzwahrnehmung: Nein-Sagen
Selbstbeobachtung (Präfrontaler Kortex): Entwicklung eines
Früherkennungssystems für Alarmzustände (Stressskala);
Distanzierungstechnik (Skills z.B. DBT)
angepasstes Tempo der Veränderung: „Wir sind Menschen
aus dem Schatten und werden leicht verbrannt“ (Maria
Aarts) Vermeidung von Überforderung, Betonung der
Erfolge („Cheerleading“) ohne Übertreibung („gut Mutter!“)
Psychoedukation (Trauma-Aufklärung)
Förderung der Mutter-Kind-Interaktion
Videogestützte Interventionen:
Marte Meo, Video-Home-Training, Steep
entwicklungspsychologische Beratung
 Analyse der Eltern-Kind-Interaktion mittels Videografie
(Wahrnehmen, Folgen, Benennen, Bestätigen, Leiten)
 Entwicklungsdiagnostik- unterstützung und –prognose
 Einführung der Metaposition (Kamera als „spiegelnder externer
Beobachter“) zum Training der Mentalisierung
 Kamera als Mikroskop zur Vergrößerung und
Veranschaulichung winziger gelungener Interaktion Mutter/Kind
(STEEP: „Seeing is believing!“)
 Gleichzeitige Beschreibung von Handlungen, Erfahrungen und
Emotionen eröffnet Räume des Staunens und der Reflexion bei
der Mutter
Wirkungsfaktoren der Videoverfahren






Erreichen des prozeduralen Gedächtnisses (limbisches System) →
unbewusstes, automatisiertes Erfahrungs- und Handlungswissen, Skills,
Beziehungsroutine
Widerlegung dysfunktionaler Annahmen der Bindungsperson (Hilflosigkeit,
Ablehnung durch das Kind) durch Realitätsprüfung →neue mentale
Repräsentationen des Selbst und des Kindes
beliebige Wiederholung: Genießen (Glückshormone !) der „Magic
Moments“ („gute“ Bilder, Kontaktmomente), Kreation einer
„Entwicklungsstimmung“
Stärkung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Senkung des Angstpegels)
Ermöglichen nachhaltiger Lernerfahrungen (Kontakt, Folgen, Benennen,
Leiten etc.) durch Stärkung der Mentalisierungsfähigkeit
Überwindung des Hilfe-Kontroll-Dilemmas
Kooperationspartner im Kreis
Mettmann








Jugendämter
Träger der sozialpädagogischen und flexiblen Familienhilfen
Früherfassung des Kreises Mettmann, Hebammen
Projekt Mo.Ki Monheim für Kinder
Förderkreis KIPKEL e.V. Prävention für Kinder psychisch kranker
Eltern (Kontakt zu psychiatrischer Klinik durch wöchentliche
Sprechstunden)
Niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater
Verbund für psychosoziale Dienstleistungen (Sozialpsychiatrisches
Zentrum) mit Ambulant Betreutem Wohnen und Tagesstätte für
erwachsene psychisch kranke Menschen
Sozialpsychiatrischer Dienst des Kreises Mettmann
Zugangswege






betroffene Eltern und Kinder
familiäres Umfeld
Kontaktpersonen (z.B. Freunde, Nachbarn, Zeugen etc.)
Krankenhäuser (z.B. gynäkologische, pädiatrische,
psychiatrische Abteilungen)
Niedergelassene Ärzte/innen (Pädiater, Gynäkologen,
Psychiater etc.)
Behörden: z.B. Jugendamt, Gesundheitsamt, Sozialamt,
Jobcenter, Ordnungsamt, Polizei etc.
Handlungsleitlinien
Phase 1: Kontaktaufnahme unter der
Federführung des Jugendamtes




Informationssammlung, Auswertung bezüglich Hilfebedarf
und Kindeswohlgefährdung
zeitnahe Vernetzung mit den Kooperationspartnern
Festlegung von Zielen, Rollen, Verantwortlichkeiten und
Handlungsstrategien unter Berücksichtigung von
Tabuisierungstendenzen und Stigmatisierungsängsten
(Beharrlichkeit, Vertrauensbildung)
Nutzung von Kontaktpersonen (Familie, Freunde, Nachbarn,
Kindergarten, Schule etc.)
Phase 2: Diagnostische Abklärung und
Gefährdungseinschätzung






frühzeitige Ermittlung der therapeutischen Vorgeschichte
Einholen einer Schweigepflichtentbindungserklärung als standardisierte
Voraussetzung weiterer Hilfeleistung
Kontaktaufnahme mit den in der Vergangenheit involvierten Therapeuten
und Helfersystemen
Evtl. Einleitung einer Diagnostik unter der Federführung des
Sozialpsychiatrischen Dienstes
Bei verweigerter Mitarbeitsbereitschaft Durchführung eines Fachgesprächs
mit allen beteiligten Institutionen zur Einschätzung der Gefährdung von Kind
und krankem Elternteil
Bei entsprechender Indikationsstellung Veranlassung einer gerichtlichen
Überprüfung im Hinblick auf das Kindewohl oder sofortige Inobhutnahme
des Kindes; bei Gefahr Einleitung von Schutzmaßnahmen nach PsychKG für
den psychisch kranken Elternteil
Phase 3: Hilfeplanung, Vernetzung und
Erbringung der Hilfen




Kombination von Therapieangeboten und psychiatrischen
Hilfen für die Eltern, Jugendhilfemaßnahmen für die
Kinder und Mutter-Kind-Interaktionsförderung
Videogestützte Verbesserung der Feinfühligkeit der Eltern in
den ersten Lebensjahren (Marte Meo)
Präventionsangebot für ältere Kinder (Information,
Förderung der Selbstkenntnis, Bearbeiten der Schuldgefühle,
Partizipation, Patenschaften, soziale Integration)
Therapie: Medikamentöse Symptomsuppression
(Schlafregulation), evtl. Psychotherapie
Phase 3






Tandemlösung Erziehungshilfe (Jugendhilfe) plus ambulant betreutes Wohnen: Klare
Aufteilung von Kompetenzen und Aufgaben (Ergänzung statt Konkurrenz)
Abstimmung und verlaufsorientierte Anpassung gemeinsamer Ziele und Kontrollen
auch mit den betroffenen Familien
Flexible Zeitkontingente der zu erbringenden Hilfeleistungen zur Berücksichtigung
der Veränderungsdynamik der psychischen Krankheiten
Zeitliche Festlegung eines regelmäßigen Austausches zwischen den betreuenden
Bezugspersonen zur Regulierung von Perspektivdifferenzen und Rollenunsicherheiten
(Spaltung)
Im Konfliktfall Durchführung eines Fachgesprächs mit den beteiligten Institutionen
unter Moderation des Sozialpsychiatrischen Dienstes
Die Einschätzung einer akuten Kindeswohlgefährdung erfolgt unter Beteiligung aller
entscheidungsrelevanter Funktionsträger im Rahmen eines Krisenmanagements unter
der Federführung und Letztverantwortung des Jugendamtes
Perspektivische Weiterentwicklung




Steuerungsgruppe: zweimal jährlich treffen sich
Vertreter aller beteiligter Kooperationspartner
Arbeitsgruppen: Beratung konzeptioneller bzw.
fachlicher Fragestellungen (Kriterienkatalog)
Jährliche halbtägige Einführungsveranstaltung für neue
Leistungsanbieter oder Mitarbeiter/innen
Institutionsübergreifende Fachtagungen im
Zweijahresrhythmus: multidisziplinäre Qualifizierung;
Umsetzung der konzeptionellen Empfehlungen der
Arbeitsgruppen im Kooperationsverbund
Buchempfehlungen
Jacob Bausum, Lutz Besser, Martin Kühn, Wilma Weiß
Traumapädagogik
Grundlagen, Arbeitsfelder und Methoden für die pädagogische Praxis Juventa
Ab Frühjahr 2014
Marita Krist, Christina Weisbrod, Adelheid Wolcke und Kathrin Ellermann-Boffo
Herausforderung Trauma
Diagnosen, Interventionen und Kooperationen der Erziehungsberatung
in der Reihe "Bundeskonferenz für Erziehungsberatung"
bei Beltz-Juventa.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit