Was gibt es Neues bei der Narkolepsie 1998 -1999
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Transcript Was gibt es Neues bei der Narkolepsie 1998 -1999
Narkolepsie
Peter Geisler
Vorlesung Schlafstörungen
SS 2010
Foto: J. Zulley
Psychiatrische Universitätsklinik
am Bezirksklinikum Regensburg
ICSD-2 (2005)
Gliederung der ICSD-2
Insomnien
Schlafbezogene Atmungsstörungen
Hypersomnien mit zentralem Ursprung
Zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen
Parasomnien
Schlafbezogene Bewegungsstörungen
Isolierte Symptome, Normvarianten
Gliederung der ICSD-2
Insomnien
Schlafbezogene Atmungsstörungen
Hypersomnien mit zentralem Ursprung
Zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen
Parasomnien
Schlafbezogene Bewegungsstörungen
Isolierte Symptome, Normvarianten
Hypersomnie
Leitsymptome:
– exzessive Tagesschläfrigkeit
– Schlafattacken
– verlängerte Schlafdauer
– Schlaftrunkenheit
Definition (ICSD-2)
Daytime sleepiness is
defined as the
inability to stay
awake and alert
during the major
waking episodes of
the day, resulting in
unintended lapses
into drowsiness or
sleep. ...
Karl Friederich Otto Westphal
Neuroanatom und Psychiater
Berlin *1833 + 1890.
Eigentümliche mit
Einschlafen
verbundene Anfälle.
Archiv für Psychiatrie und
Nervenkrankheiten,
Berlin, 1877; 7: 631-635
Was ist Narkolepsie?
Störung
des Regulationssystems von
Schlafen und Wachen
Hauptsymptom:
Tagesschläfrigkeit mit ungewolltem
Einschlafen
ÜBERWÄLTIGENDE
SCHLÄFRIGKEIT
„Wenn Sie jemals 48 Stunden lang nicht
geschlafen haben, haben sie die
Schläfrigkeit erlebt, mit der ein
Narkolepsie-Patient jeden Tag lebt“
(J.M.Siegel,
www.npi.ucla.edu/ sleepresearch/sciam.htm)
UNGEWOLLTES EINSCHLAFEN
„Kommt
es vor, dass Sie
tagsüber gegen Ihren Willen
einschlafen?“
Narkolepsie
Obligate Symptome
Tagesschläfrigkeit
und -müdigkeit
ungewolltes
Einschlafen
(Einschlafattacken)
Narkolepsie
Weitere spezifische Symptome
Kataplexien
Schlaflähmung
Schlafbezogene Halluzinationen
Narkolepsie
weitere unspezifische Symptome
Automatische Handlungen
Gestörter Nachtschlaf
Viele Träume (auch bei Tagschlaf)
Formen der Narkolepsie
(ICSD-2, 2005)
Narkolepsie mit
Kataplexien
Narkolepsie ohne
Kataplexien
Symptomatische
Narkolepsie
Narkolepsie
Epidemiologie
Häufigkeit: ca. 2 von 10.000 der Bevölkerung
Geschlechtsverteilung: Männer etwas häufiger
betroffen
Erkrankungsbeginn: etwa ab dem 5. Lebensjahr
möglich. Häufigster Beginn: Pubertät bis frühes
Erwachsenenalter (15. – 25. LJ)
Verlauf: nach Entwicklung der vollen Symptome
meist unverändert bis zum Lebensende
Narkolepsie
Tagesschläfrigkeit
Phasenweise oder fast dauernd Müdigkeit
Einschlafneigung in monotonen
Situationen
Einschlafen in ungewöhnlichen
Situationen
Sehr schnelles Einschlafen
Besserung durch „Nickerchen“
Narkolepsie
Einschlafattacke (Video)
Narkolepsie
Einschlafattacke (Video)
Narkolepsie
Kataplexie
Plötzlicher,
vorübergehender
Verlust der Muskelspannung,
ausgelöst durch Emotionen
Narkolepsie
Emotionaler Auslöser
Video: Kataplexie beim
Kartenspiel
Kataplexie
Kataplexie
Plötzlicher, vorübergehender Verlust der
Muskelspannung, ausgelöst durch Emotionen
–bilateral
–Dauer unter zwei Minuten
–Bewusstsein erhalten
Kataplexie Fischer
Video: Sehr kurze
Kataplexie
© UCB
Narkolepsie
Kataplexie
Ende: spontan ohne Behandlung
Keine Folgen
–
–
–
–
keine Benommenheit
kein Schwindel
keine Muskelschmerzen
keine Erinnerungslücke
Narkolepsie
Schlafbezogene Halluzinationen
Sehr lebhafte, traumähnliche Erlebnisse
beim Einschlafen („hypnagog“) oder
Aufwachen („hypnopomp“)
Werden oft nicht sofort als Traum erkannt
Meist beängstigend
Narkolepsie
Schlaflähmung (Schlafparalyse)
Aufwachen mit völliger
Bewegungsunfähigkeit des ganzen
Körpers
Oft mit Halluzinationen verbunden
Dauer: Sekunden bis Minuten
Endet von selbst oder durch externe
Stimulation (z. B. Berühren)
Automatische Handlungen
„Das automatische Verhalten machte mir vor allem um
die Mittagszeit viel zu schaffen. Da lagen auf dem
"gedeckten Tisch" nur die Gabeln, da stand der volle
Aschenbecher im Kühlschrank, da steckten die
Johannisbeeren, als Nachtisch gedacht, in dem
Fleischküchle. Oder ich kochte das Mittagsessen und
musste zum Schluss feststellen, dass sich im Topf nur
Wasser befand.“
Aus: Broschüre „Narkolepsie“ der Deutschen Narkolepsie-Gesellschaft , 2005
Diagnostik
Narkolepsie
Klinische Befunde
Körperlicher Befund: o.B.
Neurologischer Befund: o.B.
Psychopathologischer Befund: Evtl.
depressive Verstimmung, Gereiztheit,
Vigilanzstörung
Narkolepsie
Technische Befunde
Elektrophysiologie: Vigilanzschwankungen
im EEG, sonst o.B.
Bildgebende Verfahren: o.B.
Labor („Routine“): o.B.
Schlaflabor-Befunde bei
Narkolepsie
Kurze Schlaflatenz (< 5 Minuten)
Einschlaf-REM-Periode
– REM-Latenz < 20 Minuten ab Einschlafen [S1]
– Nicht in jeder Nacht nachweisbar
Schlafprofil eines Gesunden
Aus: Steinberg, R., Weeß, H.-G., Landwehr, R.: Schlafmedizin – Grundlagen und Praxis, UniMed, Bremen, 2000
Schlafprofil Narkolepsie
Der
Multiple Schlaf-Latenz-Test (MSLT)
Wiederholte Messung der Einschlaflatenz
am Tage als Maß für die Tagesschläfrigkeit
(„Sleepiness“): Carskadon 1988
Methode: 4 - 5 Messungen im Abstand
von 2 Stunden (PSG)
MSLT - Bewertung
Typischer Befund bei Narkolepsie:
– Mittlere Schlaflatenz < 9 Min
(Durchschnitt 3,1 +/- 2,9)
– 2 Sleep Onset REM Perioden (bei 5 Tests)
Narkolepsie - MSLT-Befund
MSLT30: Schlaflatenz (S1)
bei verschiedenen Erkrankungen
30,0
20,0
15,0
14,1
15,2
15,4
PMS / RLS (14)
17,3
Schlaf-Apnoe (35)
Einschlaflatenz (S1)
25,0
13,4
10,0
5,0
5,0
Narkolepsie (24)
Hypersomnie (40)
Diagnose
Insomnie (39)
p < 10-8
0,0
Kontrolle (n=100)
p < 0.05
Diagnostische Methoden
Vigilanztest
Messung der Daueraufmerksamkeit unter
Monotoniebedingungen
Verwendeter Test: Macworth-Clock,
Version Quatember Maly (Wiener
Testsystem)
Testdauer 25 Minuten, 20 Testdurchgänge
mit insg. 100 kritischen Reizen
Vigilanztest (Quatember-Maly)
Befunde bei Narkolepsie
Auslassungen +++
Falsche Reaktionen ++
Reaktionszeit +
Streuung der Reaktionszeit +++
Anstieg der Reaktionszeit +++
Einschlafen während des Tests häufig
Vigilanztest (Quatember-Maly) bei
Gesunden und Narkolepsie-Patienten
Pathophysiologie
Narkolepsie mit Kataplexien
Narkolepsie
Genetik beim Menschen
Familiäre Häufung ist bekannt
Risiko für Angehörige 1. Grades ist 60 200 mal erhöht
Monozygote Zwillinge sind häufig
diskordant
HLA-Assoziation
Enge Assoziation:
HLA-DQB1*0602
bei > 90% der Narkolepsie-Patienten
Befund sehr sensitiv, aber sehr unspezifisch:
DQB1*0602 bei 30% der Bevölkerung!
HLA DQB1*0602
DQB1
*0602
Narkolepsie
DQB1*x
Genetik: Hunde
Autosomal rezessiv erbliche Form der
Narkolepsie bei Hunden (Dobermann,
Labrador Retriever)
Lin et al. 1999 (Stanford, USA):
Funktionell wirksame Mutation am
Rezeptor für
„OREXIN“ = „HYPOCRETIN“
(Hypothalamisches Neuropeptid,
Neuromodulator?)
Narkolepsie Hunde
Genetik: Mäuse
Chemelli et al. 1999(Dallas, Texas):
„OREXIN“ -knockout-Mäuse zeigen
Symptome, die der Narkolepsie sehr
ähnlich sind (Kataplexien, Einschlaf-REMPerioden, vermehrter Schlaf in der
Aktivitätsphase (Nacht))
Narkolepsie mit Kataplexie
Hypocretin-1 Defizit im Liquor
Nishino et al. 2000 Lancet:
– Hypocretin-1 im Liquor bei 7/9
Pat. mit Narkolepsie mit
Kataplexie nicht nachweisbar
Orexin A (pg/ml)
1A
CSF
1200
1000
800
600
400
200
0
Dalal et al. 2001 Neurology
1200
1000
800
600
400
200
0
Plasma
Hypocretin-1 (Hcrt-1) Spiegel
< 110 pg/ml bei > 90 % der Patienten
bei Narkolepsie ohne Kataplexie: Hcrt-1
überwiegend normal
narcoleptic
control
Bei anderen Erkrankungen Hcrt-1 Defizit
selten
patients
patients
Orexin A (pg/ml)
1B
Orexin bei Narkolepsie (Mensch)
Orexin im Liquor
– Narkolepsie mit Kataplexien: meist nicht
nachweisbar (90 %?)
– andere Narkolepsie-Formen: Normal
– andere Hypersomnie-Formen: Normal
HypocretinZellen im
Hypothalamus
(Thannickal et al. Brain
Pathol. 13: 340-351,
2003)
Verteilung der Hypocretin/Orexin-Neurone und ihre
Projektionen im Gehirn der Ratte
Schematic of the pathways taken by Hcrt/orexin processes that widely innervate rat
brain. (The sagittal drawing is originally from [27].) Purple indicates hypocretinlabeled neurons; red indicates the dorsal ascending pathway; light blue indicates the
ventral ascending pathway; black indicates the dorsal descending pathway; and dark
blue indicates ventral descending pathway.
aus: Kilduff S, Peyron, C, Trends Neurosci. 23:359-65, 2000
Stellung des Hypocretin-Systems in
der Schlafregulation
Hajak G, Geisler P, Nature Med. 2002
Signifikante Unterschiede
Hypothalamus, Vermis cerebelli
B Draganski, P Geisler, G Hajak, G Schuierer, U Bogdahn, J Winkler, A May
Hypothalamic gray matter changes in narcoleptic patients
Nature Medicine 8 (11) 2002, 1186-1188
Signifikante Unterschiede
Hypothalamus bds., N. accumbens re.
Narkolepsie
Therapie nichtmedikamentös
Verhaltensmaßnahmen:
regelmäßige Pausen mit Schlaf
(2 - 3 x pro Tag)
Narkolepsie
Therapie medikamentös
Tagesschläfrigkeit:
–
–
–
–
Modafinil
Methylphenidat
Na-Oxybat (GHB)
andere Stimulanzien*
REM-Symptome (Kataplexien):
– Na-Oxybat (GHB)
– Antidepressiva mit REM-supprimierenden Effekt
(Clomipramin, Venlafaxin*, Reboxetin* und andere*)
* Off Label
Differentialdiagnose der
Hypersomnie
Ursachen von Tagesschläfrigkeit
Zu wenig Schlaf
Nicht erholsamer Schlaf
Andere Störung wird als Schläfrigkeit
interpretiert
– Antriebsstörung
– Bewusstseinstrübung
Körperliche Erkrankung
Substanzinduziert
Störung der Schlaf-Wach-Regulation
Zu wenig Schlaf
Verhaltensbedingt
– Bewusst
– Nicht bewusst Schlafmangelsyndrom
Schichtarbeit
Intrinsische zirkadiane Schlaf-WachRhythmusstörung
Verhaltensbedingtes Schlafmangelsyndrom
(BIISS)
Schlafdauer unter Schlafbedarf
Typische Konstellation:
Doppelbelastung (berufstätige Mutter,
Nebenerwerbslandwirt)
Dekompensation durch minimale andere
Schlafstörung möglich
Diagnostik: Schlafprotokoll
Besserung durch längere Schlafdauer
Nicht erholsamer Schlaf
Schlafunterbrechungen
Atemstörungen im Schlaf
– Obstruktiv
– Zentral
Periodische Beinbewegungen / Restless
Legs Syndrom
Gastroösophagealer Reflux
Schmerzen
Atemnot
Antriebsstörung
Atypische Depression
Dysthymie
Schizophrenie
DD Nichtorganische Hypersomnie!
Körperliche Erkrankungen mit
Tagesschläfrigkeit – nicht ZNS-bezogen
Infekt, Fieber
Herzinsuffizienz
Ateminsuffizienz
Tumor
Muskelerkrankung
Endokrine Störung (z. B. Hypothyreose,
Diabetes)
Körperliche Erkrankungen mit
Tagesschläfrigkeit – ZNS-bezogen
M. Parkinson
Schädel-Hirn-Trauma
Genetische Störung
Hirntumor, andere ZNS-Schäden
Endokrine Störung (z. B.
Hypocortisolismus)
Toxisch und metabolisch (z.B. hepat.
Enzephalopathie)
Andere Formen der primären
Hypersomnie
Idiopathische Hypersomnie
– mit langer Schlafdauer
– mit normaler Schlafdauer
Periodische Hypersomnie
(Kleine-Levin-Syndrom)
Medikamentös / toxisch induzierte
Schläfrigkeit
Hypnotika
Psychopharmaka
Andere Medikamente
Stimulanzien, auch Coffein
Alkohol
Drogen
Idiopathische Hypersomnie
Diagnosekriterien wie Narkolepsie, aber
–
–
–
–
–
Ursache unbekannt
keine Kataplexien
keine SOREMs im MSLT
keine HLA-Bindung
kein Hypocretin-Defizit
Idiopathische Hypersomnie
Formen:
– mit verlängerter Schlafdauer
( > 10 Std./d)
– ohne verlängerte Schlafdauer
(<= 10 Std./ d, Tagesschläfrigkeit)
Bild: Dusan Petricic, nach einem Cartoon der American Narcolepsy Association