Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit

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Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Vorlesung am 20. April 2011 durch:
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 1
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Grundtatbestand der Verschuldenshaftung
(Marginalie: A. Haftung im Allgemeinen, I. Voraussetzungen der Haftung)
Art. 41 OR:
"1 Wer
einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei
es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2
Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen
die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt."
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 2
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Übersicht über die vier Tatbestandselement von Art. 41 Abs. 1 OR
- Schaden (unfreiwillige Vermögensverminderung, Differenztheorie);
- Widerrechtlichkeit (vgl. nachfolgende Ausführungen);
- Kausalität (natürliche und adäquate Kausalität; conditio sine qua non
sowie geeignet, "nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der
allgemeinen Lebenserfahrung einen Erfolg von der Art des
eingetretenen herbeizuführen");
- Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit, objektivierter
Sorgfaltsmassstab, Urteilsfähigkeit).
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 3
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Definition und Funktion der Widerrechtlichkeit
- Keine Definition im Gesetz, Auslegung Sache der Gerichte;
- "Der Begriff der Widerrechtlichkeit (Rechtswidrigkeit) hat die Funktion,
zum Schadenersatz verpflichtendes Unrecht von hinzunehmenden
Nachteilen zu unterscheiden." (Schwenzer, OR AT, 5. Auflage, Bern
2009, S. 355, N 50.04);
- Abgrenzung von Unrecht zu allgemeinem Lebensrisiko;
- Allenfalls Abdeckung nicht widerrechtlicher Schäden, mithin Schäden
aus der Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos, über
verschiedene Versicherungen.
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 4
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Theorien zur Widerrechtlichkeit
- Verschiedene Theorien zur Widerrechtlichkeit:
-
objektive Widerrechtlichkeitstheorie;
-
subjektive Widerrechtlichkeitstheorie ("neminem laedere", jede
Schädigung widerrechtlich, ausser Rechtfertigungsgrund liege vor);
-
sog. dritte Widerrechtlichkeitstheorie (Verletzung einer Schutz- oder
Sorgfaltspflicht),
-
in neuerer Zeit gar noch Interessentheorie als vierte Theorie;
- Objektive Widerrechtlichkeitstheorie nach BGer und h. L. massgebende
Theorie, aber angesichts Theorienvielfalt nicht unumstritten.
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 5
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Objektive Widerrechtlichkeitstheorie
- Verletzung absoluter Rechtsgüter (Erfolgsunrecht);
-
absolute Rechte: Rechte mit Ausschluss- und Abwehrwirkung gegen
jedermann (persönliche Rechte, dingliche Rechte,
Immaterialgüterrechte);
-
Vermögen als solches sowie relative Rechte (insbesondere etwa
auch aus Verträgen) keine absolut geschützten Rechtsgüter;
- Bei reinen Vermögensschäden Verletzung einer Schutznorm
(Verhaltensunrecht);
-
Verletzung einer Verhaltensnorm, die bezweckt, das Vermögen des
Geschädigten gegenüber Schädigungen der konkret vorliegenden
Art zu schützen.
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 6
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Absolute Rechtsgüter
- Persönliche Rechtsgüter: Leib und Leben, psychische und physische
Integrität, persönliche Freiheit; Definition und Umfang nach Art. 28 ZGB;
- Dingliche Rechte: Eigentum, beschränkte dingliche Rechte; Definition
und Umfang nach Sachenrecht;
- Immaterialgüterrechte: Urheber-, Patent-, Marken- und Designrechte,
etc.; Definition und Umfang nach entsprechenden Spezialgesetzen.
Keine zusätzliche Schutznorm erforderlich, um Widerrechtlichkeit des aus
einer Verletzung eines absoluten Rechtsguts resultierenden reinen
Vermögensschadens zu begründen (wirtschaftliche Folge der
Rechtsgutverletzung).
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 7
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Schutznormen
- Norm muss insbesondere auch Schutz individueller
Vermögensinteressen bezwecken (Auslegungsfrage);
- Schutznorm möglich aus Gesamtheit der schweizerischen
Rechtsordnung (Zivil-, Verwaltungs- oder Strafrecht, geschriebenes oder
ungeschriebenes Recht);
- Beispiele:
-
Normen betreffend strafbare Handlungen gegen das Vermögen (Art.
137 ff. StGB), insbesondere etwa Art. 146 StGB (Betrug);
-
Schutznormen im UWG, namentlich Art. 2, 3 und 4 UWG,
gemäss Art. 4 Bst. a UWG etwa Verleitung zum Vertragsbruch unter
gewissen Voraussetzungen unlauter;
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 8
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Kabelbruch-Fall (BGE 102 II 85)
Bauunternehmung
Papierfabrik
Baggerführer
Energieversorger
Zinkfabrik
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20. April 2011 / 9
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Kabelbruch-Fall (BGE 102 II 85)
Art. 239 StGB (Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen):
"1.
Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt,
namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder
Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
wer vorsätzlich den Betrieb einer zur allgemeinen Versorgung mit
Wasser, Licht, Kraft oder Wärme dienenden Anstalt oder Anlage
hindert, stört oder gefährdet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2.
Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu
drei Jahren oder Geldstrafe."
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 10
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Falsches Arbeitszeugnis (BGE 101 II 69)
Y. S.A. (X., VRP)
C., Vizedirektor /
Controller
•
•
•
•
C. veruntreut CHF 25'000
keine Strafanzeige
Auflösung Arbeitsverhältnis
monatliche Rückzahlungsverpflichtung über CHF 500
• tadelloses Arbeitszeugnis
A. S.A.
C.,
Geschäftsführer
• C. veruntreut über CHF 500'000
• Strafverfahren gegen C., 4 Jahre
Gefängnis, C. verstirbt später
• Strafanzeige gegen X. wegen
Urkundenfälschung, Verurteilung
• A. S.A. Klage gegen Y. S.A. und X.
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 11
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Falsches Arbeitszeugnis (BGE 101 II 69)
Art. 251 StGB (Urkundenfälschung):
1.
Wer in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an andern
Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen
unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen,
eine Urkunde fälscht oder verfälscht, die echte Unterschrift oder das
echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten
Urkunde benützt oder eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig
beurkundet oder beurkunden lässt,
eine Urkunde dieser Art zur Täuschung gebraucht,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2.
In besonders leichten Fällen kann auf Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren oder Geldstrafe erkannt werden.
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 12
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Vorsätzliche Geldwäscherei (BGE 129 IV 322)
Banca Popolare di
Milano
Geld, über 2 Mio.
Camfin s.p.a.
Geld
X., Geldwäscher
Z., Betrüger
Bankkundin
Geld
Scheinunternehmen
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 13
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Vorsätzliche Geldwäscherei (BGE 129 IV 322)
Art. 305bis StGB (Geldwäscherei):
1.
Wer eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der
Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten
zu vereiteln, die, wie er weiss oder annehmen muss, aus einem
Verbrechen herrühren,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2.
In schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
oder Geldstrafe. Mit der Freiheitsstrafe wird eine Geldstrafe bis zu
500 Tagessätzen verbunden.
Ein schwerer Fall liegt insbesondere vor, wenn der Täter …"
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 14
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Schutznormen (Fortsetzung)
- Haftung für unrichtige Rat- oder Auskunftserteilung:
Angefragte Person mit besonderem Fachwissen erteilt
Gefälligkeitsauskunft (kein Bindungswillen, ausservertraglich).
"Der Befragte übernimmt dabei eine Garantenstellung, die eine
ausservertragliche Sorgfaltspflicht und bei deren schuldhafter Verletzung
eine Schadenersatzpflicht begründet." (BGE 116 II 695 Erw. 4 S. 699)
- Vom Bundesgericht wohl aus Berufspflichten oder besonderer Stellung
abgeleitete Schutznorm.
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 15
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Kreditauskunft einer Bank (BGE 111 II 471): Fallskizze
Kaufvertrag über
Textilien
A. GmbH, München
Bank C.,
München
B. AG, Zürich
Bank D., Zürich
Kreditauskunft
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 16
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Kreditauskunft einer Bank (BGE 111 II 471)
- Anfrage der Bank C. über die allgemeinen Verhältnisse der B. AG und
darüber, ob diese für Warenverbindlichkeiten von DM 300'000 bis
500'000 gut sei;
- Auskunft der Bank D. (zusätzlich mit Handelsregisterangaben):
"Mit der angefragten Gesellschaft stehen wir seit einigen Jahren in
Geschäftsverbindung. Das Konto wurde bisher nur auf Guthabenbasis
geführt, so dass wir keine Veranlassung hatten, näheren Einblick in die
Vermögensverhältnisse zu nehmen. Unseres Wissens soll in
Deutschland Immobilienbesitz vorhanden sein, der nur teilweise belastet
sein soll. Etwas Nachteiliges ist uns nicht bekannt. Eine
Geschäftsverbindung kann empfohlen werden."
- B. AG nach Erhalt der Waren später in Konkurs, Gesellschaft für
grössere betrügerische Machenschaften missbraucht.
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 17
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Schutznormen (Fortsetzung)
- Art. 2 Abs. 1 ZGB (Treu und Glauben) nach h.L. und Praxis
grundsätzlich keine Schutznorm;
- Weitere Beispiele, bei denen Schutznormcharakter verneint wird:
-
Art. 58 SVG: Haftpflicht des Motorfahrzeughalters für Personen- und
Sachschäden, nicht aber für reine Vermögensschäden allein (vgl.
BGE 106 II 75);
-
Art. 229 StGB (Gefährdung durch Verletzung der Regeln der
Baukunde): Vermögensschäden allein von Schutzzweck nicht erfasst
(vgl. BGE 119 II 127, Einsturz Zwischengeschoss);
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 18
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Fahrlässige Geldwäscherei (BGE 134 III 529): Fallskizze
Bank C., Montevideo
(Uruguay)
Geld, USD 4 Mio.
Bank Y. AG, Zürich
Geld
Geld
X. SA, Montevideo
(Uruguay)
Bankkundin
Vollmacht
B., Veruntreuer
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20. April 2011 / 19
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Fahrlässige Geldwäscherei (BGE 134 III 529)
- Vorwurf an Bank Y. AG, Sorgfalts- und Verhaltenspflichten nach Art. 3 10 GwG verletzt zu haben; vgl. etwa Art. 6 GwG (Abklärungspflichten):
"1 Der Finanzintermediär ist verpflichtet, Art und Zweck der vom Vertragspartner
gewünschten Geschäftsbeziehung zu identifizieren. Der Umfang der
einzuholenden Informationen richtet sich nach dem Risiko, das der
Vertragspartner darstellt.
2
Der Finanzintermediär muss die wirtschaftlichen Hintergründe und den Zweck
einer Transaktion oder einer Geschäftsbeziehung abklären, wenn:
a. sie ungewöhnlich erscheinen, es sei denn, ihre Rechtmässigkeit sei
erkennbar;
b. Anhaltspunkte vorliegen, dass Vermögenswerte aus einem Verbrechen
herrühren, der Verfügungsmacht einer kriminellen Organisation (Art. 260ter
Ziff. 1 StGB) unterliegen oder der Terrorismusfinanzierung (Art. 260quinquies
Abs. 1 StGB) dienen."
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 20
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Widerrechtlichkeit beim Reflexschaden
- Definition des Reflexschadens (auch als indirekter Schaden oder als
Drittschaden bezeichnet):
Drittperson, die zu direkt geschädigter Person in besonderer Beziehung
steht, erleidet durch Schädigung eine eigene Vermögenseinbusse;
- Reflexschäden immer reine Vermögensschäden (bei Verletzung
absoluten Rechtsgutes nicht Reflex-, sondern Direktschaden);
- Ersatzfähig nur bei Schutznorm, die auch oder insbesondere Drittperson
erfasst, Beispiel Ersatz des Versorgerschaden Art. 45 Abs. 3 OR:
"Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so
ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten."
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 21
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Widerrechtlichkeit durch Unterlassung
- Garantenstellung aus geschriebenem oder ungeschriebenem Recht
vorausgesetzt, die konkrete Handlungspflicht begründet;
- Garantenstellung aus Gefahrensatz: Wer einen gefährlichen Zustand
schafft oder aufrechterhält, muss die zur Vermeidung eines
Schadens erforderlichen Schutzmassnahmen treffen. Beispiel
Pistensicherungspflicht für Bergbahnunternehmungen mit
Skipistenbetrieb (vgl. BGE 113 II 246);
- Widerrechtliche Unterlassung sowohl bei Verletzung absoluter
Rechtsgüter als auch bei Verletzung einer Schutznorm möglich;
Gefahrensatz selber aber keine Schutznorm (BGE 119 II 127 Erw. 3
S. 129 f.).
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 22
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Ausschluss der Widerrechtlichkeit
- Rechtsfertigungsgründe für Schädigung schliessen Widerrechtlichkeit
aus;
- Rechtfertigungsgründe:
-
Einwilligung;
-
überwiegende private Interessen wie erlaubte Notwehr, Notstand
und Selbsthilfe (Art. 52 OR);
-
überwiegende öffentliche Interessen wie rechtmässige Ausübung
öffentlicher Gewalt.
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 23
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Ausschluss der Widerrechtlichkeit (Fortsetzung)
- Einwilligung:
-
"Volenti non fit iniuria.";
-
in der Praxis wichtigster Rechtfertigungsgrund;
-
Einwilligung als einseitiges Rechtsgeschäft, stets widerruflich;
-
Schranken der Einwilligung nach Art. 20 OR und Art. 27 ZGB
(Einwilligung in Tötung nicht möglich, in schwere Körperverletzung
nur bei vernünftigem Zweck).
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 24
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Ausschluss der Widerrechtlichkeit (Fortsetzung)
- Einwilligung (Fortsetzung):
-
wichtigster Anwendungsfall Einwilligung für ärztliche Eingriffe,
gültige Einwilligung grundsätzlich nur bei Aufklärung über Risiken;
-
Teilnahme an Sportveranstaltung oder Spiel: stillschweigende
Einwilligung in Verletzungsrisiko (acceptation tacite des risques),
aber ohne Einschluss von grobem oder vorsätzlichem Fehlverhalten
(vgl. BGE 109 IV 102: Freundschaftsfussballturnier, doppelter
Beinbruch als Folge eines Fouls, nicht mehr von Einwilligung
gedeckt).
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 25
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Ausschluss der Widerrechtlichkeit (Fortsetzung)
- Haftung bei Notwehr, Notstand und Selbsthilfe (Art. 52 OR):
"1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden,
den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen
zufügt, nicht zu ersetzen.
2
Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder
Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen
des Richters Schadenersatz zu leisten.
3
Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich
selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den
gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur
durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine
wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden
konnte."
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 26
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Sittenwidrigkeit
- Art. 41 Abs. 2 OR:
"2 Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen
die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt."
- Verstoss gegen die guten Sitten, somit keine Widerrechtlichkeit verlangt;
- Als Notlösung bei reinen Vermögensschäden, wenn Schutznorm fehlt,
Rechtsgefühl aber dennoch Ersatzpflicht verlangt;
- Geringe Relevanz; Anwendung durch BGer nur ausnahmsweise und mit
grösster Zurückhaltung, Gewährleistung lediglich des ethischen
Minimums (BGE 124 III 297).
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 27
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Vertrauenshaftung
- Haftung infolge Verletzung begründeten Vertrauens, keine
Widerrechtlichkeit und keine Sittenwidrigkeit vorausgesetzt;
- Keine vertragliche Verbindung, aber dennoch rechtliche
Sonderverbindung (subsidiär gegenüber Vertragshaftung);
- Sonderverbindung begründet gestützt auf Art. 2 ZGB eine besondere
Vertrauens- und Treuebeziehung;
- Beispiel Haftung für erwecktes Konzernvertrauen:
-
Swissair-Fall (BGE 120 II 331), Haftung bejaht;
-
Motor-Columbus-Fall (BGE 124 III 297) Haftung verneint;
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 28
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Swissair-Fall (BGE 120 II 331): Fallskizze
Swissair
Beteiligungen AG
Kaufvertrag über
Aktien der IGR
Holding AG
Euroactividade AG
100 %
100 %
IGR Holding Golf
and Country
Residences AG
Wibru Holding AG
Vertrag über
Nutzung von
Luxusunterkünften
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 29
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Swissair-Fall (BGE 120 II 331)
- Mietvorauszahlung über CHF 90'000 der Wibru Holding AG an die IGR
Holding AG für Nutzung von luxuriösen Unterkünften;
- Werbung der IGR Holding AG mit Konzernzugehörigkeit zu Swissair,
etwa:
"Überall wo International Golf and Country Residences steht, steht
Swissair darunter. Und selbstverständlich auch dahinter. Denn die IGR
ist zwar ein selbständiges Unternehmen der Swissair Beteiligungen AG,
arbeitet aber nach den gleichen unternehmerischen Maximen wie ihre
Mutter. Dass sich das von Anfang an auf die Internationalität, die
Gastfreundschaft, die Betreuung und die Zuverlässigkeit von IGR
auswirkt, liegt auf der Hand."
- Verkauf der IGR Holding AG an die Euroactividade AG; wenig später
Konkurs der IGR Holding AG.
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 30
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Übersicht über verwendete BGE
- BGE 102 II 85: Kabelbruch-Fall;
- BGE 101 II 69: falsches Arbeitszeugnis;
- BGE 129 IV 322: vorsätzliche Geldwäscherei;
- BGE 116 II 695: Haftung für Gefälligkeitshandlung;
- BGE 111 II 471: Kreditauskunft einer Bank;
- BGE 106 II 75: Haftpflicht des Motorfahrzeughalters;
- BGE 119 II 127: Einsturz Zwischengeschoss;
- BGE 134 III 529: fahrlässige Geldwäscherei;
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 31
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Übersicht über verwendete BGE (Fortsetzung)
- BGE 113 II 246: Pistensicherungspflicht;
- BGE 109 IV 102: Fussballfoul mit doppeltem Beinbruch;
- BGE 124 III 297: Motorcolumbus-Fall;
- BGE 120 II 331: Swissair-Fall.
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 32
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
Besten Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit
und ein erholsames Osterwochenende!
Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
20. April 2011 / 33