10._vortrag_wolfgang_meixner_26.11.09

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Beitrag zur visuellen Kompetenz
in der historischen Forschung
Ringvorlesung Visuelle Kompetenz
(619.100)
WS 2009/2010
Präludium
„Im Anfang war das Wort, …“
(Joh 1,1)
„Gott sprach: Es werde Licht.
Und es wurde Licht.“ (Gen 1,3)
Genesis
Genesis
Juli Gudehus, Genesis, Neuauflage 2009
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte
Ranke sah unter dem Eindruck der aufkommenden
Fotografie die Zeit kommen, wo wir die neuere
Geschichte nicht mehr auf die Berichte selbst nicht der
gleichzeitigen Schriftsteller, außer in so weit ihnen eine
originale Kenntnis beiwohnte, geschweige denn auf die
weiter abgeleiteten Bearbeitungen, sondern auf den
Relationen der Augenzeugen und den echtesten
unmittelbarsten Urkunden aufbauen werden.
(L. v. Ranke, Dt. Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1,
Berlin 1839, IX)
Geschichte als empirische
Wissenschaft
Quellen sind Basis und Mittel, um zu historischer
Erkenntnis zu gelangen. Sie sind das Material, aus
dem Historiker/innen Wissen über Vergangenes
gewinnen, sie sind aber auch „der sinnlich
erfahrbare Weg zurück zu den Menschen und
Plätzen der Vergangenheit“
(Winfried Schulze, Einführung in die Neuere Geschichte, Stuttgart
1987, 31)
Heuristik – Kritik – Interpretation
Heuristik
Gibt Aufklärung darüber, was eigentlich gewusst werden soll und
kann. Sie ist jene Phase, in der Quellen gefunden werden, die
geeignet sind, die gestellte Forschungsfrage auch hinreichend zu
beantworten.
Kritik (Quellenkritik)
Aus dem Material werden zuverlässige und überprüfbare
Informationen gewonnen. Frage nach dem Aussagewert der
Quelle (äußere Quellenkritik), oder nach ihrer Echtheit. Innere
Quellenkritik erhebt die Informationsqualität der Quelle.
Interpretation
Zusammenfügen quellenkritisch gewonnener Teilergebnisse zu
zusammenhängenden Einheiten. Zusammenhänge müssen
überprüfbar und nachvollziehbar sein.
Bildquellen
Naive Quellengläubigkeit gegenüber Texten ist
auch in der Forschung immer noch weit
verbreitet.
Diese Gläubigkeit gilt umso mehr gegenüber
Bildquellen, insbesondere mechanisch
verfertigter wie die Fotografie. Zumeist werden
diese illustrativ, als didaktisches Hilfsmittel, das
schwierige Sachverhalte anschaulich machen
soll, verwendet.
Quellenbegriff der
Geschichtswissenschaften
Quellen nennen wir alle Texte, Gegenstände oder
Tatsachen, aus denen Kenntnis der
Vergangenheit gewonnen werden kann.
(Paul Kirn, Einführung in die Geschichtswissenschaft, Berlin
1968, 29)
Quelle ist alles, worauf unsere Kenntnis des
Vergangenen ursprünglich zurückgeht.
(W. Schulze 1987, 32)
Was wird zur Quelle?
• Fragestellung entscheidet über Eignung als
Quelle.
• Fragen an Vergangenheit ändern sich mit
gesellschaftlichen Interessen und
Bedürfnissen
• Quellen werden immer wieder neu entdeckt
und in die Forschung eingebracht
Aussagekraft von Quellen
• Traditionsquellen
all jene Materialien aus der Vergangenheit, die zum
Zweck der Tradierung erzeugt, das heißt, absichtlich
überliefert wurden, um die Um- und Nachwelt zu
unterrichten und zu beeinflussen
• Überrestquellen
ohne „Gegenwartszweck“ (Schulze 1987, 32)
erhalten und unmittelbar aus dem Lebensvollzug
entstanden
Geschichte nicht einfach aus
Quellen extrahierbar
• alle Quellen den gleichen kritischen Verfahren
unterzogen werden müssen, um sie zum
Sprechen zu bringen (W. Schulze 1987, 33).
• Vetofunktion der Quellen: keine Deutungen zu
wagen, oder zuzulassen, die aufgrund eines
Quellenbefundes schlichtweg als falsch oder
als nicht zulässig durchschaut werden können.
(Reinhard Koselleck, Standort und Zeitlichkeit, München 1977,
45, 46)
Standortgebundenheit und
Zeitlichkeit historischer Aussagen
Es bedarf einer Theorie möglicher Geschichten,
um Quellen überhaupt erst zum Sprechen zu
bringen.
(R. Koselleck (1977, 46)
Wissenschaftlicher Umgang mit
Quellen
Hilfswissenschaften = handwerkliche „Rüstzeug“
klassischer Kanon:
–
–
–
–
–
–
–
Paläographie: Lehre von den Schriften
Chronologie: bei Datierungsproblemen
Diplomatik: erschließt Informationsgehalt von Urkunden
Heraldik: „Wappenkunde“
Sphragistik: Siegelkunde
Numismatik : Münzkunde
Historische Geographie: zur räumlichen Einordnung von
Quelleninformationen
Wissenschaftlicher Umgang mit
Quellen II
Im Prinzip können Methoden anderer
Wissenschaften dann zu „Hilfswissenschaften“
der Geschichte werden, wenn diese Quellen
historisch relevante Informationen enthalten
und die innere Struktur und Besonderheiten der
Quelle eine adäquate „Leseart“ erfordern.
Realienkunde
mittelalterliche und frühneuzeitliche
Sachkulturforschung
Großteil der auf mittelalterlichen Tafelbildern
abgebildeten Gegenstände hat auch symbolische und
allegorische Funktionen (Jaritz 1996).
Datenbank IMAREAL (Eine Bilddatenbank zur Geschichte des
Alltags und der materiellen Kultur des Mittelalters) des Instituts
für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Krems:
http://www.imareal.oeaw.ac.at/
Bildarchiv Foto Marburg (1,7 Mio. Bilder)
http://www.fotomarburg.de/
Illustrationen, Zeichnungen etc.
Dorf aus der Salierzeit (Fanny Hartmann)
Rekonstruktionszeichnung einer
römischen Stadtstraße (David
Macaulay, 1990)
Bilder als Metaphern, Allegorien
etc.
Beispiele für Metaphern:
• den Stein ins Rollen bringen
• eine Sache anstoßen
• sich pudelwohl fühlen
• eine Erleuchtung bekommen
• gegen die Wand stellen
• die Mühlen mahlen langsam
• neue Besen kehren gut)
Statue der Justitia am Giebel des
Justizpalastes in München. Architekt:
Friedrich von Thiersch. Fertiggestellt:
1897.
Weitere Allegorien: Tod als Gerippe
Was sind visuelle Quellen?
„Kunstwerke aller Art“ sind „Denkmale“
Damit bezeichnete G. Droysen jenes historische
Material, das sowohl Überrest wie Tradition sein
konnte. (G. Droysen 1868, 14)
Im Bezug auf die Fotografie Überrest, weil sie von der
historischen Realität des Aktes der Aufnahme selbst
zeugt und Tradition insofern, als sie eine (bildliche)
Aussage über (vergangene) Wirklichkeit mit dem Ziel
der Unterrichtung und Beeinflussung der Um- und
Nachwelt liefert.
(Jürgen Hannig, Fotografien als historische Quelle, München
1994, 272)
Welches ist das Pferd?
René Magritte, La révolution surréaliste. Vol. 5, Nr. 12 (1929)
Camille Flammarion, L'Atmosphere: Météorologie Populaire (Paris, 1888), S. 163.
Holzschnitt
Albrecht Dürer,
Die Offenbarung des
Johannes: Die
apokalyptischen Reiter,
Holzschnitt, 1497-1498.
Holzschnitt
Hans Holbein der Jüngere, Der
Totentanz, 1526.
Holzschnitt
Hartmann Schedel, Weltchronik,
Nürnberg 1493.
Darstellung des angeblichen
Ritualmords an Simon aus Trient.
Sichtbare Welt
Johann Amos Comenius, Orbis sensualium pictus , Nürnberg 1658.,
Älteste Photographie
Älteste „Photographie“ der
Welt, von Joseph Nicéphore
Niepce, 1826.
Photographie
Louis Jacques Mandé
Daguerre, Boulevard du
Temple in Paris,
Daguerrotypie, 1838.
Photographie
Vermutlich älteste bislang bekannte
photographische Abbildung. Ende 18. Jhdt.
Photographie ist eine soziale Praxis
(Pierre Bourdieu)
• findet in gesellschaftlichen Kontexten statt
• gewinnt Bedeutung daher weniger aus sich
selbst heraus als durch Zuschreibung und
Verwendungszusammenhänge
• Frage: Wie erhalten Photos Bedeutung und
welche Mechanismen verleihen Bildern den
Status von wahrheitsgemäßen Aussagen?
• Inhalt und Bedeutung von Photographie
werden in diskursiver Praxis geformt
(konstruiert)
… Bilder, die lügen
Bilder, die Lügen. Begleitbuch zur Ausstellung der
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland (Hrsg.), Bonn 2003.
Bilder, die „Lügen“
Wladimir A. Serow, Lenin im
bolschewistischen Hauptquartier im Oktober
1917. Ölgemälde.
Ölgemälde ,1947.
Ölgemälde, 1962.
Bildretuschen
14. Parteitag der KPdSU im April 1925.
Bildretuschen
14. Parteitag der KPdSU im April 1925, Aufnahme 1939 bzw. 1949 veröffentlicht.
Bildikonen: Mao Zedong (1893-1976)
Mao von Andy Warhol, 1972.
Che Guevara (1928-1967)
Foto von Alberto Korda (1928-2001)
Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili
gen. Stalin (1878-1953)
Die nächste Ikone ?
Wladimir Wladimirowitsch
Putin; geb. 1952.
Bildinterpretation von E. Panofsky
Hyacinthe Rigaud, Bildnis
Ludwigs XIV., König von
Frankreich, Öl auf Leinwand,
um 1700.
Dreischritt der Bildanalyse
• Bildbeschreibung: was auf dem Bild
zu sehen ist
• Bildanalyse: Themen & Inhalt,
Identifikation d. Personen; Komposition,
Technik etc.
• Bildinterpretation: zusammenfassende Deutung im historischen Kontext
Bildanalyse
• Gattung bzw. Darstellungstechnik
• Inhaltlicher Bildtypus: Personenbild, Landschaftsbild,
Karikatur etc.
• Größe und Präsentationsform
• Komposition: Bildaufbau, Verhältnis Vorder-, Mittelzu Hintergrund
• Perspektive
• Proportionen: „Goldener Schnitt“
• Lichtführung
• Farbigkeit
• Figurendarstellung
Goldener Schnitt
nicht gebracht/erwähnt
• weitere Typen, Arten und Gattungen von
Bildern (Plakate, Postkarten, Partezettel etc.)
• bewegliche/laufende Bilder (Film, Fernsehen,
Video)
• Unterschied: analoge versus digitale Bilder
• weitere Analyseverfahren wie etwa
semiotische bzw. semiologische Ansätze oder
quantitativ-serielle Verfahren
für Ihre Aufmerksamkeit
und wenn Sie
haben …