Transcript Rechberger
„Gerechtigkeit“ im arbeitsgerichtlichen Verfahren o. Univ.-Prof. Dr. h.c. Dr. Walter H. Rechberger Institut für Zivilverfahrensrecht Inhaltsübersicht: I. II. III. IV. V. Einleitung Die Gerichtstage Die Laienrichterbeteiligung Die Neuerungserlaubnis Conclusio I. Einleitung - Zum Begriff „Verfahrensgerechtigkeit“ - Problematik der Gerechtigkeit im Verfahrensrecht - Untersuchung ausgewählter Bestimmungen des ASGG hinsichtlich „faktischer Verhältnisse“ - „Anspruch und Wirklichkeit“, gemessen am status quo II. Die Gerichtstage • Ursachen für die Anordnung von Gerichtstagen - Einrichtung gemeinsamer Eingangsgerichte für Arbeits- und Sozialrechtssachen - Dezentralisierung der Gerichtstätigkeit • Erlassung der Gerichtstagsverordnung - die in § 35 Abs 1 Z 1 ASGG genannten Schwierigkeiten betrafen die physische Erreichbarkeit der Landesgerichte - die auf den zu erwartenden Geschäftsanfalls abstellende Voraussetzung (§ 35 Abs 1 Z 2 ASGG) sollte eine entsprechende Auslastung des Vorsitzenden sicherstellen II. Die Gerichtstage • Argumentation zur Abschaffung der Gerichtstage - „,… dass die gerichtlichen Geschäfte letztlich ohnehin am Standort des Bezirksgerichts vorgenommen werden müssen.“ (ErlRV 1685 BlgNR 24. GP 32) - geringere Inanspruchnahme derselben durch die Bevölkerung - Veränderung der Mobilitätsverhältnisse II. Die Gerichtstage • Bewertung der Abschaffung der Gerichtstage - in Individualarbeitsrechtsverfahren wurde für beträchtliche Teile der Rechtsschutzsuchenden der Zugang zum Recht weiter erschwert - im Bereich der betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten (§ 50 Abs 2 ASGG) wurde der Rechtszugang in Niederösterreich ebenfalls eingeschränkt - lediglich in Sozialrechtssachen ist eine Verbesserung erfolgt III. Die Laienrichterbeteiligung • Grundproblematik - Mitwirkende aus dem Volk (Art 91 Abs 1 B-VG) - die Besetzung von Gerichten mit Vertretern bestimmter Interessengruppen ist keine Demokratisierung, „sondern die (verfassungsrechtlich nicht vorgesehene und daher unzulässige) Einführung ständestaatlicher Strukturen durch einfache Gesetze“ (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss10 Rz 152) III. Die Laienrichterbeteiligung - Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit - empirische Untersuchung des Arbeiterkammertags: Mehrheit der von Arbeitnehmerseite nominierten Besitzer nahmen sich selbst nicht als interessensneutrale Mitglieder des Gerichts wahr - Einschätzung der Berufsrichter bestätigt dieses Ergebnis interessanter Weise nicht III. Die Laienrichterbeteiligung • Zurücknahme der Laienrichterbeteiligung - ASGG-Nov 1994 listet in § 11a ASGG weitere dem Vorsitzenden allein zukommende Befugnisse auf - seit ZVN 2002 sind die fachkundigen Laienrichter in erster Instanz nur mehr an Sachentscheidungen beteiligt - setzt sich im Rechtsmittelverfahren fort (§ 11a Abs 2 und 3 ASGG) III. Die Laienrichterbeteiligung • Wert der Beiziehung fachkundiger Laienrichter - Auslegung und Anwendung der durch die Interessen vertretungen (privatrechtlich) geschaffenen kollektiven Normen (Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen) - Frage, ob nicht de lege ferenda (auch) das arbeits- und sozialgerichtliche Verfahren (allein) den Berufsrichtern zu überlassen ist IV. Die Neuerungserlaubnis • Neuregelung durch das ASGG - anstelle der vollen Berufung (Neuverhandlungsgrundsatz) des § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG - ursprünglich Neuerungsverbot des § 482 ZPO auch für arbeits- und sozialgerichtliches Verfahren geplant - Aufrechterhaltung einer (eingeschränkten) Neuerungserlaubnis auf Wunsch der Interessenvertretungen IV. Die Neuerungserlaubnis • Voraussetzungen für das Vorbringen von Neuerungen - Rechtsstreitigkeit in (Individual-)Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG oder eine solche über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - bisher in keiner Lage des Verfahrens Vertretung durch eine qualifizierte Person IV. Die Neuerungserlaubnis Problematik der qualifizierten Vertretung iSv § 40 Abs 1 ASGG - nach dem Gesetzeswortlaut ist allein die mangelnde qualifizierte Vertretung iSv § 40 Abs 1 ASGG im Verfahren maßgeblich - die Rechtskundigkeit selbst ist nicht Tatbestandsmerkmal IV. Die Neuerungserlaubnis • Verhältnis zur Manuduktionspflicht (§ 39 Abs 2 Z 1 ASGG) - die extreme Manuduktionspflicht nach § 39 Abs 2 Z 1 ASGG: Belehrung über die in Betracht kommenden besonderen Vorbringen und Beweisanbietungen zwecks zweckentsprechender Rechtsverfolgung (Rechtsverteidigung) Anleitung zur Vornahme der sich anbietenden derartigen Prozesshandlungen - entzieht auch der verbliebenen Neuerungserlaubnis die sachliche Rechtfertigung V. Conclusio - Die untersuchten Elemente des ASGG sind im Hinblick auf die Verfahrensgerechtigkeit kaum tragend - Bedarf die sachgerechte Ausgestaltung von Arbeitsgerichtsprozessen überhaupt dieser Sonderverfahrensregelungen nach dem ASGG? - Ist die Ausgestaltung des bezirksgerichtlichen Verfahrens nach den §§ 431-460 ZPO nicht ausreichend?