Intertextualität I

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Intertextualität 1
Die heutige Sitzung gliedert sich in vier Abschnitte,
in denen wir uns dem Konzept der Intertextualität nähern:
•Grundlagen
•erste Schritte
•weiterführende Gedanken
•Intertextualität Bachtin - Kristeva
Grundlagen
1. Text
lat.: textus – Gewebe,
textere – weben, flechten
Assoziationen an der Herkunft des Wortes Text:
Wortgeflecht, Textgewebe….
Erzählstrang….
2. Palimpsest
Assoziationen:
agr. πάλιν [palin] „wieder“ und
ψάειν [psaein] „reiben, (ab)schaben“
überschreiben, wiederschreiben, umschreiben….
3. Das Sprachsystem nach Saussure
Arbitrarität der Verbindung
von Signifikat und
Signifikant
(eine Äquivalenzbeziehung)
Differenz zwischen den
Zeichen eines
Zeichensystems
Inter – Textualität bezeichnet Arten von Text-Text-Bezügen,
insbesondere von literarischen Texten, auf andere Texte bezogen zu sein.
Die deskriptive Intertextualität beschreibt und klassifiziert Text-Text-Bezüge,
die (kultur-)philosophisch ausgerichtete Intertextualität denkt als allgemeine
Texttheorie über die Verortung eines Textes im ‚Textuniversum‘ nach und über
die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Äußerung.
Intertextualität ist ein Überbegriff für unterschiedliche Richtungen der
Erforschung von Text-Text-Bezügen.
Genette differenzierte unter seinem Überbegriff der Transtextualität folgende
Text-Text-Relationen: Intertextualität, Paratextualität, Metatextualität,
Hypertextualität, Architextualität.
Erste Schritte
Karel Čapek: Der Krieg mit den Molchen, 1936
(Textausschnitt 95-101)
Welches sind die zwei deutlichen Formen von Text-Text-Bezug?
Erste Schritte: Text-Text-Bezüge
In welchen Formen kann ein Text mit einem anderen in
Beziehung treten?
…
Erste Schritte: Text-Text-Bezüge
(Kristeva)
Genotext
Phänotext
-
Prätext
Posttext
-
(Lachmann)
Referenztext
manifester Text
Michail M. Bachtin (1895-1975)
Julia Kristeva (*1941)
entwarf das Denkmodell der „Dialogizität“
begründete den Terminus „Intertextualität“
Weitergehende Gedanken
Welches sind die Bedingungen für ein In-Beziehung-Treten der Texte?
1. Offenheit der Texte: …
2. Räumliche Auffassung von ‚Kontext‘: …
3. Referenztexte und Diskurse müssen bereits vorhanden sein: …
Karel Čapek: Der Krieg mit den Molchen, 1936
(Textausschnitt 95-101)
Wo und wie weist der Text über sich hinaus?
Wer spricht?
Die Signifikanz intertextueller Texte:
zeigen ihr Gemacht-sein
zeigen andere Texte
zeigen den Kontext
zeigen die umgebende Welt
zeigen die Mitwirkung des Lesers am Text
Intertextualität
Bachtin-Kristeva
1. Bachtin: Dialogizität des Romans
Wie kann im Roman die Vielfältigkeit der individuellen Perspektiven der
Menschen aufihre Umwelt wiedergegeben werden?
Das ‚Wort des Autors‘ darf nicht abschließend über den Helden urteilen,
sondern das ‚Wort des Helden‘ muss selbst zur Sprache kommen.
Dostoevskij beschreibe seine Helden nicht von außen, sondern stelle
dessen Selbstbewußtsein und seine spezifische Perspektive auf
die ihn umgebende Welt dar.
Im Roman Dostoevskijs treffen daher das ‚Wort des Autors‘ und
das ‚Wort des Helden‘ aufeinander.
Deshalb ist das Wort im Roman dialogisch (zweistimmig)
und der Roman polyphon (mehrstimmig).
2. Das zweistimmige Prosa-Wort
Bachtin unterscheidet zunächst 1. das direkte, gegenstandsbezogene Wort und
2. das dargestellte oder Objekt-Wort.
Zudem beschreibt Bachtin vor dem Hintergrund von Überlegungen zum „Leben
der Sprache im Dialog“einen dritten Worttyp in der Literatur, bei dem ein Wort
auf ein fremdes/anderes Wort verweist.
„Der Autor kann sich eines fremden Wortes für seine Ziele auch derart
bedienen, daß er eine neue Bedeutungstendenz in ein Wort legt, das
bereits eine eigene hat und auch bewahrt. Dabei soll ein solches Wort
der Aufgabe nach als fremdes empfunden werden. In einem Wort
befinden sich zwei Bedeutungstendenzen, zwei Stimmen.“
„Das Wort wird zur Kampfarena zweier Stimmen“
(Bachtin: „Die Typen des Prosawortes. Das Wort bei Dostoevskij“, in: Moderne
Erzähltheorie, hg.v. Karl Wagner, Wien 2002, 122-150.)
Dagegen ist das autoritäre Wort und dessen Sinn immer
abgeschlossen, monologisch und unbeweglich.
3. Generierung eines Sinns im Dialog der Texte
„Den Text sieht Bachtin in einem Spannungsfeld zwischen
Individuellem, Unwiederholbarem einerseits und Gegebenem,
Wiederholbarem andererseits: Ein allgemein verständliches, innerhalb
eines Kollektivs gegebenes Sprachsystem ist das Material und Mittel
der Voraussetzung, als Äußerung aber ist jeder Text individuell,
(historisch) einmalig und unwiederholbar. Innerhalb einer Kette von
Äußerungen bzw. Texten zu dem jeweiligen Themenbereich nimmt er
zwar eine spezifische Position ein. Sein ganzes Sinnpotential aber
kann sich erst entfalten, wenn er auf andere Glieder der
jeweiligen Textkette des Redeverkehrs trifft, mit denen er
durch dialogische Beziehungen verbunden ist.“
(Irina Wutsdorff: Bachtin und der Prager Strukturalismus, München 2006, 50.)
4. Dynamisierung der Textanalyse: Kristevas Intertextualität
Voraussetzung ist
1. die Entgrenzung des Text- und Sprachbegriffs auf semiotische Systeme im
Allgemeinen. Kultur ist dann zu verstehen als ein allgemeiner, verschiedene
Zeichensysteme umfassender Text. Der allgemeine Zusammenhang
verschiedener semiotischer Systeme wird als Intertext aufgefasst.
2. wird der Text-Text-Bezug nicht diachron/als chronologischer
vorher-nachher-Bezug, sondern räumlich gedacht. Dann überlagern
sich verschiedene Texte und sind gleichzeitig/synchron präsent.
3. wird der Text als offen aufgefasst und im Fokus steht seine
Prozesshaftigkeit, seine Aktualisierung in der Schreibweise
oder Lektüre.
5. ‚double‘ und ‚écriture-lecture‘
Angeregt durch das zweistimmige Prosa-Wort bei Bachtin, beschreibt Kristeva die
Ambivalenz des poetischen Wortes, die Präsenz eines anderen (Geschichte, Diskurse).
Dies suspendiert die Festlegung auf eine Bedeutung oder auf eine zweiwertige Logik
zugunsten eines komplexeren In-Beziehung-Setzen in alle Richtungen (räumlich).
Ausgerichtet auf die Prozesshaftigkeit von Kommunikation (Dialog und Text)
liest Kristeva Bachtins Dialog als ‚Schreibweise‘.
Sie schreibt, Bachtin lesend, dessen Modell fort.
Das zweistimmig Wort Bachtins wird so in der Theorie von Kristeva zum
Schreiben-Lesen.
In diesem prozessualen ambivalenten Text(Wort) stehen Subjekt,
Adressat und Kontext (Autor/Schreiber, Leser und deren Umwelt) in
einem Dialog, alle Aspekte fallen im Text zusammen.
6. Konsequenzen des Intertextualitäsmodells von Kristeva
Wenn Texte als offen, kollektiv und unabschließbar gedacht werden, fordert dies
eine Entgrenzung der traditionellen Instanzen des Autors, des Subjektes, des
Werkes und des Lesers. („An die Stelle der Intersubjektivität tritt der Begriff der
Intertextualität.“)
Wenn jeder Text ein „Mosaik aus Zitaten“ ist und eine „Absorption
und Transformation eines anderen Textes“ ist jegliche
Rückbezüglichkeit jeweils nur ein weiteres Verweisen auf
weiter Texte. Jegliche Generierung von Sinn ist unabschließbar
und damit unendlich vielfältig.